Sozialrechtliche Abteilungen I 450/1998
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I 450/98 Vr I. Kammer Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Spira, Bundes- richterinnen Widmer und Leuzinger; Gerichtsschreiber Signorell Urteil vom 28. November 2000 in Sachen S.________, 1962, Beschwerdeführer, vertreten durch Für- sprecher Dr. Michael Weissberg, Zentralstrasse 47, Biel, gegen IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, Zuchwil, Beschwerdegegnerin, und Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn A.- Die IV-Stelle des Kantons Solothurn lehnte ein Ge- such des 1962 geborenen und seit seinem zweiten Lebensjahr an einer spastischen Paraparese der unteren Extremitäten leidenden S.________ auf Zusprechung von Amortisations- und Reparaturkostenbeiträgen an seinen Personenwagen nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens mit Verfügung vom 11. Februar 1998 ab mit der Begründung, dass auch Nicht- invalide den Arbeitsweg von Bellach nach Grenchen üblicher- weise mit dem Motorfahrzeug zurücklegten. B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wies eine dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 17. August 1998 aus den gleichen Überlegungen ab. C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt S.________ erneut die Zusprechung von Amortisations- und Reparatur- kostenbeiträgen beantragen. Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungs- gerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1.- Die Vorinstanz hat die massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze, nach welchen ein Anspruch auf Hilfsmittel sowie auf Amortisations- und Reparaturkostenbeiträge be- steht, zutreffend dargestellt. Darauf wird verwiesen. 2.- Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdefüh- rer zur Zurücklegung des Arbeitsweges invaliditätsbedingt auf ein persönliches Fahrzeug angewiesen ist. a) Verwaltung und Vorinstanz verneinen dies unter Hin- weis auf Rz 10.01.6*-10.04.6* der Wegleitung über die Abga- be von Hilfsmitteln in der Invalidenversicherung (WHMI; in der ab August 1993 bis zum 31. Januar 2000 gültig gewesenen Fassung). Danach ist - im Vergleich zur vorherigen Fassung der Wegleitung neu - die Verwendung eines Motorfahrzeuges auch dann nicht invaliditätsbedingt, wenn auch Nichtinvali- de zur Zurücklegung des entsprechenden Arbeitsweges übli- cherweise ein Motorfahrzeug benützen (z.B. ungünstige Fahr- pläne/Zeitgewinn). Laut der Vorinstanz erfolgt damit die Abgrenzung über das Kriterium der Üblichkeit. Erfahrungs- gemäss entscheide sich der Normalbürger bei den hier gege- benen Verhältnissen (je Arbeitsweg 2 Fussmärsche von 10 und 5 Minuten zum und vom Bahnhof, Bahnfahrt von 10 Minuten) aus Zeit- und Bequemlichkeitsgründen üblicherweise für die Benutzung des heute in der Regel zur Verfügung stehenden Personenwagens. b) Der Beschwerdeführer führt demgegenüber an, dass für Nichtbehinderte die Zurücklegung des konkreten kurzen Arbeitswegs mit öffentlichen Verkehrsmitteln ohne weiteres möglich und zumutbar sei. In Bezug auf die Frage, ob diese trotzdem den Personenwagen benutzten, stelle die Vorinstanz einzig auf den Zeitgewinn ab, der dadurch erzielt werden könne. Diese isolierte Betrachtungsweise gehe an der Ziel- setzung des Gesetzes vorbei und hätte zur Folge, dass der Anspruch auf Amortisations- und Reparaturkostenbeiträge in aller Regel abgewiesen würde. Entscheidend sei vielmehr, dass es einem Nichtbehinderten ohne weiteres möglich und zumutbar sei, den Arbeitsweg mittels öffentlichen Verkehrs- mitteln zurückzulegen, was dem Beschwerdeführer aber inva- liditätsbedingt versagt sei. 3.- a) Verwaltungsweisungen sind für das Sozialver- sicherungsgericht nicht verbindlich. Es soll sie bei seiner Entscheidung mit berücksichtigen, sofern sie eine dem Ein- zelfall angepasste und gerecht werdende Auslegung der an- wendbaren gesetzlichen Bestimmungen zulassen. Es weicht anderseits insoweit von Weisungen ab, als sie mit den an- wendbaren gesetzlichen Bestimmungen nicht vereinbar sind (BGE 124 V 261 mit Hinweisen). Die Verwaltungsweisungen sind eine - für das Gericht grundsätzlich nicht verbindliche - Auslegungshilfe und bie- ten als solche keine Grundlage, um zusätzliche einschrän- kende materiellrechtliche Anspruchserfordernisse aufzustel- len (BGE 118 V 32 Erw. 4b mit Hinweisen; SVR 1999 IV Nr. 15 S. 44 Erw. 3b). b) Nach der Rechtsprechung ist aufgrund des tatsächli- chen Arbeitsweges im Einzelfall zu beurteilen, ob eine ver- sicherte Person nach den gesamten Gegebenheiten wegen ihrer Invalidität auf ein Motorfahrzeug angewiesen ist. Dies trifft namentlich dann nicht zu, wenn anzunehmen ist, sie müsste nach den Umständen ihren tatsächlichen Arbeitsweg auch als gesunde Person mit einem persönlichen Motorfahr- zeug zurücklegen. Die Notwendigkeit eines Fahrzeuges kann sich vor allem ergeben aus beruflichen Gründen (für Vertre- ter, Taxifahrer usw.) sowie aus der Entfernung des Wohnor- tes vom Arbeitsort, insbesondere wenn es an öffentlichen Verkehrsmitteln fehlt oder deren Benützung unzumutbar ist. Unmassgeblich ist dagegen, ob jemand als gesunde Person tatsächlich ein Motorfahrzeug benutzt hat, um seinen Ar- beitsweg zu überwinden, ohne dass er nach den Umständen da- rauf angewiesen war. Diese Ordnung soll auch der rechts- gleichen Behandlung der Empfänger dieser Leistung der Inva- lidenversicherung gegenüber andern, nicht anspruchsberech- tigten Gehbehinderten einerseits und gegenüber Nichtinvali- den anderseits dienen (BGE 97 V 239 Erw. 3b mit Hinweisen; ZAK 1972 S. 733). Im Urteil T. vom 10. Mai 1991 ([I 426/90], auszugswei- se publiziert in Pra 1991 [Bd. 80] Nr. 215 S. 908) hatte das beschwerdeführende BSV geltend gemacht, die Beurteilung des Anspruchs auf ein bestimmtes Hilfsmittel erheische ei- nen Vergleich des Invaliden mit dem Gesunden in gleicher Situation. Es gehe darum, "die Motorisierung als solche zu betrachten" (Pra, a.a.O., S. 609, Erw. 2b). Das Eidgenössi- sche Versicherungsgericht schloss sich dieser Auffassung indessen nicht an. Massgebend seien die gesamten Gegeben- heiten im konkreten Einzelfall, die ergäben, dass eine nichtbehinderte Person nicht zwingend einen eigenen Wagen gebrauchen müsste. Der Auffassung des BSV, die Art des in Betracht zu ziehenden Motorfahrzeuges spiele als Abgren- zungskriterium im Hinblick auf den Anspruch auf Abgabe ei- nes Fahrzeuges als solchen keine Rolle, könne in dieser Ab- solutheit nicht zugestimmt werden. Dies liefe nämlich da- rauf hinaus, dass Behinderte gegenüber Gesunden insoweit benachteiligt seien, als sie keine andere Möglichkeit hät- ten, als den Arbeitsweg motorisiert zurückzulegen, während Nichtbehinderte sehr wohl zwischen anderen Fortbewegungs- mitteln wählen können. Insoweit führe der Vergleich der verschiedenen Fahrmöglichkeiten einer behinderten und einer nichtbehinderten Person zu unterschiedlichem Ergebnis in der gleichen Situation (Pra, a.a.O., S. 909, Erw. 2c). Es besteht kein Anlass auf diese Rechtsprechung zurückzukom- men. c) Die auf August 1993 in Rz 10.01.6*-10.04.6* WHMI aufgenommene zusätzliche Einschränkung, wonach die Ver- wendung eines Motorfahrzeuges dann nicht invaliditätsbe- dingt ist, wenn auch Nichtinvalide zur Zurücklegung des entsprechenden Arbeitsweges üblicherweise ein Motorfahrzeug benützen (z.B. ungünstige Fahrpläne/Zeitgewinn), lässt sich mit der Rechtsprechung, die auf Art. 21 Abs. 1 IVG, Art. 2 Abs. 2 HIV sowie Ziff. 10 HVI-Anhang beruht, nicht verein- baren. Da diese rechtlichen Bestimmungen keine oder jeden- falls keine im vorliegenden Zusammenhang relevanten Ände- rungen erfahren haben, hält das auf Weisungsebene einge- führte Anspruchserfordernis vor dem Bundesrecht nicht Stand. Die invaliditätsbedingte Notwendigkeit ist daher vorliegend zu bejahen. Es ist Sache der IV-Stelle, noch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen. Abschliessend bleibt darauf hinzuweisen, dass die Weg- leitung WHMI mit Wirkung ab dem 1. Februar 2000 durch das Kreisschreiben über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (KHMI) abgelöst wurde. In der neuen Rz 10.01.12*-10.04.12* wird das Kriterium der Üblichkeit nicht mehr erwähnt. Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wer- den der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kan- tons Solothurn vom 17. August 1998 und die Verfügung vom 11. Februar 1998 der IV-Stelle des Kantons Solo- thurn aufgehoben, und es wird die Sache an die Verwal- tung zurückgewiesen, damit sie über den Anspruch auf Amortisations- und Reparaturkostenbeiträge neu verfü- ge. II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. III. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat dem Beschwer- deführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezah- len. IV. Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Ver- fahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungs- gericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. Luzern, 28. November 2000 Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts Der Präsident der I. Kammer: Der Gerichtsschreiber: