Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IV 70



99 IV 70

15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. Juli 1973
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen Duelli. Regeste

    Art. 42 Ziff. 1 Abs. 1 StGB; Verwahrung.

    Bei einem zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Ausländer kann
der Richter nicht anstelle der Verwahrung, wenn die gesetzlichen
Voraussetzungen zu ihrer Anordnung erfüllt sind, auf Landesverweisung
erkennen. Er darf von der Verwahrung auch nicht deswegen absehen, weil
er nach der Ausweisung des Täters aus der Schweiz dessen Inhaftierung im
Ausland als sicher ansieht. Grenzen des richterlichen Ermessens.

Sachverhalt

    A.- Der deutsche Staatsangehörige Duelli reiste am 24.  April 1972 von
Konstanz herkommend mit H. H., die er in Deutschland in die Gewerbsunzucht
eingeführt hatte und mit der er ein intimes Verhältnis unterhielt, nach
Basel und mietete für beide bis zum 7. Juni 1972 im Hotel Klingental, und
bis zur Verhaftung am 20. August 1972 im Hotel Sonne ein Zimmer. Während
dieser ganzen Zeit ging Duelli keiner Arbeit nach, sondern lebte
ausschliesslich vom Unzuchtserlös der H., von der er auf diese Weise rund
Fr. 6000.-- erhielt. Während seiner Inhaftierung beschädigte Duelli am
22. August 1972 vorsätzlich die Lederpolsterung der Schallisolationstüre
in der Arrestzelle, wobei Sachschaden in der Höhe von Fr. 430.-- entstand.

    Um aus der Anstalt "Lohnhof" auszubrechen, bohrte Duelli in der Zeit
vom 7.-10. September 1972 zusammen mit seinem Zellengenossen U. hinter
seinem Bett ein ca. 40 cm breites und ca. 50 cm tiefes Loch in die
Zellenwand. Dadurch entstand ein Sachschaden von ca. Fr. 200.--.

    B.- Am 27. Februar 1973 verurteilte das Strafgericht Basel-Stadt
Duelli wegen Zuhälterei im Sinne von Art. 201 Abs. 1 und 2 StGB und wegen
wiederholter Sachbeschädigung im Sinne von Art. 145 Abs. 1 StGB zu 3 1/2
Jahren Zuchthaus und zu Landesverweisung auf Lebenszeit. An die Stelle
der Freiheitsstrafe liess es die Verwahrung nach Art. 42 StGB treten.

    Auf Appellation des Verurteilten hin setzte das Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt am 29. Mai 1973 die Zuchthausstrafe auf 2 Jahre herab,
bestätigte die Landesverweisung auf Lebenszeit und hob die Verwahrung auf.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt ficht das Urteil des
Appellationsgerichts insoweit an, als es die vom Strafgericht angeordnete
Massnahme aufhob, und beantragt, die Vorinstanz sei anzuweisen, den
Beschwerdegegner gemäss Art. 42 StGB auf unbestimmte Zeit zu verwahren.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Gemäss Art. 42 Ziff. 1 Abs. 1 StGB kann vom Richter verwahrt werden,
wer unter anderem zahlreiche Verbrechen oder Vergehen vorsätzlich verübt
hat und dem deswegen durch Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen oder eine
Arbeitserziehungsmassnahme die Freiheit während insgesamt mindestens 2
Jahren entzogen war.

    Dass diese Voraussetzungen bei Duelli vorliegen, wird auch vom
Appellationsgericht nicht in Abrede gestellt. Dieser wurde mit 18 Jahren
erstmals straffällig und musste seither bereits 17 Mal bestraft werden,
davon 10 mal wegen Diebstahls. Namentlich seit 1954 ist Duelli immer
wieder rasch nach den Verbüssungen schwerer Strafen, bzw. nach der
Entlassung aus dem Arbeitshaus, rückfällig geworden. Die letzte erlittene
Freiheitsstrafe hat er 1968 verbüsst. Nach seinen eigenen Angaben
beträgt die Gesamtdauer des durch Strafen oder Massnahmen bedingten
Freiheitsentzuges mindestens 8 Jahre.

    Diese Umstände werden nicht etwa dadurch widerlegt, dass Duelli die
deutsche Staatszugehörigkeit besitzt oder dass die Mehrzahl der Strafen
in Deutschland ausgesprochen und verbüsst worden ist.

    Der Vorinstanz ist auch insoweit nicht zu folgen, als sie
zur Begründung ihres Entscheides anführt, dem Schutzbedürfnis der
schweizerischen Öffentlichkeit werde durch die Landesverweisung auf
Lebenszeit genügend Rechnung getragen, weshalb von einer Verwahrung
abzusehen sei. Während Art. 42 Ziff. 1 StGB in der Fassung vor
der Revision von 1971 dem Richter noch erlaubte, bei einem zu einer
Freiheitsstrafe verurteilten Ausländer anstelle der Verwahrung auf
Landesverweisung zu erkennen, besteht diese Möglichkeit in der neuen
Bestimmung gemäss Bundesgesetz vom 18. März 1971 betreffend die Änderung
des Schweizerischen Strafgesetzbuches nicht mehr. Der Richter war daher
im vorliegenden Fall nicht befugt, von der strafrechtlichen Massnahme,
die anstelle der Strafe zu verhängen ist, deswegen abzusehen, weil er
die Landesverweisung für zweckmässiger oder geeigneter hält.

    Nicht zugestimmt werden kann ferner der Begründung der Vorinstanz,
wonach Duelli sich auch für die in der Schweiz begangenen Delikte vor
deutschen Gerichten zu verantworten haben werde, weshalb anzunehmen sei,
dass er nach der Ausweisung aus der Schweiz in Deutschland umgehend
inhaftiert werde; dadurch sei ihm die Möglichkeit einer Bewährung in der
Freiheit verwehrt, was eine unverantwortliche Härte darstelle. Zwar sagt
das Gesetz nicht, der Richter müsse nach Art. 42 StGB verfahren, wenn
die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind, sondern es stellt die
Anordnung einer solchen Massnahme in das Ermessen des Richters; dieser
kann sie verhängen. Ermessen bedeutet jedoch nicht freies Belieben. Da
Art. 42 StGB die Verwahrung vorsieht, um die Gesellschaft vor dem
unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher wirksamer zu schützen, als eine
Freiheitsstrafe dies vermöchte, darf der Richter entsprechend diesem
Zweckgedanken von der Anordnung der Verwahrungsmassnahme nur absehen,
wenn er überzeugt ist, dass schon der Vollzug der Strafe den Verurteilten
dauernd vor neuen Rückfällen bewahren werde (BGE 92 IV 79 Erw. 3, 84
IV 147 Erw. 2). Ist von einer Bestrafung des Täters eine solche Wirkung
nicht zu erwarten und besteht auch sonstwie keine zureichende Sicherung
der Gesellschaft gegen den Rechtsbrecher, so muss der Richter unter
den Voraussetzungen des Art. 42 StGB die Verwahrung anordnen. Er darf
nicht, wie das die Vorinstanz getan hat, von dieser Massnahme absehen,
nur weil der Verurteilte wahrscheinlich in Deutschland in Haft genommen
werden wird. Im Hinblick darauf, dass einerseits das Appellationsgericht
im angefochtenen Urteil nirgends seine Überzeugung zum Ausdruck bringt,
dass allein der Strafvollzug Duelli dauernd vor neuen Rückfällen bewahren
werde, und anderseits eine sofortige Inhaftierung des Verurteilten in
Deutschland nach Ansicht der Staatsanwaltschaft auf Grund der deutschen
Strafprozessordnung als fraglich erscheint, ist im vorliegenden Fall die
Verwahrung anzuordnen, da die bisherigen Strafen ihre Wirkung versagten,
sich der Täter jeder erzieherischen Beeinflussung als unzugänglich erwies
und die Gesellschaft wirksam vor ihm geschützt werden muss. Denn die
Verwahrung bezweckt in erster Linie die Sicherung der Öffentlichkeit
vor unverbesserlichen und sozialgefährlichen Rechtsbrechern. Für die
Entscheidung der Frage nach der Anordnung dieser Massnahme kommt daher
den von der Vorinstanz angeführten Gründen nur untergeordnete Bedeutung zu.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene
Entscheid aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückgewiesen.