Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IV 75



99 IV 75

17. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 18. Mai 1973 i.S
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Malé Regeste

    Art. 148 StGB; Betrug

    1.  Arglist liegt vor, wenn der Täter den Getäuschten von der
Prüfung der falschen Angaben abhält oder nach den Umständen voraussieht,
dass jener die Überprüfung unterlässt; ferner, wenn dem Getäuschten die
Nachprüfung nicht zumutbar ist oder besondere Mühe macht (Bestätigung
der Rechtsprechung).

    2.  Wer als Postcheckkunde wissentlich einen ungedeckten Check zur
Auszahlung vorlegt, nützt die ihm bekannte Tatsache aus, dass der Beamte
aufgrund einer generellen Weisung sich bis zum Betrag von Fr. 2000 nicht
nach der Deckung erkundigt.

Sachverhalt

    A.- Am 25. November 1971 übergab Marco Malé dem Garagisten Schudel zur
Bezahlung einer Autoreparatur einen Postcheck im Betrage von Fr. 923.20
und behauptete dabei gegen besseres Wissen, der Check sei gedeckt. Am
7. April 1972 kassierte er beim Postamt Rüschlikon einen Postcheck über
Fr. 1'000.--, obwohl er wusste, dass sein PC-Konto 80-64865 nur noch
ein Guthaben von Fr. 1.75 aufwies und dass in den nächsten Tagen keine
grösseren Zahlungen eingehen würden.

    B.- Mit Entscheid vom 31. August 1972 erkannte das Bezirksgericht
Zürich Malé des wiederholten Betruges im Betrage von Fr. 1'921.45 schuldig
und verurteilte ihn zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von 2 Monaten.

    Die II. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich schützte
am 28. November 1972 die Berufung des Verurteilten mit Bezug auf die
Einlösung des Checks beim Postamt Rüschlikon. Malé wurde wegen Betruges
im Betrage von Fr. 923.20 zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von einem
Monat verurteilt.

    C.- Gegen dieses Urteil führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es aufzuheben und
die Sache zur Schuldigsprechung des Beschwerdegegners auch mit Bezug auf
den Betrug zum Nachteil der geschädigten Kreispostdirektion Zürich an
die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Nach deutschem Recht genügt für die Erfüllung des
Betrugstatbestandes, dass der Täter das Opfer vorsätzlich täuscht. Nach
französischem Recht liegt Betrug erst vor, wenn sich der Täter zur
Täuschung bestimmter "manoeuvres frauduleuses" bedient. Das schweizerische
StGB nimmt als Kompromiss der gegensätzlichen kantonalen Strafgesetze
eine Mittelstellung ein: wer in Bereicherungsabsicht jemanden durch
einfache Lüge zu einer vermögensschädigenden Handlung veranlasst, betrügt
nicht. Es bedarf einer arglistigen Irreführung oder Ausnützung des Irrtums
(Art. 148 StGB; Kurzkommentar GERMANN, 9. Aufl., S. 258/59; SCHWANDER,
Nr. 566; SQUARATTI, Das Merkmal der Arglist im Betrugsbegriff, S. 10;
ARDINAY, Der Betrug nach dem schweizerischen Strafgesetzbuch, ZStR Bd. 86,
S. 230 und andere).

    Die Grenzziehung zwischen einfacher Lüge und Arglist ist nicht
einfach. Im Verlaufe einer sich verfeinernden Praxis hat das Bundesgericht
erklärt, falsche Angaben genügten nicht, wenn sie leicht überprüft werden
könnten. In einem solchen Falle liegt Arglist nur vor, wenn der Täter den
Getäuschten von der Prüfung abhält oder nach den Umständen voraussieht,
dass der Getäuschte die Überprüfung unterlässt; ebenso dann, wenn dem
Getäuschten die Nachprüfung nicht zumutbar war oder besondere Mühe gemacht
hätte (BGE 72 IV 13, 123, 128, 159; 74 IV 151; 76 IV 95; 77 IV 84; 78 IV
26; 86 IV 205; 87 IV 12; vgl. auch GERMANN, aaO, SCHWANDER, aaO, ARDINAY,
a.a.O, S. 231 ff., SQUARATTI, aaO, S. 25; WAIBLINGER in ZBJV 1954 S. 476
je mit Hinweisen).

    Diese Praxis ist nicht unangefochten geblieben. Das Obergericht des
Kantons Basel-Land nimmt in bewusster Abweichung davon an, Arglist sei
noch nicht gegeben, wenn der Täter voraussieht, dass sich das Opfer nicht
erkundigen wird, und er diesen Umstand ausnützt; der Täter handle erst
arglistig, wen er den Umstand ausnützt, dass die Nachprüfung dem Opfer
nicht möglich oder nicht zumutbar ist, oder wenn er die Überprüfung
verhindert (RStr 1971 Nr. 90). Umgekehrt bestrafte das Kantonsgericht
Graubünden wegen Betrugs bereits dann, wenn das Opfer sich aus mangelnder
Sorgfalt prellen liess und der Täter das voraussah (RStr 1973 Nr. 442).

    Es besteht kein Anlass, von der bisherigen konstanten Praxis
abzuweichen. Die vom basel-landschaftlichen Obergericht geforderte
Einschränkung würde zu einer stossenden Strafbefreiung von Tätern führen,
die vorsätzlich das Vertrauen anderer ausbeuten und damit gleichzeitig
eine geordnete vertrauensvolle Geschäftsabwicklung (ohne unnötige,
von Misstrauen diktierte Komplikationen) verunmöglichen (WAIBLINGER,
aaO, ARDINAY, aaO, S. 233 mit Hinweisen). Anderseits würde die
Auffassung des Kantonsgerichts Graubünden (in Anlehnung an GERMANN,
10 Jahre schweizerisches Strafgesetzbuch, ZStR 1952, S. 21) zwar der
subjektiven Betrachtungsweise konsequent folgen, liesse aber praktisch
keinen Unterschied mehr zwischen der vom Gesetz verlangten Arglist und der
einfachen Lüge. Denn auch bei der einfachen Lüge vertraut der Täter darauf,
dass sein Opfer die falschen Angaben nicht durchschauen werde. Arglist
verlangt aber mehr als einen gewöhnlichen Schwindel. Dort, wo das Opfer
den Irrtum durch ein Minimum zumutbarer Vorsicht hätte vermeiden können,
kann von Arglist nicht mehr die Rede sein. Ein Täter, der nicht die
mangelnden Geisteskräfte, sondern den offensichtlichen Leichtsinn des
Opfers zur Irreführung missbraucht, erscheint nicht strafwürdiger als
derjenige, der durch eine einfache Lüge zum Ziele gelangt.

Erwägung 5

    5.- Das Obergericht bestreitet die Richtigkeit dieser Rechtsprechung
an sich nicht. Es fordert aber eine differenzierte Anwendung. Wer durch
die Ausgestaltung seiner Geschäftstätigkeit bewusst ein Risiko schaffe,
werde bei Verwirklichung dieses Risikos nicht arglistig getäuscht im
Gegensatz zum gutgläubigen Dritten, der nach den konkreten Umständen
überhaupt nicht an ein Risiko denke und denken musste.

    Es ist richtig, dass die Postverwaltung selbst die Gefahr von
Missbräuchen geschaffen hat, indem sie anordnete, dass ein Postamt
Auszahlungen aus dem Konto eines ihm bekannten Kunden ohne Rückfrage
beim Postcheckamt nach dem Umfang der Deckung vornimmt, falls es sich um
Beträge unter Fr. 2'000.-- handelt.

    Ist die Vorlage eines ungedeckten Postchecks auch nicht eine geradezu
typische Betrugshandlung, so fällt sie dennoch unter Art. 148 StGB,
sobald die Tatbestandsmomente erfüllt sind. Das kann insbesondere auch
für die Arglist angenommen werden. Die Vorinstanz übersieht, dass die
Postverwaltung zwar einerseits durch ihre interne Weisung in der Tat
ein zusätzliches Risiko geschaffen hat, dass sie aber gleichzeitig
jeden Postcheckinhaber darüber unterrichtete und ausdrücklich auf die
Unzulässigkeit der Ausgabe ungedeckter Checks hingewiesen hat. Damit
wurde im Rahmen des zwischen der Postverwaltung und ihren Kunden
bestehenden Vertrags- und Vertrauensverhältnisses ein zusätzliches Element
eingeführt. Um die PC-Abfertigung zu beschleunigen und unnötige Auslagen
an Zeit und Geld durch Rückfragen über kleinere Beträge zu vermeiden,
hat die Postverwaltung jene Vereinfachung vorgenommen. Diese Massnahme
aber drängte sich den PTT-Betrieben als einem öffentlichen Dienste
unter dem Druck des heutigen Zeit- und Personalmangels geradezu auf. Die
Gesamtheit der Kunden zieht daraus Nutzen und ist darum an einer solchen
Abwicklung des PC-Verkehrs interessiert. Solange das derart begründete
Vertrauensverhältnis nicht erkennbar gestört ist, kann also dem einzelnen
Postbeamten nicht zugemutet werden, entgegen der generellen Weisung
bei Bezügen unter Fr. 2'000.-- sich trotzdem vorher nach der Deckung zu
erkundigen. Wer als Kunde wissentlich einen ungedeckten Check vorlegt,
nützt die ihm bekannte Tatsache aus, dass der Beamte sich nicht erkundigen
wird und nach den Umständen auch nicht erkundigen muss. Diese Verletzung
des Vertrauensverhältnisses durch den Kunden gegenüber der Postverwaltung
stellt ein arglistiges Verhalten dar, denn es geht über ein blosses Handeln
gegen Treu und Glauben und eine einfache Lüge hinaus. Die Bestrafung
des Täters ist auch dann gerechtfertigt, wenn mit dem Obergericht
zutreffend festgestellt wird, dass es nicht anginge, in zivilistischer
Betrachtungsweise jedes gegen Treu und Glauben im Geschäftsverkehr
verstossende Handeln als Arglist im Sinne des Strafrechts zu betrachten.

    Als untauglich erweist sich der Hinweis der Vorinstanz auf die "hohe
Strafdrohung" des Art. 148. Wohl ist die Höchststrafe von fünf Jahren
Zuchthaus hoch. Die untere Grenze liegt jedoch bei 3 Tagen Gefängnis, was
für ein Verhalten wie dasjenige des Beschwerdegegners sicherlich nicht zu
hoch erscheint. Gerade der weitgespannte Strafrahmen deutet darauf, dass
das Gesetz alle Formen des Betruges vom leichtesten bis zum schwersten
erfassen will.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene
Entscheid aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der
Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.