Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 192/1998
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I 192/98 Md

                        IV. Kammer

Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger;
Gerichtsschreiber Signorell

                Urteil vom 19. Januar 2000

                         in Sachen

P.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt
E.________, Rebgasse 1, Basel,

                           gegen

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, Basel, Beschwerde-
gegnerin,
                            und

Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen und die
IV-Stellen, Basel

     A.- Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens sprach
die IV-Stelle Basel dem 1956 geborenen P.________ bei einem
Invaliditätsgrad von 41 % mit Wirkung ab 1. November 1995
eine Viertelsrente zu (Verfügung vom 1. April 1997).

     B.- Die Rekurskommission des Kantons Basel-Stadt für
die Ausgleichskassen und die IV-Stellen wies eine dagegen
erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 29. Oktober 1997 ab.

     C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt P.________
die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente mit Wirkung ab
1. Januar 1995, eventuell Rückweisung an die Vorinstanz,
beantragen. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgel-
tlichen Prozessführung.
     Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungs-
gerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
(BSV) hat sich nicht vernehmen lassen.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Die Vorinstanz hat die massgeblichen Grundlagen
zum Anspruch auf Invalidenrenten und zur Bemessung des
Invaliditätsgrades nach der Methode des Einkommensver-
gleichs zutreffend dargestellt. Darauf wird verwiesen.

     2.- a) P.________ meldete sich am 19. Juli 1995 zum
Bezug von Versicherungsleistungen (Umschulung auf eine neue
Tätigkeit) an. Die behandelnde Hausärztin, Dr. med.
S.________, Ärztin für allg. Medizin FMH, diagnostizierte
ein Lumbovertebralsyndrom bei Status nach Diskushernieope-
ration LW4/5 links am 24. April 1995, eine Fussheberschwä-
che IV. Grad links sowie Myogelosen der Glutealmuskulatur
beidseits und Tensor Faciae lata rechts (Bericht vom
23. August 1995). Ergänzende Abklärungen an der Neurochi-
rurgischen Universitätsklinik führten zu keinen neuen
Erkenntnissen (Berichte von Frau Dr. med. B.________ vom 8.
und 25. August 1995). Weitere Zwischenberichte der beiden
Ärztinnen vom 10. und 13. Dezember 1995, die Beurteilung
durch Dr. med. L.________, Arzt bei der Beruflichen Ab-
klärungsstelle (BEFAS), (BEFAS-Bericht vom 17. Juni 1996,
S. 2), sowie die Ergebnisse einer spezialärztlichen und
interdisziplinären Untersuchung am Bethesda-Spital durch PD
Dr. med. F.________, Spezialarzt für Neurologie (Berichte
vom 9. Juli 1996 und 30. Oktober 1996), bestätigten im
wesentlichen die bekannten Diagnosen. Weitere Abklärungen
sind daher nicht erforderlich.

     b) Bezüglich der Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit
besteht Einigkeit darüber, dass der Beschwerdeführer seine
bisherige Tätigkeit als Eisenleger nicht mehr wird ausüben
können. Dr. L.________ erachtete als kontraindiziert
Tätigkeiten in gebückter Haltung und als nicht angezeigt
repetitives Heben von schweren Lasten, hingegen als
zumutbar eine wechselbelastende, manuelle Tätigkeit
(BEFAS-Bericht vom 17. Juni 1996). Dr. W.________ attes-
tierte in einer angepassten Tätigkeit volle Arbeitsfähig-
keit (Bericht vom 27. August 1996). Die Hausärztin dagegen
schätzte die "theoretische Arbeitsfähigkeit" auf 20 %, er-
achtete den Versicherten indessen "auch für leichte Arbei-
ten bei der heutigen Wirtschaftslage nicht einmal teilweise
einsetzbar" (Bericht vom 26. August 1996). Dr. F.________
dem der Fall noch einmal unterbreitet wurde, kam nach einer
weiteren Untersuchung, die er teilweise zusammen mit Dr.
W.________ durchführte, und nach einer Besprechung im
interdisziplinären Rückenforum zur Beurteilung, dass der
Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen für eine an-
gepasste Tätigkeit zu 50 % arbeitsfähig ist (Bericht vom
30. Oktober 1996). Bei dieser Aktenlage erliess die IV-
Stelle Basel-Stadt die angefochtene Verfügung vom 1. April
1997.

     3.- Streitig ist zunächst die Arbeitsfähigkeit in
einer angepassten Tätigkeit.

     a) Die Vorinstanz stützt sich - wie die Verwaltung -
im Wesentlichen auf den Bericht des Z.________-Spitals
(Dres. W.________ und M.________) vom 27. August 1996,
wonach eine angepasste Tätigkeit ganztägig ausgeübt werden
könne. Diese Beurteilung decke sich mit der Einschätzung
der BEFAS. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem
weiteren Bericht des gleichen Spitals (Dr. F.________) vom
30. Oktober 1996, denn  darin werde nicht auseinander
gehalten, ob die eingeschränkte Arbeitsfähigkeit von 50 %
sich auch auf eine angepasste Tätigkeit beziehe.

     Der Versicherte erachtet diese Beweiswürdigung als
fehlerhaft, indem sie im Wesentlichen einmal übersehe, dass
sämtliche ärztlichen Berichte übereinstimmend davon aus-
gingen, die bisherige Tätigkeit als Eisenleger könne nicht
mehr ausgeübt werden. Sodann ergebe sich aus dem Bericht
des Dr. F.________ vom 30. Oktober 1996, dass die attes-
tierte Arbeitsunfähigkeit von 50 % sich sehr wohl auf eine
adaptierte Tätigkeit beziehe.

     b) Die Einwendungen in der Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde sind begründet. Dr. F.________ hat im Bericht vom
30. Oktober 1996 darauf hingewiesen, dass er den Ver-
sicherten am 3. Oktober 1996 gemeinsam mit Dr. W.________
klinisch untersucht habe. "Aufgrund der Befunde beurteilten
wir den Patienten damals für eine angepasste Tätigkeit als
50 % arbeitsfähig". Da dieser sich mit der Einschätzung
nicht habe abfinden wollen, seien stationär zusätzliche
Abklärungen vorgenommen worden und der Fall im Rückenforum
besprochen worden. Die fassbaren morphologischen Verän-
derungen seien gewürdigt und die Arbeitsunfähigkeit auf
50 % eingestuft worden.
     Aus diesem Bericht ergibt sich einerseits, dass Dr.
W.________ auf seine Beurteilung vom 27. August 1996, wo er
die Stellungnahme des Assistenzarztes Dr. M.________
(100 %ige Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit)
noch visiert hatte, nach erneuten klinischen Untersuchungen
zurückkam und eine 50 %ige Arbeitsunfähigkeit feststellte.
Und andererseits bestätigte Dr. F.________ die Beurteilung
auch nach den weiteren Untersuchungen. Damit ist davon aus-
zugehen, dass der Beschwerdeführer in einer seinem Leiden
angepassten Tätigkeit zu 50 % arbeitsfähig ist.

     4.- Zu prüfen bleibt der sich daraus ergebende Invali-
ditätsgrad.

     a) Verwaltung und Vorinstanz legten dem Einkommensver-
gleich jenes Einkommen zu Grunde, das der Beschwerdeführer

bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit am 21. November 1994
verdiente. Gemäss den Angaben im Fragebogen für den Arbeit-
geber vom 2. August 1995 betrug der Lohn Fr. 27.-/Stunde
und die betriebsübliche durchschnittliche Wochenarbeitszeit
42,5 Stunden, was unbestrittenermassen einen Jahresver-
dienst von Fr. 64 000.- ergibt.

     b) Für die Bemessung des trotz Gesundheitsschadens
noch realisierbaren Einkommens können, insbesondere dann,
wenn der Versicherte nach Eintritt des Gesundheitsschadens
keine oder jedenfalls keine ihm an sich noch zumutbare neue
Erwerbstätigkeit aufgenommen hat, Tabellenlöhne beigezogen
werden. Dazu ist seit 1994 von den Tabellenlöhnen auszuge-
hen, die in der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE)
des Bundesamtes für Statistik ausgewiesen sind. Im Unter-
schied zu früher werden in der LSE anstelle von Lohnsummen
die individuellen, auf einer wöchentlichen Arbeitszeit von
40 Stunden beruhenden Monatslöhne der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer erfasst; neu werden unter anderem auch die
Teilzeitbeschäftigten aller Stufen mitberücksichtigt. Dabei
zeigt Tabelle 13* der LSE auf, dass Teilzeitbeschäftigte in
der Regel überproportional weniger verdienen als Vollzeit-
angestellte (BGE 124 V 323 Erw. 3b/aa). Zu beachten ist bei
der Ermittlung des Invalideneinkommens sodann, dass gesund-
heitlich beeinträchtigte Personen, die selbst bei leichten
Hilfsarbeitertätigkeiten behindert sind, im Vergleich zu
voll leistungsfähigen und entsprechend einsetzbaren Arbeit-
nehmern lohnmässig benachteiligt sind und deshalb in der
Regel mit unterdurchschnittlichen Lohnansätzen rechnen
müssen. Es ist anhand der gesamten Umstände des konkreten
Einzelfalles zu prüfen, ob und in welchem Ausmass das
hypothetische Einkommen als Invalider zusätzlich reduziert
werden muss (AHI 1998 S. 177 Erw. 3a).

     c) Laut Tabelle A 1.1.1. der LSE 1994 (S. 53) belief
sich der Zentralwert für die mit einfachen und repetitiven
Aufgaben (Anforderungsniveau 4) beschäftigten Männer im

privaten Sektor auf Fr. 4127.-, was auf der Basis der
durchschnittlichen betriebsüblichen Arbeitszeit von 41,9
Stunden (vgl. LSE S. 42) im Jahre 1994 ein Gehalt von
monatlich Fr. 4323.- (einschliesslich 13. Monatslohn [LSE
S. 43]) und Fr. 51 876.- jährlich ergibt. Wird berück-
sichtigt, dass für Arbeiten des niedrigsten Anforderungs-
niveaus die Lohneinbusse zwischen einem Beschäftigungsgrad
von mehr als 90 % und einem solchen von 50 % bis 75 % etwa
12 % ausmacht (LSE, Tabelle 13*, S. 30) und der Beschwerde-
führer wegen seines Gesundheitsschadens nicht uneinge-
schränkt einsatzfähig und insofern lohnmässig benachteiligt
ist (und zwar ungeachtet, ob von ganztägiger Arbeit bei
verminderter Leistungsfähigkeit oder von einer Teilzeit-
stelle mit voller Leistung ausgegangen wird), so erscheint
unter Berücksichtigung aller Umstände ein Abzug vom Tabel-
lenlohn von 25 % als angemessen. Auf der Grundlage einer
aus medizinischer Sicht auf 50 % verminderten Arbeitsfähig-
keit ergibt sich ein massgebendes Invalideneinkommen von
Fr. 19 453.- (Fr. 51 876.- abzüglich 25 % = Fr. 38 907.-,
davon 50 %). Der Vergleich mit dem Valideneinkommen von
Fr. 64 000.- führt somit zu einem Invaliditätsgrad von rund
70 % und damit zum Anspruch auf eine ganze Invalidenrente.

     d) Im Hinblick auf dieses eindeutige Ergebnis kann da-
rauf verzichtet werden, das Verfahren an die Verwaltung zu-
rückzuweisen, um den Einkommensvergleich auf der Basis der
hypothetischen Einkünfte im grundsätzlich massgeblichen
Zeitpunkt des Verfügungserlasses (1997) durchzuführen.

     5.- Verwaltung und Vorinstanz sprachen die Rente mit
Wirkung ab den 1. November 1995 zu, während der Beschwerde-
führer dies zwar ab 1. Januar 1995 verlangt, in der Begrün-
dung der Beschwerde indessen den Rentenbeginn nicht be-
streitet. Mit Recht, denn gemäss den Angaben im Fragebogen
für den Arbeitgeber vom 2. August 1995 arbeitete der Ver-
sicherte letztmals am 20. November 1994 und war anschlies-
send stets zu mindestens 40 % arbeitsunfähig. Ein Renten-

anspruch entstand damit am 1. November 1995 (Art. 29 Abs. 1
lit. b und 2 IVG).

     6.- Im vorliegenden Verfahren geht es um die Bewilli-
gung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, weshalb
von der Auferlegung von Gerichtskosten abzusehen ist
(Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend ist dem
Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zuzusprechen
(Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege, einschliesslich der unentgelt-
lichen Verbeiständung, erweist sich damit als gegenstands-
los.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
     werden der Entscheid der Kantonalen Rekurskommission
     für die Ausgleichskassen und die IV-Stellen, Basel,
     vom 29. Oktober 1997 aufgehoben und die Verfügung der
     IV-Stelle Basel-Stadt vom 1. April 1997 insoweit abge-
     ändert, als festgestellt wird, dass der Beschwerde-
     führer ab 1. November 1995 Anspruch auf eine ganze
     Invalidenrente hat.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Die IV-Stelle Basel-Stadt hat dem Beschwerdeführer für
     das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsge-
     richt eine Parteientschädigung von Fr. 1904.- zu be-
     zahlen.

 IV. Die Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskas-
     sen und die IV-Stellen, Basel, wird über eine Partei-
     entschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend
     dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befin-
     den haben.

  V. Dieses Urteil wird den Parteien, der Kantonalen Re-
     kurskommission für die Ausgleichskassen und die IV-
     Stellen, Basel, der Ausgleichskasse Basel-Stadt und
     dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 19. Januar 2000
                                Im Namen des
                    Eidgenössischen Versicherungsgerichts
                        Der Präsident der IV. Kammer:

                            Der Gerichtsschreiber: