Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 II 185



99 II 185

27. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 8. März 1973
i.S. Kropf gegen Schweiz. Bundesbahnen Regeste

    Eisenbahnhaftpflicht. Verjährung von Schadenersatzklagen gemäss
Art. 14 Abs. 1 EHG.

    1.  Die ausserhalb des dritten Titels des OR aufgestellten
Verjährungsfristen dürfen vertraglich verlängert werden, sofern die
in Frage stehende Bestimmung nicht ihrem Wesen nach zwingender Natur
ist. Die Frist kann auch dadurch verlängert werden, dass vor ihrem
Ablauf vertraglich oder durch einseitige Erklärung auf die Verjährung
bzw. die Verjährungseinrede verzichtet wird; denn Art. 141 Abs. 1 OR
gilt wie Art. 129 OR nur für die im dritten Titel des OR enthaltenen
Verjährungsfristen (Erw. 2).

    2.  Der vor oder nach Ablauf der Verjährung ausgesprochene Verzicht
auf die Verjährungseinrede hat dieselben Wirkungen wie die vertraglich
vereinbarte Verlängerung der Verjährungsfrist (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Werner Kropf überquerte am Vormittag des 19.  November 1967 mit
einem von ihm gesteuerten Personenwagen in einem Wald bei Fislisbach
einen unbewachten Bahnübergang der SBB. Er stiess dabei mit einem Zug
zusammen und wurde sofort getötet. Als gesetzliche Erben hinterliess er
seine Ehefrau Anna Kropf-Meier und seine Tochter Ruth.

    Mit Schreiben vom 1. April 1969 gelangten die Erben des Verunfallten
erstmals an die SBB. Sie räumten darin ein, dass den Verunfallten
ein erhebliches Verschulden treffe, erachteten aber auch die Bahn als
für einen Teil des Schadens haftbar und fragten deshalb die SBB an,
ob sie grundsätzlich bereit seien, eine Teilhaftung anzuerkennen und
in Vergleichsverhandlungen zu treten. Im Laufe der anschliessenden
Verhandlungen teilten die SBB den Erben des Verunfallten am 12. November
1969 (d.h. eine Woche vor Ablauf der zweijährigen Verjährungsfrist gemäss
Art. 14 Abs. 1 EHG) mit, dass sie "bis Ende Februar 1970 auf die Einrede
der Verjährung verzichten". In der Folge wurde ein Augenschein auf
den 3. März 1970 vereinbart. Mit Brief vom 26. Februar 1970 erklärten
sich die SBB bereit, "bis 31.März 1970 auf die Verjährungseinrede zu
verzichten. Dieser Verzicht erfolgt ohne Präjudiz." Als der Augenschein
wegen ungünstiger Witterung verschoben werden musste, erklärten die SBB
am 31. März 1970, dass sie "bis 31. Mai 1970 auf die Verjährungseinrede
verzichten. Dieser Verzicht erfolgt ohne Präjudiz."

    Am 14. April 1970 fand der fragliche Augenschein statt, wobei die
SBB ihre Haftpflicht ablehnten. Am 21. Mai 1970 liessen die Erben des
Verunfallten den SBB mitteilen, dass sie sich mit der Ablehnung ihrer
Ansprüche nicht zufrieden geben und deshalb ihren Anwalt beauftragt hätten,
ihre Ansprüche auf dem Prozessweg geltend zu machen.

    B.- Am 28. Mai 1970 stellten die Erben des Verunfallten beim
zuständigen Friedensrichteramt in Zürich das Begehren um Durchführung
der Sühnverhandlung. Sie verlangten, dass die SBB verpflichtet werden,
ihnen insgesamt Fr. 82 000.-- (der Ehefrau Fr. 59 000.-- und der Tochter
Fr. 23 000.--) nebst 5% Zins seit 19. November 1967 zu zahlen.

    Am 29. Mai 1970 erliess der Friedensrichter die Vorladung zur
Sühnverhandlung auf den 5. Juni 1970. Mit Klageschrift vom 1. Februar
1972 machte der Vertreter der Klägerinnen den Prozess beim Bezirksgericht
Zürich anhängig. Die Beklagten erhoben in der Klageantwort die Einrede
der Verjährung.

    Das Bezirksgericht Zürich und das Obergericht des Kantons Zürich
wiesen die Klage wegen Eintrittes der Verjährung ab, letzteres mit
Urteil vom 5. Oktober 1972. Zur Begründung führte das Obergericht
im wesentlichen folgendes aus: Die Parteien hätten nicht eine
Verlängerung der Verjährungsfrist des Art. 14 EHG, sondern "eindeutig
nur einen zeitlich beschränkten Verzicht auf die Verjährungseinrede
vereinbart". Der klägerische Anspruch sei deshalb mit dem Ablauf
der ordentlichen zweijährigen Verjährungsfrist gemäss Art. 14 Abs.
1 EHG am 19. November 1969 verjährt gewesen. Die Beklagten hätten bis
31. Mai 1970 nur darauf verzichtet, den Klägerinnen die eingetretene
Verjährung entgegenzuhalten. Mit der Vorladung zum Sühnversuch sei die
Verjährung nicht unterbrochen worden; denn in diesem Zeitpunkt sei keine
Verjährungsfrist mehr gelaufen, die hätte unterbrochen werden können. Die
Ladung zum Sühnversuch hätte allenfalls dann genügt, die Beklagten im
Prozess bei ihrer Verzichtserklärung zu behaften, wenn die Klägerinnen sich
im Sühnverfahren auf den Einredeverzicht berufen und hernach die Klage beim
Bezirksgericht rasch anhängig gemacht hätten. Dies sei indessen nicht der
Fall. Der Verzicht auf die Verjährungseinrede sei erst beim erkennenden
Richter zur Sprache gekommen, d.h. annähernd zwei Jahre nach Ablauf der von
den Beklagten gesetzten Frist. Im vorliegenden Fall wäre den Klägerinnen
umso eher zuzumuten gewesen, innert dieser Frist Klage beim erkennenden
Richter zu erheben, als ihnen bereits beim Augenschein vom 14. April 1970
klar gemacht worden sei, dass keine Aussicht auf eine gütliche Regelung
bestehe. Da die Klage während der für den Einredeverzicht geltenden Frist
nicht beim Bezirksgericht anhängig gemacht worden sei, seien die Beklagten
an ihre Verzichtserklärung nicht mehr gebunden und ihr subjektives Recht,
die Verjährungseinrede zu erheben, lebe wieder auf. Wenn sie von diesem
Recht Gebrauch machen, liege darin kein Rechtsmissbrauch. Die Beklagten
hätten sich die Erhebung der Verjährungseinrede nach dem Ablauf der
Frist vorbehalten und die Klägerinnen nicht an der rechtzeitigen Wahrung
ihrer Rechte gehindert. Die von den Beklagten eingeräumte Frist sei
auch nicht ausgesprochen kurz gewesen, denn nach dem Augenschein vom
14. April 1970 hätten die Klägerinnen etwa sechs Wochen Zeit gehabt,
um beim Bezirksgericht die Klage anhängig zu machen.

    C.- Gegen diesen Entscheid erheben die Klägerinnen Berufung an das
Bundesgericht mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben, die
Verjährungseinrede der Beklagten abzuweisen und die Sache zur materiellen
Beurteilung an das Bezirksgericht zurückzuweisen.

    Die Beklagten beantragen die Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- ...

Erwägung 2

    2.- a) Die durch das Bundesgesetz betreffend die Haftpflicht der
Eisenbahn- und Dampfschiffahrtsunternehmungen und der Post vom 28. März
1905 begründeten Schadenersatzklagen verjähren in zwei Jahren, gerechnet
vom Tage des Unfalles an (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 EHG). Diese Frist ist
nicht eine Verwirkungs-, sondern eine eigentliche Verjährungsfrist (BGE
95 II 267), für deren Stillstand oder Unterbrechung die Bestimmungen des
Obligationenrechts gelten (Art. 14 Abs. 2 EHG).

    Nach Art. 129 OR können "die in diesem Titel aufgestellten
Verjährungsfristen" durch Verfügung der Beteiligten nicht abgeändert
werden. THALMANN (Die Verjährung im Privatversicherungsrecht,
Diss. Zürich 1940 S. 80) vertrat die Meinung, dass dieser Grundsatz
der Unabänderlichkeit schlechthin für alle Verjährungsfristen gelte. Er
blieb mit seiner Ansicht jedoch allein. Die Rechtsprechung und die
herrschende Lehre leiten aus Art. 129 OR durch Umkehrschluss ab, dass
die Verjährungsfristen, welche ausserhalb des dritten Titels des OR
aufgestellt sind, durch Verabredungen geändert werden dürfen, sofern die
betreffende Fristbestimmung nicht ihrem Wesen nach zwingender Natur ist
(BGE 63 II 180; OSER/SCHÖNENBERGER, N. 3 zu Art. 129 OR; SCHWANDER, Die
Verjährung ausservertraglicher und vertraglicher Schadenersatzforderungen,
Diss. Freiburg 1963 S. 3; GRÄMIGER, Der Einfluss des schuldnerischen
Verhaltens auf Verjährungsablaufund Verjährungseinrede, Diss. Zürich 1934
S. 46; NABHOLZ, Verjährung und Verwirkung als Rechtsuntergangsgründe
infolge Zeitablaufs, Diss. Zürich 1958 S. 145; VON TUHR-SIEGWART,
Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, 2. Aufl.,
Bd. II S. 660; BEGUELIN, in Schweizerische juristische Kartothek
Nr. 813 S. 4). Uneinigkeit besteht lediglich hinsichtlich der Frage,
ob diese Verjährungsfristen durch Verabredung nur verkürzt oder auch
verlängert werden dürfen. BEGUELIN, aaO, vertrat die Ansicht, dass sie
vertraglich nicht verlängert werden dürfen, weil eine solche Verlängerung
gleichbedeutend wäre mit einem zum voraus erklärten Verzicht, sich während
der verlängerten Frist auf die Verjährung zu berufen, wodurch das in
Art. 141 OR ausgesprochene Verbot missachtet würde. Gleicher Meinung
war offenbar auch ROSSEL (Manuel du droit fédéral des obligations,
S. 189; vgl. auch THALMANN, aaO). Andere Autoren betrachten dagegen die
vertragliche Erstreckung jener Verjährungsfristen, die ausserhalb des
dritten Titels des OR aufgestellt sind, als zulässig (GRÄMIGER, NABHOLZ
und VON TUHR-SIEGWART, je aaO). Das Bundesgericht schloss sich dieser
letzten Meinung an (BGE 63 II 180). An dieser Auffassung ist festzuhalten.

    Bei der Verlängerung abänderbarer Verjährungsfristen sind die Parteien
allerdings an gewisse Schranken gebunden. Insbesondere ist es nicht
zulässig, die Verjährungsfrist vertraglich unbegrenzt zu verlängern. Die
vertragliche Frist darf vielmehr die ordentliche gesetzliche Frist von
zehn Jahren gemäss Art. 127 OR nicht übersteigen (BGE 56 II 430 unten
und 63 II 180; VON TUHR-SIEGWART, aaO S. 660; NABHOLZ, aaO S. 146).

    Die in Art. 14 Abs. 1 EHG vorgesehene Verjährungsfrist findet sich
nicht im dritten Titel des OR. Sie darf demnach durch Parteivereinbarung
verlängert werden.

    b) Der Eintritt der Verjährung bedeutet nicht den Untergang der
Forderung, sondern nur den Verlust der Möglichkeit, sie gegen den Willen
des Schuldners durchzusetzen. Die Forderung bleibt nach Eintritt der
Verjährung als Naturalobligation, d.h. als eine Forderung bestehen, die
nicht mehr durch Klage erzwingbar ist (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 6 zu Art. 127
bis 142 OR und N. 1 und 2 zu Art. 142 OR; PETERMANN, La prescription
des actions, in schweizerische Versicherungszeitschrift 1959/60 S. 304;
BEGUELIN, aaO S. 5 Ziff. 1; ZR 67 Nr. 23 S. 86/87). Nach Art. 142 OR darf
der Richter die Verjährung nicht von Amtes wegen berücksichtigen. Die
Wirkung der Verjährung tritt also nicht von selbst, sondern nur dann
ein, wenn der Schuldner eine entsprechende Einrede erhebt. Ob er von
diesem ihm durch das Gesetz gegebenen Verteidigungsmittel Gebrauch
machen und die Erfüllung seiner Verpflichtung unter Hinweis auf die
Verjährung verweigern wolle oder nicht, ist ihm und seinem Gewissen
überlassen. Nach der herrschenden Lehre steht es ihm deshalb frei, auf
die Verjährungseinrede zu verzichten (VON TUHR-SIEGWART, aaO S. 673
und NABHOLZ, aaO S. 157). Uneinigkeit besteht in der Lehre lediglich
hinsichtlich der Frage, in welchem Zeitpunkt ein gültiger Verzicht
ausgesprochen werden darf.

    Nach allgemeiner Anschauung ist es zulässig, nach Eintritt der
Verjährung auf deren Geltendmachung zu verzichten. Das war in Art.
159 des alten OR ausdrücklich vorgesehen und ergibt sich auch heute durch
Umkehrschluss aus Art. 141 Abs. 1 OR, wonach auf die Verjährung nicht "zum
voraus" verzichtet werden darf (vgl. dazu den Entscheid des Bundesgerichts,
zitiert in ZR 67 Nr. 23 S. 90, 2. Spalte; OSER-SCHÖNENBERGER und BECKER,
je N. 2 zu Art. 141 OR; NABHOLZ, aaO S. 158; BEGUELIN, aaO S. 5; vgl. dazu
auch STAUDINGER, Kommentar zum BGB, 10. Aufl., N. 3 zu § 225).

    Ob hingegen auch vor Eintritt der Verjährung auf diese verzichtet
werden dürfe, ist fraglich. Art. 141 Abs. 1 OR scheint dies zu verneinen,
wenn er vorschreibt, dass "auf die Verjährung" nicht zum voraus verzichtet
werden könne. Nach dem Zusammenhang ist indessen nicht ganz klar,
ob in Art. 141 Abs. 1 OR die Verjährung als solche oder die blosse
Verjährungseinrede gemeint ist. Die Kommentatoren OSER/SCHÖNENBERGER
und BECKER leiten aus Art. 141 Abs. 1 OR ab, dass ein "Verzicht auf
die Geltendmachung der Verjährung" vor deren Ablauf ausgeschlossen sei
(OSER/SCHÖNENBERGER, N. 1 zu Art. 141 OR; BECKER, N. 2 zu Art. 129 OR). Die
Verjährung kann indessen nur durch eine Einrede geltend gemacht werden.
Daraus könnte geschlossen werden, Art. 141 Abs. 1 OR beziehe sich
nicht auf die eigentliche Verjährung als solche, sondern nur auf die
Verjährungseinrede, und er wolle nur den Verzicht auf diese vor Ablauf
der Verjährungsfrist als unzulässig erklären. Diese Auslegung würde mit
Art. 135 OR übereinstimmen. Der Verzicht auf die Verjährungseinrede vor
Ablauf der Verjährungsfrist stellt nämlich faktisch eine Unterbrechung
der Verjährung dar und geht somit über Art. 135 OR hinaus, der nach der
herrschenden Lehre die Unterbrechungsgründe abschliessend regelt (BECKER,
N. 20 zu Art. 135 OR; THALMANN, aaO S. 78/79; BEGUELIN, Schweizerische
juristische Kartothek Nr. 815 S. 4 Ziff. II).

    BECKER weist jedoch mit Recht darauf hin, dass es nicht befriedigen
könne, wenn man den Verzicht auf die Verjährungseinrede vor Ablauf
der Verjährungsfrist allgemein als unzulässig erkläre. Er führt aus,
oft wolle der Gläubiger während der noch laufenden Verjährungsfrist aus
Prestigegründen oder um Kosten zu vermeiden weder eine Klage noch eine
Betreibung einleiten (d.h. keine Unterbrechungshandlung im Sinne von
Art. 135 Ziff. 2 OR vornehmen) und der Schuldner die von ihm bestrittene
Forderung nicht anerkennen (d.h. die Verjährung nicht im Sinne von Art. 135
Ziff. 1 OR unterbrechen). In solchen Fällen suchten sich die Parteien oft
unmittelbar vor Ablauf der Verjährung durch eine entsprechende Vereinbarung
zu helfen, was zulässig sein müsse. Es müsse den Parteien frei stehen,
durch einen Verzicht auf den bisher abgelaufenen Teil der Verjährung
(d.h. faktisch durch einen vor Ablauf der Verjährung ausgesprochenen
Einredeverzicht) die Anhebung einer Klage zu vermeiden und zu verhüten,
dass der Streit, der vielleicht noch geschlichtet werden könne,
vorzeitig vor Gericht gebracht werde (BECKER, N. 2 zu Art. 129 OR und
N. 3 zu Art. 141 OR). Ähnlich argumentiert PETERMANN (aaO S. 313) unter
Hinweis auf VON TUHR, wobei er hinzufügt, er sehe nicht ein, weshalb das
Gesetz eine solche für alle Beteiligten nützliche Vereinbarung verbieten
sollte. Auch VON TUHR hält fest, dass unter gewissen Umständen trotz des
Wortlautes von Art. 141 Abs. 1 OR auf die Verjährung im voraus verzichtet
werden könne (VON TUHR/SIEGWART, aaO S. 674 unten). Dass ein Schuldner
auf die Anrufung der Verjährung vor deren Ablauf verzichten darf, wird
von BEGUELIN ebenfalls für zulässig gehalten (Schweizerische juristische
Kartothek Nr. 813 S. 6).

    Der Verzicht auf die Einrede der Verjährung vor deren Ablauf findet
jedoch eine Schranke in Art. 129 OR. Wenn einerseits nach Art. 129
OR die "in diesem Titel" aufgestellten Verjährungsbestimmungen nicht
abgeändert werden dürfen, dann dürfen diese Verjährungsfristen auch
nicht faktisch dadurch verlängert werden, dass vor ihrem Ablauf auf die
Verjährung bzw. auf die Geltendmachung der Verjährungseinrede verzichtet
wird. Dürfen anderseits die ausserhalb des dritten Titels des OR
aufgestellten Verjährungsfristen zum vorneherein vertraglich verlängert
werden (siehe Erwägung 2 a), muss es auch zulässig sein, eine solche
Verlängerung dadurch herbeizuführen, dass vor Ablauf der Verjährungsfrist
vertraglich oder durch einseitige Erklärung auf die Verjährung bzw. auf die
Verjährungseinrede verzichtet wird. Art. 141 Abs. 1 OR ist somit in seinem
Wortlaut zu weit gefasst und in dem Sinne einschränkend auszulegen, dass
er gleich wie Art. 129 OR nur für die im dritten Titel des OR aufgestellten
Verjährungsfristen gelten kann, gleichgültig ob er sich auf die Verjährung
als solche oder auf die Verjährungseinrede bezieht.

    c) Nach dem Ausgeführten muss es demnach zulässig sein, vor Ablauf
der Verjährung sowohl die Verjährungsfrist des Art. 14 Abs. 1 EHG durch
Parteivereinbarung zu verlängern wie auch auf die Einrede der Verjährung
zu verzichten. Mit ihrer Erklärung vom 12. November 1969 haben die
Beklagten im vorliegenden Fall vor Ablauf der Verjährungsfrist auf die
Verjährungseinrede verzichtet, während ihre entsprechenden Erklärungen
vom 26. Februar und 31. März 1970 erst nach Ablauf der Verjährungsfrist
erfolgten.

Erwägung 3

    3.- a) Es stellt sich nun die Frage, ob der Verzicht auf die Verjährung
sich in seinen Auswirkungen vom Verzicht auf die Verjährungseinrede
unterscheide. Bei Verzicht auf die Verjährung läuft die Verjährungsfrist
weiter, so dass sie gemäss Art. 135 OR unterbrochen werden kann. Die
Vorinstanz ging im angefochtenen Urteil davon aus, dass der blosse
Verzicht auf die Verjährungseinrede den Ablauf der Verjährungsfrist nicht
hindere, weil er nur einen Verzicht des Schuldners auf ein prozessuales
Verteidigungsmittel darstelle, welcher es dem Gläubiger ermögliche,
seine Forderung trotz eingetretener Verjährung noch durchzusetzen. Ist
die Verjährungsfrist aber abgelaufen, so kann sie trotz Einredeverzichts
nicht mehr durch Handlungen im Sinne von Art. 135 OR unterbrochen werden.

    In der Praxis wird es indessen oft schwierig sein, nachträglich
festzustellen, ob die Parteien die Verjährungsfrist verlängern oder auf
die Verjährungseinrede verzichten wollten, so wenn sie etwa vereinbarten,
die Verjährung oder ihre rechtlichen Folgen bis zu einem bestimmten
Termin "nicht zu berücksichtigen" oder "nicht zu beachten". Aber auch
wenn ausdrücklich auf die Verjährungseinrede verzichtet wird wie im
vorliegenden Fall, ist oft schwer zu beurteilen, ob eine Partei darunter
nicht eine Verlängerung der Verjährungsfrist verstanden habe, zumal
die Verjährungja nur mittels Einrede geltend gemacht werden kann. In
der Literatur wurde deshalb verschiedentlich die Meinung vertreten,
der Verzicht auf die Verjährungseinrede nach bereits eingetretener
Verjährung sei faktisch gleich zu behandeln wie eine während der
Verjährungsfrist vorgenommene Unterbrechungshandlung, d.h. er bewirke
wie diese faktisch eine Verlängerung der Verjährungsfrist. So führt
PETERMANN (aaO S. 313) unter Hinweis auf VON TUHR aus, der Verzicht
des Schuldners auf eine bereits eingetretene Verjährung "équivaut à la
constitution d'une nouvelle dette qui commence à se prescrire à son tour
et immédiatement". Er empfiehlt dem Schuldner, seinen Verzicht auf die
Verjährungseinrede zeitlich zu begrenzen, weil er sich sonst der Gefahr
aussetze, dass eine neue Verjährungsfrist zu laufen beginne, die gleich
lang sei wie die ursprüngliche. Nach HIESTAND (Die Verjährung nach dem
schweizerischen Obligationenrecht, Diss. Zürich 1889 S. 96/97) bewirkt
der Verzicht auf die eingetretene Verjährung, "dass die ganze Sache so
angesehen wird, als sei die Verjährung gar nicht eingetreten". VON TUHR
bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die Verjährung eine Einrede, d.h.
ein Recht des Schuldners sei, zeige sich u.a. darin, dass er auf
die abgelaufene Verjährung verzichten könne. Der Verzicht könne vor
Erhebung der Einrede erfolgen oder nachträglich durch Zurücknahme der
vorgebrachten Verjährungseinrede. Der Verzicht auf die Verjährung habe
denselben Erfolg wie die Begründung einer neuen Schuld. Nachdem die
Verjährung durch Verzicht beseitigt worden sei, beginne für den nunmehr
wieder durchsetzbaren Anspruch eine neue Verjährung (VON TUHR/SIEGWART,
aaO S. 673 f.). VON TUHR setzt damit die Auswirkungen des Verzichts auf
die Verjährung und auf die Verjährungseinrede einander gleich. Auch das
Bundesgericht hat sich dieser Ansicht einmal in einem in ZR 67 Nr. 23
wiedergegebenen Urteil genähert. Es führte aus, der nach Eintritt der
Verjährung ausgesprochene Verzicht auf die Verjährungseinrede habe wie
die in Art. 135 OR vorgesehenen Unterbrechungsgründe die Aufrechterhaltung
der Forderung zum Zweck (ZR 67 S. 90, 2. Spalte).

    Ob mit dem Verzicht auf die Verjährungseinrede eine neue Schuld
begründet werde oder ob die alte Schuld fortbestehe und nur wieder neu
klagbar gemacht werde, kann hier offen bleiben. Jedenfalls bekundet
der Schuldner durch seinen Verzicht auf die Verjährungseinrede sein
Einverständnis damit, dass seine Schuld so angesehen und behandelt wird,
als ob die Verjährung nicht eingetreten oder verlängert worden sei. Im
Interesse der Einfachheit und Klarheit sowie der Verständlichkeit
der Rechtsordnung rechtfertigt es sich daher, die Verlängerung der
Verjährungsfrist und den nachträglichen blossen Verzicht auf die
Verjährungseinrede in ihren Auswirkungen gleich zu behandeln. Kann
aber sogar der nachträgliche Verzicht auf die Verjährungseinrede der
Verlängerung der Verjährungsfrist gleichgesetzt werden, so muss dies
selbstverständlich auch für jene Verzichtserklärung gelten, die schon
vor Ablauf der Verjährungsfrist ausgesprochen worden ist.

    Nach dem Ausgeführten hat somit bei jenen Verjährungsfristen, die
nicht im dritten Titel des OR geregelt sind, der vor oder nach Ablauf der
Verjährung ausgesprochene Verzicht auf die Verjährungseinrede dieselben
Wirkungen wie eine vor oder nach Ablauf der Verjährung vertraglich
vereinbarte Verlängerung der Verjährungsfrist. Es ist in beiden Fällen
so zu halten, wie wenn die Verjährungsfrist weiter laufen würde. Diese
Lösung hat den Vorteil der Einfachheit und Klarheit für sich und ist der
Argumentation der Vorinstanz im angefochtenen Urteil, welche gekünstelt
und kompliziert wirkt, vorzuziehen.

    b) Der von den Beklagten ausgesprochene Verzicht auf die
Verjährungseinrede bewirkte demnach, dass die Verjährungsfrist bis
zum 31. Mai 1970 weiterlief. Die Ladung zum amtlichen Sühnversuch
vom 29. Mai 1970 vermochte somit als eine der in Art. 135 Ziff. 2 OR
ausdrücklich vorgesehenen Handlungen die Verjährung zu unterbrechen,
so dass von diesem Tage an eine neue zweijährige Verjährungsfrist lief
(analog Art. 137 Abs. 1 OR). Innert dieser erstreckten Frist leiteten
die Klägerinnen am 2. Februar 1972 beim Bezirksgericht die vorliegende
Klage ein. Diese wurde demnach rechtzeitig angehoben. Sie durfte mithin
nicht wegen Eintritts der Verjährung abgewiesen werden.

    Wohl warteten die Klägerinnen nach der Sühnverhandlung vom 5. Juni 1970
etwas lange, bis sie am 2. Februar 1972 ihre Klage beim Bezirksgericht
anhängig machten. Dies ändert an der Rechtslage aber nichts. Wenn
die Beklagten Wert auf rasche Erledigung des Falles gelegt hätten,
wäre es ihnen freigestanden, das Provokationsverfahren gemäss § 122 der
Zürcher Zivilprozessordnung einzuleiten und beim zuständigen Gericht zu
beantragen, dass den Klägerinnen eine Frist zur Einleitung der Klage
angesetzt werde unter der Androhung, dass sonst Abstand von der Klage
angenommen würde. Die Berufung ist demnach begründet, und die Sache ist
zur materiellen Behandlung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Zürich (I. Zivilkammer) vom 5. Oktober 1972 aufgehoben und die
Sache zur materiellen Beurteilung an die kantonale Instanz zurückgewiesen.