Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IV 178



99 IV 178

38. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 9. November 1973
i.S. S. gegen Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 91 Abs. 3 SVG; Vereitelung einer Blutprobe.

    Ein angetrunkener Automobilist, der einen Verkehrsunfall verursacht
und sich sofort mit dem Geschädigten verständigt, ohne dass die Polizei
herbeigerufen wird, muss nach dem Verlassen der Unfallstelle nicht mehr
mit einer Blutprobe rechnen.

Sachverhalt

    A.- Am 3. August 1972 verliess S. um ca. 18.45 Uhr sein Büro in
Biel, um die Heimfahrt anzutreten. Als er mit seinem Auto sich einer
Strassenverzweigung näherte, folgten ihm F. und N., denen die unsichere
Fahrweise von S. auffiel; vor ihm fuhr K. Als dieser auf der erwähnten
Kreuzung nach links abbiegen wollte, musste er wegen vortrittsberechtigtem
Verkehr anhalten. Ohne zu bremsen, fuhr darauf S. in das Heck des Wagens
von K.

    Nach dem Zusammenstoss begab sich S. sofort zu K., dem er eine
schriftliche Schuldanerkennung gab und den er dazu veranlassen konnte,
auf den Beizug der Polizei zu verzichten, da er angetrunken war. Dann
verliess er im Einverständnis von K. die Unfallstelle und fuhr an seinen
ca. 900 m entfernten Wohnort.

    Um 19.30 Uhr avisierte K. trotzdem die Polizei. Zwei Polizeibeamte
begaben sich an die Adresse von S., der trotz mehrmaligem Läuten an der
Hausglocke die Türe nicht öffnete. Er hatte nach seiner Ankunft zu Hause
u.a. 3,5 dl Bier und 2 Ricards zu sich genommen. Dann war er zu Bett
gegangen und hatte die Polizei nicht gehört.

    B.- Am 30. April 1973 verurteilte der a.o.  Gerichtspräsident III
von Biel S. u.a. wegen Vereitelung der Blutprobe zu 10 Tagen Gefängnis
und einer Busse von 200 Franken.

    Auf Appellation hin bestätigte das Obergericht des Kantons Bern den
erstinstanzlichen Schuldspruch und bestrafte S. mit 20 Tagen Gefängnis.

    C.- S. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

    Entgegen der Auffassung des Obergerichts musste S. nicht mit dem
Eingreifen der Polizei rechnen, nachdem er sich mit dem geschädigten
Automobilisten verständigt und die Unfallstelle verlassen hatte. Die
Vorinstanz ist der Auffassung, Drittpersonen, die die Angetrunkenheit
des Beschwerdeführers bemerkt hatten - insbesondere die beiden
Autolenker F. und N., die vor dem Unfall hinter ihm fuhren -, hätten
ihn verzeigen können. Es kommt zwar tatsächlich nicht selten vor, dass
ein Automobilist, der im Zickzack fährt, von anderen Strassenbenützern
bei der Polizei angezeigt wird. Im vorliegenden Fall sind denn auch
die Zeugen F. und N. auf die unsichere Fahrweise des Beschwerdeführers
aufmerksam geworden. Sie haben aber auch gesehen, wie dieser nach
dem Unfall sich zum Geschädigten begab. In einem solchen Fall ist es
ungewöhnlich, dass Drittpersonen aus eigener Initiative die Polizei
herbeirufen. Sie überlassen es in der Regel dem Geschädigten, die ihm
notwendig erscheinenden Massnahmen zu treffen, sofern er dazu noch in
der Lage ist oder nicht jemand anderen damit beauftragt. Aus diesem
Grund musste der Beschwerdeführer, der sich mit K. verständigt hatte,
im vorliegenden Fall nicht mit einer Verzeigung rechnen. Das Risiko,
dass im Verlauf der zweiten Phase, d.h. nachdem S. den Unfallort mit
dem Einverständnis von K. verlassen hatte, plötzlich ein Polizeibeamter
auftauchen und eine Kontrolle vornehmen könnte, durfte ausser acht gelassen
werden. Als deshalb S., zu Hause angelangt, alkoholische Getränke zu sich
nahm, musste er nicht mit einer Blutentnahme als realer Wahrscheinlichkeit
rechnen (BGE 95 IV 148 E. 2). Er wurde daher zu Unrecht wegen Vereitelung
einer Blutprobe im Sinne von Art. 91 Abs. 3 SVG verurteilt.