Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IV 148



99 IV 148

31. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. September 1973
i.S. Dr. M. gegen B. Regeste

    Art. 173 Ziff. 1 StGB.

    1.  Diese Bestimmung setzt nicht voraus, dass der Betroffene in der
Ausserung namentlich genannt werde; es genügt, dass nach den Umständen
erkennbar ist, auf wen sie sich bezieht (Erw. 1).

    2.  Der Vorwurf, ein Anwalt bringe einen Prozess nur deshalb in Gang,
weil er allein daraus einen Nutzen ziehen werde, berührt nicht nur dessen
berufliches Ansehen, sondern auch dessen Geltung als ehrbarer Mensch
(Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- In einer Erbteilungsangelegenheit standen sich unter anderem B. und
die durch Dr. M. vertretene Frau F., eine Tante von B., gegenüber. Am
28. Juni 1971 sandte letzterer seiner Tante einen Brief folgenden Inhalts:

    "Salü Gotti,

    Dein Anwalt, Dr. M. hat diese Tage beim Friedensrichteramt Zch 3
gegen uns Klage eingeleitet. Bereits ist die Verhandlung auf Mittwoch,
den 7. Juli angesetzt worden.

    Ich weiss nicht, ob Du und Onkel B. überhaupt Kenntnis habt von dem,
was Euer Anwalt tut. Ich glaube kaum. Ich gestatte mir daher Dir anbei
die zuletzt von Deinem und von unserem Anwalt geführte Korrespondenzen
zuzustellen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Dr. M. tatsächlich
in Eurem Sinne handelt. Es dürfte wohl vor allem in seinem eigenen
Interesse liegen, wenn er nun ein gerichtliches Verfahren einleitet,
richten sich doch Anwaltshonorare nach den Streitwerten. Es ist anzunehmen,
dass unser ,Gutes Geld' zu einem schönen Teil im Endergebnis zu den
Anwälten geht, statt dass es uns zukommt.

    Wäre es nicht doch besser, wenn wir uns einmal treffen um eine
vernünftige Lösung in der Mitte anzustreben, ohne Gerichte und hohe
Anwaltskosten? (Richten sich doch Anwaltskosten doch stets 20%-30%
nach dem Streitwert).....".

    Das Schreiben gelangte in der Folge in den Besitz von Dr. M. Dieser
fühlte sich durch den Satz: "Es dürfte wohl vor allem in seinem eigenen
Interesse liegen, wenn er nun ein gerichtliches Verfahren einleitet,
richten sich doch Anwaltshonorare nach den Streitwerten" in seiner Ehre
verletzt, weshalb er am 9. September 1971 beim Bezirksgericht Bülach
Ehrverletzungsklage anhob.

    B.- Mit Urteil vom 13. Dezember 1972 hat das Bezirksgericht Bülach
B. von der Anschuldigung der Ehrverletzung freigesprochen.

    Auf Berufung von Dr. M. hin bestätigte das Obergericht des Kantons
Zürich am 28. Mai 1973 den erstinstanzlichen Entscheid.

    C.- Dr. M. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde.  Er beantragt
Verurteilung des Angeklagten wegen Ehrverletzung gemäss Art. 173 ff. StGB,
eventuell Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung.

    D.- B. trägt auf Abweisung der Beschwerde an.

Auszug aus den Erwägungen:

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der inkriminierte Satz richtete sich nicht allgemein gegen die im
fraglichen Erbteilungsprozess tätigen Anwälte, wie der Beschwerdegegner
behauptet, sondern gegen Dr. M. Dass der Beschwerdegegner darin den Namen
des Vertreters seiner Tante nicht erwähnt hat, ändert nichts. Art. 173
StGB setzt nicht voraus, dass der Betroffene in der Äusserung namentlich
genannt werde. Es genügt, dass nach den Umständen erkennbar ist, auf
wen sie sich bezieht. Das war hier aber ohne weiteres zu ersehen.

Erwägung 2

    2.- Eine andere Frage ist, ob der eingeklagte Satz ehrverletzend
sei. In dieser Hinsicht erscheint es der Vorinstanz von Bedeutung, dass der
Angeklagte nicht gesagt hat, Dr. M. habe in seinem Interesse gehandelt,
sondern vielmehr geäussert hat, das Handeln von Dr. M. habe in dessen
Interesse gelegen. Diese Unterscheidung ist jedoch belanglos. Entscheidend
ist einzig, welchen Sinn der unbefangene Leser der eingeklagten Briefstelle
nach den Umständen beilegen musste. Diesbezüglich wird im angefochtenen
Urteil ausgeführt, ohne Bezugnahme auf eigennützige Beweggründe von
Dr. M. habe lediglich objektiv festgestellt werden wollen, dass von der
Klageeinleitung letztlich nur Dr. M. profitieren würde. Das aber stelle
keine ehrverletzende Äusserung dar.

    Der Anwalt, der nur deshalb einen Prozess in Gang bringt, weil
allein er daraus einen Nutzen zieht oder ziehen zu können glaubt, handelt
ausschliesslich zu seinem eigenen Vorteil und nicht im Interesse seiner
Klientschaft; er verletzt demnach seine Standespflichten. Wer einen Anwalt
einer solchen Handlungsweise, die sich ein ehrbarer Mensch nicht zu eigen
macht, bezichtigt, greift ihn in seiner persönlichen Ehre an.

    Der Beschwerdegegner hat im inkriminierten Satz freilich bloss die
Worte "vor allem" und nicht die stärkere Form des "nur" verwendet. Das
ändert indessen nichts am Sinn des ganzen Satzes, dessen erster Teil im
Zusammenhang mit dem zweiten zu sehen ist. Der Anwalt hat bei der Ausübung
seines Berufes in erster Linie die Interessen seiner Klientschaft zu
wahren. Tut er dies nicht, sondern handelt er im eigenen Interesse, dann
lässt er Pflichttreue und Verantwortungsbewusstsein vermissen. Wirft man
ihm Unredlichkeit in der Vertretung seiner Mandanten vor, so heisst das,
er verletze seine Standespflichten. Solche Beanstandungen des beruflichen
Verhaltens eines Menschen sind geeignet, Schatten auf dessen Geltung als
ehrbarer Mensch zu werfen. Die eingeklagte Briefstelle berührt somit ausser
dem Ansehen von Dr. M. als Anwalt auch seine Geltung als ehrbarer Mann,
ist folglich ehrverletzend im Sinne von Art. 173 ff. StGB.

    Das angefochtene Urteil ist deshalb aufzuheben und die Sache an die
Vorinstanz zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen und zur Stellungnahme
zu allfällig angebotenen Entlastungsbeweisen zurückzuweisen.