Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IV 201



99 IV 201

46. Urteil des Kassationshofes vom 6. September 1973 i.S. Müller gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Uri. Regeste

    Aufstellen eines Spielautomaten in einer Wirtschaft.

    1.  Stillschweigender Abschluss eines Aufstellvertrages (Erw. 2 a).

    2.  Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. Veruntreuung des Gewinnanteils des
Inhabers des Aufstellplatzes durch den Aufsteller? (verneint) (Erw. 2 b).

Sachverhalt

    A.- Josef Gottlieb Müller vertreibt Automaten. Im Frühjahr 1970
stellte er im Restaurant Ochsen in Altdorf einen Geldspielautomaten, Marke
"Go-N-Stop", auf. Obschon die Wirtin Lilly Herger die Unterzeichnung eines
schriftlichen Vertrages abgelehnt hatte, beliess Müller den Automaten
über die Probezeit eines Monats hinaus bis Ende Juni 1971 im genannten
Restaurant. Während dieser Zeit leerte er erstmals nach zwei Monaten und in
der Folge noch weitere vier Male die Kasse des Spielautomaten und überliess
jeweils 50% ihres Inhalts der Wirtin. Am 25. Juni 1971 entfernte Müller
den Automaten, ohne die Kasse zu leeren und der Wirtin wie früher 50%
des Kasseninhalts zu überlassen.

    B.- Am 3. Oktober 1972 sprach das Landgericht Uri Müller der
Veruntreuung nach Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB schuldig, hielt ihm
jedoch Rechtsirrtum zugute (Art. 20 StGB) und nahm deswegen von einer
Strafe Umgang.

    Auf Berufung Müllers und Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft
Uri bestätigte das Obergericht dieses Kantons den erstinstanzlichen
Schuldspruch, verneinte jedoch einen Rechtsirrtum und verurteilte Müller
zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 14 Tagen.

    C.- Müller führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Uri hat sich mit dem Antrag auf
Abweisung der Beschwerde vernehmen lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB macht sich der Veruntreuung
schuldig, wer anvertrautes Gut, namentlich Geld, unrechtmässig in seinem
oder eines andern Nutzen verwendet. Anvertraut ist dem Täter das Gut,
wenn er es nicht im eigenen Interesse empfängt, sondern im Interesse
eines andern mit der Verpflichtung, es in bestimmter Weise zu verwenden,
insbesondere um es zu verwahren, zu verwalten oder abzuliefern. Beruht
diese Verpflichtung auf Parteiwillen, so muss dieser ausdrücklich oder
stillschweigend geäusserte Wille beidseitig gegeben sein (BGE 80 IV 152).

Erwägung 2

    2.- Im vorliegenden Fall hat die Vorinstanz festgestellt, dass der
Beschwerdeführer mit der Wirtin wohl einen schriftlichen Vertrag über den
Geldspielautomaten habe abschliessen wollen. Tatsächlich aber sei es wegen
der Weigerung der Wirtsleute nicht zur Unterzeichnung dieses Vertrags
gekommen. Müller habe aber trotzdem den Apparat über die Probefrist
eines Monats hinaus im "Ochsen" belassen mit der Zusicherung eines
50%igen Gewinnanteils. Er habe denn auch nach der ersten Leerung noch
weitere vier Male die Kasse des Automaten geleert und den Wirtsleuten
jeweils die Hälfte der Einnahmen ausbezahlt. Damit habe er konkludent
seinem Willen Ausdruck verliehen, in ein nicht schriftlich verurkundetes
Vertragsverhältnis einzutreten. Bei diesem Vertrag habe die Leistung
der Wirtin im Belassen des Automaten in ihrem Gasthaus, diejenige des
Beschwerdeführers in der Auszahlung des Gewinnanteils bestanden. Es lasse
sich daher "wohl" mit guten Gründen annehmen, dass Müller das Geld im
Ausmass des Gewinnanteils für die Wirtsleute entgegengenommen habe und
diesen gegenüber zur Ablieferung verpflichtet gewesen sei. Müller sei
zu diesen in einem Vertrauensverhältnis gestanden, das er durch das
Nichtauszahlen des Gewinnanteils bei Wegnahme des Automaten gebrochen habe.

    Demgegenüber stellt sich Müller auf den Standpunkt, dass keine
rechtsverbindliche vertragliche Abmachung bestanden habe, sondern bloss ein
Versprechen auf Zusehen hin, das abhängig gewesen sei vom Zustandekommen
eines schriftlichen Vertrags. Ein Vertrauensverhältnis zwischen ihm und
der Wirtin habe aufgrund einer so vagen und unsicheren Abmachung nicht
entstehen können. Vor allem aber bleibe offen, weshalb ein Teil der
Einnahmen wirtschaftlich zum Vermögen der Wirtin gehört habe. Auch habe
das Obergericht ausser acht gelassen, dass die Wirtin den Beschwerdeführer
zum Abholen des Apparats aufgefordert und damit ihren Rücktritt von einem
allfälligen Vertrag erklärt habe. Von einem Vertrauensverhältnis könne
deshalb keine Rede sein.

    a) Die Frage, ob durch das verbindlich festgestellte Verhalten des
Beschwerdeführers und der Wirtin stillschweigend ein Vertrag abgeschlossen
worden sei, ist eine zivilrechtliche Vorfrage, die vom Kassationshof zu
entscheiden ist. Sie ist mit dem Obergericht zu bejahen. Nachdem nämlich
die Wirtin schon bei Aufstellen des Automaten durch den Beschwerdeführer
und dann wieder nach Ablauf der Probefrist sich geweigert hatte, den
ihr vorgelegten Vertragstext zu unterzeichnen, und überdies ihr Ehemann
sich Müller gegenüber in gleichem Sinne geäussert hatte, weil bereits mit
einer anderen Firma eine Abmachung bestehe, konnte der Beschwerdeführer
nicht ernsthaft mit der Unterzeichnung des Vertrags rechnen. Dennoch
hat er den Automaten mehr als ein Jahr lang im "Ochsen" belassen und
den Wirtsleuten bei den wiederholten Leerungen der Kasse die Hälfte der
Einnahmen ausbezahlt. Anderseits hat auch die Wirtin diesen Zustand
geduldet und sich mit einer solchen Geschäftsabwicklung während jener
Zeit stillschweigend einverstanden erklärt. Aus diesem beidseitigen
Verhalten hat die Vorinstanz mit Fug geschlossen, dass zwischen den
Parteien stillschweigend ein Vertrag geschlossen worden sei, demzufolge
sich die Wirtin verpflichtete, den Platz für das Aufstellen des Automaten
in ihrem Gasthaus zur Verfügung zu stellen, während der Beschwerdeführer
dafür 50% der Einnahmen aus dem Automaten auszuzahlen hatte.

    b) Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass diese Einnahmen im
Ausmass des geschuldeten Gewinnanteils dem Beschwerdeführer im Sinne von
Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB anvertraut gewesen sind.

    Vereinbarungen, welche der Aufsteller von Münzautomaten mit dem Inhaber
eines Aufstellplatzes schliesst, werden in Fachkreisen als Aufstellverträge
bezeichnet. Sie weisen rechtlich im wesentlichen Züge eines Mietgeschäftes
aus, zu denen jedoch über eine blosse Raummiete hinausgehende vertragliche
Verpflichtungen der Parteien hinzutreten können. Diesfalls erscheinen sie
als gemischte Verträge, die neben mietrechtlichen Merkmalen namentlich
solche gesellschaftsrechtlicher Art umfassen (BÜRKE, Der Warenautomat
im schweizerischen Recht, Diss. St. Gallen 1967, S. 2, 15, 23). Ob in
concreto eine blosse Platzmiete gegeben ist oder nicht, hängt von den
Umständen des Einzelfalles ab.

    In der vorliegenden Sache steht nach dem angefochtenen Urteil
einzig fest, dass sich die Wirtin stillschweigend zum "Belassen"
des Spielautomaten in ihrem Gasthaus herbeigelassen hatte, während der
Beschwerdeführer dafür 50% der jeweiligen Einnahmen aus dem Apparat an sie
auszahlen musste. Andere beidseitige Verpflichtungen hat die Vorinstanz
nicht festgestellt und sind auch nicht belegt. Tatsächlich hatte sich die
Wirtin stets geweigert, einen schriftlichen Vertrag mit einer eingehenderen
Regelung ihrer Beziehungen zum Beschwerdeführer zu unterzeichnen. Das lässt
den Schluss zu, dass sie ihre Verpflichtungen Müller gegenüber auf ein
Minimum beschränken wollte und vorwiegend bloss an einem Entgelt für das
Zurverfügungstellen eines Aufstellplatzes interessiert war. Ist dem aber
so, dann konnte sie ihrerseits vom Beschwerdeführer auch nur eine ihrer
eigenen Leistung entsprechende Gegenleistung im Sinne einer Instandhaltung
des Spielautomaten und der Bezahlung eines Entgelts für den Abstellplatz
voraussetzen. Bei dieser Rechtslage aber drängt sich die Annahme einer
blossen Platzmiete auf (BÜRKE, op.cit. S. 15 unten/16 oben). Inwiefern
nun durch diese ein Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien begründet
worden sein sollte, aufgrund dessen dem Beschwerdeführer die Hälfte der
Einnahmen aus dem Automaten im Interesse der Wirtin bloss überlassen
gewesen wäre mit der Verpflichtung, sie an diese abzuliefern, ist nicht
ersichtlich und hat auch das Obergericht nicht darzutun vermocht. Zwar
ist bei Mieten beweglicher Sachen ein Anvertrauen des Mietobjektes
denkbar und naheliegend. Der Spielautomat und sein Inhalt bildeten
jedoch im vorliegenden Fall nicht den Mietgegenstand. Vermietet wurde ein
Abstellplatz, für dessen Benutzung Müller ein Entgelt in Höhe von 50% der
Einnahmen aus dem Spielautomaten zu entrichten bereit war. Diese Einnahmen
aber bildeten zusammen mit dem Prozentsatz bloss die Bemessungsgrundlage
für die jeweils zu entrichtende Platzmiete. Sie gehörten wirtschaftlich
nicht zum Vermögen der Wirtin. Das Recht auf den Erlös aus dem Automaten
steht nämlich dem Aufsteller zu (BÜRKE, op.cit. S. 5, 7 und 8), sofern
nicht die gesellschaftsrechtliche Komponente des Vertragsverhältnisses
derart stark in den Vordergrund rückt, dass von einer eigentlichen
Umsatzbeteiligung gesprochen werden kann. Davon kann jedoch im vorliegenden
Fall nach dem Gesagten nicht die Rede sein.

    Hatte aber der Beschwerdeführer die von den Spielern in den Automaten
eingeworfenen Einsätze in eigenem Interesse erhalten, so kann nicht gesagt
werden, sie seien ihm im Ausmass von 50% anvertraut gewesen, damit er
sie in diesem Umfang an die Wirtin abliefere. Seine Verpflichtung zur
Bezahlung des Entgelts ging über den Rahmen einer bloss schuldrechtlichen
Pflicht zur Vertragserfüllung nicht hinaus und schloss keine Treuepflicht
im Sinne des Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB in sich. Fehlt es demnach am
Tatbestandselement des Anvertrautseins, so wurde Müller zu Unrecht wegen
Veruntreuung bestraft. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben
und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil
aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die
Vorinstanz zurückgewiesen.