Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen C 70/1998
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C 70/98 Vr

                        III. Kammer

Bundesrichter Schön, Spira und Bundesrichterin Widmer;
Gerichtsschreiber Maillard

                Urteil vom 29. Januar 2001

                         in Sachen

Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft Bau & Industrie GBI,
Sektion Horgen und Meilen, Seestrasse 217, Horgen, Be-
schwerdeführerin,
                           gegen

L.________, 1944, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechts-
anwalt Dr. Robert F. Treadwell, Alte Landstrasse 135,
Zollikon,
                            und

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

     A.- Der 1944 geborene L.________ war bis zu seiner
frühzeitigen Pensionierung auf Ende September 1996 bei der
Firma X.________ tätig. Anschliessend bezog er Taggelder
der Arbeitslosenversicherung, wobei ihm von der im Hinblick
auf die vorzeitige Pensionierung ausbezahlten Kapitalab-
findung von Fr. 77'000.- monatlich je Fr. 705.- als Ersatz-
einkommen aus Altersleistung aufgerechnet wurde. Am 8. De-
zember 1997 teilte die Arbeitslosenkasse der Gewerkschaft
Bau & Industrie GBI L.________ mit, sie habe einen falschen

Tarif für die Umrechnung der Kapitalabfindung in Monats-
renten verwendet (Faktor 9.1 statt 5.9), weshalb ab sofort
ein Ersatzeinkommen von monatlich Fr. 1087.- angerechnet
werde, welches sie denn auch den Bezügerabrechnungen vom
12. November und 10. Dezember 1997 sowie 8. Januar 1998 für
die Zeit von September bis Dezember 1997 zugrunde legte.

     B.- Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
hiess die hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom
3. Februar 1998 teilweise gut, hob die Bezügerabrechnungen
für die Monate September bis Dezember 1997 mangels Begrün-
dung für die Anrechnung eines Ersatzeinkommens von je
Fr. 1087.- auf und wies die Sache zum Erlass einer begrün-
deten Verfügung innert 60 Tagen nach Eintritt der Rechts-
kraft des Entscheides an die Arbeitslosenkasse zurück.

     C.- Die Arbeitslosenkasse führt Verwaltungsgerichtsbe-
schwerde mit dem Rechtsbegehren, der vorinstanzliche Ent-
scheid sei aufzuheben und die Sache an das kantonale Ge-
richt zurückzuweisen, damit sich dieses mit der erhobenen
Beschwerde materiell auseinandersetze.
     L.________ verzichtet auf eine Stellungnahme zur Ver-
waltungsgerichtsbeschwerde, während sich das Staatssekre-
tariat für Wirtschaft (seco) nicht vernehmen lässt.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- a) Die Arbeitslosenkasse rügt, die Vorinstanz habe
ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, da der ange-
fochtene Entscheid ergangen sei, ohne dass ihr die Be-
schwerde jemals zugestellt, geschweige denn Gelegenheit zur
Stellungnahme eingeräumt worden sei. Diese Rüge ist auf-
grund  ihrer formellen Natur vorweg zu behandeln (BGE 124 V
92 Erw. 2 mit Hinweisen).

     b) Das Recht, angehört zu werden, ist formeller Natur.
Die Verletzung des rechtlichen Gehörs führt ungeachtet der
Erfolgsaussichten der Beschwerde in der Sache selbst zur
Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Es kommt mit anderen
Worten nicht darauf an, ob die Anhörung im konkreten Fall
für den Ausgang der materiellen Streitentscheidung von Be-
deutung ist, d.h. die Behörde zu einer Änderung ihres Ent-
scheides veranlasst wird oder nicht (BGE 126 V 132 Erw. 2b
mit Hinweisen).

     c) Der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör be-
inhaltet das Recht, von sämtlichen dem Gericht eingereich-
ten Eingaben oder Vernehmlassungen Kenntnis und zu diesen
Stellung nehmen zu können. Unerheblich ist, ob die Vernehm-
lassung lediglich bereits in der angefochtenen Verfügung
genannte Tatsachen und Begründungen enthält oder neue Ent-
scheidgründe anführt. Es ist Sache der beteiligten Parteien
und nicht des Gerichts, ob sie zu einer Eingabe Bemerkungen
anbringen oder darauf verzichten (SZIER 2000 S. 553 mit
Hinweis auf VPB 61 [1997] Nr. 108 S. 955).

     2.- Im vorliegenden Fall hat es die Vorinstanz unbe-
strittenermassen unterlassen, die Beschwerdeschrift vom
20. Januar 1998 der Arbeitslosenkasse zur Vernehmlassung
zuzustellen und einen entsprechenden Schriftenwechsel
durchzuführen. Die Kasse hatte bis zur Zustellung des ange-
fochtenen Entscheids denn auch keine Kenntnis davon, dass
ihre Bezügerabrechnungen für die Monate September bis De-
zember 1997 angefochten worden waren. Damit hat das kanto-
nale Gericht den Anspruch der beschwerdeführenden Kasse auf
rechtliches Gehör in klarer Weise verletzt, was mangels
Heilbarkeit dieses schwerwiegenden Mangels (vgl. dazu BGE
126 I 72, 126 V 132 Erw. 2b, je mit Hinweisen) zur Auf-
hebung des angefochtenen Entscheids führt. Die Vorinstanz
wird das Versäumte nachholen und daran anschliessend neu
über die Beschwerde entscheiden.

     3.- An diesem Ergebnis vermag die Auffassung der Vor-
instanz nichts zu ändern, die fraglichen Bezügerabrechnun-
gen würden ihrerseits einen den Gehörsanspruch des Versi-
cherten verletzenden Begründungsmangel aufweisen.

     a) Verfügungen der Kassen müssen nach Art. 103 Abs. 2
AVIG unter anderem eine Begründung enthalten. Im Rahmen von
Art. 75 Abs. 3 IVV, welcher für belastende Verfügungen eine
"ausreichende und allgemeinverständliche" Begründung vor-
schreibt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht ent-
schieden, mit diesem Erfordernis dürften vernünftigerweise
keine hohen Anforderungen an die Begründungsdichte von Ver-
fügungen gestellt werden, welche die Massenverwaltung er-
lässt; die Verfügung müsse so abgefasst sein, dass der Be-
troffene sie gegebenenfalls sachgerecht anfechten könne,
was voraussetze, dass er sich über deren Tragweite ein Bild
machen könne; in diesem Sinne müssten wenigstens kurz die
massgebenden Überlegungen genannt werden, auf welche die
Verwaltung ihre Verfügung stütze (ZAK 1989 S. 465 Erw. 4a).
Diese von der Rechtsprechung zu Art. 75 Abs. 3 IVV ent-
wickelten Grundsätze zur Begründung, die gleichermassen in
anderen Sozialversicherungszweigen gelten (RKUV 1993 Nr.
U 175 S. 201 Erw. 4a/aa zu Art. 99 Abs. 2 UVG; nicht veröf-
fentlichtes Urteil S. vom 28. Mai 1996, H 253/94 zu
Art. 128 AHVV), gelangen auch unter dem Blickwinkel von
Art. 103 Abs. 2 AVIG zur Anwendung (nicht veröffentlichtes
Urteil B. vom 18. Juni 1999, C 448/98).

     b) Ob die fraglichen Bezügerabrechnungen den in
Erw. 3a dargelegten Anforderungen an die Begründungspflicht
genügen, kann offen bleiben. Die fehlende oder ungenügende
Begründung einer Verfügung stellt einen Eröffnungsmangel
mit der Rechtsfolge dar, dass die Verfügung zwar anfecht-
bar, aber nicht nichtig ist (BGE 110 V 114 Erw. 4b; ZAK
1989 S. 177 Erw. 2a in fine). Die Rechtsprechung erachtet
den Eröffnungsmangel der fehlenden oder ungenügenden Be-
gründung als geheilt, wenn dem Betroffenen Gelegenheit ein-

geräumt wird, sich zu der im Beschwerdeverfahren nachge-
schobenen Begründung zu äussern (BGE 116 V 39 f. Erw. 4b
mit Hinweisen).
     Wenn die Rechtsprechung ausdrücklich zulässt, dass
eine mangelhaft begründete Verfügung durch die Nachliefe-
rung der Entscheidgründe im Beschwerdeverfahren geheilt
werden kann, hat die verfügende Stelle nicht nur das Recht,
sondern auch die Pflicht zur Nachreichung einer solchen
Eingabe. Diese Verbesserungsmöglichkeit darf dem Absender
der Verfügung dementsprechend nicht verwehrt werden. Dies
gilt erst recht, wenn die Verfügung implizite fehlerhaft
und damit verbesserungsbedürftig ist, was insbesondere für
eine Bezügerabrechnung gilt, welcher rechtsprechungsgemäss
trotz Fehlens formeller Entscheidmerkmale in materieller
Hinsicht Verfügungscharakter zukommt (vgl. BGE 122 V 368 f.
Erw. 2/3 mit Hinweisen; ARV 1998 Nr. 3 S. 15 mit Hinwei-
sen).
     Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat der Gehörs-
anspruch der Kasse nach dem Gesagten nicht hinter den An-
spruch des Versicherten auf Begründung der Verfügung zu
treten. Vielmehr ist in die Prüfung der Frage, ob die Ver-
fügung eine ausreichende Begründung enthält, auch die im
Beschwerdeverfahren allenfalls nachgelieferte Begründung
miteinzubeziehen.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird
     der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kan-
     tons Zürich vom 3. Februar 1998 aufgehoben, und es
     wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit
     sie im Sinne der Erwägungen verfahre und über die Be-
     schwerde gegen die Bezügerabrechnungen der Monate Sep-
     tember bis Dezember 1997 neu entscheide.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.- wird der
     Beschwerdeführerin zurückerstattet.

 IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversiche-
     rungsgericht des Kantons Zürich, dem Amt für Wirt-
     schaft und Arbeit, Arbeitslosenversicherung, Zürich,
     und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt.

Luzern, 29. Januar 2001

                   Im Namen des
         Eidgenössischen Versicherungsgerichts
             Der Präsident der III. Kammer:

                Der Gerichtsschreiber: