Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 617/1998
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I 617/98 Ca

                        II. Kammer

Bundesrichter Meyer, Schön und Bundesrichterin Leuzinger;
Gerichtsschreiberin Berger

                 Urteil vom 5. Januar 2000

                         in Sachen

IV-Stelle Basel-Landschaft, Hauptstrasse 109, Binningen,
Beschwerdeführerin,

                           gegen

G.________, 1945, Beschwerdegegnerin, vertreten durch die
Beratungsstelle X.________,

                            und

Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft, Liestal

     A.- Die 1945 geborene G.________ meldete sich am
21. November 1990 zum Bezug von Leistungen der Invaliden-
versicherung an. Im Anmeldeformular gab sie unter anderem
an, sie bedürfe für die alltäglichen Lebensverrichtungen
dauernd der Hilfe ihres Ehemannes oder seiner persönlichen

Überwachung. In der Folge wurde ihr eine Invalidenrente ge-
währt, über eine Hilflosenentschädigung jedoch weder in ab-
lehnender noch in zusprechender Weise verfügt. Am 10. April
1995 meldete sie sich zum Bezug einer Hilflosenentschädi-
gung der Invalidenversicherung an. Nach Beizug diverser
Arztberichte und einer vom Regionalen IV-Aussendienst
Basel-Stadt und Basel-Landschaft vorgenommenen Haushaltsab-
klärung vom 22. Juni 1995 sowie nach Durchführung des Vor-
bescheidverfahrens gewährte die IV-Stelle des Kantons Ba-
sel-Landschaft für die Zeit vom 1. Mai 1995 bis 31. Juli
1995 eine Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit leichten
Grades und mit Wirkung ab 1. August 1995 eine solche bei
Hilflosigkeit mittleren Grades (Verfügung vom 30. Oktober
1996).

     B.- Hiegegen liess G.________ Beschwerde erheben mit
dem Antrag auf Zusprechung einer Entschädigung für leichte
Hilflosigkeit ab 1. November 1990 und für mittlere Hilflo-
sigkeit ab 1. Mai 1994, "eventuell früher".
     In teilweiser Gutheissung der Beschwerde stellte das
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft fest, ab
November 1990 bestehe Anspruch auf eine Hilflosenentschädi-
gung für Hilflosigkeit leichten Grades und ab Mai 1995 auf
eine solche für Hilflosigkeit mittleren Grades (Entscheid
vom 28. Oktober 1998).

     C.- Die IV-Stelle führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
mit dem Begehren, in teilweiser Aufhebung des angefochtenen
Entscheids sei die Entschädigung für eine Hilflosigkeit
leichten Grades ab Mai 1991 und für eine Hilflosigkeit
mittleren Grades ab August 1995 zu gewähren.
     G.________ lässt in abweisendem Sinne Stellung nehmen.
Das Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht verneh-
men lassen.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Das kantonale Gericht hat die vorliegend mass-
gebenden Bestimmungen und Grundsätze über den Anspruch auf
Hilflosenentschädigung (Art. 42 Abs. 1 IVG in der vorlie-
gend anwendbaren, bis Ende 1996 gültig gewesenen Fassung,
Art. 42 Abs. 2 IVG sowie Art. 35 Abs. 1 IVV), die für die
Höhe der Entschädigung wesentliche Unterscheidung dreier
Hilflosigkeitsgrade (Art. 36 IVV) und die nach der Recht-
sprechung bei deren Bestimmung massgebenden sechs alltäg-
lichen Lebensverrichtungen (BGE 124 II 247 f., 121 V 90
Erw. 3a mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf kann
verwiesen werden.

     b) Der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung ent-
steht am ersten Tag des Monats, in dem sämtliche Anspruchs-
voraussetzungen erfüllt sind (Art. 35 Abs. 1 IVV). Als
hilflos gilt nur, wer dauernd der Hilfe Dritter oder der
persönlichen Überwachung (Art. 42 Abs. 2 IVG) bzw. der
Dienstleistungen Dritter (Art. 36 Abs. 3 lit. d IVV) be-
darf. Dieses Erfordernis ist nach ständiger Rechtsprechung
und Verwaltungspraxis erfüllt, wenn der die Hilflosigkeit
begründende Zustand weitgehend stabilisiert und im Wesent-
lichen irreversibel ist, wenn also analoge Verhältnisse wie
bei Art. 29 Abs. 1 lit. a IVG gegeben sind (Variante 1).
Ferner ist das Erfordernis der Dauer als erfüllt zu be-
trachten, wenn die Hilflosigkeit während eines Jahres
(Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG) ohne wesentlichen Unterbruch
bestanden hat und voraussichtlich weiterhin andauern wird
(Variante 2). Im Fall der Variante 1 entsteht der Anspruch
auf Hilflosenentschädigung im Zeitpunkt, in dem die leis-
tungsbegründende Hilflosigkeit als bleibend vorausgesehen
werden kann (Art. 29 IVV), und im Fall der Variante 2 nach
Ablauf eines Jahres, sofern weiterhin mit einer Hilflosig-
keit der vorausgesetzten Art zu rechnen ist (vgl. BGE 111 V
227; ZAK 1986 S. 487 Erw. 2b, 1983 S. 334 Erw. 3). Die Re-
geln über die Entstehung des Rentenanspruches (Art. 29

Abs. 1 IVG) finden somit sinngemäss Anwendung (BGE 105 V 67
Erw. 2 mit Hinweisen).
     Ändert sich in der Folge der Grad der Hilflosigkeit in
erheblicher Weise, so finden die Art. 86 bis 88bis IVV ("E.
Die Revision der Rente und der Hilflosenentschädigung") An-
wendung (Art. 35 Abs. 3 Satz 1 IVV). Keine Revision liegt
vor, wenn bei der erstmaligen Zusprechung einer Hilflosen-
entschädigung für verschiedene Zeitabschnitte unterschied-
liche Entschädigungen zufolge unterschiedlicher Grade der
Hilflosigkeit zugesprochen werden; vielmehr handelt es sich
diesfalls um eine erstmalige, rückwirkende, abgestufte Zu-
sprechung der Hilflosenentschädigung. Trotzdem kommt in
solchen Fällen Art. 88a IVV zur Anwendung, nicht hingegen
Art. 88bis IVV; diese hinsichtlich der erstmaligen, rück-
wirkenden, abgestuften Zusprechung unterschiedlicher Inva-
lidenrenten begründete Rechtsprechung (BGE 121 V 275
Erw. 6b/dd, 109 V 126 Erw. 4a) ist auch auf den vergleich-
baren Fall der erstmaligen, rückwirkenden, abgestuften Zu-
sprechung einer Hilflosenentschädigung anzuwenden.

     2.- Streitig und zu prüfen ist, in welchem Zeitpunkt
der Anspruch der Versicherten auf Hilflosenentschädigung
bei Hilflosigkeit leichten Grades entstanden ist und ab
welchem Datum ihr eine Hilflosenentschädigung bei Hilflo-
sigkeit mittleren Grades zusteht.

     3.- Die Vorinstanz gelangt zur Auffassung, die Be-
schwerdegegnerin bedürfe insbesondere auf Grund ihrer wie-
derkehrenden Ohnmachtsanfälle bereits seit längerer Zeit
der dauernden persönlichen Überwachung. Bis zu seinem Tod
im Mai 1994 habe der Ehemann der Versicherten die erforder-
lichen Hilfeleistungen erbracht. Entgegen den Angaben der
Hausärztin Frau Dr. med. B.________ - welche eine Hilflo-
sigkeit bis zum Zeitpunkt seines Todes verneint habe - sei
allerdings bezüglich des Anspruchs auf Hilflosenentschädi-
gung unerheblich, ob die Hilfe von ausserhalb oder inner-
halb der Familie stehenden Personen erbracht werde. Denn

bei der Bemessung der Hilflosigkeit sei objektiv vom Zu-
stand der Versicherten auszugehen. Diese habe mit ihrer
Anmeldung vom 21. November 1990 zum Bezug einer Rente der
Invalidenversicherung auch ihre Hilflosigkeit rechtsgenüg-
lich geltend gemacht, weshalb sie gemäss Art. 48 Abs. 1 IVG
grundsätzlich Anspruch auf eine rückwirkende Ausrichtung
der Hilflosenentschädigung habe. Diesen Ausführungen, denen
die Beschwerdeführerin zu Recht nichts entgegensetzt, ist
beizupflichten.

     4.- a) Im Weiteren geht das kantonale Gericht davon
aus, die Anspruchsvoraussetzungen für eine Hilflosenent-
schädigung bei Hilflosigkeit leichten Grades seien jeden-
falls im November 1990 erfüllt gewesen, weshalb die ent-
sprechende Entschädigung ab diesem Zeitpunkt gewährt werden
könne.
     Demgegenüber vertritt die Beschwerdeführerin die An-
sicht, es könne nicht einfach unterstellt werden, dass der
Anspruch auf Hilflosenentschädigung gleichzeitig mit der
Anmeldung vom 21. November 1990 zum Bezug von Leistungen
der Invalidenversicherung entstanden sei. Nach den Erhe-
bungen ihres Aussendienstes und den Aussagen der Versicher-
ten sei von einer Überwachungsbedürftigkeit seit Mai 1990
auszugehen, weshalb ein Anspruch auf Hilflosenentschädigung
erst ab Mai 1991 bestehe.

     b) Die IV-Stelle gab in ihrem Vorbescheid vom 5. Juli
1996 eine seit Mai 1990 bestehende Hilfsbedürftigkeit bei
der Fortbewegung an und erachtete eine persönliche Überwa-
chung erst ab Mai 1994 als notwendig. Dabei stützte sie
sich offenbar auf die missverständlichen Angaben der Haus-
ärztin, welche in Anbetracht der Tatsache, dass der Ehemann
der Versicherten bis zu seinem Tod im Mai 1994 die erfor-
derlichen Hilfeleistungen im Zusammenhang mit der persön-
lichen Überwachung wahrgenommen hatte, eine Hilflosigkeit
bis Mai 1994 verneinte (Berichte vom 11. Januar 1991,
12. April 1993 und 5. April 1995). Nach den zutreffenden

Ausführungen der Vorinstanz ist indessen bezüglich des
Anspruchs auf Hilflosenentschädigung nicht relevant, ob die
Hilfe von Familienmitgliedern oder von andern Personen er-
bracht wird (vgl. Erw. 3 hiervor). Auf Grund der unvermit-
telt auftretenden Ohnmachten, unter welchen die Versicherte
nach ihren eigenen Aussagen seit Mai 1990 leidet, muss da-
her davon ausgegangen werden, dass ab Mai 1990 regelmässig
Hilfe bei der Fortbewegung notwendig ist und seit demselben
Zeitpunkt eine dauernde Überwachungsbedürftigkeit besteht.
Der Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung bei Hilflosig-
keit leichten Grades (Art. 36 Abs. 3 lit. b IVV) entstand
allerdings erst nach Ablauf eines Wartejahres (Art. 29
Abs. 1 lit. b IVG in sinngemässer Anwendung; vgl. Erw. 1b
hiervor) am 1. Mai 1991.

     5.- Wie die Vorinstanz in umfassender Würdigung der
vorhandenen medizinischen Unterlagen, der Ermittlungen der
Verwaltung und der Angaben der Versicherten schlüssig und
korrekt festhält, besteht seit Mai 1995 eine Hilflosigkeit
mittleren Grades. Bei seinem Entscheid hat das kantonale
Gericht allerdings Art. 88a Abs. 2 Satz 1 IVV ausser Acht
gelassen, wonach bei einer Verschlimmerung der Hilflosig-
keit die anspruchsbeeinflussende Änderung zu berücksichti-
gen ist, sobald sie ohne wesentliche Unterbrechung drei
Monate gedauert hat. Der Beschwerdegegnerin steht folglich
nach Ablauf der dreimonatigen Wartezeit ab 1. August 1995
eine Hilflosenentschädigung bei Hilflosigkeit mittleren
Grades zu. Insoweit lässt sich die Verfügung der IV-Stelle
vom 30. Oktober 1996 nicht beanstanden.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wer-
     den der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kan-
     tons Basel-Landschaft vom 28. Oktober 1998 vollumfäng-
     lich und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Ba-
     sel-Landschaft vom 30. Oktober 1996 insoweit aufgeho-
     ben, als sie die Zusprechung einer Hilflosenentschädi-
     gung bei Hilflosigkeit leichten Grades betrifft, und
     es wird festgestellt, dass die Beschwerdegegnerin ab
     1. Mai 1991 Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung
     bei Hilflosigkeit leichten Grades hat.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsge-
     richt des Kantons Basel-Landschaft, der Eidgenössi-
     schen Ausgleichskasse, Bern, und dem Bundesamt für
     Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 5. Januar 2000

                                  Im Namen des
                  Eidgenössischen Versicherungsgerichts
                         Der Vorsitzende der II. Kammer:

                         i.V.

                            Die Gerichtsschreiberin: