Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 298/1998
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I 298/98 Hm

                        IV. Kammer

Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger;
Gerichtsschreiber Signorell

                  Urteil vom 18. Mai 2000

                         in Sachen

M.________, 1946, Beschwerdeführer, vertreten durch Für-
sprecher D.________,

                           gegen

IV-Stelle des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, Zuchwil,
Beschwerdegegnerin,
                            und

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

     A.- M.________ (geb. 1946) verletzte sich am 14. Au-
gust 1985 bei einem Verkehrsunfall, als er mit seinem Velo
nach einer Streifkollision mit einem Motorfahrzeug stürzte.
Im November des gleichen Jahres fiel er von einer Treppe.
Am 10. Januar 1993 rutschte er auf einer vereisten Fläche
auf einem Flugplatz aus. Am 22. September 1994 meldete er

sich bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an.
Während des Abklärungsverfahrens war er mit seinem Motor-
fahrzeug am 29. September 1995 schliesslich nochmals in
einen Verkehrsunfall verwickelt. Die IV-Stelle Solothurn
zog verschiedene Arztberichte und die Akten der SUVA bei,
liess eine berufliche Abklärung in der VEBO durchführen
(Bericht vom 17. April 1996) und ordnete schliesslich eine
polydisziplinäre Abklärung in der MEDAS an (Gutachten vom
8. Januar 1997). Mit Vorbescheid vom 9. April 1997 orien-
tierte die IV-Stelle den Versicherten, dass das Renten-
begehren abgelehnt werden müsse, da keine rentenbegründende
Invalidität gegeben sei. Daran hielt sie auch in der Ver-
fügung vom 21. Mai 1997 fest.

     B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
wies eine dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom
25. Mai 1998 ab.

     C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt M.________
die Zusprechung der gesetzlichen Leistungen, mindestens
aber einer halben IV-Rente, beantragen.
     IV-Stelle und Vorinstanz schliessen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialver-
sicherung hat sich nicht vernehmen lassen.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Die Vorinstanz hat die massgeblichen gesetzlichen
Bestimmungen über den Anspruch auf eine Invalidenrente, auf
Umschulung und Arbeitsvermittlung sowie zur Ermittlung des
Invaliditätsgrades zutreffend dargestellt. Darauf wird ver-
wiesen.

     2.- Streitig und zu prüfen ist, ob eine leistungsbe-
gründende Invalidität gegeben ist.

     a) Verwaltung und Vorinstanz verneinen einen Anspruch
auf Leistungen der Invalidenversicherung, da der Versicher-
te in der angepassten Erwerbstätigkeit trotz seines Gesund-
heitsschadens ein rentenausschliessendes Einkommen erzielen
könnte. Der Beschwerdeführer widersetzt sich dieser Auffas-
sung im Wesentlichen mit der Begründung, es dürfe nicht
unbesehen auf die Ergebnisse der MEDAS-Begutachtung abge-
stellt werden, da in dieser einerseits die psychische Kom-
ponente einseitig als Aggravation behandelt werde und ande-
rerseits die Erkrankung an einer Form von Weichteilrheuma-
tismus unberücksichtigt geblieben sei.

     b) Der medizinische Sachverhalt ist für den massgeb-
lichen Zeitraum bis zum Verfügungserlass hinreichend abge-
klärt. Die Befunde und deren Auswirkungen auf die Arbeits-
fähigkeit sind im Gutachten der MEDAS vom 8. Januar 1997
ausführlich und widerspruchsfrei dargelegt. Dass der Be-
schwerdeführer unter psychischen Schwierigkeiten leidet und
diese gar Krankheitswert haben, wird auch von den MEDAS-
Ärzten bestätigt. Doch sind sie der Auffassung, diese Lei-
den seien bezüglich mittelschwerer und leichter Arbeit
nicht invalidisierend. Bei dieser Beurteilung kann nicht
unbeachtet bleiben, dass bereits während der Behandlung des
ersten Unfalles vom damaligen Hausarzt auf eine erhebliche
Aggravation hingewiesen wurde. Auch bezüglich der geltend
gemachten Fibromyalgie oder sonst einer Form von Weichteil-
rheumatismus bestehen keine Widersprüche. Dr. G.________
weist nämlich darauf hin, dass diese Frage vom Anwalt des
Beschwerdeführers zu Recht aufgeworfen worden sei, um dann
zum Schluss zu kommen: "Es liegt aber kein eigentliches
primäres Fibromyalgie-Syndrom vor. Ich habe vielmehr den
Eindruck, es handle sich um Unfallfolgen" (Schreiben vom
2. Juli 1998 an den Hausarzt). Ergänzende Abklärungen sind
nach dem Gesagten nicht nötig. Bezüglich der Auswirkungen
des Gesundheitsschadens auf die Erwerbsfähigkeit steht
fest, dass der Beschwerdeführer seine bisherige Tätigkeit
als angelernter Maurer nicht mehr ausüben kann, indessen

bei einer leichten oder mittelschweren Tätigkeit unter
Berücksichtigung bestimmter Anforderungen zu 80 % leis-
tungsfähig ist. Dieser Beurteilung durch die MEDAS wider-
spricht auch Dr. G.________ in obgenanntem Schreiben nicht.
Vielmehr gibt er an, es sei unrealistisch zu glauben, der
Versicherte werde an seinen angestammten Arbeitsplatz zu-
rückkehren oder eine mittelschwere Arbeit ausführen. Diese
Einschätzung ist mit der Annahme einer Aggravation nicht
unvereinbar. Dass diese erhebliche Resterwerbsfähigkeit
nicht genutzt wird, hat den Grund in der Aggravation. Es
ist deshalb mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass der
Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Verfügungserlasses in
einer angepassten Tätigkeit zu 80 % arbeitsfähig ist.

     c) Da dem Beschwerdeführer alle leichten Tätigkeiten,
die wechselbelastend und nicht vorwiegend sitzend, und alle
mittelschweren Tätigkeiten, die wechselbelastend und nicht
über Kopf oder gehäuft in vorgeneigter oder abgedrehter
Haltung auszuführen sind, zumutbar sind, steht ihm ein
grosses Einsatzgebiet offen. Weitere Eingliederungsmassnah-
men erübrigen sich deshalb.

     d) Der Invaliditätsgrad eines erwerbstätigen Versi-
cherten ist mittels eines Einkommensvergleichs zu ermit-
teln.

     aa) An seiner bisherigen Arbeitsstelle könnte der Be-
schwerdeführer im Jahre 1997 jährlich Fr. 55 600.- verdie-
nen.

     bb) Die Vorinstanz stellt bei der Ermittlung des Inva-
lideneinkommens auf den Bericht der Beschwerdegegnerin ab,
wonach Abklärungen ergeben hätten, dass der Versicherte in
der von der MEDAS postulierten Tätigkeit bei einer Arbeit
im Rahmen von 80 % ein hypothetisches Einkommen von rund
Fr. 45 000.- erzielen könne. Es werden beispielhaft Tätig-

keiten genannt, aber die Abklärungen sind weder dokumen-
tiert noch sind diese Daten allgemein zugänglich. Es lässt
sich deshalb nicht überprüfen, welche Belastungen die von
der Beschwerdegegnerin genannten Tätigkeiten konkret mit
sich bringen, ob sie den von der MEDAS genannten Limitie-
rungen Rechnung tragen, und ob die genannten Löhne reprä-
sentativ sind. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist
schliesslich zu beachten, dass eine mündlich bzw. telefo-
nisch eingeholte und in einer Aktennotiz festgehaltene Aus-
kunft nur insoweit ein zulässiges Beweismittel darstellt,
als damit blosse Nebenpunkte festgestellt werden. Soweit
nicht auf allgemein zugängliche Daten zurückgegriffen wird,
kommt für Auskünfte zu wesentlichen Punkten des rechtser-
heblichen Sachverhaltes - wie es das Invalideneinkommen
darstellt - nur die Form einer schriftlichen Anfrage und
Antwort oder allenfalls einer förmlichen Einvernahme in
Betracht (BGE 117 V 285 Erw. 4c, ARV 1992 Nr. 17 S. 151).
Eine Rückweisung zur Ermittlung des Invalidenlohnes recht-
fertigt sich indessen nicht, da für die Bemessung des trotz
Gesundheitsschadens noch realisierbaren Einkommens, insbe-
sondere wenn der Versicherte nach Eintritt des Gesundheits-
schadens keine oder jedenfalls keine ihm an sich noch zu-
mutbare neue Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, Tabellen-
löhne beigezogen werden können. Dazu ist seit 1994 von den
Tabellenlöhnen auszugehen, die in der Schweizerischen Lohn-
strukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik ausge-
wiesen sind. Bei deren Anwendung ist zu beachten, dass die
erfassten Löhne auf einer wöchentlichen Arbeitszeit von
40 Stunden beruhen, Teilzeitbeschäftigte in der Regel über-
proportional weniger verdienen als Vollzeitangestellte
(BGE 124 V 323 Erw. 3b/aa) und gesundheitlich beeinträch-
tigte Personen, die selbst bei leichten Hilfsarbeitertätig-
keiten behindert sind, im Vergleich zu voll leistungsfähi-
gen und entsprechend einsetzbaren Arbeitnehmern lohnmässig
benachteiligt sind. Es ist anhand der gesamten Umstände des
konkreten Einzelfalles zu prüfen, ob und in welchem Ausmass
das hypothetische Einkommen als Invalider zusätzlich redu-
ziert werden muss (AHI 1998 S. 177 Erw. 3a).

     cc) Laut Tabelle TA 1 der LSE 1996 (S. 17) belief sich
der Zentralwert für die mit einfachen und repetitiven Auf-
gaben (Anforderungsniveau 4) beschäftigten Männer im priva-
ten Sektor auf Fr. 4294.-, was auf der Basis einer be-
triebsüblichen durchschnittlichen Arbeitszeit von
41,9 Stunden (vgl. LSE 1994 S. 42) und unter Berücksichti-
gung der Nominallohnerhöhung von 0,5% von 1996 auf 1997
(Die Volkswirtschaft, 1999 Heft 2, Anhang S. 28, Tabelle
B 10.2) im Jahre 1997 ein Gehalt von monatlich Fr. 4509.-
(einschliesslich 13. Monatslohn [LSE 1994 S. 43]) und
Fr. 54 108.- jährlich ergibt. Unter Berücksichtigung aller
Umstände (reduzierter Beschäftigungsgrad, verminderte Ein-
setzbarkeit) erscheint ein Abzug vom Tabellenlohn von 25 %
als angemessen. Auf der Grundlage einer aus medizinischer
Sicht auf 80 % verminderten Arbeitsfähigkeit ergibt sich
ein massgebendes Invalideneinkommen von Fr. 32 465.-
(Fr. 54 108.- abzüglich 25 % = Fr. 40 581.-, davon 80 %).
Der Vergleich mit dem Valideneinkommen von Fr. 55 600.-
führt somit zu einem Invaliditätsgrad von rund 42 %. Damit
hat der Beschwerdeführer Anspruch auf eine Viertelsrente.

     e) Bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 40 %,
aber weniger als 50 % hat die Verwaltung von Amtes wegen zu
prüfen, ob ein Härtefall gemäss Art. 28 Abs. 1bis IVG in
Verbindung mit Art. 28bis IVV gegeben ist. Sie darf den
Anspruch auf eine Härtefallrente nicht von einem spezifi-
schen Antrag des Versicherten abhängig machen. Auf eine
nähere Abklärung darf sie nur verzichten, wenn die wirt-
schaftlichen Voraussetzungen des Härtefalles offensichtlich
fehlen (BGE 116 V 23; ZAK 1991 S. 317 Erw. 4). Im vorlie-
genden Fall hatte die Verwaltung bisher keinen Anlass, das
Vorliegen eines Härtefalles zu prüfen. Da ein wirtschaft-
licher Härtefall nicht zum Vornherein verneint werden kann,
ist die Sache an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit sie
die entsprechenden Abklärungen treffe und hernach über den
Rentenanspruch neu verfüge.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne
     gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungs-
     gerichts des Kantons Solothurn vom 25. Mai 1998 und
     die Verfügung vom 21. Mai 1997 aufgehoben werden, und
     die Sache an die IV-Stelle des Kantons Solothurn
     zurückgewiesen wird, damit sie nach erfolgter Abklä-
     rung des Härtefalls im Sinne der Erwägungen über den
     Anspruch des Beschwerdeführers auf eine Invalidenrente
     neu verfüge.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Die IV-Stelle des Kantons Solothurn hat dem Beschwer-
     deführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
     Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von
     Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezah-
     len.

 IV. Das Versicherungsgericht des Kantons Solothurn wird
     über eine Parteientschädigung für das kantonale Ver-
     fahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen
     Prozesses zu befinden haben.

  V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungs-
     gericht des Kantons Solothurn und dem Bundesamt für
     Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 18. Mai 2000
                                  Im Namen des
                      Eidgenössischen Versicherungsgerichts
                          Der Präsident der IV. Kammer:

                              Der Gerichtsschreiber: