Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IV 92



99 IV 92

20. Urteil des Kassationshofes vom 18. April 1973 i.S. Schweizerische
Bundesanwaltschaft gegen Schmid, Richner und Landsmann. Regeste

    Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB.

    unter diese Bestimmung fällt nur eine Äusserung, welche nach Form
und Inhalt geeignet ist, den Willen der Adressaten zu beeinflussen und
zu bestimmten Handlungen zu veranlassen.

Sachverhalt

    A.- Im November 1970 erschien in St. Gallen in einer Auflage von
ca. 700 Stück die Nr. 2 der Zeitschrift "Roter Gallus". Das Blatt umfasste
26 Seiten und enthielt mehrere längere und einige kürzere Artikel u.a. über
die Reaktion der Presse auf die vorangegangene Nummer, über angebliche
Missstände an den Kantonsschulen St. Gallen und Trogen, über Probleme
der Bildungspolitik im allgemeinen und insbesondere über die "Ausbeutung"
der Lehrlinge, über die Ungerechtigkeit der gesellschaftlichen Ordnung in
Angola und in San Salvador usw. Auf der zweitletzten Seite der Ausgabe
erschien der Text, der Gegenstand des vorliegenden Strafver fahrens
ist. Er hat folgenden Wortlaut:

    Dann gibt's nur eins: Sag NEIN!

    "Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir
morgen befehlen, du sollst keine Konsumgüter mehr machen - sondern
Destruktionsmittel, dann gibt's nur eins: Sag NEIN! Du Mädchen hinterm
Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
Granaten füllen und dich Soldaten hingeben, dann gibts nur eins: Sag NEIN!

    Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt
Puder und hygienischer Artikel Schiesspulver verkaufen, dann gibt's nur
eins: Sag NEIN!

    Du. Forscher im Laboratorium. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
statt Drogen für das "neue Leben" einen Tod erfinden für das alte Leben,
dann gibt's nur eins: Sag Nein!

    Du. Dichter in deinem Dachzimmer. Wenn sie dir morgen befehlen, du
sollst keine Liebeslieder, du sollst Hasslieder singen, dann gibt's nur
eins: Sag NEIN!

    Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann beharre wie immer
auf deiner Tradition, denn dann gibt's nur eins: Sag NEIN!

    Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst
Atombomben und Chemikalien über die Städte tragen, dann gibt's nur eins:
Sag NEIN!

    Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst zum
Kriegsgericht gehen um zu verurteilen, dann gibt's nur eins: Sag NEIN!

    Du. Mann auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen
und dir den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt's nur eins: Sag NEIN!

    Du. Mutter in St. Gallen und Mutter in New York, du, Mutter in Haifa
und Mutter in Lagos, du Mutter in Kairo und Mutter in Saigon - Mütter der
Welt, wenn sie morgen befehlen, ihr sollt Kinder gebären, Krankenschwestern
für Kriegslazarette und neue Soldaten für neue Schlachten, Mütter in der
Welt, dann gibt's nur eins: Sagt NEIN! Mütter sagt NEIN!

    Wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn ihr nicht NEIN sagt, Männer und Mütter,
dann, dann werdet ihr hungern und jammern, krank sein und heulen, frieren
und beten, ihr werdet wie kleine Kinder werden und den Gegner zu hassen
beginnen".

    Dieser Artikel ist von keinem Verfasser gezeichnet; er schliesst mit
den Worten "frei nach W. Borchert".

    Nach Auffassung des Untersuchungsrichteramtes St. Gallen und der
Schweizerischen Bundesanwaltschaft erfüllte der Ausspruch: "Du. Mann
auf dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir
den Gestellungsbefehl bringen, dann gibt's nur eins: Sag NEIN!" den
Tatbestand der Aufforderung zur Verletzung militärischer Dienstpflichten
gemäss Art. 276 Ziff. 1 StGB. Die Strafuntersuchung wurde durch Verfügung
des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes vom 29. Dezember 1970 den
Strafuntersuchungsbehörden des Kantons St. Gallen übertragen.

    Diesen gelang es nicht, den wirklichen Verfasser des fraglichen
Artikels zu ermitteln. Sie erklärten deshalb Schmid als zeichnenden
Redaktor verantwortlich. Daneben übernahmen Richner, ein Mitglied der
"Basisgruppe", sowie Landsmann, der als Graphiker Schmid über die Wirkung
der Zeitschrift nach aussen beraten hatte, die Verantwortung für den
betreffenden Artikel.

    B.- Das Bezirksgericht St. Gallen hat in seinem Urteil vom 16. November
1971 die Frage, wer von den drei Angeklagten nach Art. 27 StGB als
Verfasser oder Redaktor des inkriminierten Artikels wegen Aufforderung
zur Verletzung der militärischen Dienstpflicht gemäss Art. 276 StGB zur
Verantwortung zu ziehen sei, offen gelassen. Es gelangte zum Schluss,
dass dieser Tatbestand schon objektiv nicht erfüllt sei, weshalb sich eine
Entscheidung über die presserechtliche Verantwortung der drei angeklagten
Personen erübrige. Diese wurden demzufolge freigesprochen.

    Eine von der Schweizerischen Bundesanwaltschaft gegen dieses Urteil
erhobene Berufung wies das Kantonsgericht St. Gallen mit Urteil vom 20.
November 1972 ab.

    C.- Die Schweizerische Bundesanwaltschaft führt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Sache an die Vorinstanz
zurückzuweisen, damit diese den verantwortlichen Verfasser und dessen
Gehilfen ermittle, der Widerhandlung von Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
schuldig erkläre und angemessen bestrafe.

    D.- Schmid, Richner und Landsmann beantragen Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Abklärung der Frage, wer nach Art. 27 StGB strafrechtlich als
Verfasser oder Redaktor die Verantwortung für den inkriminierten Artikel
trägt, ist nur dann sinnvoll, wenn durch die fragliche Veröffentlichung
der Straftatbestand des Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB objektiv überhaupt
erfüllt wurde. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob diese Voraussetzung
gegeben sei, wie die Beschwerdeführerin geltend macht.

    Gemäss Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB macht sich u.a. strafbar, wer
öffentlich zum Ungehorsam gegen militärische Befehle, zur Dienstverletzung,
zur Dienstverweigerung oder zum Ausreissen auffordert.

    a) Eine solche Aufforderung muss "öffentlich" erfolgen.  Die Vorinstanz
hat die Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals bejaht. Mit Recht. Sind
von der fraglichen Zeitung insgesamt ungefähr 550 Exemplare an beliebige
Interessenten verkauft worden, so ist eine darin allenfalls enthaltene
Aufforderung zur Verletzung der militärischen Dienstpflicht öffentlich
erfolgt.

    b) Zu prüfen bleibt, ob durch den inkriminierten Artikel bzw.
durch den darin enthaltenen, eingeklagten Satz: "Du Mann auf dem Dorf und
Mann. in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den Gestellungsbefehl
bringen, dann gibt's nur eins: Sage NEIN!" zum Ungehorsam gegen
militärische Befehle, zur Dienstverletzung oder zur Dienstverweigerung
aufgefordert worden ist.

    Dass an sich der Aufruf, den Gestellungs- oder Marschbefehl mit "Nein"
zu beantworten, diesem also keine Folge zu geben, eine Aufforderung sowohl
zum Ungehorsam gegen einen militärischen Befehl wie auch zur militärischen
Dienstverweigerung darstellt, ist nicht zweifelhaft. Allein, die blosse
Einladung zu einem solchen Verhalten genügt nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung nicht zur Erfüllung des Tatbestandes von Art. 276
Ziff. 1 Abs. 1 StGB. Zwar ist nicht erforderlich, dass eine solche
öffentliche Aufforderung die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit
des Erfolgseintritts im Sinne einer konkreten Gefährdung des geschützten
Rechtsgutes zum Inhalt habe; denn das Gesetz spricht einfach vom Auffordern
zur Dienstverweigerung, stellt also schon die blosse Aufforderung unter
Strafe, unbekümmert darum, ob deren Befolgung nahe lag. Diese in BGE
97 IV 105/6 entwickelten Grundsätze sind denn der Vorinstanz auch nicht
entgangen.

    Hingegen muss eine öffentliche Aufforderung zur Dienstverweigerung,
soll sie unter dem Gesichtspunkt von Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
erfasst werden, eine gewisse Eindringlichkeit aufweisen. Nicht schon
jede mit zurückhaltender Sachlichkeit getroffene blosse Feststellung,
im Gesamten der Ausführungen nicht ins Gewicht fallende Bemerkung oder
nach Art der Äusserung nicht ernst zu nehmende Aussage genügt. Vielmehr
muss, damit von einer öffentlichen "Aufforderung" im Sinne des Gesetzes
gesprochen werden kann, eine Äusserung vorliegen, welche nach Form und
Inhalt überhaupt geeignet ist, den Willen der Adressaten zu beeinflussen,
eine Masse von Menschen (an deren Stimmungen und Triebe appelliert
wird) also stimmungsmässig in Bewegung zu setzen und zu bestimmten
Handlungen zu veranlassen. Nach Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB genügt es,
"wenn der Täter mit einer gewissen in der Art seiner Äusserung selber
liegenden Eindringlichkeit öffentlich zur Dienstverweigerung aufruft"
(BGE 97 IV 107).

Erwägung 2

    2.- Es ist im vorliegenden Fall also zu prüfen, ob dieses Erfordernis
der gewissen Eindringlichkeit erfüllt sei.

    a) Auch wenn der Artikel mit dem beanstandeten Satz: "Du.  Mann auf
dem Dorf und Mann in der Stadt. Wenn sie morgen kommen und dir den
Gestellungsbefehl bringen, dann gibt's nur eins: Sag NEIN!" erst
auf S. 24 der betreffenden Zeitung erscheint, und wenn - wie die
Vorinstanz ausführt - im Handverkauf erhältliche Hefte vom kaufenden
unbekannten und zerstreuten Publikum in der Regel nur schnell und
oberflächlich durchgeblättert und dann beiseite gelegt werden, sodass die
Wahrscheinlichkeit gering ist, dass ein Leser sich nach den vorausgehenden
langatmigen und kleingeschriebenen Abhandlungen bis zum halbseitigen
Artikel mit dem inkriminierten Passus durcharbeitet, so spricht dies noch
nicht gegen die Anwendbarkeit des Art. 276 StGB. Denn damit diskutiert
die Vorinstanz die Frage der Wahrscheinlichkeit oder nahen Möglichkeit
des Erfolgseintritts einer solchen Aufforderung zur Dienstverweigerung,
zu welcher notwendigerweise auch die Erreichung des Adressaten (Käufers)
überhaupt gehört. Wie bereits dargelegt, ist dieser Umstand aber für die
Anwendbarkeit des Art. 276 StGB unbeachtlich (BGE 97 IV 105 unten).

    b) Im angefochtenen Entscheid wird ausgeführt, der beanstandete
Ausspruch stehe erst im neunten Vers des fraglichen Artikels; dadurch sei
er derart in andere Texte eingebettet, dass er das angesprochene Publikum
- die einrückungspflichtigen Wehrmänner oder auch die Öffentlichkeit -
allgemein nur stark abgeschwächt erreiche.

    Dieser Betrachtungsweise kann nicht gefolgt werden. In Wirklichkeit
weist der Artikel eine offensichtliche Steigerung des Appells zur
planmässigen Beeinträchtigung jeglicher militärischen Anstrengung auf:
Zuerst werden im zivilen Sektor der werktätige Mensch, das erwerbstätige
Mädchen, der Fabrikbesitzer, der Laboratoriumsforscher, der Dichter,
der Pfarrer zur Verweigerung derjenigen Arbeitsleistungen aufgefordert,
welche der Existenz und Schlagkraft der Armee dienen können. Hierauf
wird im militärischen Sektor der Pilot zur Verweigerung seines
Dienstes aufgefordert und der Richter aufgerufen, die dem Kriegsrecht
unterstellten Rechtsbrecher nicht zu verurteilen. Endlich folgt der
eingeklagte Ausspruch, durch den überhaupt alle Männer zu Stadt und Land
geheissen werden, einem militärischen Stellungsbefehl keine Folge zu
leisten. Nach einem Appell an die Mütter schliesst der Artikel mit der
Beschwörung der apokalyptischen Folgen, welche eintreten müssten, wenn
nicht in allen diesen Fällen die Aufgerufenen - insbesondere also auch
die Militärdienstpflichtigen - sich beharrlich weigern, ihre Pflichten
zu erfüllen.

    Diese Aufforderungen zu einem bestimmten Verhalten sind mithin weder
mit zurückhaltender Sachlichkeit getroffene blosse Feststellungen, noch
können sie als im Gesamten der Ausführungen nicht ins Gewicht fallende
Bemerkungen abgetan werden. Sie sind nach Form und Aufbau vielmehr
geeignet, den Willen der Adressaten zu beeinflussen. Das Moment einer
gewissen Eindringlichkeit ist ihnen damit eigen. Die Auffassung der
Vorinstanz, es fehle an einer öffentlichen Aufforderung im Sinne des
Gesetzes, erweist sich daher als unzutreffend.

    c) Die Meinung des Kantonsgerichtes lässt sich auch nicht mit dem
Hinweis darauf begründen, dass der beanstandete Artikel in keiner Weise
hervorgehoben werde. Zwar sei ihm eine kleine Graphik vorangestellt; doch
lasse diese erst auf den zweiten Blick eine Anzahl von Panzerfahrzeugen
erkennen, die eine Art Schweizer Kreuz tragen, sodass diesem Umstand
keine eindeutige Aussage zukomme.

    Bei der genannten Graphik handelt es sich in Wirklichkeit um eine im
Verhältnis zur Grösse des Artikels recht ansehnliche Illustration, die
zudem deutlich mehrere Panzer mit ihren Raupenrädern erkennen lässt. Das
vorderste dieser Fahrzeuge trägt nicht bloss "eine Art" Schweizer
Kreuz. Dieses ist vielmehr als solches ohne weiteres erkennbar. Wenn
dessen vertikale und horizontale Balken nicht gleich lang sind, so ist
das darauf zurückzuführen, dass das Schweizer Kreuz auf dem schräg nach
hinten verlaufenden Brustschild des ersten Panzers perspektivisch verkürzt
erscheint, was zeichnerisch richtig ist. Es ist daher unzutreffend, von
einer bloss geringen Bedeutung dieses Kreuzes auf den dargestellten Panzern
zu sprechen. Gegenteils kommt diesem Symbol besondere Bedeutung zu, weil
es den Aufruf zur Verweigerung der militärischen Dienstpflicht dadurch in
für den unvoreingenommenen Durchschnittsleser sofort erkennbarer Weise
in direkte Beziehung zur schweizerischen Armee setzt. Die in die Augen
springende Wirkung der Graphik wird noch durch den Umstand verstärkt,
dass dem fraglichen Artikel unmittelbar ein Aufsatz mit der gleichen
Zielrichtung und dem auffallenden Titel "Der Kriegsdienstverweigerermensch"
folgt, der mit einem Signet versehen ist, das zwei menschliche Arme beim
Zerbrechen eines Gewehres darstellt.

    Zusammengenommen bilden alle diese Momente einen wirksamen Blickfang
für den die Zeitung durchblätternden Leser. Der vorinstanzlichen
Auffassung, wonach der betreffende Artikel graphisch überhaupt nicht
hervorgehoben werde, kann deshalb nicht beigepflichtet werden.

    d) Die beanstandete Aufforderung zur militärischen
Dienstpflichtverweigerung richtet sich nicht etwa allgemein an die ganze
Welt, sondern an die wehrpflichtige schweizerische Bevölkerung. Das geht
einmal daraus hervor, dass der "Rote Gallus" in der Schweiz veröffentlicht
wird, und dass die beanstandete Nr. 2 dieser Zeitung sich zum überwiegenden
Teil mit schweizerischen Verhältnissen (Appenzellerland, Ostschweiz, St.
Gallen) auseinandersetzt, worauf schon Titelblatt und Inhaltsangabe
hinweisen. Während der Originaltext von Borchert das Kriegsproblem
von einem allgemeinen die ganze Welt anvisierenden Standpunkt aus
erörtert, richtet sich der inkriminierte Aufruf unmissverständlich an
die schweizerische Leserschaft. Der Artikel im "Roten Gallus" weicht denn
auch in gewissen Teilen erheblich vom ursprünglichen Text des genannten
Schriftstellers ab.

    e) Unzutreffend ist ferner die Vermutung der Vorinstanz, dass
der Ausdruck "Gestellungsbefehl" dem st. gallischen Leser des "Roten
Gallus" kaum verständlich erscheinen dürfte. Gewiss mögen in der
deutschsprachigen Schweiz andere, sinnverwandte Wörter wie Marschbefehl
oder Einrückungsbefehl verbreiteter sein. Damit ist aber nicht gesagt,
dass der in Frage stehende Ausdruck - namentlich im Zusammenhang mit
der im Artikel angestrebten allgemeinen Verhinderung militärischer
Pflichterfüllung überhaupt - vom unvoreingenommenen Leser nicht klar
verstanden werde.

    f) Der Einwand der Beschwerdegegner, es müsse verfassungsmässig erlaubt
sein, das wörtliche Zitat eines Dichters wiederzugeben, ohne damit gegen
Art. 276 StGB zu verstossen, ist unbehelflich. Hinsichtlich des hier in
Frage stehenden neunten Verses kann nämlich von einem "Zitat" trotz dessen
wörtlicher Übereinstimmung mit dem Originaltext in guten Treuen darum nicht
die Rede sein, weil der darin enthaltene öffentliche Aufruf offensichtlich
ein anderes Ziel im Auge hat als das von Borchert angestrebte. Wie bereits
bemerkt, erwähnt Borchert im Originaltext das Kriegsproblem von einem
allgemeinen, die ganze Welt berührenden Standpunkt. Demgegenüber zielt
der inkriminierte Aufruf auf die Verweigerung der Dienstpflicht durch die
schweizerischen Wehrpflichtigen ab. Der fragliche Artikel war daher bloss
dem Scheine, nicht aber der Wirklichkeit nach ein "Zitat" von Borchert.

    Da ein in der Verfassung verankertes Freiheitsrecht nicht absolut,
sondern bloss innerhalb der gesetzlichen Schranken gewährleistet
wird, kann auch das von den Beschwerdegegnern in Anspruch genommene
Recht auf freie Meinungsäusserung nur soweit ausgeschöpft werden,
als es nicht gegen Art. 276 StGB verstösst. Andernfalls könnte
jeder Bürger die Freiheitsrechte zur Rechtfertigung seiner Verstösse
gegen die Rechtsordnung, z.B. das Strafgesetz, anrufen. Zudem ist
dasBundesgericht nach Art. 113 Abs. 3 und 114 bis Abs. 3 BV an die von
der Bundesversammlung beschlossenen eidgenössischen Gesetze gebunden,
weshalb es deren Verfassungsmässigkeit nicht überprüfen kann. Auf die von
den Beschwerdegegnern in ihrer Eingabe indirekt aufgeworfene Frage der
Verfassungsmässigkeit von Art. 276 StGB ist demnach nicht einzutreten. Im
vorliegenden Verfahren ist lediglich zu prüfen, ob durch den inkriminierten
Aufruf der Tatbestand des Art. 276 Ziff. 1 Abs. 1 StGB objektiv erfüllt
wurde, was nach dem oben Gesagten zu bejahen ist. Das angefochtene Urteil
ist deshalb aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Diese wird die strafrechtliche Verantwortlichkeit der
Beschwerdegegner, unter Berücksichtigung von Art. 27 StGB, zu beurteilen
haben.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Kantonsgerichts St. Gallen vom 20. November 1972 aufgehoben und die
Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.