Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 V 62



99 V 62

23. Urteil vom 7. Mai 1973 i.S. B. gegen Ausgleichskasse des Kantons
Basel-Landschaft und Rekursbehörde für die Sozialversicherung des Kantons
Basel-Landschaft Regeste

    Die Berichtigung von Rechnungsfehlern (Art. 145 OG, Art. 69 VwG)
entspricht einem bundesrechtlichen, dem kantonalen Recht übergeordneten
und dem Sozialversicherungsprozess innewohnenden Verfahrensgrundsatz.

Sachverhalt

    A.- Mit Verfügung vom 12. August 1970 setzte die Ausgleichskasse
die persönlichen Beiträge von Heinz B. für 1970/71 auf Fr. 4989.60
(zuzüglich Verwaltungskosten) fest. Sie stützte sich dabei auf
die von der Steuerverwaltung erstattete Meldung, wonach gemäss der
Wehrsteuerveranlagung betreffend die 15. Periode das durchschnittliche
Erwerbseinkommen des Beitragspflichtigen Fr. 89 129.-- betrug.
Auf Beschwerde des Beitragspflichtigen hin wies die Rekursbehörde
für die Sozialversicherung des Kantons Basel-Landschaft gestützt auf
eine berichtigte Steuermeldung und die Angabe der Ausgleichskasse,
das massgebende Einkommen betrage Fr. 48 963.--, die Kasse an,
die persönlichen Beiträge auf Grund dieses Betrages neu festzusetzen
(Entscheid vom 20. November 1970).

    B.- Die Ausgleichskasse erkannte, dass ihr bei der Berechnung
des massgebenden Einkommens ein Rechnungsfehler unterlaufen war, und
setzte daher die persönlichen Beiträge von Heinz B. gestützt aufein
durchschnittliches Einkommen von Fr. 58 963.-- fest (Verfügung vom
15. Februar 1971).

    Der Versicherte verlangte am 25. Februar 1971 den Erlass einer
abgeänderten, dem rechtskräftigen Entscheid der kantonalen Rekursbehörde
entsprechenden Beitragsverfügung, worauf die Ausgleichskasse unter
Hinweis auf den begangenen Rechnungsfehler um einen rektifizierten
Entscheid ersuchte.

    Die Rekursbehörde für die Sozialversicherung des Kantons
Basel-Landschaft trat auf das Wiedererwägungsgesuch der Ausgleichskasse
nicht ein mit der Begründung, ein Rechnungsfehler stelle keinen
Revisionsgrund im Sinne von Art. 85 Abs. 2 lit. h AHVG dar. Den Brief des
Beitragspflichtigen vom 25. Februar 1971 erachtete sie als Beschwerde;
sie wies diese indessen ab, weil ein formell rechtskräftiges kantonales
Urteil nach der Rechtsprechung die Ausgleichskasse nicht hindere, eine
neue Verfügung zu erlassen, wenn der in Rechtskraft erwachsene Entscheid
offensichtlich unrichtig oder dessen Berichtigung von nennenswerter
Bedeutung sei (Entscheid vom 9. Juli 1971).

    C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt Heinz B.
beantragen, der Entscheid der kantonalen Rekursbehörde vom 9. Juli 1971
sei aufzuheben und jener vom 20. November 1970 als formell und materiell
rechtskräftig und damit sowohl für den Prämienpflichtigen als auch für
die Verwaltung als verbindlich zu bezeichnen. Es wird im wesentlichen
geltend gemacht, eine Verwaltungsbehörde sei nicht befugt, den Entscheid
der Rekursinstanz durch Erlass einer neuen, in gleicher Sache unter den
gleichen Parteien ergehenden Verfügung zu modifizieren. Die Ausgleichskasse
hätte im übrigen Gelegenheit gehabt, den Entscheid der kantonalen
Rekursbehörde vom 20. November 1970 durch Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an das Eidg. Versicherungsgericht weiterzuziehen.

    Während die Ausgleichskasse auf eine Vernehmlassung verzichtet,
stellt das Bundesamt für Sozialversicherung den Antrag, die Beschwerde
sei abzuweisen, die Entscheide der kantonalen Rekursbehörde seien
aufzuheben und der Beschwerdeführer sei zu verhalten, für die Jahre
1970/71 Beiträge von einem Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit
im Betrage von Fr. 58963.-- zu entrichten. Der Auffassung des kantonalen
Richters hinsichtlich der Befugnis der Ausgleichskasse, entgegen
einem rechtskräftigen Entscheid eine davon abweichende Verfügung zu
erlassen, könne nicht beigepflichtet werden. Das Amt hält dagegen einen
Rechnungsfehler als eine Aktenwidrigkeit im Sinne von Art. 66 Abs. 2
lit. b VwG und Art. 136 lit. d OG. Dieser bundesrechtliche Revisionsgrund
sei auf das kantonale Verfahren analogieweise anzuwenden.

Auszug aus den Erwägungen:

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Es ist nicht umstritten und steht nach den Akten fest, dass
sowohl der Ausgleichskasse in ihrer Vernehmlassung vom 30. Oktober
1970 als auch der Vorinstanz, welche die ihr von der Ausgleichskasse
gemeldeten Zahlen zu prüfen hat, ein Rechnungsfehler unterlaufen ist: bei
der Subtraktion des Zinses für das investierte Eigenkapital von Fr. 5150.--
vom durchschnittlichen jährlichen Erwerbseinkommen von Fr. 64 113.-- wurde
ein Betrag von Fr. 48 963.-- statt richtigerweise ein solcher von Fr. 58
963.-- errechnet. Es fragt sich, ob dieser Fehler korrigiert werden kann.

Erwägung 2

    2.- a) Art. 85 Abs. 2 AHVG bestimmt einerseits, dass die Kantone das
Rekursverfahren zu regeln haben, und zählt anderseits die Anforderungen
auf, welchen die kantonalen Verfahrensbestimmungen zu genügen haben. Die
Berichtigung eines Rechnungsfehlers ist in der Aufzählung des Art.
85 Abs. 2 AHVG nicht vorgesehen.

    b) Weil indessen das Sozialversicherungsrecht sehr viele
Möglichkeiten zu Rechnungsfehlern in sich birgt - man denke vor allem
an die Festsetzung der zahlreichen, oft jahrzehntelang dauernden Renten
der AHV und der Invalidenversicherung -, gebietet die rechtsgleiche
Anwendung des materiellen Rechts, dass solche Fehler möglichst formlos
korrigiert werden können. Dieses Gebot rechtfertigt es, die Berichtigung
von Rechnungsfehlern, wie sie in den Art. 145 OG und 69 VwG vorgesehen
ist, als bundesrechtlichen, dem kantonalen Recht übergeordneten und dem
Sozialversicherungsprozess innewohnenden Verfahrensgrundsatz zu betrachten,
an den sich die kantonalen Rechtspflegeorgane zu halten haben. In beiden
Bestimmungen ist der Grundgedanke derselbe: Die Beschwerdeinstanz soll
einen Rechtsspruch, der Rechnungsfehler enthält, formlos und jederzeit
berichtigen können.

    c) Ein Rechtsspruch leidet namentlich auch dann an einem
Rechnungsfehler, wenn in einem Beschwerdeentscheid ein falsches
Rechnungsergebnis unbesehen aus den Akten übernommen worden ist.

Erwägung 3

    3.- Im vorliegenden Fall sind nach dem Gesagten der kantonale Entscheid
vom 9. Juli 1971 und die Kassenverfügung vom 15. Februar 1971 aufzuheben
und die Sache ist an die Rekursbehörde für die Sozialversicherung des
Kantons Basel-Landschaft zur Berichtigung des mit dem Rechnungsfehler
behafteten Entscheides vom 20. November 1970 zurückzuweisen.