Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen C 451/1998
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C 451/98 Vr

                        II. Kammer

Präsident Lustenberger, Bundesrichterin Widmer und neben-
amtlicher Richter Zollikofer; Gerichtsschreiber Grünvogel

                 Urteil vom 15. März 2000

                         in Sachen

K.______, 1942, Beschwerdeführer,

                           gegen

Amt für Wirtschaft und Arbeit, Abteilung Arbeitslosenkasse,
Zürcherstrasse 285, Frauenfeld, Beschwerdegegner,

                            und

Rekurskommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosen-
versicherung, Eschlikon

     A.- Der 1942 geborene K.______ war seit dem 1. Mai
1995 bei der Firma Postauto X.______ aushilfsweise als
Chauffeur angestellt. Am 3. Dezember 1996 löste die Firma
das Arbeitsverhältnis auf Ende Februar 1997 auf. Daraufhin
sah sich der Versicherte seinerseits veranlasst, den
Arbeitsvertrag am 4. Dezember 1996 mit sofortiger Wirkung
zu beendigen.
     Mit Verfügung vom 5. März 1997 stellte die Arbeits-
losenkasse des Kantons Thurgau K.______ wegen selbst-

verschuldeter Arbeitslosigkeit ab 6. Dezember 1996 für die
Dauer von 45 Tagen in der Anspruchsberechtigung ein.

     B.- Eine dagegen erhobene Beschwerde wies die Rekurs-
kommission des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversi-
cherung mit Entscheid vom 30. Oktober 1998 ab.

     C.- K.______ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und
beantragt sinngemäss die Aufhebung des vorinstanzlichen
Entscheids sowie der Verfügung vom 5. März 1997; eventuell
sei der frühere Arbeitgeber zur Nachzahlung eines Monats-
lohnes zu verpflichten.
     Während die Kasse auf Abweisung der Verwaltungsge-
richtsbeschwerde schliesst, hat das Bundesamt für Wirt-
schaft und Arbeit (seit 1. Juli 1999 Staatssekretariat für
Wirtschaft) auf eine Vernehmlassung verzichtet.

     D.- Die kantonale Rekurskommission hat im Leitfall B.
(C 189/99), in welchem am 29. Oktober 1999 das zur Publi-
kation vorgesehene Urteil des Eidgenössischen Versiche-
rungsgerichts erging, mit Vernehmlassung vom 24. August
1999 zum Umstand Stellung genommen, dass der Kommissions-
sekretär in zahlreichen Fällen nicht bei der Beschlussfas-
sung mitgewirkt und den Kommissionsentscheid nicht mitun-
terzeichnet hat. Auf die Ausführungen der Rekurskommission
wird in den nachstehenden Erwägungen eingegangen.

     Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

     1.- Im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde hat
das Eidgenössische Versicherungsgericht das Recht von Amtes
wegen anzuwenden (Art. 114 Abs. 1 in fine in Verbindung mit
Art. 132 OG). Im Rahmen dieser Rechtsanwendung von Amtes
wegen prüft es u.a., ob der angefochtene Entscheid Bundes-
recht verletzt (Art. 104 lit. a in Verbindung mit Art. 132
OG). Es kann eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus andern

als den vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gründen gutheis-
sen, hat sich also nicht auf die Prüfung der von jenem er-
hobenen Rügen zu beschränken (BGE 124 V 340 Erw. 1b, 122 V
36 Erw. 2b, 119 V 442 Erw. 1a, 349 Erw. 1a [in fine] und 28
Erw. 1b, 110 V 20 Erw. 1; Kölz/Häner, Verwaltungsverfahren
und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 2. Aufl., Zürich
1998, S. 40 Rz 114 und 116). Im Sinne dieser Grundsätze
prüft das Gericht nach konstanter Rechtsprechung namentlich
von Amtes wegen, ob die Vorinstanz bundesrechtliche Verfah-
rensvorschriften verletzt hat, beispielsweise Vorschriften
über die Zuständigkeit (BGE 122 V 322 Erw. 1, 107 V 248
Erw. 1b) oder die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs
(BGE 120 V 362 Erw. 2a, 107 V 248 Erw. 1b [in fine]; siehe
auch BGE 107 Ib 175 Erw. 3). Wurden wesentliche Verfahrens-
vorschriften verletzt, hebt das Gericht - vorbehältlich
einer allfälligen Heilung des Fehlers im letztinstanzlichen
Verfahren etwa im Zusammenhang mit Gehörsverletzungen - den
angefochtenen Entscheid auf (BGE 122 V 322 Erw. 1, 120 V
362 Erw. 2a und b; ebenso BGE 107 Ib 175 Erw. 3).

     2.- a) Nach Art. 58 Abs. 1 BV darf niemand seinem ver-
fassungsmässigen Richter entzogen werden. Als "verfassungs-
mässiger Richter" gilt, wer in Übereinstimmung mit der
durch Rechtssatz (Verfassung, Gesetz oder Verordnung des
Bundes oder eines Kantons) bestimmten Gerichtsordnung tätig
wird (Rhinow/Koller/Kiss, Öffentliches Prozessrecht und
Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel/Frankfurt am Main
1996, S. 33 Rz 142; Jörg Paul Müller, Grundrechte in der
Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 569; Häfelin/Haller,
Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 4. Aufl., Zürich 1998,
S. 540 Rz 1656). Die genannte Verfassungsbestimmung ver-
leiht den Prozessparteien insbesondere einen Anspruch auf
richtige Besetzung des Gerichts (BGE 102 Ia 499 Erw. 2b, 91
I 399), was u.a. bedeutet, dass dieses in vollständiger Be-
setzung entscheiden muss (BGE 92 I 336 Erw. 2; Rhinow/Kol-
ler/Kiss, a.a.O., S. 34 Rz 144; Jörg Paul Müller, a.a.O.,
S. 569 f.). Aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK, welcher im sozialver-

sicherungsrechtlichen Leistungs- und Beitragsprozess an-
wendbar ist (BGE 122 V 50 Erw. 2a, 121 V 110 Erw. 3a, 119 V
378 Erw. 4b/aa) und jedermann u.a. Anspruch darauf ver-
leiht, dass seine Sache von einem auf Gesetz beruhenden
Gericht gehört wird, ergeben sich im Zusammenhang mit dem
Anspruch auf richtige Besetzung des Gerichts keine gegen-
über Art. 58 Abs. 1 BV erweiterten Garantien zu Gunsten der
Verfahrensbeteiligten (Häfelin/Haller, a.a.O., S. 542
Rz 1660b [eingangs]).

     b) Im Zusammenhang mit dem ebenfalls aus Art. 58
Abs. 1 BV und zudem aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK abgeleiteten
Anspruch der Parteien auf ein unabhängiges und unpartei-
isches Gericht hat die Rechtsprechung wiederholt erkannt,
dass auch die Gerichtsschreiber den entsprechenden ver-
fassungs- und konventionsrechtlichen Anforderungen genügen
müssen, sofern sie Einfluss auf die Urteilsfindung haben
können, was namentlich der Fall ist, wenn sie an der Ent-
scheidung mit beratender Stimme mitwirken (BGE 124 I 262
Erw. 4c und 264 Erw. 5c/aa, 119 V 317 Erw. 4c, 119 Ia 84,
115 Ia 228 Erw. 7b; Rhinow/Koller/Kiss, a.a.O., S. 41
Rz 185). Sodann hat das Bundesgericht im nicht veröffent-
lichten Urteil Sch. vom 22. Januar 1999, 1P.8/1999, ent-
schieden, dass die Garantie der richtigen und vollständigen
Besetzung des Gerichts auch auf Gerichtsschreiber, welche
Einfluss auf die Willensbildung des Spruchkörpers haben
können, anwendbar ist (Erw. 2a und 3b).

     c) Anzumerken ist, dass gemäss BGE 114 Ia 144 Erw. 3b
die Möglichkeit, ein Urteil bei einer ordentlichen Rechts-
mittelinstanz anzufechten, am allfälligen Mangel in der Be-
setzung der Richterbank nichts zu ändern vermag; die hievor
angeführten, aus Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK
fliessenden Ansprüche müssen im erstinstanzlichen Verfahren
gewährleistet werden, eine Heilung im Verfahren der Verwal-
tungsgerichtsbeschwerde ist nicht möglich (Rhinow/Koller/
Kiss, a.a.O., S. 40 Rz 179).

     3.- a) Gemäss der Verordnung des Verwaltungsgerichts
des Kantons Thurgau über die Organisation und den Ge-
schäftsgang der Rekurskommissionen vom 24. November 1993
(Thurgauer Rechtsbuch, 173.31), welche u.a. auf die Re-
kurskommission für die Arbeitslosenversicherung anwendbar
ist (§ 1 Ziff. 6), wählen die Kommissionen einen Sekretär
(§ 4 Abs. 1 Ziff. 1), welcher in der Regel die Entscheide
redigiert (§ 6 Abs. 1 und § 14 Abs. 1), an der Beschluss-
fassung mit beratender Stimme und dem Recht, Anträge zu
stellen, mitwirkt (§ 12 Abs. 2) und die Entscheide der
Kommission zusammen mit dem Vorsitzenden unterzeichnet
(§ 15).

     b) Die Vorinstanz bestreitet den aus dem angefochtenen
Entscheid ersichtlichen Umstand nicht, dass der Sekretär
vorliegend weder an der Beratung mitgewirkt noch den Ent-
scheid mitunterzeichnet hat. In ihrer Stellungnahme vom
24. August 1999 führt sie aus, sie habe bis 1996 auf die
Wahl eines Sekretärs überhaupt verzichtet. Seit 1997 habe
zunächst eine Kommissionssekretärin, seit Oktober 1998 der
Kommissionssekretär bei einem Teil der Fälle mit beratender
Stimme mitgewirkt, die Urteilsredaktion besorgt und die
Entscheide mitunterzeichnet. Die Kommission habe namentlich
§ 12 Abs. 2 und § 15 der Verordnung nicht als zwingende
Vorschriften qualifiziert. Im Übrigen sei den Parteien aus
der Nichtmitwirkung des Kommissionssekretärs kein Nachteil
erwachsen; diesem stehe nur eine beratende Stimme und ein
Antragsrecht zu, der "massgebliche Spruchkörper mit effek-
tiver Stimmberechtigung (sei) somit in allen Fällen korrekt
zusammengesetzt" gewesen.

     c) Es mag durchaus zutreffen, dass die Vorinstanz, wie
sie geltend macht, in guten Treuen die Geschäfte im von ihr
dargelegten Sinn erledigt hat. Das ändert aber nichts da-
ran, dass die von ihr auch vorliegend gewählte Verfahrens-
weise mit dem massgeblichen Verordnungsrecht nicht verein-
bar ist. Die Beachtung desselben ist keineswegs in das Be-

lieben der Rekurskommission gestellt. Vielmehr haben die
Prozessparteien, wie unter Erwägung 2a hievor dargelegt,
einen bundesrechtlich (Art. 58 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1
EMRK) geschützten Anspruch darauf, dass die Gerichtsbehörde
in der durch Verfassung, Gesetz oder Verordnung festgeleg-
ten Besetzung entscheidet. Nicht stichhaltig ist sodann der
Einwand der Vorinstanz, den Parteien sei aus der Nichtmit-
wirkung des Kommissionssekretärs bei der Entscheidfindung
kein Nachteil erwachsen. In Erwägung 2b hievor ist darge-
legt, dass die Garantien von Art. 58 Abs. 1 BV und Art. 6
Ziff. 1 EMRK auf jene Gerichtsschreiber anwendbar sind, die
Einfluss auf den Entscheid der Gerichtsbehörde haben kön-
nen. Dies ist hinsichtlich des Kommissionssekretärs der
Vorinstanz in ausgeprägtem Masse der Fall, steht ihm doch
nicht nur die beratende Stimme, sondern ausdrücklich ein
Antragsrecht zu. Indem die Vorinstanz ohne dessen Mitwir-
kung beraten und entschieden hat, hat sie gegen Art. 58
Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verstossen. Da die Mög-
lichkeit der Heilung dieses Verfahrensfehlers nicht besteht
(Erw. 2c hievor) und es sich um die Verletzung einer im
Sinne der Rechtsprechung wesentlichen Vorschrift handelt,
ist der angefochtene Entscheid aufzuheben (Erw. 1 hievor).

     4.- Da der angefochtene Entscheid aus den dargelegten
Gründen aufzuheben ist, kann offen bleiben, welche Rechts-
folgen sich aus dem Umstand ergäben, dass der Entscheid
nicht vom Kommissionsschreiber mitunterzeichnet wurde.

     Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

  I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne
     gutgeheissen, dass der Entscheid der Rekurskommission
     des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung
     vom 30. Oktober 1998 aufgehoben und die Sache an die
     Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie im Sinne der
     Erwägungen verfahre und über die Beschwerde gegen die
     Verfügung der Arbeitslosenkasse Thurgau vom 5. März
     1997 neu entscheide.

 II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

III. Dieses Urteil wird den Parteien, der Rekurskommission
     des Kantons Thurgau für die Arbeitslosenversicherung,
     dem Amt für Wirtschaft und Arbeit, Abteilung Rechts-
     dienst und Entscheide, Frauenfeld, und dem Staatssek-
     retariat für Wirtschaft zugestellt.

Luzern, 15. März 2000

                    Im Namen des
         Eidgenössischen Versicherungsgerichts
            Der Präsident der II. Kammer:

               Der Gerichtsschreiber: