Sozialrechtliche Abteilungen C 67/1998
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 1998
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 1998
C 67/98 Vr I. Kammer Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Rüedi, Meyer und Ferrari; Gerichtsschreiber Signorell Urteil vom 8. August 2000 in Sachen K.________, 1966, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechts- anwalt Dr. Ueli Kieser, Ulrichstrasse 14, Zürich, gegen Amt für Wirtschaft und Arbeit, Arbeitslosenversicherung, Zürich, Beschwerdegegner, und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur A.- K.________, geb. 1966, beantragte ab 1. September 1992 die Zusprechung von Arbeitslosenentschädigung. Das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (KIGA), Zürich (Verfügung vom 12. Januar 1994), und - auf Beschwer- de hin - die Rekurskommission für die Arbeitslosenversiche- rung des Kantons Zürich (Entscheid vom 1. September 1994) verneinten die Vermittlungsfähigkeit und Anspruchsberechti- gung mit Wirkung ab 1. Juni 1993. Das Eidgenössische Versi- cherungsgericht hiess eine dagegen eingereichte Verwal- tungsgerichtsbeschwerde mit Entscheid vom 27. November 1995 teilweise gut und wies die Sache in Aufhebung des vorin- stanzlichen Entscheides und der Verwaltungsverfügung an das KIGA zurück, damit dieses, nach Aktenergänzung im Sinne der Erwägungen, neu verfüge. B.- Im Anschluss an das Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts vom 27. November 1995 ergänzte das KIGA die Akten und verneinte die Vermittlungsfähigkeit und Anspruchsberechtigung des K.________ ab 1. Juni 1993 erneut (Verfügung vom 15. Oktober 1996). C.- Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 3. Februar 1998 ab. D.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird beantragt, es sei der vorinstanzliche Entscheid vom 3. Februar 1998 aufzuheben und es seien K.________ ab 1. Juni 1993 Leis- tungen der Arbeitslosenversicherung zu erbringen; even- tualiter sei die Sache unter Bejahung der Vermittlungsfä- higkeit zur weiteren Abklärung und Festsetzung der zuzu- sprechenden Arbeitslosenentschädigung an das KIGA zurückzu- weisen. KIGA und Vorinstanz verzichten auf eine Stellungnahme; das Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit (ab 1. Juli 1999 Staatssekretariat für Wirtschaft, nachfolgend seco) hat sich nicht vernehmen lassen. Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1.- Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung seines Anspruchs auf den verfassungsmässigen Richter und beantragt die Rückweisung an die Vorinstanz, damit die als zuständig erklärte II. Kammer ein Urteil fälle. Dieser Einwand for- meller Natur ist vorweg zu prüfen. a) Nach Art. 58 Abs. 1 aBV (gültig gewesen bis Ende 1999) darf niemand seinem verfassungsmässigen Richter ent- zogen werden. Art. 30 Abs. 1 BV (in Kraft seit 1. Januar 2000) hat an den unter der Herrschaft der alten Bundesver- fassung dazu entwickelten Grundsätzen nichts geändert (zur Publikation vorgesehenes Urteil J. vom 19. Mai 2000 [U 161/98]). Als "verfassungsmässiger Richter" gilt, wer in Übereinstimmung mit der durch Rechtssatz (Verfassung, Ge- setz oder Verordnung des Bundes oder eines Kantons) be- stimmten Gerichtsordnung tätig wird (Rhinow/Koller/Kiss, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel/Frankfurt am Main 1996, S. 33 Rz 142; Jörg Paul Müller, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 569; Häfelin/Haller, Schweizerisches Bundesstaats- recht, 4. Aufl., Zürich 1998, S. 540 Rz 1656). Der Anspruch der Parteien auf die richtige Besetzung des Gerichts folgt als verfassungsrechtliche Minimalanforderung an das kanto- nale Verfahren unmittelbar aus Art. 58 Abs. 1 aBV (BGE 118 Ia 285 Erw. 3d, 117 Ia 325 Erw. 2, 115 V 260 Erw. 2a, 114 Ia 279 Erw. 3b; Haefliger, Alle Schweizer sind vor dem Ge- setze gleich, S. 155). Indessen ergibt sich der erwähnte Anspruch auch aus einer bundesgesetzlichen Vorschrift, näm- lich aus Art. 101 lit. a AVIG (vgl. ZAK 1988 S. 603 Erw. 1b mit Hinweisen). Die nähere Ausgestaltung des kantonalen Verfahrens ob- liegt den Kantonen (Art. 103 Abs. 4 und 6 AVIG). Mit den entsprechenden kantonalen Bestimmungen hat sich das Eidge- nössische Versicherungsgericht grundsätzlich nicht zu be- fassen (Art. 128 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 1 OG und Art. 5 Abs. 1 VwVG; Art. 104 lit. a OG). Es hat nur zu prü- fen, ob ihre Anwendung zu einer Verletzung von Bundesrecht (Art. 104 OG), insbesondere des Willkürverbots, geführt hat (ZAK 1988 S. 603 Erw. 1b mit Hinweisen). b) Der Beschwerdeführer macht geltend, das Sozialver- sicherungsgericht des Kantons Zürich habe Art. 58 Abs. 1 aBV verletzt, indem es das Verfahren von der II. in die I. Kammer umgeteilt habe. Es gehe nicht an, dass ein Be- schwerdeverfahren von einer einmal zuständig erklärten Kammer lediglich mit der Begründung an eine andere Kammer umgeteilt werde, dass es gelte, zwei sich gleichermassen stellende Fragen in genau gleicher Weise zu beantworten. Der Anspruch auf ein verfassungsmässiges Gericht beinhalte auch denjenigen, von den einmal als zuständig erklärten Richtern und Richterinnen beurteilt zu werden. c) Weder Art. 58 Abs. 1 aBV noch das inhaltlich glei- che Gebot der richterlichen Unabhängigkeit gemäss Art. 6 EMRK (BGE 105 Ia 180 Erw. 6) geben einen Anspruch auf gleichbleibende Besetzung des Gerichts während der ganzen Prozessdauer (BGE 96 I 323 Erw. 2a). Ein solcher Anspruch ist auch weder dem (zürcherischen) Gesetz über das Sozial- versicherungsgericht vom 7. März 1993 (GSVersG) noch dem (zürcherischen) Gerichtsverfassungsgesetz vom 13. Juni 1976 zu entnehmen. Das Sozialversicherungsgericht als Gesamtge- richt regelt durch Verordnung seine Organisation und den Geschäftsgang (§ 7 lit. a GSVersG). In der entsprechenden Verordnung vom 6. Oktober 1994 wird einzig bestimmt, dass das Gericht sich in mindestens zwei Kammern gliedert (§ 1 VO), jede Kammer aus mindestens drei Mitgliedern besteht (§ 2) und die Konstituierung jeweils nach einer Gesamter- neuerung und am Ende jedes zweiten Kalenderjahres erfolgt (§ 5). Den Kammern werden indessen keine festen Aufgaben- bereiche zugeordnet. Diese Organisationsnormen sind nicht zu beanstanden. d) Die Prozessparteien haben Anspruch darauf, dass kein Richter urteilt, der nicht Kenntnis von ihren Vorbrin- gen und vom Beweisverfahren hat. Entscheidend ist dabei, dass den mitwirkenden Richtern der Prozessstoff durch Ak- tenstudium zugänglich ist (BGE 117 Ia 134 Erw. 1e). Dieser Anspruch ist im vorliegenden Fall gewahrt. Denn bei der verfahrensleitenden Verfügung vom 2. Dezember 1996 ging es lediglich darum, Anordnungen im Hinblick auf den weiteren Fortgang des Rechtsmittelverfahrens zu treffen. Einer sol- chen Zwischenverfügung kommt indessen kein selbstständiger Charakter zu, weshalb das Gericht daran auch nicht gebunden ist. Dass eine Streitsache im Verlaufe des Verfahrens (z.B. aus prozessökonomischen Gründen) einer andern Kammer zum Entscheid zugewiesen wird, beinhaltet keine willkürliche Anwendung kantonalen Prozessrechts. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus BGE 96 I 323 Erw. 2a und c, wo eine Verfassungswidrigkeit nur deshalb bejaht wurde, weil nicht alle urteilenden Richter der ausschliesslich mündlichen, in keinem Protokoll festgehaltenen Beweismassnahme beigewohnt hatten. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Eine Aufhebung des kantonalen Entscheids verbunden mit der Rückweisung an die Vorinstanz zwecks Wiederholung des Verfahrens entfällt. 2.- Die Vorinstanz hat die massgeblichen Gesetzesbe- stimmungen über die Anspruchsvoraussetzungen, namentlich die Vermittlungsfähigkeit, zutreffend dargestellt. Darauf wird verwiesen. 3.- a) Mit Verfügung vom 12. Januar 1994 hatte das KIGA die Vermittlungsfähigkeit und Anspruchsberechtigung des K.________ mit Wirkung ab 1. Juni 1993 verneint. Dieser habe bereits vor Aufnahme der Stempelkontrolle drei Firmen gegründet und Büroräumlichkeiten gemietet. Seither arbeite er im Ausmasse einer Vollzeitbeschäftigung als Selbstständigerwerbender und erziele einen Gewinn, weshalb von einer auf Dauer angelegten selbstständigen Erwerbstä- tigkeit auszugehen sei. Das Eidgenössische Versicherungsge- richt hob mit Urteil vom 27. November 1995 die Verfügung und den diese bestätigenden Entscheid des Sozialversiche- rungsgerichts des Kantons Zürich vom 1. September 1994 auf und wies die Sache zu ergänzenden Abklärungen im Sinne der Erwägungen an die Verwaltung zurück. Als abklärungsbedürf- tig wurde der Sachverhalt hinsichtlich einerseits der ob- jektiven Vermittlungsfähigkeit generell und andererseits der subjektiven Vermittlungsbereitschaft in der Periode Ju- ni bis Oktober 1993 erachtet. b) Nachdem das KIGA den Beschwerdeführer am 11. Juli 1996 nochmals befragt sowie weitere Akten (Steuererklärun- gen, Geschäftsabschlüsse) beigezogen hatte, bestätigte es die Vermittlungsunfähigkeit ab 1. Juni 1993 (Verfügung vom 15. Oktober 1996). Die zusätzlichen Abklärungen hätten kei- ne neuen Erkenntnisse gebracht. Zudem habe der Versicherte per 21. Juni 1993 eine Teilzeitsekretärin angestellt. Auch sei fraglich, ob er per 1. Oktober 1994 tatsächlich eine Arbeitnehmertätigkeit in Thailand aufgenommen habe, sei er doch bei der Einwohnerkontrolle nie abgemeldet gewesen. Schliesslich sei noch zu erwähnen, dass bei den vorliegen- den Bruttoumsätzen kein Verdienstausfall bestehe. Die Vorinstanz erwog, es sei zwar richtig, dass aus dem hohen Bruttoumsatz nicht ohne weiteres auf einen hohen Arbeitseinsatz geschlossen werden könne. Zur fraglichen Zeit habe jedoch der Handel mit Uhren geboomt. Die Tatsache, dass die Firma des Beschwerdeführers bei ihren Lieferanten grössere Bestellungen habe aufgeben können, weise auf eine rege Geschäftstätigkeit mit diversen ver- traglichen Bindungen hin, weswegen es im Falle eines kon- kreten Stellenangebotes wohl nicht ohne weiteres möglich gewesen wäre, den Handel von einem Tag auf den andern ein- zustellen. Ein im Aufbau befindlicher Warenhandel im vor- liegenden Ausmass benötige erfahrungsgemäss einen beträcht- lichen Aufwand an administrativen und organisatorischen Ar- beiten (Organisieren von Geschäftsreisen, das Führen von persönlichen Gesprächen, Telefonaten oder Korrespondenzen mit Inserenten, Kunden, Verantwortlichen der Börsen, das Suchen und Besuchen von Ausstellungsplätzen usw.). Es erscheine als geradezu unmöglich, dass diese selbstständige Erwerbstätigkeit grösstenteils ausserhalb der normalen Ar- beitszeit hätte bewältigt werden können. In Berücksichti- gung der gesamten Umstände sei davon auszugehen, dass diese Arbeiten, Auslandreisen und Geschäftstermine nicht nur auf Abendstunden und Wochenenden verlegt werden konnten, wes- halb es an der erforderlichen Disponibilität mangelte. Aus den Akten gehe auch nicht hervor, wie lange das Arbeitsver- hältnis mit der thailändischen Firma gedauert habe. In der Steuererklärung des Jahres 1995 sei jedenfalls kein Einkom- men aus einer unselbstständigen Erwerbstätigkeit dekla- riert. c) Die Vorinstanz setzte sich in ihrem Entscheid ein- gehend mit den Einwendungen des Beschwerdeführers auseinan- der. Deren Begründung und die daraus gezogenen Folgerungen sind zutreffend. Daran vermögen die Vorbringen in der Ver- waltungsgerichtsbeschwerde nichts zu ändern. Die Argumenta- tion des Beschwerdeführers, die allgemein und unverbindlich ist, überzeugt nicht. Gemäss eigener - gegenüber dem amts- stelleninternen Protokoll "korrigierter" - Darstellung in der "persönlichen Stellungnahme des Versicherten vom 11.07.96" hielt sich der Beschwerdeführer vor dem 1. Okto- ber 1994 "sehr häufig" im Ausland, ab August/September 1993 vorwiegend in Thailand auf. Daneben besuchte er vor allem abends und an Wochenenden, ohne dies zu belegen, zahlreiche Börsen. Sodann erledigte er alle anfallenden Arbeiten (Päckli verschicken, Telefonarbeit, Personen kontaktieren, usw. [a.a.O., S. 1 Ziff. 4 bis 6]). Es mag durchaus zutreffen, dass ein wichtiger Teil der Tätigkeiten an Abenden und an Wochenenden stattfindet, was allerdings nur bedeutet, dass die "Normalarbeitszeit" des Beschwerde- führers anders, als es für den Grossteil der Beschäftigten üblich ist, verteilt ist. Dass der anfallende Administra- tivaufwand nicht so unbedeutend war, wie in der Verwal- tungsgerichtsbeschwerde geltend gemacht wird, erhellt allein schon der Umstand der Anstellung einer teilzeit- beschäftigten Person. Wie es sich damit verhält, braucht nicht abschliessend geprüft zu werden. Denn aus den Akten ergibt sich schlüssig, dass die selbstständige Erwerbs- tätigkeit des Beschwerdeführers nicht nur als vorübergehend geplant war. Dafür spricht, dass er sich in der Steuer- erklärung 1994 als seit 21. Januar 1993 Selbstständiger- werbender bezeichnete. Er druckte auch Visitenkarten mit dem Hinweis auf eine Partnerschaft in der Firma. Aufgeführt sind neben zwei verschiedenen Festnetztelefonnummern zu- sätzlich noch spezielle Natel- und Fax-Nummern. Zu beachten ist schliesslich auch, dass in der Erfolgsrechnung 1993 für Werbekosten beachtliche Fr. 12'000.- ausgewiesen sind. Bei dieser Aktenlage steht fest, dass der Beschwerdeführer tat- sächlich eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausübte (ARV 1996/1997 Nr. 36 S. 202 Erw. 3). Die Vorinstanz hat daher zu Recht seine Vermittlungsfähigkeit ab 1. Juni 1993 ver- neint. Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversiche- rungsgericht des Kantons Zürich, der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirt- schaft zugestellt. Luzern, 8. August 2000 Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts Der Präsident der I. Kammer: i.V. Der Gerichtsschreiber: