Sozialrechtliche Abteilungen C 337/1998
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C 337/98 Hm I. Kammer Präsident Lustenberger, Bundesrichter Schön, Spira, Bundes- richterin Widmer und Bundesrichter Meyer; Gerichtsschrei- berin Kopp Käch Urteil vom 31. Januar 2000 in Sachen 1. C.________, 2. M.________, Beschwerdeführer, beide vertreten durch Rechtsanwalt B.________, gegen Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Rudolf Diesel-Stras- se 28, Winterthur, Beschwerdegegnerin, und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur A.- C.________ arbeitete ab 1. Januar 1993 als Baufüh- rer bei der Firma X.________. Ab 10. Februar 1995 war er zudem Mitglied des Verwaltungsrates. Mit Schreiben vom 12. November 1995 erklärte er seinen Rücktritt aus dem Ver- waltungsrat. Seine Ehefrau M.________ war im selben Unter- nehmen ab 1. Juli 1977 als kaufmännische Angestellte tätig. Über die Firma wurde am 21. Februar 1996 der Konkurs eröff- net. Am 29. Februar 1996 ersuchten M.________ und C.________ die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich um die Ausrichtung von Insolvenzentschädigung für die Zeit ab 1. Januar bis 20. Februar 1996. Die Arbeitslosenkasse ver- neinte einen solchen Anspruch mit Verfügungen vom 11. Juni 1996. B.- Hiegegen liessen C.________ und M.________ Be- schwerde erheben und beantragen, die Arbeitslosenkasse habe C.________ eine Insolvenzentschädigung von Fr. 23'799.45 und M.________ eine solche von Fr. 17'174.75 zu entrichten. Mit Entscheid vom 26. August 1998 wies das Sozialversiche- rungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab. C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lassen C.________ und M.________ beantragen, die Arbeitslosenkasse habe ihnen die Insolvenzentschädigung gemäss den gesetzli- chen Ansprüchen auszurichten; eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Arbeitslosenkasse verzichtet auf eine Stellungnah- me. Das Bundesamt für Wirtschaft und Arbeit (ab 1. Juli 1999 Staatssekretariat für Wirtschaft, nachfolgend seco) hat sich nicht vernehmen lassen. Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 1.- Streitig und zu prüfen ist der Anspruch der Be- schwerdeführer auf Insolvenzentschädigung. 2.- Nach Art. 51 Abs. 1 lit. a AVIG haben beitrags- pflichtige Arbeitnehmer von Arbeitgebern, die in der Schweiz der Zwangsvollstreckung unterliegen oder in der Schweiz Arbeitnehmer beschäftigen, Anspruch auf Insolvenz- entschädigung, wenn gegen ihren Arbeitgeber der Konkurs eröffnet wird und ihnen in diesem Zeitpunkt Lohnforderungen zustehen. Keinen Anspruch auf Insolvenzentschädigung haben laut Abs. 2 derselben Bestimmung, in Kraft seit 1. Januar 1996, Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen Entscheidungsgremiums die Entschei- dungen des Arbeitgebers bestimmen oder massgeblich beein- flussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten. Die Insolvenzentschädigung deckt Lohnforderungen für die letzten sechs Monate (bis 31. Dezember 1995: drei Mona- te) des Arbeitsverhältnisses, für jeden Monat jedoch nur bis zum Höchstbetrag nach Art. 3 Abs. 1 AVIG (Art. 52 Abs. 1 Satz 1 AVIG in der ab 1. Januar 1996 geltenden Fassung). 3.- Die Arbeitslosenkasse hat in ihren Verfügungen vom 11. Juni 1996 festgehalten, dass der Beschwerdeführer Mit- glied des Verwaltungsrates der Arbeitgeberin gewesen sei und seine Ehefrau im Betrieb mitgearbeitet habe, weshalb bei beiden gestützt auf Art. 51 Abs. 2 AVIG ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung zu verneinen sei. Nachdem die Vorinstanz einen Anspruch auf Insolvenz- entschädigung ebenfalls unter Hinweis auf Art. 51 Abs. 2 AVIG abgelehnt hatte, machen die Beschwerdeführer vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht geltend, dass diese Bestimmung erst am 1. Januar 1996 in Kraft getreten sei. 4.- Zu prüfen ist zunächst, ob das AVIG in seiner al- ten, bis Ende 1995 geltenden Fassung oder aber der am 1. Januar 1996 in Kraft getretene Art. 51 Abs. 2 AVIG anwend- bar ist, somit die Frage nach der intertemporalrechtlichen Anwendbarkeit der neuen Gesetzesbestimmung. a) Nach der Rechtsprechung ist eine gesetzliche Ord- nung dann rückwirkend, wenn sie auf Sachverhalte angewendet wird, die sich abschliessend vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben. Eine solche Rückwirkung ist ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage nur möglich, wenn sich die Rückwirkung aus dem Gesetzesinhalt als klar gewollt ergibt und wenn sie durch triftige Gründe veranlasst und zeitlich beschränkt ist (BGE 122 V 408 Erw. 3b/aa, 120 V 329 Erw. 8b, je mit Hinweisen). Von dieser Rückwirkung im eigentlichen Sinne zu unterscheiden ist die so genannte unechte Rückwirkung. Hier findet das neue Recht - gestützt auf Sachverhalte, die früher eingetreten sind und noch andauern - lediglich für die Zeit seit Inkrafttreten (ex nunc et pro futuro) Anwendung. Diese Rückwirkung ist bei kantonalen Erlassen und bundesrechtlichen Verordnungen grundsätzlich als zulässig zu erachten, sofern ihr nicht wohlerworbene Rechte entgegenstehen (BGE 124 III 271 Erw. 4e, 122 II 124 Erw. 3b/dd, 122 V 8 Erw. 3a, 408 Erw. 3b/aa, je mit Hinweisen). Sieht hingegen ein Bundes- gesetz ausdrücklich oder sinngemäss die unechte Rückwirkung vor oder untersagt es eine solche, ist diese Anordnung gemäss Art. 113 Abs. 3 und 114bis Abs. 3 aBV für den Richter zum Vornherein verbindlich und kann nicht überprüft werden. Ob einer neuen bundesgesetzlichen Bestimmung die Bedeutung unechter Rückwirkung zukommt, muss sich aus dem Wortlaut (insbesondere der Übergangsbestimmungen), der sinngemässen Auslegung oder durch Lückenfüllung ergeben (BGE 122 V 8 Erw. 3a mit Hinweis). b) Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat in sei- ner Rechtsprechung - in Übereinstimmung mit jener des Bun- desgerichts und der Doktrin - immer wieder den intertempo- ralen Grundsatz bestätigt, dass der Beurteilung einer Sache jene Rechtsnormen zu Grunde zu legen sind, die in Geltung standen, als sich der zu den materiellen Rechtsfolgen füh- rende und somit rechtserhebliche Sachverhalt verwirklichte (vgl. BGE 125 V 128 Erw. 1, 123 V 28 Erw. 3a, 122 V 36 Erw. 1 mit Hinweis). Bei zusammengesetzten Tatbeständen, d.h. bei Rechtsnormen, welche den Eintritt der in ihr vor- gesehenen Rechtsfolge von der Verwirklichung mehrerer sub- sumtionsrelevanter Sachverhaltselemente abhängig machen, hat die Rechtsprechung erkannt, dass für die Entscheidung der intertemporalrechtlichen Anwendbarkeit massgeblich ist, unter der Herrschaft welcher Norm sich der Sachverhaltskom- plex schwergewichtig, überwiegend ereignet hat (BGE 123 V 28 Erw. 3a; AHI 1995 S. 3 ff., 1994 S. 140 f. Erw. 5, je mit Hinweisen). c) Bei diesen Regeln handelt es sich um Richtlinien, die nicht stereotyp anzuwenden sind. Vielmehr entscheidet sich auch die Frage der intertemporalrechtlichen Geltung einer Norm primär nach den allgemein anerkannten Ausle- gungsgrundsätzen (BGE 123 V 29 Erw. 3b). 5.- a) Art. 51 Abs. 2 AVIG schliesst einen bestimmten Kreis von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und damit von Versicherten im Sinne des Arbeitslosenversicherungsrechts (Art. 2 Abs. 1 AVIG) vom Anspruch auf Insolvenzentschädi- gung aus. Demgegenüber waren die in dieser Bestimmung ge- nannten Personengruppen unter dem alten, bis 31. Dezember 1995 gültig gewesenen Recht nicht grundsätzlich von der Anspruchsberechtigung ausgeschlossen (BGE 112 V 55; ARV 1986 Nr. 14 S. 53; Botschaft des Bundesrates zur zweiten Teilrevision des AVIG, BBl 1994 I 361, 379). Diese Schlech- terstellung einer bestimmten Kategorie von an sich Versi- cherten spricht gegen die rückwirkende Anwendung des Art. 51 Abs. 2 AVIG in dem Sinne, dass es für die intertem- poralrechtliche Frage einzig auf den Zeitpunkt der Konkurs- eröffnung ankommen könnte. Es kommt dazu, dass das Datum des Konkurserkenntnisses oft von Zufälligkeiten abhängt, auf welche die Versicherten praktisch keinen Einfluss haben (vgl. BGE 114 V 58 Erw. 3c). Dieser Gesichtspunkt hat in Art. 52 Abs. 1 AVIG (in den ab 1. Januar 1992 geltenden Fassungen) seinen Niederschlag gefunden, indem für die zeitliche Bemessung der Insolvenzentschädigung nicht, wie unter früherem Recht, der Tag der Konkurseröffnung (vgl. BGE 114 V 56), sondern der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses massgebend ist (vgl. BGE 119 V 61 Erw. 4b). Auf Grund der vorstehenden Ausführungen wider- spricht es Bundesrecht, für die Frage nach der intertempo- ralen Geltung des Art. 51 Abs. 2 AVIG einzig auf den - mehr oder weniger zufälligen - Zeitpunkt der Konkurseröffnung abzustellen. Vielmehr sind weitere Umstände mitzuberück- sichtigen, insbesondere der Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenz des Arbeitgebers, welcher nicht mit dem Konkurs zusammenfallen muss, und der Beendigung des Arbeitsverhält- nisses (BGE 114 V 59 Erw. 3d). b) Die Vorinstanz hat erwogen, dass der Beschwerdefüh- rer per 12. November 1995 aus dem Verwaltungsrat der Ar- beitgeberin ausgeschieden ist, dies ungeachtet des Umstan- des, dass die Änderung im Handelsregister nicht eingetragen worden ist. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat bisher offen gelassen, ob es im Rahmen des Art. 51 Abs. 2 AVIG auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Rücktritts oder auf die Löschung im Handelsregister ankommt (unveröffent- lichtes Urteil G. vom 12. Mai 1998, C 404/97). Diese Frage ist nunmehr entsprechend der Praxis zur Haftbarkeit der Verwaltungsräte für Schadenersatz nach Art. 52 AHVG zu beantworten. Eine parallele Betrachtungsweise drängt sich auf, weil es in beiden Bereichen um die Frage geht, bis wann der Verwaltungsrat tatsächlich auf die Tätigkeit der Gesellschaft Einfluss nehmen kann. Dies ist der Zeitpunkt des effektiven Rücktritts, welcher unmittelbar wirksam ist, und nicht die Löschung im Handelsregister oder das Datum der Publikation im Schweizerischen Handelsamtsblatt (BGE 112 V 5 Erw. 3c mit Hinweisen; vgl. Forstmoser, Die aktien- rechtliche Verantwortlichkeit, 2. Aufl., S. 238 Rz 769; Nussbaumer, Die Haftung des Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in: AJP 9/96 S. 1081; Frésard, La responsabilité de l'employeur pour le non-paiement de cotisations d'assu- rances sociales selon l'art. 52 LAVS, in: SVZ 1987 S. 11). c) Die massgebliche Einflussmöglichkeit als Verwal- tungsrat als wesentliches Sachverhaltselement hat sich dem- zufolge vorliegend vor dem 1. Januar 1996 verwirklicht. Ebenso haben die finanziellen Schwierigkeiten, die schliesslich zum Konkurs geführt haben, bereits beim Aus- tritt aus dem Verwaltungsrat und somit vor dem 1. Januar 1996 bestanden, wurde doch bereits im Schreiben der I. AG vom 22. November 1995 erwähnt, dass möglicherweise die Bi- lanz der Arbeitgeberfirma hinterlegt werden müsse, und er- folgte die Kündigung am 28. November 1995 aus wirtschaftli- chen Gründen. Der Beschwerdeführer äusserte denn auch in seinem Rücktrittsschreiben vom 12. November 1995, vom be- vorstehenden Verkauf der Firma gehört zu haben. Bis ins Jahr 1996 hinein, nämlich bis 20. Februar 1996 und somit bis einen Tag vor der Konkurseröffnung, dauerte indessen sein Arbeitsverhältnis als Bauführer. Wohl fiel demzufolge der Zeitraum der Einflussmöglichkeit des Beschwerdeführers ins Jahr 1995 (10. Februar bis 12. November 1995) und war der in Art. 51 Abs. 2 AVIG angesprochene Sachverhalt an sich vor dem 1. Januar 1996 abgeschlossen, doch dauerten die Folgen, nämlich die misslichen finanziellen Verhältnis- se, die schliesslich zum Konkurs führten und für die ein in der Firma selber mitarbeitender Verwaltungsrat ohne weitere Prüfung seiner effektiven Einflussmöglichkeiten einzustehen hat (vgl. ARV 1997 Nr. 41 S. 226 Erw. 1b), über den Aus- tritt aus dem Verwaltungsrat an. Dieser Sachverhalt ist nach den erwähnten Grundsätzen der unechten Rückwirkung auch unter der Herrschaft des neuen Art. 51 Abs. 2 AVIG zu berücksichtigen. Der Beschwerdeführer hat daher ab 1. Ja- nuar 1996 für den vorher verwirklichten Sachverhalt einzu- stehen. d) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in Übereinstimmung mit den Verfügungen der Arbeitslosenkasse und dem vorinstanzlichen Entscheid ein Anspruch auf Insol- venzentschädigung zu verneinen ist, soweit es um Lohn ab 1. Januar 1996 geht. Wie aus den Akten hervorgeht, sind vorliegend jedoch auch Löhne für das Jahr 1995 streitig, nämlich Entschädigung für nicht bezogene Ferientage. Dies- bezüglich besteht auf Grund der Rechtslage bis Ende 1995 grundsätzlich ein Entschädigungsanspruch, der näher abzu- klären und verfügungsweise zu erledigen sein wird. 6.- Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend haben die Beschwerdeführer Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 Abs. 3 OG). Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: I. In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbe- schwerde werden der Entscheid des Sozialversicherungs- gerichts des Kantons Zürich vom 26. August 1998 und die Verfügungen der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich vom 11. Juni 1996 aufgehoben, soweit damit ein Anspruch auf Insolvenzentschädigung für 1995 verneint wird, und die Sache an die Arbeitslosenkasse zurück- gewiesen, damit sie nach ergänzenden Abklärungen über eine allfällige Insolvenzentschädigung für Löhne des Jahres 1995 befinde. Im Übrigen wird die Verwaltungs- gerichtsbeschwerde abgewiesen. II. Es werden keine Gerichtskosten erhoben. III. Die Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich hat den Be- schwerdeführern für das Verfahren vor dem Eidgenössi- schen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. IV. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Ver- fahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. V. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversiche- rungsgericht des Kantons Zürich, dem Amt für Wirt- schaft und Arbeit, Zürich, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft zugestellt. Luzern, 31. Januar 2000 Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts Der Präsident der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: