Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 167/1998
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I 167/98 Gi

                        IV. Kammer

Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger;
Gerichtsschreiber Lauper

                 Urteil vom 20. März 2000

                         in Sachen

F.________, 1961, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechts-
anwalt G.________,

                           gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, Zürich,
Beschwerdegegnerin,

                            und

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

     A.- Der 1961 geborene F.________ arbeitete vom 4. Juni
1984 bis 31. Oktober 1996 bei der Firma B.________ AG, dies
zuerst als Chauffeur-Mitarbeiter und alsdann - nach Ein-
tritt des Gesundheitsschadens - als Rüster/Magaziner. Seit-
her ohne Erwerb, meldete er sich am 18. Dezember 1996 unter
Hinweis auf eine seit vier Jahren bestehende Acne inversa
plewig bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an.

Nach Einholung von Berichten der Dres. med. S.________, FMH
Dermatologie und Venerologie, speziell Andrologie, leiten-
der Arzt am Institut D.________ (vom 9. Januar 1997), und
J.________, Allgemeine Medizin FMH (vom 1. April 1997),
wies die IV-Stelle des Kantons Zürich - nach Durchführung
des Vorbescheidverfahrens - das Gesuch mangels rentenbe-
gründender Invalidität ab (Verfügung vom 11. Juli 1997).

     B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher der
Versicherte ein Attest des Dr. med. S.________ vom 26. Juni
1997 ins Recht legte, wies das Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 27. Februar 1998).

     C.- F.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
führen und zur Hauptsache beantragen, es sei ihm, in Aufhe-
bung der vorinstanzlich bestätigten Ablehnungsverfügung,
eine Invalidenrente zuzusprechen. Eventuell sei die Sache
zur Aktenergänzung und neuer Entscheidung an das kantonale
Gericht zurückzuweisen. Zudem ersucht er um Gewährung der
unentgeltlichen Verbeiständung.
     Die IV-Stelle enthält sich einer Stellungnahme. Das
Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht vernehmen
lassen.

     D.- Am 9. Juni 1998 reichte F.________ einen Bericht
des Dr. S.________ vom 3. Juni 1998 nach, welcher der
IV-Stelle zur Kenntnis zugestellt wurde.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Im Beschwerdeverfahren um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen ist die Überprü-
fungsbefugnis des Eidgenössischen Versicherungsgerichts
nicht auf die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich

Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens beschränkt,
sondern sie erstreckt sich auch auf die Angemessenheit der
angefochtenen Verfügung; das Gericht ist dabei nicht an die
vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachver-
halts gebunden und kann über die Begehren der Parteien zu
deren Gunsten oder Ungunsten hinausgehen (Art. 132 OG).
     Die dem Eidgenössischen Versicherungsgericht in Strei-
tigkeiten um Versicherungsleistungen zustehende umfassende
Kognition hat unter anderem die Konsequenz, dass auch neue,
erstmals im letztinstanzlichen Verfahren vorgebrachte Tat-
sachenbehauptungen und Beweismittel (sog. Noven) zu berück-
sichtigen sind (BGE 103 Ib 196 Erw. 4a; RKUV 1988 Nr. K 769
S. 244 Erw. 5a). Im vorliegenden Fall betrifft dies den
nachträglich aufgelegten Bericht des Dr. med. S.________
vom 3. Juni 1998.

     2.- Das kantonale Gericht hat die vorliegend massgeb-
lichen gesetzlichen Bestimmungen über den Begriff der Inva-
lidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), den Umfang des Rentenanspruchs
(Art. 28 Abs. 1 und Abs. 1bis IVG), die Bemessung des Inva-
liditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 116
V 249 Erw. 1b, 114 V 313 Erw. 3a, 104 V 136 Erw. 2a und b;
ZAK 1987 S. 305 Erw. 1, 1986 S. 412 Erw. 1c; RKUV 1989
Nr. U 69 S. 176 Erw. 1) sowie die Rechtsprechung zur Bedeu-
tung ärztlicher Auskünfte im Rahmen der Invaliditätsschät-
zung (BGE 115 V 134 Erw. 2, 114 V 314 Erw. 3c, 105 V 158
Erw. 1 am Ende; vgl. auch BGE 107 V 174 Erw. 3; ZAK 1991
S. 319 Erw. 1c, 1989 S. 118 Erw. 5a, 1986 S. 189 Erw. 2a)
zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.

     3.- Streitig und zu prüfen ist, ob der an einem Status
nach Diskushernienoperation L4/L5 mit lumbalen belastungs-
abhängigen Schmerzen sowie Acne inversa plewig leidende Be-
schwerdeführer in rentenbegründendem Ausmass invalid ist.
Dabei geht aus den Akten hervor und ist unbestritten, dass
er seinen angestammten Beruf als Chauffeur gesundheitsbe-
dingt nicht mehr ausüben kann.

     a) Die Vorinstanz hat die Ablehnungsverfügung ge-
schützt mit der Begründung, nach dem Bericht des
Dr. J.________ vom 1. April 1997 sei der Versicherte seit
Sommer 1996 für leichtere Tätigkeiten wie beispielsweise
als Portier, Kontrollgänger oder Hilfsarbeiter voll ar-
beitsfähig. Dies werde von Dr. med. S.________ bestätigt,
welcher ihm am 9. Januar 1997 ein uneingeschränktes Lei-
stungsvermögen attestiert habe, sofern körperliche Anstren-
gungen vermieden würden. Mit der auch aus dermatologischer
Sicht bestätigten vollen Arbeitsfähigkeit für leichtere Ar-
beiten sei es aber dem Beschwerdeführer möglich und zumut-
bar, ein rentenausschliessendes Erwerbseinkommen zu erzie-
len.

     b) Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Das
kantonale Gericht übersieht, dass Dr. S.________ im erwähn-
ten Bericht seine Einschätzung des nach erfolgter Umschu-
lung möglichen Leistungsvermögens im Sinne einer Prognose
abgab. Auf die Frage nämlich, ab welchem Zeitpunkt eine der
Behinderung angepasste Tätigkeit zumutbar wäre, gab er zur
Antwort, dass der Versicherte während Monaten wegen ausge-
prägter schwerer Infekte, Fistelbildung und infizierten
Atheromen bei Acne inversa plewig habe krank geschrieben
werden müssen; die angepasste Tätigkeit sei wahrscheinlich
erst in den nächsten Wochen zumutbar. Bereits im vorin-
stanzlich aufgelegten Attest vom 26. Juni 1997 gab er dann
aber an, dass der Beschwerdeführer selbst für leichte Ar-
beiten bis auf weiteres 100 % arbeitsunfähig sei. Im neu
aufgelegten Bericht vom 3. Juni 1998 hält der Dermatologe
fest, die sich vor allem in den Leisten, der Gesässregion
sowie den Achselhöhlen äussernde Krankheit führe zu star-
ken, eitrigen Entzündungen, welche ausserordentlich
schmerzhaft seien und gelegentliche chirurgische Eingriffe
sowie eine langdauernde Basisbehandlung notwendig machten.
Beim Versicherten habe zwar in den letzten Jahren eine Ver-

besserung des Zustandes erzielt werden können, doch leide
er nach wie vor immer wieder an den für diese Krankheit
klassischen Schüben von eitrigen Entzündungen, die zu klei-
neren und grösseren chirurgischen Massnahmen führten. Die
medikamentöse Behandlung (u.a. mit Antibiotika), welche
fortgesetzt werde, sei zudem mit erheblichen Nebenwirkungen
verbunden, welche der Versicherte bisher "leidlich" tole-
riert habe. Wegen der vor allem in den letzten Monaten
wieder in kürzeren Intervallen aufgetretenen entzündlichen
Phasen dauere die Arbeitsunfähigkeit weiter an. Aufgrund
des Hautleidens sei der Ansprecher seit 1. März 1996 unun-
terbrochen vollständig arbeitsunfähig.

     c) In Würdigung der medizinischen Aktenlage, insbeson-
dere des schlüssigen dermatologischen Berichts vom 3. Juni
1998, kann als mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
(BGE 125 V 195 Erw. 2 mit Hinweisen) erstellt gelten, dass
der Beschwerdeführer seit März 1996 auch für leichtere
Tätigkeiten vollständig arbeits- und in gleichem Ausmass
erwerbsunfähig ist. Damit hat er für die Zeit nach Ablauf
der einjährigen Wartezeit (Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG), d.h.
ab 1. März 1997, Anspruch auf eine ganze Invalidenrente.

     4.- Dem Ausgang des letztinstanzlichen Verfahrens ent-
sprechend steht dem Versicherten eine Parteientschädigung
zu (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 1 OG); damit
erweist sich sein Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung als gegenstandslos.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wer-
     den der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des
     Kantons Zürich vom 27. Februar 1998 sowie die Verfü-
     gung der IV-Stelle vom 11. Juli 1997 aufgehoben mit
     der Feststellung, dass der Beschwerdeführer ab 1. März
     1997 Anspruch auf eine ganze Invalidenrente hat.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat dem Beschwerde-
     führer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Ver-
     sicherungsgericht eine Parteientschädigung von
     Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezah-
     len.

 IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversiche-
     rungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
     Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 20. März 2000

                                  Im Namen des
                      Eidgenössischen Versicherungsgerichts
                          Der Präsident der IV. Kammer:

                             Der Gerichtsschreiber: