Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 II 50



99 II 50

9. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Februar 1973
i.S. Stierli gegen Maurer. Regeste

    Erstreckung des Mietverhältnisses.

    1.  Eine Kündigung gemäss Art. 267 OR braucht nicht begründet zu werden
(Erw. 1).

    2.  Berufung auf Eigenbedarf im Sinne von Art. 267c lit. c OR, Beweis;
Umstände, uniter denen der Eigenbedarf an Geschäftsräumen zu bejahen ist
(Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- August Stierli benützt seit 1964 verschiedene Werkstatt- und
Lagerräume der Liegenschaft Blumenfeldstrasse 51/Mühleackerstrasse
65 in Zürich, die der Ehefrau des Wilhelm Maurer gehört. In einem
andern Teil der Liegenschaft betreibt Maurer ein Ingenieurbüro und eine
Präzisions-Werkstätte.

    Am 29. Oktober 1971 kündigte er dem Stierli die von diesem benützten
Räume auf Ende Februar 1972, anerkannte aber später, dass die Kündigung
erst auf Ende März 1972 wirksam sei.

    B.- Im November 1971 klagte Stierli gegen Maurer mit dem Begehren,
das Mietverhältnis gemäss Art. 267a OR um zwei Jahre zu erstrecken.

    Das Mietgericht des Bezirkes Zürich und auf Rekurs hin am 7. November
1972 auch das Obergericht des Kantons Zürich wiesen die Klage mit der
Begründung ab, es liege Eigenbedarf im Sinne von Art. 267c lit c. OR vor.

    Das Bundesgericht weist die Berufung des Klägers gegen das Urteil
des Obergerichtes ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Kläger macht in erster Linie geltend, der Beklagte habe
ihm nicht wegen Eigenbedarfs gekündigt, sondern weil sie sich über
eine Abrechnung aus ihren geschäftlichen Beziehungen nicht einig gewesen
seien; mit der Kündigung habe der Beklagte ihm seine Abrechnung aufzwingen
wollen. Es dürfe deshalb nicht darauf abgestellt werden, was der Beklagte
nachträglich zur Rechtfertigung der Kündigung vor Gericht vorgebracht
habe. Im Kündigungsschreiben vom 29. Oktober 1971 stehe kein Wort von
Eigenbedarf.

    Eine Kündigung gemäss Art. 267 OR braucht indes nicht begründet
zu werden. Es genügt, dass der Kündigende erklärt, den Mietvertrag auf
einen zulässigen Termin hin beenden zu wollen, und die Kündigung vor
Beginn der Kündigungsfrist bei der andern Vertragspartei eintrifft. Aus
welchen Gründen eine Kündigung erfolgt, ist unter dem Gesichtspunkt ihrer
Wirksamkeit unerheblich (nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts
vom 30. Januar 1973 i.S. Schweizer gegen Manesse AG; VON TUHR/SIEGWART,
OR II S. 603; MERZ, N. 315 zu Art. 2 ZGB). Dass ein Vermieter, der das
Vertragsverhältnis kündigt, sich erst im Erstreckungsverfahren nach
Art. 267a ff. OR auf Eigenbedarf beruft, schadet ihm daher nicht.

Erwägung 2

    2.- Eine andere Frage ist, ob ein im Erstreckungsverfahren behaupteter
Eigenbedarf wirklich vorliege oder ob der Vermieter die Behauptung bloss
aufgestellt habe, um einen lästigen Mieter loszuwerden. Der Vermieter,
der sich auf Eigenbedarf beruft, darf es deshalb im Bestreitungsfalle
nicht bei der Behauptung bewenden lassen. Er hat vielmehr darzutun,
dass und warum er die Räumlichkeiten für sich selbst, seine nahen
Verwandten oder Verschwägerten benötigt. Auch steht es dem Mieter frei,
Tatsachen zu behaupten und unter Beweis zu stellen, die auf das Fehlen
eines Eigenbedarfs im Sinne von Art. 267c lit. c OR schliessen lassen
und somit geeignet sind, die Sachdarstellung des Vermieters zu entkräften
(vgl. BGE 88 II 189 f. und dort angeführte Urteile). Ist der Eigenbedarf
aber dargetan, so kommt im Erstreckungsverfahren auf allfällige weitere
Beweggründe des Vermieters, das Mietverhältnis zu beenden, nichts an.

    Der Eigenbedarf des Vermieters ist zu bejahen, wenn dieser nach den
gegebenen Umständen ernsthafte Gründe hat, die vermieteten Räume für seine
eigenen Bedürfnisse zu beanspruchen, gleichviel ob es sich um Wohnungen
oder Geschäftsräume handelt (BGE 74 I 3 und 99/100, 92 I 194 Erw. 2,
98 II 108 Erw. b).

    Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Nach dem angefochtenen Urteil
herrschen im Betrieb des Beklagten, der 1972 etwa zehn Angestellte
beschäftigte, so enge Arbeitsverhältnisse, dass "ein geordnetes Arbeiten
in diesen Werkstatträumen geradezu unmöglich" ist. Die Feststellung des
Obergerichts stützt sich auf einen Augenschein des Mietgerichtes und einen
Amtsbericht des Gesundheitsinspektorates der Stadt Zürich vom 12. Juli
1972. Dem Bericht ist insbesondere zu entnehmen, dass die Raumverhältnisse
im Betriebe des Beklagten gegen geltende Schutzvorschriften verstossen,
weil ein freies und ungehindertes Bewegen zwischen den Werkbänken und
Maschinen nicht gewährleistet, die Sicherheit der Arbeitenden vielmehr
ernsthaft in Frage gestellt ist. Nach einer weiteren Feststellung des
Obergerichts haben sich die Verhältnisse vor allem dadurch verschlimmert,
dass die Maschinen zum Zersägen von Gussblöcken erheblich vergrössert
werden mussten.

    Diese Umstände lassen den behaupteten Eigenbedarf des Beklagten
aber als begründet erscheinen. Der Kläger versucht dies freilich auch
mit dem Einwand zu bestreiten, der Bedarf des Beklagten sei entgegen
der Annahme des Obergerichts nicht dringlich, zumal der Beklagte den
bestehenden Zustand seit Beginn des Mietverhältnisses gekannt und in
Kauf genommen habe. Die Vorinstanz führt in der Tat aus, der Eigenbedarf
müsse nicht bloss ernstlich und aus triftigen Gründen gegeben sein,
sondern setze zudem voraus, "dass das behauptete Bedürfnis nach Übernahme
der vermieteten Räumlichkeiten auf den Kündigungstermin auch dringlich
sei". Darunter sei eine "betriebliche Zwangslage" zu verstehen, die aber
"nicht existenzgefährdend zu sein brauche".

    Dass der Eigenbedarf auch dringlich sein müsse, ist dem neuen Recht
(Art. 267a ff. OR) indes nicht zu entnehmen. Es geht daher nicht an,
dieses Erfordernis aus der Rechtsprechung (BGE 73 I 174/5, 74 I 4) zu dem
nunmehr aufgehobenen Mietnotrecht ableiten zu wollen. Eine betriebliche
Zwangslage, die aber nicht existenzgefährdend sein müsse, ist übrigens
eine derart unbestimmte Umschreibung, dass sie als weitere Voraussetzung
des Eigenbedarfs nicht taugt. Für den Begriff des Eigenbedarfs im Sinne
von Art. 267 c lit. c OR genügt, dass der Vermieter ernsthafte, nach den
Umständen einleuchtende Gründe dafür hat, die vermieteten Räume für sich,
nahe Verwandte oder Verschwägerte zu beanspruchen (BGE 98 II 108 Erw. b
am Ende).