Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 II 21



99 II 21

4. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. März 1973
i.S. Schulthess gegen Schneilin. Regeste

    Abtretung von Erbanteilen (Art. 635 Abs. 1 ZGB); anwendbares Recht. Die
Abtretung eines angefallenen Erbanteils an einen Miterben untersteht dem
Erbstatut (Erw. 3 a).

    Gerichtsstandsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich vom 15.
Juni 1869.

    Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsstandsvertrags mit Frankreich
bezeichnet nicht nur den für erbrechtliche Klagen zuständigen Richter,
sondern auch das anwendbare Recht (Erw. 3 b).

    Der Vorbehalt des Rechts der gelegenen Sache in Art. 5 Abs. 1 Satz
2 des Gerichtsstandsvertrags findet keine Anwendung auf die Abtretung
von Erbanteilen, auch wenn der Nachlass nur aus Liegenschaften besteht
(Erw. 3 d).

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Albert Schulthess-Lanz von Stäfa ZH verstarb am 12.  Dezember 1955
an seinem Wohnsitz in St. Louis-Bourgfelden im Elsass. Er hinterliess als
gesetzliche Erben seine vier Kinder Albert Schulthess, Max Schulthess,
Jeanne Schneilin-Schulthess und Charles Schulthess. Eine Verfügung von
Todes wegen hatte er nicht getroffen. Der Nachlass besteht hauptsächlich
aus dem Grundstück Kat. Nr. 1/43 in St. Louis-Bourgfelden (Wohnhaus mit
Nebenbauten, Umschwung und Garten im Ausmass von 15,71 a). Eine Erbteilung
hat nie stattgefunden. Jeanne Schneilin-Schulthess liess sich jedoch den
Erbteil ihres Bruders Charles abtreten.

    Streitig ist, was mit dem Erbanteil des Bruders Albert geschehen sei.
Jeanne Schneilin-Schulthess beruft sich auf einen öffentlich beurkundeten
Vertrag vom 26. November 1960, laut welchem ihr Albert seinen Anteil
zum Preise von fFr. 7'600.-- abgetreten habe. Demgegenüber macht Max
Schulthess geltend, er habe diesen Erbteil schon vorher auf Grund einer
mündlichen Vereinbarung erworben.

    B.- Am 25. Oktober 1961 reichte Jeanne Schneilin-Schulthess beim
Tribunal d'Instance de Huningue eine Erbteilungsklage ein, der sich
der Beklagte Max Schulthess mit der Einrede widersetzte, zu ihrer
Beurteilung seien nicht die französischen, sondern die schweizerischen
Gerichte zuständig. Er berief sich dafür auf Art. 5 des Staatsvertrags
zwischen Frankreich und der Schweiz über den Gerichtsstand und die
Vollziehung von Urteilen in Zivilsachen vom 15. Juni 1869. Während das
Tribunal d'Instance de Huningue und das Tribunal de Grande Instance de
Mulhouse die Unzuständigkeitseinrede mit der Begründung verwarfen, es
handle sich ausschliesslich um die Teilung von Liegenschaften, entschied
die Cour d'Appel de Colmar, Première Chambre Civile, mit Urteil vom
30. Oktober 1967 in letzter Instanz, die französischen Gerichte seien zur
Beurteilung der Teilungsklage nicht zuständig, weil diese nicht lediglich
erbrechtliche Ansprüche an Liegenschaften zum Gegenstand habe, sondern
auf die gerichtliche Teilung des Nachlasses als solchen abziele.

    C.- Mit einer am 12. November 1969 beim Friedensrichteramt Stäfa
eingeleiteten Klage gegen ihren Bruder Max Schulthess verlangte
Jeanne Schneilin-Schulthess die Feststellung und Teilung des
Nachlasses. Im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens einigten sich
die Parteien darüber, dass nur noch das Grundstück Kat. Nr. 1/43 in St.
Louis-Bourgfelden zu teilen sei.

    Mit Urteil vom 2. September 1971 erkannte das Bezirksgericht Meilen,
an dem aus der Liegenschaft Kat. Nr. 1/43 bestehenden elterlichen
Nachlass seien die Parteien je zur Hälfte beteiligt. Mit Bezug auf
die streitige Abtretung ging das Gericht davon aus, sowohl nach dem
massgebenden französischen wie nach dem stellvertretend anwendbaren
schweizerischen Recht habe Albert Schulthess dem Beklagten seinen Erbteil
formlos abtreten können. Das sei vor dem 26. November 1960 geschehen, so
dass die an diesem Datum erfolgte Abtretung mittels notarieller Urkunde
an die Klägerin ungültig (gemeint wohl: gegenstandslos) sei. Demzufolge
stehe der Klägerin ihr eigener und der vom Bruder Charles erworbene,
dem Beklagten der eigene und der von Albert erworbene Viertelsanteil
am elterlichen Nachlass zu. Auf den Antrag, die Erbschaft zu teilen,
trat das Gericht nicht ein, weil dies eine Frage sei, die nach Art. 5
des Gerichtsstandsvertrages mit Frankreich dem französischen Recht und
der französischen Gerichtsbarkeit unterstehe.

    D.- Die Klägerin zog dieses Urteil mit Berufung an das Obergericht
des Kantons Zürich weiter mit dem Antrag, es sei ihr am elterlichen
Nachlass ein Anteil von drei Viertel zuzuerkennen. Das Obergericht hiess
die Berufung gut. Es ging im Gegensatz zum Bezirksgericht davon aus,
die Abtretung des Erbanteils von Albert Schulthess unterstehe nach dem
Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich dem schweizerischen Recht. Art. 635
Abs. 1 ZGB schreibe für solche Verträge die Schriftform vor. Die mündliche
Abtretung an den Beklagten sei daher ungültig. Eine rechtsmissbräuchliche
Berufung auf den Formmangel seitens der Klägerin liege nicht vor. Diese
habe den Viertelsanteil von Albert durch den notariellen Vertrag vom
26. November 1960 rechtsgültig erworben. Neben ihrem eigenen Erbteil
stünden ihr damit auch die Anteile ihrer beiden Brüder Albert und
Charles zu.

    E.- Gegen dieses Urteil erklärte der Beklagte die Berufung an das
Bundesgericht mit dem Antrag, es sei festzustellen, dass die Parteien je
zur Hälfte am Nachlass anteilsberechtigt seien. Er macht unter anderem
geltend, das Obergericht habe Art. 5 des Gerichtsstandsvertrags mit
Frankreich verletzt, indem es auf die streitige Abtretung schweizerisches
Recht angewendet habe.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Zunächst ist das auf die Abtretung des Erbanteils anwendbare
Recht zu ermitteln.

    a) Das ZGB behandelt die Verträge unter den Miterben über
angefallene Erbanteile als erbrechtliches Institut (Art. 635 ZGB). Auch
im schweizerischen internationalen Privatrecht sind solche Verträge nach
erbrechtlichen Gesichtspunkten anzuknüpfen. Auf die Abtretung eines
Erbanteils ist daher dasjenige Recht anzuwenden, das die Erbfolge als
solche beherrscht. Nur das Erbstatut kann darüber befinden, ob die Zession
eines Erbteils zulässig sei und welche Rechte am Nachlass sie dem Erwerber
verschaffe (SCHNITZER, Handbuch des internationalen Privatrechts, II, 4.
Aufl. 1958, S. 548).

    Im französischen Recht wird demgegenüber die Abtretung von Erbanteilen
im Rahmen des Kaufrechts geregelt (Art. 1696-1698 code civil). Ob daraus
zu schliessen sei, die Anknüpfung solcher Verträge sei im französischen
internationalen Privatrecht nach schuldrechtlichen Gesichtspunkten
vorzunehmen (so offenbar DALLOZ, Répertoire de droit civil, I, 1951,
S. 619 Nr. 147) kann offen bleiben, da der schweizerische Richter das
anzuknüpfende Rechtsverhältnis nach seinem eigenen Recht zu qualifizieren
hat (BGE 96 II 88, 88 II 472 E. 2 mit Hinweisen).

    b) Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtsstandsvertrags mit Frankreich
vom 15. Juni 1869 (BS 12 S. 347 ff.) sind erbrechtliche Klagen, die den
Nachlass eines in Frankreich verstorbenen Schweizers betreffen, beim
Gericht des Heimatorts des Erblassers anhängig zu machen. Über das dabei
anwendbare materielle Recht spricht sich der Vertrag nicht aus. Es ist
jedoch allgemein anerkannt, dass die Zuständigkeit des Heimatrichters
die Anwendung des Heimatrechts nach sich zieht (BGE 50 I 416; SCHNITZER,
aaO S. 553; VISCHER in Schweiz. Privatrecht I, S. 648; KAMMERER, Die
allgemeinen Grundsätze in Artikel 5 des Staatsvertrages zwischen der
Schweiz und Frankreich, Diss. Zürich 1963, S. 61; entsprechendes gilt für
den Staatsvertrag mit Italien vom 22. Juli 1868; vgl. dazu BGE 98 II 92,
91 II 461, 91 III 24). Da der Vater der Parteien als Schweizerbürger in
Frankreich verstorben ist, untersteht die Erbfolge in seinen Nachlass
demzufolge grundsätzlich dem schweizerischen Recht.

    c) Nach Satz 2 von Art. 5 Abs. 1 des Gerichtsstandsvertrags müssen
indessen für die Teilung und für die Veräusserung von Immobilien (partage,
licitation ou vente des immeubles) die Gesetze des Landes, wo diese liegen,
beobachtet werden. Die Tragweite dieser Bestimmung ist umstritten. Nach
französischer Auffassung ist das Recht der gelegenen Sache entgegen
dem Wortlaut des Vertrags nicht nur für bestimmte Massnahmen, nämlich
für die Teilung der Liegenschaften, vorbehalten, sondern es beherrscht
den gesamten Immobiliarnachlass (Cour de cassation, 4. Juli 1960,
Revue critique de droit international privé 1962, S. 700, kommentiert
von FLATTET; NIBOYET, Traité de droit international privé français, VI/1,
1949, S. 511; PLANIOL/RIPERT, Traité pratique de droit civil français, IV,
1956, S. 54). Das Bundesgericht hatte dagegen ursprünglich erklärt, die lex
rei sitae gelte nur "in bestimmter Richtung" (BGE 11 S. 341) bzw. "sous
certains rapports" (BGE 24 I 311). In BGE 29 I 336 hatte es ausdrücklich
beigefügt, durch die Ausnahmebestimmung hinsichtlich der Liegenschaften
werde weder am Prinzip der Einheit der Erbfolge noch an der Zuständigkeit
des Heimatrichters etwas geändert. In einem späteren Entscheid aus dem
Jahre 1942 rückte es jedoch von dieser engen Auslegung ab und folgerte
aus der Entstehungsgeschichte des Staatsvertrags, die gesamte Erbfolge
in Immobilien unterstehe dem Recht der gelegenen Sache (BGE 68 II 159
ff.). Dies hätte zur Folge, dass der Nachlass wie nach der französischen
Auffassung in Mobilien und Immobilien aufzuspalten wäre und die Erbfolge
zwei verschiedenen Rechtsordnungen unterstünde (sog. Nachlassspaltung; so
SIEGRIST, De la dévolution successorale en application de la convention
franco-suisse du 15 juin 1869, Diss. Neuenburg 1953, S. 69; ESCHER,
Neuere Probleme aus der Rechtsprechung zum französisch-schweizerischen
Gerichtsstandsvertrag, Diss. Zürich 1937, S. 92; FLATTET, L'interprétation
de l'article 5, alinéa 1er de la Convention franco-suisse du 15 juin 1869
dans la jurisprudence française et suisse, JdT 1952, S. 261 f.; KAMMERER,
aaO, S. 70). Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist, braucht indessen
aus den nachstehend aufzuführenden Gründen nicht geprüft zu werden.

    d) Nach schweizerischem Recht, von dem auch in dieser Frage auszugehen
ist, stehen alle Erbschaftsgegenstände bis zur Erbteilung im Gesamteigentum
der Erben (Art. 602 ZGB). Diese können daher über die einzelnen Gegenstände
des Nachlasses nicht verfügen (ESCHER, N. 1 zu Art. 635 ZGB; TUOR/PICENONI,
N. 9 der Vorbemerkungen zu den Art. 602 ff. ZGB). Der Erbanteil gibt dem
einzelnen Erben kein direktes Recht an einem bestimmten Nachlassobjekt,
sondern umfasst lediglich den Anspruch auf Mitwirkung in der Gemeinschaft
und auf Teilung des Nachlasses. Wenn ein Erbe seinen Erbanteil an
einen Miterben veräussert, so verfügt er demzufolge weder über eine
Erbschaftssache noch über einen Anteil an einer solchen, und zwar selbst
dann nicht, wenn der Nachlass aus einer einzigen Liegenschaft besteht. Zwar
vergrössert sich durch die Abtretung der Anteil des erwerbenden Miterben
an der Erbschaft, während sich derjenige des Zedenten entsprechend
verringert. Die Höhe des Erbanteils erlangt aber erst bei der Teilung
der Erbschaft praktische Bedeutung (MEIER-HAYOZ, N. 2 zu Art. 652 ZGB;
TUOR/PICENONI, N. 10 der Vorbemerkungen zu den Art. 602 ff. ZGB; ESCHER,
N. 6 zu Art. 602 ZGB). Die Abtretung eines Erbanteils bewirkt daher im
Resultat nichts anderes, als dass der Miterbe bei der Erbteilung einen
grösseren Anspruch auf das Teilungsergebnis hat. Ein Recht, im Nachlass
befindliche Liegenschaften zugeteilt zu erhalten, wird dadurch weder
geschaffen noch auch nur verstärkt. Alle Erben haben ohne Rücksicht auf
die Grösse ihres Erbteils in gleicher Weise Anspruch auf die einzelnen
Gegenstände der Erbschaft (Art. 610 ZGB), und wenn zwischen ihnen keine
Einigung zustandekommt, so hat eine Losziehung oder ein Verkauf mit Teilung
des Erlöses zu erfolgen (Art. 611/12 ZGB). Unter diesen Umständen besteht
kein Grund, Verträge unter Miterben über angefallene Erbanteile teilweise
dem auf die Erbfolge in Immobilien anwendbaren Recht zu unterstellen,
wenn der Nachlass Liegenschaften enthält.

    Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtsstandsvertrags bezieht sich daher auch
bei weiter Auslegung nicht auf die Abtretung von Erbanteilen. Demzufolge
findet das Recht der gelegenen Sache auf solche Verträge keine Anwendung,
auch wenn die Erbschaft ausschliesslich aus Grundstücken besteht. Dieses
Resultat entspricht auch praktischen Bedürfnissen, müsste es doch zu
grossen Schwierigkeiten führen, wenn ein und dasselbe Rechtsgeschäft nach
zwei verschiedenen Rechtsordnungen zu beurteilen wäre. Zu Recht hat deshalb
das Obergericht im vorliegenden Fall schweizerisches Recht angewendet.

    e) Ob sich der Beklagte hinsichtlich der Form des angeblich mit
seinem Bruder Albert geschlossenen Abtretungsvertrages auf das Recht des
Abschlussortes berufen könnte (so SCHNITZER, aaO, S. 548), kann offen
bleiben, da nach den für das Bundesgericht verbindlichen Ausführungen der
Vorinstanz der Vertrag - wenn überhaupt - in Basel abgeschlossen wurde und
somit ebenfalls schweizerisches Recht anwendbar wäre. Es braucht daher
auch nicht geprüft zu werden, ob das französische Recht die Abtretung
eines Erbanteils wirklich formlos zulasse, wie der Beklagte behauptet.