Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 II 34



99 II 34

6. Urteil der II. Zivilabteilung vom 1. Februar 1973 i.S. Schweizer gegen
Zuber. Regeste

    Untergang des Faustpfandrechtes (Art. 888 ZGB).

    Der Besitz an der Pfandsache bildet Bedingung für die Begründung und
die Aufrechterhaltung des Pfandrechtes. Die Rückgabe der Sache an den
Verpfänder führt in der Regel zum Untergang des Pfandrechtes. Art. 888
Abs. 2 ZGB enthält eine Ausnahmeregelung und ist deshalb eng auszulegen.

Sachverhalt

    A.-- Walter Schweizer war Eigentümer zweier Inhaberschuldbriefe à
nominell je Fr. 45'000.--, die im 2. Rang auf seinem Grundstück in der
Chlupfwiese, Oberweningen/ZH lasteten. Ende Oktober 1968 beauftragte
er Rudolf Huber, dieses Grundstück zu veräussern und die beiden
Schuldbriefe, die er ihm anvertraute, abzulösen. Huber trat jedoch die
beiden Schuldbriefe "zur Belehnung" dem Rudolf Weiss ab. Rudolf Weiss
seinerseits übergab die Schuldbriefe Dr. Walter Zuber zur Sicherstellung
eines Darlehens in der Höhe von Fr. 44'000.--. Am 18. Dezember 1968
schlossen Rudolf Weiss und Dr. Zuber eine Vereinbarung, wonach der
Faustpfandgläubiger dem Verpfänder einen der beiden Schuldbriefe "zu
treuen Handen" zurückgab, damit der Verpfänder gewisse Handelsgeschäfte
tätige. Weiss verpflichtete sich ausdrücklich, den übergebenen Schuldbrief
unverzüglich wieder Dr. Zuber zurückzugeben, sofern sich die Geschäfte
bis spätestens Mitte Januar 1969 nicht realisieren liessen. Weiss nahm
überdies zur Kenntnis, dass ein Nichteinhalten der getroffenen Abmachung
strafrechtliche Folgen nach sich ziehen würde. Da die Geschäfte nicht
zustande kamen, forderte Dr. Zuber Mitte Januar 1969 die Rückgabe
des Schuldbriefes. Nach mehreren fruchtlosen Mahnungen gab Weiss den
Schuldbrief am 24. Juni 1969 zurück. Am 11. Juli 1969 wurde das Grundstück
des Walter Schweizer auf dem Wege der Zwangsvollstreckung verwertet. Auf
die Schuldbriefe im 2. Rang entfielen Fr. 60'276.30, die Dr. Zuber am
29. Januar 1970 ausbezahlt wurden.

    B.- Klageweise verlangte Walter Schweizer in der Folge von Dr. Zuber
die Hälfte des diesem ausbezahlten Verwertungserlöses. Er machte
geltend, mit der Übergabe des Schuldbriefes am 18. Dezember 1968 sei das
Pfandrecht Dr. Zubers an diesem Schuldbrief untergegangen. Da er Mitte
Juni 1969 Dr. Zuber darauf aufmerksam gemacht habe, dass Rudolf Huber
unberechtigterweise über die Schuldbriefe verfügt habe, habe Dr. Zuber
mangels guten Glaubens am 24. Juni 1969 kein gültiges Pfandrecht mehr
begründen können. Der Verwertungserlös aus diesem Schuldbrief stehe daher
nicht Dr. Zuber, sondern ihm zu.

    C.- Sowohl das Kantonsgericht als auch das Obergericht des Kantons
Nidwalden wiesen das Begehren des Klägers ab. Beide Instanzen nahmen
an, da der Beklagte den Schuldbrief dem Rudolf Weiss nur vorübergehend
habe überlassen wollen, sei das Pfandrecht mit der Übergabe des
Schuldbriefes nicht untergegangen, sondern habe während der Zeit, in
der Weiss über den Schuldbrief habe verfügen können, lediglich keine
Wirkungen entfaltet. Sobald der Beklagte den Schuldbrief jedoch wieder
zurückerhalten habe, sei das Pfandrecht wieder in Kraft getreten.

    D.- Gegen das Urteil des Obergerichtes des Kantons Nidwalden hat
der Kläger Berufung an das Bundesgericht erklärt. Er beantragt, das
angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage gutzuheissen. In seiner
Berufungsantwort stellt der Beklagte den Antrag, die Berufung sei
abzuweisen und das obergerichtliche Urteil zu bestätigen.

    E.- Die II. Zivilabteilung bewilligte dem Kläger am 13.  November
1972 die unentgeltliche Prozessführung und bestellte dessen Vertreter
als Armenanwalt.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 884 ZBG kann Fahrnis nur dadurch verpfändet werden, dass
dem Pfandgläubiger der Besitz an der Pfandsache übertragen wird. Solange
der Verpfänder die ausschliessliche Gewalt über die Sache behält,
ist das Pfandrecht nicht begründet. Das Faustpfandrecht geht unter,
sobald der Gläubiger die Pfandsache nicht mehr besitzt und sie auch vom
dritten Besitzer nicht zurückverlangen kann (Art. 888 Abs. 1 ZGB). Die
bedingungslose Rückgabe der Pfandsache an den Verpfänder muss demnach
den Untergang des Pfandrechtes nach sich ziehen. Demgegenüber bestimmt
jedoch Art. 888 Abs. 2 ZGB, das Pfandrecht habe keine Wirkung, solange
sich das Pfand mit Willen des Gläubigers in der ausschliesslichen Gewalt
des Verpfänders befinde.

    Über die rechtliche Bedeutung des Art. 888 Abs. 2 ZGB bestehen
verschiedene Auffassungen. Nach LEEMANN (N. 12 zu Art. 888 ZGB)
bestimmt sich das Schicksal des Pfandrechtes allein nach dem Zweck
der Rückgabe. Ist darin ein Verzicht auf das Pfandrecht zu erblicken,
so geht es unter. Selbst eine Abmachung unter den Parteien, wonach
das Pfandrecht weiterbestehen soll, vermag daran nichts zu ändern
(N. 14 zu Art. 888 ZGB). HAFFTER (Das Fahrnispfandrecht und andere
sachenrechtliche Sicherungsgeschäfte, Diss. Bern, 1928, insbes. S. 42)
scheint immer Unwirksamkeit des Pfandrechtes anzunehmen, wenn sich die
Pfandsache mit dem Willen des Pfandgläubigers beim Verpfänder befindet;
einen Untergangsgrund sieht er darin nicht. OFTINGER hingegen (N. 207-209
zu Art. 884 und N. 22 und 23 zu Art. 888 ZGB) vertritt die Ansicht,
nur eine vorübergehende Überlassung des Pfandes an den Verpfänder falle
unter Art. 888 Abs. 2 ZGB; normalerweise führe die Rückgabe der Pfandsache
an den Verpfänder zum Untergang des Pfandrechtes. Die bundesgerichtliche
Rechtsprechung scheint seit langem von dieser Auffassung geprägt zu sein
(vgl. BGE 72 II 354/355, 80 II 238, 89 II 319).

    Die gesetzliche Regelung des Faustpfandrechtes will einerseits
verhindern, dass der Schuldner sich mit Sachen umgibt, die ihm
wirtschaftlich nicht mehr gehören, und so den Anschein einer kreditwürdigen
Person erweckt (vgl. BGE 43 II 22); andererseits will sie verunmöglichen,
dass der Schuldner weiterhin über das Pfand verfügen und das Pfandrecht
des Gläubigers illusorisch machen kann (vgl. OFTINGER, N. 197-199 zu
Art. 884 ZGB und HAFFTER, aaO, S. 37). Deshalb bildet der Besitz an
der Pfandsache Bedingung für die Begründung und die Aufrechterhaltung
des Pfandrechtes (vgl. Art. 888 Abs. 1 ZGB, OFTINGER, N. 21 und 22 zu
Art. 888 ZGB und TUOR/JÄGGI/SCHNYDER, Das schweizerische Zivilgesetzbuch,
8. Aufl. Zürich 1968, S. 646). Die Rückgabe der Sache an den Verpfänder
muss daher in der Regel zum Untergang des Pfandrechtes führen. Nur eine
Übergabe mit der bedingungslosen Verpflichtung, die Sache innert kurzer
Frist wieder zurückzugeben, kann die in Art. 888 Abs. 2 ZGB vorgesehene
Wirkungslosigkeit des Pfandrechtes nach sich ziehen. So dürfte ein
Pfandrecht mcht erlöschen, wenn dem Verpfänder während kurzer Zeit die
ausschliessliche Gewalt über die Pfandsache eingeräumt wird, um die
zu ihrer Erhaltung oder Aufbewahrung notwendigen Arbeiten vorzunehmen
(vgl. BGE 80 II 238) oder um Teile der Pfandsache beim sog. Raumgewahrsam
wegzunehmen oder auszutauschen. Wird dem Verpfänder hingegen das
Recht eingeräumt, über die Pfandsache zu verfügen, so verzichtet der
Pfandgläubiger auf seinen Besitz am Pfand; das Pfandrecht geht unter
(vgl. BGE 89 II 319).

Erwägung 2

    2.- Der Beklagte übergab den Schuldbrief dem Verpfänder Weiss
am 18. Dezember 1968 "zum Zwecke des Ankaufes von Fernsehapparaten und
Radios...". Weiss verpflichtete sich, bis Mitte Januar 1969 entweder die
Darlehensforderung des Beklagten aus dem Erlös der Geräte zu befriedigen
oder den Schuldbrief, falls sich die Geschäfte nicht realisieren lassen
sollten, zurückzugeben. Nachdem der Beklagte den Verpfänder mehrmals
erfolglos gemahnt hatte, erhielt er den Schuldbrief am 24. Juni 1969
zurück.

    Da der Pfandgläubiger dem Verpfänder bei der Übergabe des Schuldbriefes
ausdrücklich das Recht einräumte, diesen zu veräussern, ist in der
Übergabe ein Verzicht auf das Pfandrecht zu erblicken. Überdies müsste
auch in der Dauer der Überlassung ein Untergangsgrund für das Pfandrecht
gesehen werden. Dass der Verpfänder verpflichtet wurde, das Pfand wieder
zurückzugeben, falls sich die Geschäfte nicht realisieren lassen sollten,
war ohne Einfluss auf die Verfügungsbefugnis des Verpfänders und konnte
somit den Untergang des Pfandrechtes nicht verhindern. Aus demselben
Grunde hätte auch eine bloss fiduziarische Übertragung des Schuldbriefes,
wie sie vom Beklagten in der Berufungsantwort geltend gemacht wird,
das Erlöschen des Pfandrechtes nicht verhüten können.

    Die Vorinstanz, die zur Abgrenzung von Abs. 1 und Abs. 2 des Art. 888
ZGB auf den Willen des Pfandgläubigers abstellte, trug dem Umstand zu wenig
Rechnung, dass die Begründung und die Fortdauer des Pfandrechtes in erster
Linie vom Besitz der Pfandsache und nicht vom Willen des Pfandgläubigers
abhängig ist. Ihre Auffassung beruht auf einer zu extensiven Auslegung des
Art. 888 Abs. 2 ZGB. Diese Bestimmung, die eine Ausnahmeregelung enthält,
ist eng auszulegen.

Erwägung 3

    3.- Da das am 29. Oktober 1968 errichtete Pfandrecht durch die Übergabe
des Schuldbriefes an Weiss am 18. Dezember 1968 untergegangen ist, kann
der angefochtene Entscheid nicht bestätigt werden. Die Vorinstanz wird
bei der neuen Entscheidung überprüfen müssen, ob das Pfandrecht durch die
Rückgabe des Schuldbriefes am 24. Juni 1969 neu begründet worden ist. Dies
setzt voraus, dass entweder Weiss über den Schuldbrief verfügen durfte
oder dass die Vermutung, der Beklagte sei in diesem Zeitpunkt gutgläubig
gewesen, vom Kläger nicht zerstört werden kann.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Unterwalden nid dem Wald vom 6. Juli 1972 aufgehoben und die Sache
im Sinne der Erwägungen zur Ergänzung der Akten und zu neuer Entscheidung
an die Vorinstanz zurückgewiesen.