Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 224/1998
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H 224/98 Vr

                        IV. Kammer

Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger;
Gerichtsschreiberin Hostettler

                 Urteil vom 7. Januar 2000

                         in Sachen

S.________, Deutschland, Beschwerdeführer, vertreten durch
Rechtsanwalt O.________,
                           gegen

Ausgleichskasse des Kantons Schaffhausen, Oberstadt 9,
Schaffhausen, Beschwerdegegnerin,

                            und

Obergericht des Kantons Schaffhausen, Schaffhausen

     A.- S.________ war Gesellschafter und Geschäftsführer
der M.________ GmbH. Am 30. Juni 1995 wurde über das
Unternehmen der Konkurs eröffnet und am darauf folgenden
7. August 1995 das Konkursverfahren mangels Aktiven wieder
eingestellt. Die Publikation im Schweizerischen Handels-
amtsblatt (SHAB) erfolgte am 25. August 1995.
     Mit Verfügung vom 4. Oktober 1996 forderte die Aus-
gleichskasse des Kantons Schaffhausen von S.________
Schadenersatz im Betrage von Fr. 8568.15 für ausstehende

paritätische Sozialversicherungsbeiträge betreffend die
Zeit von August 1994 bis Juni 1995.

     B.- Auf Einspruch hin reichte die Ausgleichskasse ge-
gen S.________ Klage auf Schadenersatz im verfügten Umfang
ein.
     Mit Entscheid vom 5. Juni 1998 hiess das Obergericht
des Kantons Schaffhausen die Klage gut, indem es das - von
S.________ im Wesentlichen bestrittene - Vorliegen der
Haftungsvoraussetzungen und insbesondere die Rechtzeitig-
keit der Geltendmachung des Schadens bejahte. Entsprechend
verpflichtete es den Beklagten, der Ausgleichskasse
Fr. 8568.15 zu bezahlen.

     C.- S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde
führen mit dem Antrag, in Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheides sei die Schadenersatzklage abzuweisen. Dabei
bestreitet er in erster Linie die rechtzeitige Geltend-
machung der Schadenersatzforderung.
     Die Vorinstanz reicht eine Vernehmlassung ein, während
die Ausgleichskasse auf eine Stellungnahme verzichtet und
das Bundesamt für Sozialversicherung sich nicht hat verneh-
men lassen.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Da es sich bei der angefochtenen Verfügung
nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versiche-
rungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versiche-
rungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Richter
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung
oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche
Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder
unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen fest-
gestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104
lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

     b) Im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 OG ist die Möglich-
keit, im Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungs-
gericht neue tatsächliche Behauptungen aufzustellen oder
neue Beweismittel geltend zu machen, weitgehend einge-
schränkt. Nach der Rechtsprechung sind nur jene neuen Be-
weismittel zulässig, welche die Vorinstanz von Amtes wegen
hätte erheben müssen und deren Nichterheben eine Verletzung
wesentlicher Verfahrensvorschriften darstellt (BGE 121 II
99 Erw. 1c, 120 V 485 Erw. 1b, je mit Hinweisen). Diese für
neue Beweismittel massgebende Rechtsprechung gilt umso
mehr, wenn vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
nicht einmal solche Beweismittel geltend gemacht, sondern
lediglich neue Behauptungen aufgestellt werden, welche die
betreffende Partei ohne weiteres schon im vorinstanzlichen
Verfahren hätte vorbringen können.

     2.- Das kantonale Gericht hat unter Hinweis auf Gesetz
und Rechtsprechung die massgeblichen Haftungsvoraussetzun-
gen nach Art. 52 AHVG (Organstellung, Schaden, Widerrecht-
lichkeit, qualifiziertes Verschulden, Kausalität) umfassend
und in allen Teilen richtig wiedergegeben. Darauf kann ver-
wiesen werden. Zutreffend sind auch die Ausführungen über
die Verwirkung der Schadenersatzforderung gemäss Art. 82
Abs. 1 AHVV. Beizufügen ist, dass Kenntnis des Schadens im
Sinne dieser Bestimmung in der Regel von dem Zeitpunkt an
gegeben ist, in welchem die Ausgleichskasse unter Beachtung
der ihr zumutbaren Aufmerksamkeit erkennen muss, dass die
tatsächlichen Gegebenheiten nicht mehr erlauben, die Bei-
träge einzufordern, wohl aber eine Schadenersatzpflicht
begründen können (BGE 119 V 92 Erw. 3, 118 V 195 Erw. 3a,
je mit Hinweisen).

     3.- a) Streitig und vorab zu prüfen ist, ob die Be-
schwerdegegnerin ihre Schadenersatzforderung rechtzeitig
innert der einjährigen Verwirkungsfrist des Art. 82 Abs. 1
AHVV geltend gemacht hat.

     Die Vorinstanz ging davon aus, die Ausgleichskasse
habe erst am 8. August 1996 mit der Einreichung der nicht
quantifizierten Lohndeklaration Kenntnis des Schadens er-
halten. Die Schadenersatzforderung sei somit rechtzeitig
geltend gemacht worden. Demgegenüber hält der Beschwerde-
führer an der schon im vorinstanzlichen Verfahren geäusser-
ten Auffassung fest, wonach die Beschwerdegegnerin den
Schaden schon seit der Publikation der Einstellung des Kon-
kursverfahrens mangels Aktiven im SHAB vom 25. August 1995
hätte kennen müssen. Die Schadenersatzverfügung vom 4. Ok-
tober 1996 sei deshalb verspätet erfolgt.

     b) Wird der Konkurs weder im ordentlichen noch im sum-
marischen Verfahren durchgeführt, fällt die zumutbare
Kenntnis des Schadens und der Eintritt desselben in der
Regel mit der Einstellung des Konkurses mangels Aktiven
zusammen, wobei der Publikationszeitpunkt der Konkursein-
stellung im SHAB massgeblich ist (ZAK 1990 S. 289 Erw. 4b
und S. 290 Erw. 4c/bb; Nussbaumer, Die Ausgleichskasse als
Partei im Schadenersatzprozess nach Art. 52 AHVG, in: ZAK
1991 S. 383 ff., 433 ff., insbesondere S. 390). Vorausset-
zung für eine ausreichende Kenntnis des Schadens ist aber,
dass die Ausgleichskasse zu diesem Zeitpunkt bereits alle
tatsächlichen Umstände über die Existenz, die Beschaffen-
heit und die wesentlichen Merkmale des Schadens kennt (BGE
116 II 160 Erw. 4a mit Hinweis, 116 V 76 Erw. 3b; ZAK 1992
S. 251 unten), sowie die Person des Ersatzpflichtigen
(Nussbaumer, a.a.O., S. 390). Da die ausstehende Beitrags-
forderung Grundlage für die Höhe des Schadens bildet, kann
daher eine Kenntnis bei der Publikation der Konkurseinstel-
lung nur dann angenommen werden, wenn die Ausgleichskasse
zu diesem Zeitpunkt in der Lage ist, die Höhe der Beitrags-
forderung zu beziffern.

     c) Im vorliegenden Fall trat der Schaden unbestritte-
nermassen am 25. August 1995 ein, dem Tag, als die Konkurs-
einstellung mangels Aktiven im SHAB publiziert wurde. Es

stellt sich die Frage, ob die Beschwerdegegnerin zu diesem
Zeitpunkt bereits in der Lage war, die Höhe des Schadens zu
kennen. Hiezu hat das kantonale Gericht für das Eidgenössi-
sche Versicherungsgericht in tatsächlicher Hinsicht ver-
bindlich festgestellt (Art. 105 Abs. 2 OG), dass die Be-
schwerdegegnerin von August 1995 bis Sommer 1996 mehrmals
erfolglos versuchte, vom Beschwerdeführer Lohndeklarationen
zu erhalten, worauf sie im Sommer 1996 eine Veranlagungs-
verfügung erliess. Mit Schreiben vom 7. August 1996 habe
der Beschwerdeführer der Beschwerdegegnerin mitgeteilt, er
habe von Januar bis März 1995 von der Firma Lohn erhalten
und es seien die AHV-Beiträge direkt abgezogen worden. So-
weit er damit unterstellt habe, die Beiträge seien an die
Beschwerdegegnerin abgeliefert worden, sei dies wahrheits-
widrig, weil er im betreffenden Zeitraum Geschäftsführer
und einziger Arbeitnehmer der Firma gewesen sei. Eine wei-
tere Aufforderung der Beschwerdegegnerin, die deklarierten
Lohnbezüge zu beziffern, sei unbeantwortet geblieben. Die
Beschwerdegegnerin sei schliesslich gezwungen gewesen, den
Lohn auf Grund der Unterlagen der Arbeitslosenkasse zu
eruieren.
     Gestützt auf diese tatsächlichen Feststellungen ist
mit dem kantonalen Gericht zu schliessen, dass die Be-
schwerdegegnerin im Zeitpunkt der Konkurseinstellung am
25. August 1995 die Höhe der ausstehenden paritätischen
Sozialversicherungsbeiträge noch nicht kannte und somit den
Schaden zur Geltendmachung ihrer Forderung noch nicht quan-
tifizieren konnte, zumal die von der Firma ausbezahlten
Löhne für das Jahr 1995 weder mittels einer Arbeitgeberkon-
trolle erfasst noch von der Arbeitgeberin gemeldet worden
waren. Unter diesen Umständen war die Beschwerdegegnerin
ausser Stande, verfügungsweise vorzugehen. Eine fristaus-
lösende Kenntnis konnte sich daher nur nach Durchführung
der notwendigen Abklärungen verwirklichen. Die Beschwerde-
gegnerin brauchte zwar in der Folge verhältnismässig lange,
um zu den nötigen Angaben zu gelangen, was zum Teil auch
dem unkooperativen Verhalten des Beschwerdeführers anzu-

lasten ist. Dies schadet ihr jedoch nicht, da ihr eine an-
gemessene Frist zuzugestehen ist, um die nötigen Informa-
tionen und Unterlagen einzuholen und die Höhe der ausste-
henden Sozialversicherungsbeiträge zu ermitteln. Im vor-
liegenden Fall erliess sie die Schadenersatzverfügung am
4. Oktober 1996. Für deren Rechtzeitigkeit genügt es daher,
wenn es ihr vor dem 5. Oktober 1995 noch nicht möglich und
zumutbar gewesen war, zu den für die Kenntnis des Schadens
erforderlichen Unterlagen zu gelangen. In diesem Zusammen-
hang ist in Betracht zu ziehen, dass zwischen der Publika-
tion der Konkurseinstellung mangels Aktiven am 25. August
1995 und dem 5. Oktober 1995 lediglich sechs Wochen liegen.
In dieser kurzen Zeitspanne war es der Beschwerdegegnerin
in Berücksichtigung des unkooperativen Verhaltens des Be-
schwerdeführers nicht möglich, die geschuldeten Beiträge zu
eruieren und gestützt darauf den Schaden zu ermitteln. Ob
die Ausgleichskasse nach der Publikation der Konkurseröff-
nung im SHAB vom 25. August 1995 die vorgeschriebene Ar-
beitgeberkontrolle (Art. 162 Abs. 1 AHVV) durchführte,
lässt sich aus den Akten nicht entnehmen, kann indessen of-
fen bleiben, da dieses Verfahren nicht so schnell hätte
durchgeführt werden können, dass die Ausgleichskasse vor
dem 5. Oktober 1995 in Kenntnis des Schadensumfangs gekom-
men wäre (Kreisschreiben an die Ausgleichskassen über die
Kontrolle der Arbeitgeber vom 1. Januar 1994 und Weisungen
an die Revisionsstellen über die Durchführung der Arbeitge-
berkontrollen vom 1. Januar 1994; vgl. zum Beginn der Ver-
wirkungsfrist im Zeitpunkt der Arbeitgeberkontrolle unver-
öffentlichte Urteile P. vom 10. April 1997, H 99/96, und F.
vom 23. Dezember 1997, H 149/95).  Das kantonale Gericht
durfte demzufolge ohne Verletzung von Bundesrecht die am
4. Oktober 1996 erlassene Schadenersatzverfügung als recht-
zeitig betrachten.

     4.- Auf Grund der Vorbringen in der Verwaltungsge-
richtsbeschwerde stellt sich im Weitern die Frage, ob der
Beschwerdeführer berechtigt war, die ausstehenden paritä-

tischen Sozialversicherungsbeiträge nicht zu zahlen. Ent-
gegen der Auffassung des Beschwerdeführers führen fehlende
finanzielle Mittel der Gesellschaft für sich allein nicht
zur Annahme eines Rechtfertigungsgrundes. Vielmehr sind
konkrete Gründe darzutun, die eine durch die Illiquidität
bedingte Missachtung von Vorschriften als erlaubt oder
nicht schuldhaft erscheinen lassen. Die Vorinstanz hat
solche Gründe zu Recht verneint und in diesem Zusammenhang
darauf hingewiesen, dass die Firma in den ersten drei Mona-
ten des Jahres 1995 über flüssige Mittel verfügte, mit
denen der Lohn des Beschwerdeführers ausbezahlt und Liefe-
rantenschulden beglichen wurden, während die Sozialversi-
cherungsbeiträge nicht bezahlt wurden, obwohl realisti-
scherweise keine Aussicht auf mittelfristige Sanierung der
Gesellschaft bestand. Zwar bestreitet der Beschwerdeführer
in jener Zeit je einen Lohn von der Gesellschaft ausbezahlt
bekommen zu haben. Er sei lediglich von der Schaffhauser
Kantonalbank mit Hinweis auf die Debitorenguthaben der
Firma berechtigt worden, sein persönliches Kontokorrent
monatlich mit dem Lohn zu belasten und zu überziehen. Bei
der Vorinstanz hatte der Beschwerdeführer hingegen geltend
gemacht, es habe sich um einen "Quasi-Lohn" gehandelt, der
nicht AHV-beitragspflichtig gewesen sei, weil dadurch le-
diglich die Kontokorrentkreditschuld der Firma gegenüber
der Bank erhöht worden sei. Die im letztinstanzlichen Ver-
fahren gemachte Behauptung des Beschwerdeführers steht
nicht nur im Widerspruch zu der gegenüber der Vorinstanz
gemachten Aussage, sondern bildet auch ein Novum, das unzu-
lässig ist (vgl. Erw. 1b).
     Nach den zutreffenden vorinstanzlichen Ausführungen,
auf die verwiesen wird, kann bei der hier gegebenen Sach-
lage nicht von Entlastungsgründen im Sinne der Rechtspre-
chung gesprochen werden. Die Schadenersatzklage erweist
sich somit als begründet.

     5.- Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nach dem Ge-
sagten unbegründet. Da es nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Ver-
fahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Entspre-
chend dem Ausgang des Prozesses sind die Gerichtskosten dem
unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

 II. Die Gerichtskosten von total Fr. 900.- werden dem Be-
     schwerdeführer auferlegt und mit dem geleisteten Kos-
     tenvorschuss verrechnet.

III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des
     Kantons Schaffhausen und dem Bundesamt für Sozialver-
     sicherung zugestellt.

Luzern, 7. Januar 2000

                   Im Namen des
         Eidgenössischen Versicherungsgerichts
             Der Präsident der IV. Kammer:

               Die Gerichtsschreiberin: