Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 II 167



99 II 167

24. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. September 1973
i.S. Zeller gegen Bauverein Oekolampad. Regeste

    Erstreckung des Mietverhältnisses. Bei der Berechnung der Frist,
innert der der Mieter gemäss Art. 267a Abs. 3 OR oder nach der dazu
gehörenden Übergangsbestimmung das Erstreckungsbegehren einreichen muss,
ist auch dann auf die gesetzliche Regelung abzustellen, wenn der Vermieter
das Mietverhältnis lange zum voraus kündigt.

Sachverhalt

    A.- Mit Vertrag vom 1. Juli 1965 mietete Fritz Zeller die Liegenschaft
Allschwilerplatz 9 in Basel, wo er insbesondere einen Pneuhandel
betreibt. Das Mietverhältnis galt nach § 12 des Vertrages als fest bis
30. Juni 1972; es konnte unter Einhaltung einer Frist von einem Jahr
erstmals auf Ende Juni 1973 gekündigt werden.

    Am 1. Juli 1970 wurde der Bauverein Oekolampad Eigentümer der
Liegenschaft. Er übernahm den Mietvertrag, kündigte drei Tage später
aber das Mietverhältnis auf den 30. Juni 1973. Am 19. Juli 1972 klagte
Zeller beim Zivilgerichtspräsidenten von Basel-Stadt gegen den Verein
auf Feststellung, dass die Kündigung vom 3. Juli 1970 ungültig sei;
eventuell sei das Mietverhältnis um zwei Jahre zu erstrecken.

    B.- Der Zivilgerichtspräsident wies die Klage am 29.  August 1972
ab. Er hielt die Kündigung des Vereins für gültig und warf dem Kläger
vor, die Frist zur Einreichung des Erstreckungsbegehrens gemäss der
Übergangsbestimmung des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1970 über die Änderung
des OR (Kündigungsbeschränkung im Mietrecht) nicht eingehalten zu haben,
denn diese Frist sei am 18. Januar 1971 abgelaufen.

    Auf Beschwerde des Klägers hob der Ausschuss des Appellationsgerichtes
des Kantons Basel-Stadt dieses Urteil am 26. Oktober 1972 mit Bezug auf
das Erstreckungsbegehren auf und wies die Sache zur neuen Beurteilung an
den Zivilgerichtspräsidenten zurück. Der Ausschuss nahm an, die vorzeitig
erfolgte Kündigung sei gültig, die Frist für das Erstreckungsbegehren
gemäss Art. 267a OR habe aber nicht nach der Übergangsbestimmung der
Novelle, sondern erst mit dem Tage zu laufen begonnen, an dem nach dem
Vertrag spätestens hätte gekündigt werden können, nämlich am 30. Juni
1972. Das Gesuch sei deshalb rechtzeitig eingereicht worden. Man könne
sich sogar fragen, ob nicht Art. 267b OR anwendbar sei, werde doch mit
einer auf Jahre zum voraus ausgesprochenen Kündigung bezweckt, das Ende
des Mietverhältnisses genau festzulegen.

    C.- Als der Zivilgerichtspräsident daraufhin das Mietverhältnis
bis 30. September 1973 erstreckte, beschwerten sich beide Parteien beim
Ausschuss des Appellationsgerichtes. Der Kläger verlangte eine Verlängerung
des Mietverhältnisses bis 30. Juni 1975, der Beklagte dagegen die Abweisung
der Klage. Am 29. März 1973 wies der Ausschuss beide Beschwerden ab.

    D.- Der Kläger hat gegen diesen Entscheid die Berufung erklärt. Er
beantragt, ihn aufzuheben und das Mietverhältnis um zwei Jahre bis 30. Juni
1975 zu erstrecken.

    Der Beklagte hat sich der Berufung angeschlossen. Er beantragt,
die Entscheide des Ausschusses vom 26. Oktober 1972 und 29. März 1973
aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    (1. - Ausführungen darüber, dass der Beklagte mit der Anschlussberufung
den Rückweisungsentscheid des Ausschusses auch noch zusammen mit dessen
Endentscheid anfechten kann.)

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 267a Abs. 3 OG ist das Begehren um Erstreckung des
Mietverhältnisses das erste Mal innert 30 Tagen seit Empfang der Kündigung
bei der richterlichen Behörde anhängig zu machen. Erfolgte die Kündigung
vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes über die Kündigungsbeschränkung
im Mietrecht am 19. Dezember 1970, traten ihre Wirkungen aber erst nach
dem 18. Dezember ein, so lief gemäss der Übergangsbestimmung (Ziff. II
Abs. 2 des Gesetzes) die Frist zur Einreichung des ersten Begehrens vom
19. Dezember an, endigte somit am 18. Januar 1971. Es handelt sich um
eine gesetzliche Verwirkungsfrist, die der Richter nicht verlängern kann.

    Die Vorinstanz hat diese Übergangsbestimmung nicht angewendet,
obschon der vorliegende Fall vom Wortlaut der Bestimmung erfasst
wird. Sie ist der Auffassung, wenn ein Vermieter unbekümmert darum,
dass eine Kündigungsfrist von einem Jahr vereinbart worden sei, schon
viel früher kündige, könne dem Mieter nicht zugemutet werden, auf die
Kündigung hin sogleich ein Erstreckungsverfahren einzuleiten. Denn in
diesem Zeitpunkt könne er seine Lage bei Beendigung des Mietverhältnisses
noch nicht überblicken. Das könne er erst kurz vor Beginn oder mit dem
Beginn der vereinbarten Kündigungsfrist tun. Im vorliegenden Fall sei die
Frist zur Einreichung des Erstreckungsbegehrens daher ab 30. Juni 1972,
an welchem Tag der Vertrag spätestens hätte gekündigt werden können, zu
berechnen. Bei dieser Berechnung sei das Gesuch vom 19. Juli 1972 aber
rechtzeitig gestellt worden.

    a) Dieser Auffassung kann schon deshalb nicht beigepflichtet werden,
weil das Gesetz weder dem Mieter noch dem Vermieter verbietet, das
Kündigungsrecht vorzeitig auszuüben; es schreibt bloss vor, dass die
Kündigungsfrist einzuhalten ist, gleichviel ob die Parteien sich mit
den gesetzlichen Fristen begnügen oder im Vertrag davon abweichen. Die
Kündigung muss spätestens am letzten Tag vor Beginn der Frist beim
Vertragspartner eintreffen, kann folglich nicht zu früh, sondern nur
zu spät abgegeben werden (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 10 zu Art. 267 OR;
BRUNNER, Mietrecht, 2. Auflage S. 553). Im vorliegenden Fall geht die
Vorinstanz denn auch selber davon aus, die Kündigung des Beklagten sei
gültig gewesen, und der Kläger versucht dies in der Berufung mit Recht
nicht mehr zu widerlegen.

    Konnte der Beklagte sein Kündigungsrecht aber schon am 3. Juli 1970
gültig ausüben, so ist nicht zu ersehen, weshalb es sich nach Art. 267a
Abs. 3 OR oder nach der dazu gehörenden Übergangsbestimmung anders
verhalten sollte. Beide Bestimmungen stellen für den Beginn der 30-tägigen
Frist, innert der das erste Erstreckungsbegehren zu stellen ist, auf die
tatsächlich erfolgte Kündigung ab. Nach Art. 267a Abs. 3 ist der Empfang
der Kündigung massgebend und nach der Übergangsbestimmung ist die Frist
zur Einreichung des Begehrens bei Kündigungen, die vor dem 19. Dezember
erfolgten, aber erst nach dem 18. Dezember wirksam werden, einheitlich
vom 19. Dezember 1970 an zu berechnen. Für eine andere Auslegung ist
weder dem Wortlaut der Bestimmungen noch der Entstehungsgeschichte der
Novelle etwas zu entnehmen.

    Die Lösung der Vorinstanz wäre, wie ihre Folgen zeigen, auch sachlich
nicht gerechtfertigt. Sie lässt völlig offen, wann der Richter bei einer
vorzeitigen Kündigung durch den Vermieter statt von deren Empfang, wie das
Gesetz es vorsieht, vom letzten Tag vor Beginn der Kündigungsfrist ausgehen
sollte. In Übergangsfällen liesse sich die Gefahr von Rechtsunsicherheit
und unerwünschten Auswirkungen ebenfalls nicht vermeiden. Man denke nur
an den Fall, wo die Kündigungsfrist drei Monate beträgt, der Vermieter
jedoch ein Jahr zum voraus kündigt. Nach der Auffassung der Vorinstanz
brauchte der Mieter das Erstreckungsgesuch erst am Tage vor Beginn
der Kündigungsfrist einzureichen. Zu diesem Zeitpunkt dürfte aber der
Vermieter über den Mietgegenstand (z.B. eine Wohnung) längst anderweitig
verfügt haben, was zu neuen Auseinandersetzungen führen müsste. Solche
Auswirkungen lassen sich nur vermeiden, wenn auf den Empfang der Kündigung
und in Übergangsfällen auf den 19. Dezember 1970 abgestellt wird.

    b) Dagegen ist auch mit den weiteren Ausführungen der Vorinstanz
nicht aufzukommen.

    Das Mietverhältnis mit dem Kläger galt bis Ende Juni 1972 als fest;
dann konnte es unter Einhaltung einer Frist von einem Jahr auf den 30. Juni
1973 gekündigt werden. Wäre die Kündigung des Beklagten unterblieben,
so hätte der Vertrag gemäss Art. 268 OR als auf unbestimmte Zeit erneuert
zu gelten. Das schliesst eine Anwendung von Art. 276b OR im vorliegenden
Fall aus. Diese Bestimmung setzt voraus, dass die Miete nach bestimmter
Dauer oder auf einen bestimmten Zeitpunkt abläuft, ohne dass es dazu
einer Kündigung bedürfte. Das traf hier nicht zu, da der Vertrag nur
durch Kündigung beendigt werden konnte.

    Der Entwurf des Bundesrates wollte dem Richter in Art. 267a die
Befugnis einräumen, entweder die Kündigung überhaupt aufzuheben oder
das Mietverhälnis um höchstens ein Jahr zu erstrecken (vgl. Botschaft
zur Novelle in BBl 1968 II 849 ff.). Der Gesetzgeber entschied sich für
die Erstreckung, und zwar mit der Beschränkung, dass Mietverhältnisse
für Wohnungen das erste Mal um höchstens ein Jahr, das zweite Mal um
höchstens zwei weitere Jahre, solche für Geschäftsräume das erste Mal um
zwei, das zweite Mal um höchstens drei weitere Jahre verlängert werden
dürfen. Nach Ablauf dieser Fristen hört das Mietverhältnis auf jeden Fall
auf, und der Mieter muss ausziehen. Sinn und Zweck der Verlängerung liegen
offensichtlich darin, dem Mieter für die Suche neuer Mieträume mehr Zeit
einzuräumen, als ihm nach der Kündigungsfrist zur Verfügung stände.

    Das tut aber auch der Vermieter, wenn er lange vor dem letztmöglichen
Tage kündigt. Im vorliegenden Fall geschah dies fast drei Jahre vor der
Auflösung des Mietverhältnisses. Der Käger hatte daher reichlich Zeit,
um neue Geschäftsräume zu suchen. Wenn er befürchtete, bis Ende Juni 1973
keinen Ersatz zu finden, konnte er übrigens vor dem 18. Januar 1971 ein
Erstreckungsgesuch einreichen.

    Der Vermieter muss sich darauf verlassen können, dass der Mieter nach
einer Kündigung fristgemäss ein solches Gesuch stellt. Andernfalls darf er
die Kündigung für endgültig halten und die notwendigen Vorkehren treffen,
wenn er die Mieträume z.B. weitervermieten, umbauen, abbrechen und,
wie das hier der Fall ist, auf dem Grundstück einen Neubau errichten
will. Dass ein Mieter im Falle einer vorzeitigen Kündigung durch
den Vermieter die Möglichkeit, bei Beendigung des Mietverhältnisses
neue Räume zu finden, nicht zuverlässig beurteilen kann, enthebt
ihn nicht der Pflicht, innert der vom Gesetz vorgesehenen Frist ein
Erstreckungsbegehren einzureichen. Bietet diese Beurteilung auch dem
Richter Schwierigkeiten, weil der Vermieter lange zum voraus gekündigt
hat, so kann er das Erstreckungsverfahren einstweilen einstellen oder
sich mit einer kurzfristigen Erstreckung begnügen. Im einem wie in andern
Fall weiss der Vermieter, dass er vorläufig nicht über den Mietgegenstand
verfügen darf. Dagegen geht es nicht an, eine vorzeitige Kündigung durch
den Vermieter zu dessen Nachteil auszulegen, wie die Vorinstanz dies tut.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    1.- Die Berufung des Klägers wird abgewiesen.

    2.- Die Anschlussberufung des Beklagten wird gutgeheissen,
die Entscheide des Ausschusses des Appellationsgerichtes des Kantons
Basel-Stadt vom 26. Oktober 1972 und vom 29. März 1973 werden aufgehoben
und die Klage wird abgewiessen.