Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 III 46



99 III 46

10. Entscheid vom 26. November 1973 i.S. A. Regeste

    Ausstandspflicht des Konkursbeamten; Art. 10 Abs. 1 Ziff. 3 SchKG.

    Der Konkursbeamte, der Vertreter bzw. Organ eines Konkursgläubigers
ist, hat nicht nur beim Erlass derjenigen Verfügungen in den Ausstand zu
treten, die sich direkt auf die Forderung dieses Gläubigers beziehen,
sondern seine Ausstandspflicht erstreckt sich auf das gesamte
Konkursverfahren (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Fürsprech X. ist Vorsteher des Konkursamtes Y. und leitet in
dieser Eigenschaft den Konkurs über den Schuldner A. Dieser stellte am
29. März 1973 das Begehren, Fürsprech X. habe in den Ausstand zu treten
und die zuständige kantonale Instanz um Ernennung eines ausserordentlichen
Stellvertreters zu ersuchen. Zur Begründung führte er an, Fürsprech
X. sei Präsident des Bankrats der Kantonalbank Y., die im vorliegenden
Konkurs Hauptgläubigerin sei. Der ordentliche Stellvertreter, Fürsprech
Z.,.müsse deswegen in den Ausstand treten, weil er mit Fürsprech X. in
Bürogemeinschaft zusammenarbeite.

    Mit Schreiben vom 2. April 1973 wies der Konkursbeamte das
Ausstandsbegehren ab mit der Begründung, er müsse nur dann in den
Ausstand treten, wenn die Kantonalbank Y. durch eine Amtshandlung des
Konkursamtes unmittelbar berührt werde. Dies sei nur bei der Kollokation
ihrer Forderungen der Fall. Die diesbezügliche Verfügung sei aber schon
längst erlassen worden, und zwar von seinem Stellvertreter.

    B.- Das Obergericht Y. als kantonale Aufsichtsbehörde über
Schuldbetreibung und Konkurs wies mit Entscheid vom 16. Mai 1973 eine
hiegegen erhobene Beschwerde ab.

    C.- Mit dem vorliegenden Rekurs an die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts stellt der Schuldner folgende Anträge:

    "1. Der angefochtene Entscheid sei aufzuheben.

    2. Der Konkursbeamte X. sei anzuweisen, gestützt auf Art. 10
Abs. 1 Ziff. 3 SchKG und Art. 6 Abs. 1 KV in Ausstand zu treten und
die zuständige kantonale Instanz um Ernennung eines ausserordentlichen
Stellvertreters zur weiteren Durchführung des Konkurses zu ersuchen."

    Das Obergericht sowie der Konkursbeamte und dessen Stellvertreter
beantragen die Abweisung des Rekurses.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 10 Abs. 1 Ziff. 3 SchKG darf ein Beamter keine
Amtshandlungen vornehmen in Sachen einer Person, deren gesetzlicher
Vertreter, Bevollmächtigter oder Angestellter er ist. Nach Abs. 2 dieser
Bestimmung übermittelt der Betreibungsbeamte, der sich in einem solchen
Fall befindet, ein an ihn gerichtetes Begehren sofort seinem Stellvertreter
und benachrichtigt hievon den Gläubiger. Entgegen seinem Wortlaut bezieht
sich Art. 10 Abs. 2 SchKG auch auf den Konkursbeamten (vgl. z.B. BGE 46
III 77/78). Dies deckt sich mit dem französischen und dem italienischen
Gesetzestext, wo ganz allgemein von "préposé" bzw. "ufficiale" die
Rede ist. Die deutsche Formulierung von Art. 10 Abs. 2 SchKG beruht
offensichtlich auf einem Versehen (JAEGER, N. 10 zu Art. 10 SchKG;
BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes,
S. 52 N. 24).

Erwägung 2

    2.- Die in Art. 10 Abs. 1 Ziff. 3 SchKG vorgesehene Ausstandspflicht
gilt auch für Organe juristischer Personen des privaten wie
des öffentlichen Rechts (BGE 97 III 106 mit weiteren Hinweisen;
JAEGER-DAENIKER, N. 8 zu Art. 10 SchKG). Da Fürsprech X. Präsident
des Bankrats der Kantonalbank Y. ist, welche als Hauptgläubigerin
am vorliegenden Konkurs teilnimmt, so ist er als deren Vertreter
im Sinne der erwähnten Bestimmung zu betrachten. Dass er nicht
einzelzeichnungsberechtigt ist, spielt entgegen seiner Ansicht keine
Rolle. Unerheblich ist auch, dass das kantonale Parlament die gleiche
Person zum Konkursbeamten und zum Bankratspräsidenten gewählt hat, obwohl
vorauszusehen war, dass die Kantonalbank häufig an Konkursverfahren
beteiligt sein würde. Der Umstand, dass nach kantonalem Recht zwischen
den beiden Funktionen keine Unvereinbarkeit besteht, hat nichts zu tun
mit der Frage der Ausstandspflicht gemäss Art. 10 SchKG.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht vertritt die Ansicht, obwohl Fürsprech X. als
Vertreter der Kantonalbank betrachtet werden müsse, habe er nicht für
den ganzen Konkurs in den Ausstand zu treten. Eine Interessenkollision
sei nur hinsichtlich der Kollokation der Forderungen der Bank denkbar. Da
die diesbezügliche Verfügung vom stellvertretenden Konkursbeamten erlassen
worden sei, habe Fürsprech X. die Vorschriften über die Ausstandspflicht
nicht verletzt. Auch nach JAEGER (N. 10 zu Art. 10 SchKG) hat der
Konkursbeamte nicht die Durchführung des gesamten Konkurses seinem
Stellvertreter zu überlassen, wenn er mit einem Konkursgläubiger in der
in Art. 10 Abs. 1 Ziff. 3 SchKG erwähnten Beziehung steht, sondern er
muss nur dann in den Ausstand treten, wenn spezielle Verfügungen über
die Forderung des betreffenden Gläubigers zu erlassen sind.

    Die Bestimmungen über die Ausstandspflicht bezwecken, einen Beamten von
der Vornahme amtlicher Handlungen auszuschliessen, wenn Umstände vorliegen,
die geeignet sind, Zweifel an seiner Unparteilichkeit zu erwecken (BGE 46
III 77). Zwar ist richtig, dass solche Zweifel bei einem Konkursbeamten,
der Vertreter bzw. Organ eines Konkursgläubigers ist, vor allem dann
aufkommen können, wenn Verfügungen zu erlassen sind, die sich direkt auf
die Forderung dieses Gläubigers beziehen, wie z.B. die Kollokation. Eine
Interessenkollision kann indessen auch in andern Fällen bestehen. Der
Konkursbeamte könnte den Gläubiger, den er vertritt, z.B. auch dadurch
bevorzugen, dass er die Forderungen der übrigen Gläubiger abweist. Gewiss
können sich diese mit der Kollokationsklage gegen eine solche Verfügung
wehren; sie sind jedoch bereits dadurch benachteiligt, dass sie gezwungen
sind, vor den Richter zu gelangen. Ist die Forderung des Gläubigers, dessen
Vertreter der Konkursbeamte ist, pfandgesichert, so könnte dieser umgekehrt
versucht sein, Forderungen Dritter zu Unrecht zuzulassen, um langwierige
Kollokationsprozesse zu vermeiden und so das Konkursverfahren abzukürzen.
Ähnlich wie bei der Kollokation verhält es sich, wenn im Sinne von Art. 242
SchKG über Aussonderungsansprüche zu befinden ist. Auch im Stadium der
Verwertung kann es zu Interessenkollisionen kommen; so etwa, wenn der
betreffende Gläubiger eine zur Masse gehörende Sache freihändig erwerben
will. Aus diesen Gründen hat ein Konkursbeamter, der Vertreter bzw. Organ
eines Konkursgläubigers ist, nicht nur in bezug auf einzelne spezielle
Verfügungen als befangen zu gelten. Die Ausstandspflicht muss sich daher
in einem solchen Falle auf das gesamte Konkursverfahren erstrecken. Dies
entspricht auch praktischen Bedürfnissen, wäre es doch unzweckmässig,
wenn in einem Konkurs einzelne Geschäfte vom ordentlichen Konkursbeamten,
andere aber von dessen Stellvertreter vorgenommen werden müssten.

    Die Ausstandspflicht gemäss Art. 10 Abs. 1 SchKG gilt auch für das
Nachlassverfahren (BGE 94 III 60). Fürsprech X. könnte also in einem
solchen Verfahren nicht als Sachwalter amten.

Erwägung 4

    4.- Dass der Stellvertreter des Konkursbeamten, Fürsprech Z., schon
deswegen in den Ausstand treten müsste, weil er mit diesem als Anwalt in
Bürogemeinschaft zusammenarbeitet, ist nicht einzusehen. Selbst wenn ein
ständiger Angestellter des Konkursamtes, der in seiner sonstigen Tätigkeit
dem ordentlichen Konkursbeamten unterstellt ist, als Stellvertreter
fungiert, was häufig der Fall ist, wird angenommen, er verfüge über die
erforderliche Unabhängigkeit, um jenen vertreten zu können. Umso weniger
ist davon auszugehen, es bestehe die Gefahr einer Beeinflussung, wenn der
ordentliche Konkursbeamte und sein Stellvertreter, die ihre Funktionen
nebenamtlich ausüben, in ihrem Hauptberuf als selbständige Anwälte
Kanzleigemeinschaft haben. Besondere Gründe, die im vorliegenden Fall
Fürsprech Z. als befangen erscheinen liessen, wurden nicht vorgebracht.

    Die vom Rekurrenten angeführte standesrechtliche Regel, dass es
einem Anwalt, der mit einem Kollegen in Bürogemeinschaft zusammenarbeite,
untersagt sei, in einem Verfahren die Gegenpartei von dessen Klienten zu
vertreten, hat mit der Frage der Ausstandspflicht des Konkursbeamten
nichts zu tun. Dieser übt ein öffentliches Amt aus; er ist nicht
Interessenvertreter wie der Anwalt.

    Unerheblich ist auch, dass sich der ordentliche und der
stellvertretende Konkursbeamte des gleichen Sachbearbeiters
bedienen. Verantwortlich für die zu treffenden Verfügungen ist
ausschliesslich der Konkursbeamte; das weitere Personal hat unter dessen
Aufsicht lediglich untergeordnete Arbeiten auszuführen. In Fällen,
wo der Stellvertreter Angestellter des Konkursamtes ist, erscheint es
als selbstverständlich, dass ihm die übrigen Hilfspersonen des Amtes
unterstellt sind, wenn er den ordentlichen Konkursbeamten vertreten
muss. Daher kann es nicht unzulässig sein, wenn im vorliegenden Fall der
Sachbearbeiter M. auch für Fürsprech Z. arbeitet.

Entscheid:

         Demnach erkennt die Schuldbetr.- und Konkurskammer:

    Der Rekurs wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid der
kantonalen Aufsichtsbehörde vom 16. Mai 1973 in dem Sinne abgeändert,
dass der Konkursbeamte X. angewiesen wird, im Konkurs A. in den Ausstand
zu treten und das Geschäft seinem ordentlichen Stellvertreter zu übergeben.