Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 II 221



99 II 221

31. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 26. Juni 1973
i.S. Wirth gegen Assicuratrice Italiana. Regeste

    Art. 62 Abs. 1 SVG, Art. 46 Abs. 1 OR; Motorfahrzeughaftpflicht.

    1.  Die Hausfrau hat auch dann einen eigenen Schadenersatzanspruch,
wenn andere Familienangehörige ihr bei Arbeiten helfen, die sie infolge
Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr oder nur noch teilweise
erledigen kann (Erw. 2).

    2.  Einen zusätzlichen Anspruch wegen Verminderung der Erwerbsfähigkeit
hat sie aber nur, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass sie
ohne Unfall einem Erwerb nachgegangen wäre (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Frau Sonja Wirth ist 1936 geboren und seit 1956 mit einem
Bauingenieur verheiratet. Vor der Heirat war sie als Saaltochter tätig;
nachher besorgte sie den Haushalt und half ihrem Ehemann bei Büroarbeiten.

    Am 20. Januar 1963 fuhr sie mit ihrem Ehemann in einem Personenwagen
"Mercedes" von Zug nach Zürich. In Sihlwald musste ihr Mann das Fahrzeug
vor einem Fussgängerstreifen anhalten. Ein nachfolgender Gesellschaftswagen
der Firma G. Winterhalder AG wurde vom Lenker auf der glitschigen Strasse
nicht rechtzeitig gebremst und prallte gegen den "Mercedes". Frau Wirth,
die neben ihrem Manne sass und vom Aufprall offenbar überrascht wurde,
erlitt dabei eine sogenannte Peitschenhiebverletzung, von der insbesondere
ihre Schultergürtelmuskulatur sowie ihre Hals- und Brustwirbelsäule
betroffen wurden. Sie steht seither in ärztlicher Behandlung und muss
sich auch in Zukunft behandeln lassen. Als Hausfrau ist sie allgemein
behindert; ihren früheren Beruf könnte sie nicht mehr ausüben.

    B.- Im November 1970 klagte Frau Wirth gegen die Assicuratrice
Italiana, bei der die Firma Winterhalder für ihre Halterhaftpflicht
versichert war, auf Zahlung von Fr. 450 000.-- nebst 5% Zins seit
20. Januar 1963, wovon bereits geleistete Beträge von insgesamt Fr. 48
000.-- für den seit 1. August 1965 eingetretenen Schaden abzuziehen seien.

    Durch Urteil vom 16. Januar 1973 verpflichtete das Handelsgericht
des Kantons Zürich die Beklagte, der Klägerin zu den schon erbrachten
Leistungen noch insgesamt Fr. 212 988.-- zu bezahlen und den Betrag seit
verschiedenen Verfalldaten mit 5% zu verzinsen.

    C.- Die Klägerin hat gegen dieses Urteil die Berufung erklärt. Sie
beantragt, es aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr Fr. 402
000.-- nebst 5% Zins zu bezahlen.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung teilweise gut und weist die
Sache zu neuer Entscheidung an das Handelsgericht zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Klägerin muss anstrengende Arbeiten im Haushalt, insbesondere
Putzen und Glätten, durch Dritte besorgen lassen. Das Handelsgericht
hat ihr als Entschädigung für diese Nachteile der teilweisen
Arbeitsunfähigkeit, die es auf 35% schätzte, insgesamt Fr. 21 073.--
bis 31. Dezember 1972 und einen kapitalisierten Betrag von Fr. 67 266.--
ab diesem Datum zugesprochen.

    Die Klägerin ist der Auffassung, dass damit der Schaden, den sie durch
die verminderte Arbeitsfähigkeit erleidet, nicht voll. gedeckt ist. Sie
behauptet, ihr Ehemann müsse täglich etwa eine Stunde im Haushalt helfen
und monatlich mindestens 45 Stunden für Einkäufe aufwenden. Das ergebe, die
Stunde zu Fr. 10.- gerechnet, im Monat Fr. 450.--. Da sie zudem oft nicht
kochen könne, müssten sie auswärts essen gehen, was monatliche Mehrkosten
von Fr. 140.-- verursache. Zu berücksichtigen sei ferner, dass sie ihrem
Ehemann im Geschäft und bei der Organisation von Kundeneinladungen nicht
meht helfen könne, wofür Fr. 250.-- im Monat einzusetzen seien. Bis
31. Dezember 1972 ergäben diese Nachteile einen zusätzlichen Schaden
von Fr. 74 760.-- und ab diesem Datum einen kapitalisierten Betrag von
Fr. 203 616.--.

    Das Handelsgericht hat über die Behauptungen der Klägerin nicht
Beweis geführt und ihre Forderungen mit der Begründung abgewiesen,
dass es sich um Reflexschäden des Ehemannes handle, welche die Beklagte
nicht zu ersetzen brauche. Dass er der Ehefrau im Haushalt helfe, weil
sie nicht mehr alle Arbeiten selber verrichten könne, gehöre übrigens zu
den ehelichen Beistandspflichten; solche Hilfe habe er unentgeltlich zu
erbringen. Auch sei es nicht verständlich, dass sie dann, wenn sie wegen
Schmerzen angeblich nicht kochen könne, doch in ein Gasthaus gehen möge;
in einem solchen Falle könne den Eheleuten zugemutet werden, dass sie
sich zuhause etwas Einfaches zubereiten.

    Dass nur der unmittelbar Geschädigte, nicht aber der mittelbar
Betroffene Anspruch auf Schadenersatz hat, trifft an sich zu (BGE 82 II
38 Erw. 4; OSER/SCHÖNENBERGER N. 52 und BECKER N. 115 zu Art. 41 OR;
VON TUHR/SIEGWART, OR Allg. Teil S. 370; OFTINGER, Haftpflichtrecht I
S. 59/60; GUHL/MERZ/KUMMER, OR S. 180). Diese Regel gilt nach der Lehre
und Rechtsprechung jedoch nicht für den Schadenersatzanspruch einer
Hausfrau, die ihre Obliegenheiten infolge des schädigenden Ereignisses
nicht mehr oder nur noch teilweise erfüllen kann (BGE 57 II 102/3, 555/6,
69 II 334 Erw. 3c, 80 II 354, 85 II 357 Erw. 6; OFTINGER, aaO S. 172
Fussnote 104, und STAUFFER/SCHÄTZLE, Barwerttafeln, S. 42/3, je mit
Zitaten). Der Hausfrau steht vielmehr ein eigener Schadenersatzanspruch
zu, dessen Erfüllung nicht mit der Begründung verweigert werden darf,
andere Familienangehörige, insbesondere der Ehemann, verrichteten nun
die sonst ihr obliegenden Arbeiten.

    Das Handelsgericht hat es daher zu Unrecht abgelehnt, über den
daherigen Schaden der Klägerin überhaupt Beweis zu führen. Das ist
umsoweniger zu verstehen, als es der Klägerin durch Beschluss vom
30. November 1971 u.a. den Beweis dafür auferlegt hat, dass sie wegen
ihres Zustandes oft nicht kochen könne und daher mit dem Ehemann auswärts
essen müsse, sowie dass sie Kunden nicht mehr zuhause empfangen könne,
der Ehemann sie vielmehr auswärts einladen müsse. Ebensowenig durfte
das Handelsgericht den Antrag übergehen, es sei auch darüber Beweis zu
erheben, dass der Ehemann monatlich 45 Stunden für Haushaltarbeiten
und Einkäufe aufwenden müsse und dass die Klägerin ihm im Büro nicht
mehr helfen könne. Die Klägerin begründete diesen Antrag insbesondere
damit, früher habe sie für ihren Ehemann schriftliche Arbeiten besorgt,
Pläne in Farben angelegt und Masse nach Materiallisten ausgerechnet.
Bei der Beurteilung des Anspruches, den die Klägerin aus der Mithilfe
im Büro ableitet, kommt entgegen der Annahme des Handelsgerichtes nichts
darauf an, ob sie dafür eine Entschädigung bezogen hat und ob der Ehemann
wegen des Ausfalls ihrer Hilfe seitdem weniger verdient. Es fragt sich
dagegen, ob die Klägerin nicht imstande ist, ihre Tätigkeit im Geschäft
des Ehemannes weiterhin auszuüben. Das Handelsgericht glaubt, das sei in
beschränktem Masse möglich; es stellt über den Umfang dieser Beschränkung
und den daherigen Ausfall an Hilfe aber nichts fest.

    Indem das Handelsgericht die beantragten Beweise der Klägerin überging,
hat es Art. 8 ZGB verletzt. Das Bundesgericht kann dem nicht selber
abhelfen; das angefochtene Urteil muss daher gemäss Art. 64 Abs. 1 OG
aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen werden, damit
sie die angebotenen Beweise abnehme und würdige, den Sachverhalt ergänze
und über die zusätzlichen Forderungen der Klägerin neu entscheide. Wenn
die Behauptungen der Klägerin zutreffen, wird das Handelsgericht dabei
den ziffermässig nicht nachweisbaren Schaden allenfalls gemäss Art. 42
Abs. 2 OR abzuschätzen haben (BGE 98 II 36 Erw. 2 mit Zitaten). Auch
wird es für die Mithilfe des Ehemannes bei Haushaltarbeiten jedenfalls
nicht von Fr. 10.- Stundenlohn ausgehen dürfen; massgebend müsste die
Entschädigung sein, die für eine Aushilfe zu bezahlen wäre.

Erwägung 3

    3.- Die Klägerin macht für die Folgen der teilweisen Invalidität
einen weiteren Schaden von mindestens Fr. 100'000.-- geltend, weil nicht
feststehe, dass sie lebenslänglich vom Ehemann unterstützt werde; Tod
oder Invalidität des Ehemannes und eine Scheidung könnten sie veranlassen,
wie vor der Heirat einem Erwerb nachzugehen, wozu sie aber nicht imstande
wäre. Zu berücksichtigen sei ferner, dass sie eine Stelle hätte annehmen
können, wenn die Ehe auch sonst kinderlos geblieben wäre.

    Die Beklagte hält diese Vorbringen für neu und daher nach Art. 55
Abs. 1 lit. c OG für unzulässig; sie liefen zudem auf eine Änderung der
Klage hinaus. Weder das eine noch das andere trifft zu. Die Klägerin liess
schon in der Klageschrift ausführen, sie müsse als arbeitsunfähig gelten
und könnte als Saaltochter nicht mehr arbeiten, noch ihre frühere Absicht,
ein Kaffeehaus zu übernehmen, ausführen. Als Hausfrau und Sekretärin ihres
Mannes hätte sie jährlich mit mindestens Fr. 20'000.-- Einkommen rechnen
und ein solches auch als Inhaberin eines Kaffeehauses erzielen können; das
ergebe für eine dauernde Arbeitsunfähigkeit von 60% Fr. 301'668.--. Das
Handelsgericht hat diese Vorbringen nicht in den Beweisbeschluss
aufgenommen und sie im Urteil sinngemäss als unerheblich ausgegeben,
weil die Möglichkeit, den Ehemann zu verlieren, nicht berücksichtigt
werden könne; die Mortalitätstabellen beruhten auf Erfahrungstatsachen,
und aussergewöhnliche Möglichkeiten, deren Auswirkungen nicht abzuschätzen
seien, rechtfertigten keine Abweichung von den Tabellen.

    a) Entgegen der Ansicht der Vorinstanz geht es dabei jedoch nicht
darum, den Zahlen der Mortalitäts- oder Invaliditätstabellen, die auf
der schweizerischen Ausscheideordnung beruhen (STAUFFER/SCHÄTZLE, aaO
Tafel 62), andere zu unterstellen; es fragt sich vielmehr, ob die Ehefrau
in Zukunft willens oder gezwungen sein könnte, wieder ins Erwerbsleben
einzutreten, ihren früheren Beruf also wieder aufgenommen hätte oder
sonst einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre, z.B. wegen Wegfall des
Versorgers oder weil sie aus anderen Gründen ihre Arbeitskraft ganz oder
teilweise ausserhalb des Haushaltes hätte einsetzen wollen.

    Das Bundesgericht hat diese Möglichkeit wiederholt berücksichtigt. So
hat es bei einer fünfzigjährigen Hausfrau eine Verminderung der
Erwerbsfähigkeit von 20% angenommen, obwohl die Geschädigte einer reichen
Familie angehört hat und nie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist (BGE
57 II 102 f.). In ähnlicher Weise trug es in BGE 57 II 555/6 dem Umstand
Rechnung, dass eine Hausfrau wegen verminderter Arbeitsfähigkeit künftig
in der Ausübung einer Erwerbstätigkeit behindert sein könnte. In BGE 69
II 334/5 Erw. 3c erklärte es sogar, massgebend für die Schadensberechnung
sei die abstrakte Erwerbstätigkeit, obwohl die Klägerin bei den sehr
guten Einkommensverhältnissen ihres Ehemannes sie tatsächlich nicht
ausnützte. Das Bundesgericht sprach ihr eine Rente zu, weil sie wegen
Verlustes der Beine ihren früheren Beruf als Tanzlehrerin nicht mehr
ausüben könnte. In BGE 80 II 354 sodann sprach es einer 28-jährigen
Büroangestellten, die sich nach dem Unfall verheiratet hatte und ihren
Beruf nicht mehr ausübte, eine Entschädigung von Fr. 15'000.-- zu. Die
Vorinstanz hatte die Entschädigung gestützt auf den früheren Verdienst
der Klägerin auf rund Fr. 20'000.--. bemessen. Das Bundesgericht
bemerkte dazu, die Klägerin könne freilich eines Tages genötigt sein, den
Lebensunterhalt wieder selbst zu verdienen; dass dieser Fall eintrete,
sei jedoch zu ungewiss, um auf den Verdienst der Klägerin zur Zeit des
Unfalles abstellen zu können.

    Im Schrifttum wird ebenfalls die Auffassung vertreten, bei dauernder
Invalidität einer Hausfrau könne die Möglichkeit berücksichtigt werden,
dass sie ohne den Unfall in Zukunft wieder eine Erwerbstätigkeit
ausgeübt hätte (WEISS, Zu Art. 46 OR: Vom Anspruch der lediglich im
Haushalte tätigen Ehefrau auf Entschädigung wegen Arbeitsunfähigkeit,
SJZ 1930/31 S. 109 ff.; GAUTSCHI, Bemerkungen zur Schadensberechnung bei
Körperverletzung nach Art. 46 OR, SJZ 1940/41 S. 118; STAUFFER/SCHÄTZLE,
aaO S. 43; SZÖLLÖSY, Die Berechnung des Invaliditätsschadens,
Diss. St. Gallen 1968, S. 250 mit Fussnote 27).

    b) Die blosse Möglichkeit, dass eine im Haushalt tätige Ehefrau ohne
Unfall später wieder einem Erwerb nachgegangen wäre, genügt indes nicht,
um einen zusätzlichen Anspruch zu begründen. Es müssen vielmehr konkrete
Anhaltspunkte vorliegen, die dies aufgrund der Lebenserfahrung nicht nur
als objektiv möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Davon
kann erst die Rede sein, wenn bestimmte Anzeichen die annähernd sichere
Annahme zulassen, dass die Verletzte wirklich erwerbstätig geworden
wäre. Die hiervor angeführten Urteile, insbesondere BGE 69 II 334/5,
wonach grundsätzlich auf die abstrakte Erwerbstätigkeit abzustellen sei,
lassen dieses Erfordernis vermissen. Sie wurden von STAUFFER/SCHÄTZLE
(aaO S. 43) denn auch als zu weitgehend kritisiert.

    Das Handelsgericht, das die entsprechenden Forderungen der Klägerin
mit unzutreffender Begründung abgewiesen hat, wird zu prüfen haben, ob
für ihre Behauptungen konkrete Anhaltspunkte bestehen und ob darüber,
soweit dies prozessual noch möglich ist, Beweise zu erheben sind. Die
entfernte Möglichkeit einer spätern Scheidung genügt jedenfalls nicht
zur Annahme, die Klägerin werde in Zukunft gezwungen sein, ihren
Lebensunterhalt selbst zu verdienen, abgesehen davon, dass sie sich
bei einer unverschuldeten Scheidung auf Art. 151 und 152 ZGB berufen
könnte. Ähnlich verhält es sich mit der Möglichkeit, dass der Ehemann
vorzeitig sterben oder arbeitsunfähig werden könnte. Er ist heute 44
jährig. Nach der schweizerischen Ausscheideordnung (STAUFFER/SCHÄTZLE,
aaO Tafel 62) beträgt die mathematische Wahrscheinlichkeit, dass er
mit 50, 55 oder 60 Jahren sterben oder invalid werden könnte, etwa 4,
8 oder 15%. Solche Möglichkeiten reichen für sich allein nicht aus, um
einen Anspruch zu begründen. Dass die Klägerin nach Tod oder Invalidität
ihres Ehemannes gezwungen wäre, einem Erwerb nachzugehen, steht übrigens
nicht fest; die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eheleute Wirth
sind nicht bekannt. Ebensowenig genügt die Behauptung der Klägerin, sie
wäre später wieder ins Erwerbsleben eingetreten, wenn die Ehe auch sonst
kinderlos geblieben wäre. Dies gilt umsomehr, als sie nur schwerlich
mit der weitern Behauptung zu vereinbaren ist, die Klägerin habe als
Sekretärin im Geschäft des Ehemannes Aushilfe geleistet. Auch fragt sich,
ob der Einkommensausfall der Klägerin im Falle der Wiederaufnahme eines
Berufes überhaupt grösser wäre als der Betrag, der ihr allenfalls schon
wegen Einbusse von Arbeitsfähigkeit als Hausfrau zusteht.