Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen K 112/1998
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K 112/98 Vr

                        II. Kammer

Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari;
Gerichtsschreiber Nussbaumer

                Urteil vom 10. Februar 2000

                         in Sachen

Eidgenössisches Departement des Innern, Beschwerdeführer,
vertreten durch das Bundesamt für Sozialversicherung,
Effingerstrasse 20, Bern,
                           gegen

A.________, Beschwerdegegner,

                            und

Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, Chur

     A.- A.________ reichte am 27. März 1997 einen Antrag
auf Prämienverbilligung in der Krankenversicherung für das
Jahr 1997 ein und legte einen Versicherungsausweis der
Artabana Gesundheitskasse bei. Mit Verfügung vom 30. Sep-
tember 1997 verneinte die AHV-Ausgleichskasse des Kantons
Graubünden einen Anspruch auf Prämienverbilligung, weil
A.________ bei einer nicht anerkannten Krankenkasse ver-
sichert sei. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom
20. November 1997 fest.

     B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Ver-
waltungsgericht des Kantons Graubünden mit Entscheid vom
27. März und 29. Mai 1998 gut und wies die Sache unter
Aufhebung des Einspracheentscheides und der Kassenverfügung
im Sinne der Erwägungen an die Ausgleichskasse zurück.

     C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung
des kantonalen Gerichtsentscheides.
     A.________ reicht eine Vernehmlassung ein, ohne einen
bestimmten Antrag zu stellen. Die Ausgleichskasse hält die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde für unzulässig, schliesst
sich im Falle des Eintretens Antrag und Begründung des BSV
an.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Gemäss Art. 103 OG (in Verbindung mit Art. 132
OG) ist legitimiert zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde ans
Eidgenössische Versicherungsgericht das in der Sache zu-
ständige Departement oder, soweit das Bundesrecht es vor-
sieht, die in der Sache zuständige Dienstabteilung der
Bundesverwaltung u.a. gegen eine Verfügung einer letzten
kantonalen Instanz (lit. b) oder jede andere Person, Orga-
nisation oder Behörde, die das Bundesrecht zur Beschwerde
ermächtigt (lit. c).
     Laut Art. 27 Abs. 2 KVV kann das Bundesamt für Sozial-
versicherung gegen Entscheide der kantonalen Versicherungs-
gerichte und Schiedsgerichte (Art. 86-89 KVG) beim Eidge-
nössischen Versicherungsgericht Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde erheben.

     b) Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE
124 V 296 entschieden hat, ist zur Beschwerde gegen kanto-
nale Entscheide betreffend die Befreiung von der obligato-
rischen Versicherung das Eidgenössische Departement des

Innern (EDI) berechtigt, nicht jedoch das BSV. Zur Begrün-
dung führte es an, Art. 27 Abs. 2 KVV beziehe sich aus-
schliesslich auf Entscheide der kantonalen Versicherungs-
gerichte und Schiedsgerichte im Sinne von Art. 86 und
Art. 89 KVG. Vor dem kantonalen Versicherungsgericht seien
angesichts von Art. 85 und Art. 86 Abs. 1 KVG lediglich
Einspracheentscheide der Versicherer anfechtbar (vgl. auch
Art. 80 Abs. 1 KVG). Gleich verhält es sich bei Streitig-
keiten im Zusammenhang mit Prämienverbilligungen nach
Art. 65 KVG, die ebenfalls nicht unter die Rechtspflege-
bestimmungen der Art. 85 bis 91 KVG fallen (BGE 124 V 21
Erw. 2b mit Hinweis auf Spira, Le contentieux en matière
d'assurance-maladie selon le nouveau droit, in: Revue
jurassienne de jurisprudence [RJJ] 1996 S. 197 f.). Die
Beschwerdelegitimation kommt daher auch im vorliegenden
Fall lediglich dem EDI zu. Da das BSV die Verwaltungsge-
richtsbeschwerde vor Erlass des Urteils BGE 124 V 296 ein-
gereicht hat, ist ihm in Anwendung dieses Urteils Gelegen-
heit gegeben worden, eine Vollmacht des EDI einzureichen.
Am 28. Januar 2000 hat das EDI dem BSV nachträglich die
Vollmacht erteilt, in seinem Namen im vorliegenden Fall
eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den vorinstanz-
lichen Entscheid vom 27. März und 29. Mai 1998 zu erheben.
Unter dem Titel Beschwerdelegitimation steht daher einem
Eintreten auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts mehr
im Wege.

     2.- a) Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidgenössische
Versicherungsgericht letztinstanzlich Verwaltungsgerichts-
beschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 97, 98
lit. b-h und 98a OG auf dem Gebiet der Sozialversicherung.
Hinsichtlich des Begriffs der mit Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde anfechtbaren Verfügungen verweist Art. 97 OG auf
Art. 5 VwVG. Nach Art. 5 Abs. 1 VwVG gelten als Verfügungen
Anordnungen der Behörden im Einzelfall, die sich auf öf-
fentliches Recht des Bundes stützen (oder richtigerweise
hätten stützen sollen; BGE 116 Ia 266 Erw. 2a) und zum

Gegenstand haben: Begründung, Änderung oder Aufhebung von
Rechten oder Pflichten, Feststellung des Bestehens, Nicht-
bestehens oder Umfanges von Rechten oder Pflichten, Abwei-
sung von Begehren auf Begründung, Änderung, Aufhebung oder
Feststellung von Rechten oder Pflichten, oder Nichteintre-
ten auf solche Begehren (BGE 124 V 20 Erw. 1, 123 V 296
Erw. 3a, je mit Hinweisen).
     Nach der Rechtsprechung stellen die gestützt auf
Art. 65 KVG erlassenen kantonalen Vorschriften zur Prämien-
verbilligung nicht unselbstständiges kantonales Ausfüh-
rungsrecht zu Bundesrecht dar, sondern autonomes kantonales
Recht, dessen Verletzung nicht mit Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde gemäss Art. 97 ff. und Art. 128 f. OG gerügt
werden kann (BGE 125 V 183, 124 V 19; RKUV 1999 Nr. K 56
S. 1; vgl. auch BGE 122 I 346 Erw. 3f). Lediglich dort, wo
sich die Prämienverbilligung auf die Verordnung über die
Beiträge des Bundes zur Prämienverbilligung in der Kran-
kenversicherung vom 12. April 1995 (SR 832.112.4) stützt
oder richtigerweise hätte stützen sollen, beruht der vor-
instanzliche Entscheid auf einer bundesrechtlichen Ver-
fügungsgrundlage (BGE 124 V 21).

     b) Gestützt auf diese Rechtsprechung hält die Aus-
gleichskasse die Verwaltungsgerichtsbeschwerde für unzu-
lässig. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden.
Bei der vorliegenden Streitigkeit geht es um die Frage, ob
ein Versicherter, der einer nicht anerkannten Krankenkasse
angehört, Anspruch auf Prämienverbilligung nach Art. 65 KVG
hat. Diese Frage betrifft im vorliegenden Fall ausschliess-
lich Bundesrecht. Die Vorinstanz hat den Anspruch des
Beschwerdegegners nicht etwa gestützt auf eine über das
Bundesrecht hinausgehende kantonale Gesetzesbestimmung und
damit in Anwendung autonomen kantonalen Rechts beurteilt
(vgl. auch BGE 122 I 347 Erw. 3g). Denn Art. 5 Abs. 1 des
kantonalen Gesetzes über die Krankenversicherung und die
Prämienverbilligung sieht vor, dass der Anspruch auf Prä-
mienverbilligung u.a. nur Personen zusteht, die einem vom

Bund anerkannten Versicherer angeschlossen sind. Damit
stimmt diese Vorschrift mit der in Art. 65 KVG umschriebe-
nen Anspruchsvoraussetzung der Versicherteneigenschaft
überein (vgl. nachstehende Erw. 3a), weshalb es sich um
eine unselbstständige kantonale Ausführungsbestimmung han-
delt. Die bundesrechtliche Verfügungsgrundlage ist daher zu
bejahen und auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzu-
treten.

     3.- a) Nach Art. 65 Abs. 1 KVG gewähren Kantone den
Versicherten in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen
Prämienverbilligungen. Anknüpfungspunkt für die Gewährung
dieser Leistungen ist damit auf der einen Seite die Eigen-
schaft als Versicherter (BGE 122 I 346 Erw. 3d). Mit Erlass
des KVG hat der Gesetzgeber den Grundsatz des Versiche-
rungsobligatoriums eingeführt. Der obligatorischen Kranken-
pflegeversicherung unterstellt und damit versicherungs-
pflichtig ist - von wenigen Ausnahmen abgesehen - jede
Person mit Wohnsitz in der Schweiz (Art. 3 Abs. 1 KVG; zu
den Ausnahmen vgl. Art. 2 ff. KVV in Verbindung mit Art. 3
Abs. 2 KVG). Zu diesem Zweck hat sie sich - bei freiem
Wahlrecht - einer anerkannten Krankenkasse im Sinne von
Art. 12 KVG oder einer gestützt auf Art. 13 KVG zur Durch-
führung der sozialen Krankenversicherung zugelassenen
privaten Versicherungseinrichtung, die dem Versicherungs-
aufsichtsgesetz (VAG) untersteht, anzuschliessen (Art. 4
Abs. 1 KVG in Verbindung mit Art. 11 KVG).
     Mit der Einführung der obligatorischen Krankenpflege-
versicherung hat der Gesetzgeber gleichzeitig das bisherige
System der Ausrichtung von Bundessubventionen als feste
Beiträge je versicherte Person an die einzelnen Kranken-
kassen aufgegeben. Stattdessen hat er im KVG die indivi-
duellen Prämienverbilligungen eingeführt für Versicherte,
die sich in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen
befinden (Gebhard Eugster, Krankenversicherung, in: Schwei-
zerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale
Sicherheit, Rz 348).

     Angesichts dieser gesetzlichen Konzeption setzt der in
Art. 65 Abs. 1 KVG geregelte Anspruch auf Prämienverbilli-
gung die Versicherteneigenschaft nach Art. 3 Abs. 1 KVG
voraus, was sich unmissverständlich aus dem Wortlaut von
Art. 65 Abs. 1 KVG ("Versicherte", "assurés", "assicurati")
ergibt. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz liegt daher
auch keine vom Gericht auszufüllende Gesetzeslücke vor.

     b) Der Beschwerdegegner ist Mitglied der Artabana
Gesundheitskasse, welche nicht als Krankenkasse anerkannt
worden ist und die Bewilligung für die Durchführung der
sozialen Krankenversicherung nicht erhalten hat. Die gegen
die entsprechende Verfügung des EDI vom 3. Juni 1997 er-
hobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht mit Urteil vom 16. Juli 1998
(K 107/97) abgewiesen. Bei der Artabana Gesundheitskasse
handelt es sich mithin nicht um einen anerkannten und zur
Durchführung der sozialen Krankenversicherung zugelassenen
Versicherer im Sinne von Art. 11 KVG. Da auch keine falsche
Auskunft einer Verwaltungsbehörde vorliegt, welche gestützt
auf den Grundsatz von Treu und Glauben eine vom materiellen
Recht abweichende Behandlung gebietet (vgl. BGE 121 V 66
Erw. 2a mit Hinweisen), hat der Beschwerdegegner keinen
Anspruch auf Prämienverbilligung nach Art. 65 KVG für die
an die Artabana Gesundheitskasse im Jahre 1997 geleisteten
monatlichen Beiträge von Fr. 47.60.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
     der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons
     Graubünden vom 27. März und 29. Mai 1998 aufgehoben.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge-
     richt des Kantons Graubünden und der Ausgleichskasse
     des Kantons Graubünden zugestellt.

Luzern, 10. Februar 2000

                    Im Namen des
         Eidgenössischen Versicherungsgerichts
            Der Präsident der II. Kammer:

               Der Gerichtsschreiber: