Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IB 145



99 Ib 145

18. Urteil der I. Zivilabteilung vom 2. Mai 1973 i.S. Rosenthal AG gegen
Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt. Regeste

    Handelsregister, Art. 80 und 83 Abs. 2 HRegV.

    Die Bestimmungen über die Aktienliberierung durch Verrechnung sind auf
die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln analog anzuwenden (Erw. 1).

    Prüfungsbefugnis des Handelsregisterführers. Kapitalnachweis im
konkreten Fall nicht erbracht (Erw. 2).

    Anforderungen an den Kapitalnachweis (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Generalversammlung der Rosenthal AG beschloss am 30. November
1972, das Aktienkapital von Fr. 125'000.-- auf Fr. 250'000.-- durch
Ausgabe von 1250 Namenaktien zu Fr. 100.-- zu erhöhen, den in der Bilanz
per 31. Dezember 1971 aufgeführten "Reparaturen- und Dispositionsfonds"
aufzulösen und für die Liberierung zu verwenden. Der Beschluss wurde
beurkundet und am 7. Dezember 1972 dem Handelsregisteramt Basel-Stadt
unter Beilage der erwähnten Bilanz zur Eintragung angemeldet. Das
Handelsregisteramt wies am 12. Dezember 1972 die Anmeldung zurück, weil
der Bestand der für die Liberierung erforderlichen Eigenmittel auf den
Tag der Beschlussfassung nicht nachgewiesen sei.

    Eine hiegegen von der Rosenthal AG eingereichte Beschwerde wies das
Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt am 27. Dezember 1972 ab.

    B.- Die Rosenthal AG führt gegen diesen Entscheid
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragt, das Handelsregisteramt
anzuweisen, die Anmeldung über die Erhöhung des Aktienkapitals zur
Eintragung entgegenzunehmen.

    Das kantonale Justizdepartement und das Eidgenössische Justiz- und
Polizeidepartement beantragen in ihren Vernehmlassungen, die Beschwerde
abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Im Gesetz ist nur die Kapitalerhöhung durch Vermehrung des
Gesellschaftsvermögens mittels Ausgabe neuer Aktien, die von den Aktionären
wie bei der Gründung der Gesellschaft zu zeichnen und zu liberieren sind,
ausdrücklich geregelt (Art. 650 - 653 OR). Daneben hat die Praxis die
Kapitalerhöhung ohne Vermehrung des Gesellschaftsvermögens, das heisst
durch Umwandlung freier Eigenmittel - offener Reserven, aufgelöster
stiller Reserven, unverteilter Gewinnbeträge - als zulässig anerkannt
(BGE 46 II 473 ff; SIEGWART, N 3 zu Art. 650 OR; FRITZ VON STEIGER, Das
Recht der Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl. S. 292; derselbe,
Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln nach schweizerischer Doktrin und
Praxis, in Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht
Bd. 118/1955 S. 161 ff; ALFRED WIELAND, Zur Kapitalerhöhung der
Aktiengesellschaft mit und ohne Vermehrung des Gesellschaftsvermögens, SJZ
49 S. 157, 169; SCHUCANY, N 1 zu Art. 650 OR). Die Handelsregisterpraxis
behandelt diesen Vorgang ähnlich der Aktienliberierung durch Verrechnung
mit Forderungen gegen die Gesellschaft nach Massgabe der Art. 80 und 83
Abs. 2 HRegV. Sie verlangt entsprechend, dass die Generalversammlung der
Gesellschaft auf Grund eines beglaubigten Auszuges aus den Geschäftsbüchern
oder einer Bescheinigung einer Urkundsperson feststelle, dass die für die
vorgesehene Kapitalerhöhung nötigen Mittel tatsächlich vorhanden sind
(FRITZ VON STEIGER, Prüfung und Eintragung der Aktiengesellschaft beim
Handelsregister S. 79/80; JACQUEROD/VON STEIGER, Eintragungsmuster für
das Handelsregister; SAG 14 S. 202).

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass Art. 80 HRegV
auf den vorliegenden Fall analog anzuwenden ist. Nach dieser Bestimmung
muss sich aus der öffentlichen Urkunde ergeben, dass und wie der Bestand
der für die Libiererung erforderlichen Gesellschaftsmittel nachgewiesen
worden ist. Wie die Verrechnung Bestand und Fälligkeit der gegenseitigen
Forderungen im Zeitpunkt ihrer Erklärung voraussetzt (vgl. Art. 120 OR),
hängt die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln davon ab, dass die
Gesellschaft am Tage des Generalversammlungsbeschlusses über die Reserven
verfügt, die für die Liberierung der neuen oder im Nennwert zu erhöhenden
Aktien nötig sind. Der Handelsregisterführer muss sich davon überzeugen
können, dass dieser Nachweis tatsächlich erbracht worden ist (vgl. BGE 87
II 179/80). Er darf die Eintragung nicht erst dann verweigern, wenn die
erforderlichen Gesellschaftsmittel "offensichtlich nicht vorhanden sind",
wie das VON ESCHER (Die Erhöhung des Aktienkapitals durch Ausgabe von
Gratisaktien und durch Gratis-Nennwerterhöhung der Aktien, Diss. Zürich
1967, S. 78) annimmt.

    Gemäss öffentlicher Urkunde vom 30. Dezember 1972 stützt die
Generalversammlung der Beschwerdeführerin den Beschluss über die
Kapitalerhöhung und die Feststellung über die für die Liberierung
erforderlichen Eigenmittel einzig auf die Bilanz per 31. Dezember
1971. Diese Bilanz enthält indessen bloss eine wertmässige und summarische
Gegenüberstellung der Aktiven und Passiven auf den genannten Stichtag,
sagt also nichts über allfällige Veränderungen des Gesellschaftsvermögens
bis zum 30. Dezember 1972 aus. Dass sie erst am 17. November 1972
erstellt und offenbar in der Generalversammlung vom 30. November 1972
genehmigt worden ist, ändert am Stichtag nichts. Die öffentliche Urkunde
enthält entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin keine Erklärung
ihres einzigen Verwaltungsrates, dass die in der Bilanz angegebenen
Reserven der Gesellschaft am 30. November 1972 noch zur Verfügung
standen. Sie ist daher bloss als Bescheinigung dafür anzusehen, dass
das Liberierungskapital auf den Bilanzstichtag formell ausgewiesen
war. Zudem bestätigt der verurkundende Notar nicht einmal, er habe
in die Bilanz Einsicht genommen. Das von der Beschwerdeführerin dem
kantonalen Justizdepartement vorgelegte Kontoblatt über den "Reparaturen-
und Dispositionsfonds" belegt sodann nicht mehr als die Bilanz, gibt es
doch lediglich den daraus übernommenen Saldovortrag von Fr. 125'000.--
per 1. Januar 1972 wieder. Im übrigen eignet sich das Kontoblatt für einen
Buchauszug oder eine notarielle Bescheinigung nicht etwa deshalb nicht,
weil es, wie die Beschwerdeführerin meint, keine Gewähr dafür biete, dass
es vollständig nachgeführt sei und im Original vorliege. Es ist nicht zu
vermuten, dass die zuständigen Organe einer Gesellschaft pflichtwidrig
handeln. Entscheidend ist vielmehr, dass das Kontoblatt, auch wenn es die
Entwicklung über längere Zeit aufzeigt, nur einen einzelnen Bilanzposten
auf der Passivseite betrifft (Art. 668 Abs. 1 OR) und daher wenig
auszusagen vermag. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

Erwägung 3

    3.- Es erhebt sich anderseits die in der Beschwerde aufgeworfene
Frage nach den Anforderungen, die an den Kapitalnachweis zu stellen
sind. Das Justizdepartement ist der Meinung, aus einer ordnungsgemäss
geführten Buchhaltung sei leicht ersichtlich, ob die Gesellschaft am Tage
des Kapitalerhöhungsbeschlusses über die erforderlichen Mittel verfüge;
die Urkundsperson habe sich daher selber davon zu überzeugen und die
entsprechende Feststellung zu beurkunden oder darüber einen beglaubigten
Auszug aus den Geschäftsbüchern zu erstellen; falls letzteres wegen
der heutigen Buchführungstechnik (Loseblattsystem) nicht möglich sei,
könne immer noch rechtzeitig eine Zwischenbilanz auf den Tag des
Generalversammlungsbeschlusses erstellt werden. Diese Argumentation
trifft nicht zu. Die Aufstellung einer Zwischenbilanz erfordert, was
das Justizdepartement selber anerkennt, einen grösseren Aufwand als die
Ausfertigung eines beglaubigten Buchauszuges. Ist es aber nicht möglich,
einen Buchauszug fristgerecht beizubringen, so gilt das erst recht für die
Zwischenbilanz. Diese kann zudem sowenig wie der beglaubigte Buchauszug auf
einen künftigen Stichtag, sondern frühestens am Stichtag selber erstellt
werden. Ob das möglich sei, hängt vom Arbeitsaufwand im Einzelfall ab.
Zumindest für eine Zwischenbilanz ist es wohl für jede Gesellschaft von
etwelcher wirtschaftlichen Bedeutung zu verneinen. Es ginge daher zu
weit, in jedem Fall, unabhängig von Art und Grösse des Unternehmens,
eine auf den Stichtag gezogene Zwischenbilanz als Kapitalnachweis zu
verlangen. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich als Beweis im Sinne des
Art. 80 HRegV nicht eignen würde. Denkbar wäre auch, dass die Verwaltung
auf das nächst mögliche Datum vor dem Beschluss der Generalversammlung
über die Kapitalerhöhung eine Zwischenbilanz erstellt und erklärt, dass
die umzuwandelnden Eigenmittel der Gesellschaft fortgesetzt zur Verfügung
stehen. Entgegen der im angefochtenen Entscheid geteilten Auffassung
des kantonalen Handelsregisteramtes genügt eine solche Erklärung. Denn
die Verwaltung steht unter gesellschaftsrechtlicher Verantwortlichkeit
(Art. 752 ff. OR), und auf ihre Angaben muss - wie bei der Kapitalerhöhung
mit Vermehrung des Gesellschaftsvermögens (vgl. Art. 650 Abs. 2 OR)
- abgestellt werden können. Dieselbe Überlegung gilt auch für den
beglaubigten Buchauszug, sofern er aus objektiven Gründen, das heisst wegen
Art und Umfang des Unternehmens nicht am Stichtag selber ausgefertigt
werden kann. Sodann kann als Nachweis im Sinne des Art. 80 HRegV ein
sog. Status in Frage kommen, das heisst ein auf den Bewertungen der letzten
Bilanz beruhender Ausweis über den Vermögensstand (Aktiven und Passiven)
der Gesellschaft an einem bestimmten Datum. Er dürfte sich aus einer
ordnungsgemäss geführten Buchhaltung auch eher als eine Zwischenbilanz für
den Gebrauch am Stichtag selber aufnehmen lassen, sei es als Buchauszug
oder als Gegenstand einer Bescheinigung. Praktisch wird ohnehin beides
zusammenfallen, da die Urkundsperson für die Beglaubigung des Auszugs
selber kontrollieren, für die Bescheinigung selber erheben muss.

    Möglicherweise gibt es noch andere Formen für Buchauszug und
Bescheinigung. Sicher können nicht alle Gesellschaften ungeachtet ihrer
Eigenart und Grösse in dasselbe Schema eingeordnet werden. Es hängt von
den Umständen des Einzelfalles ab, was als Nachweis im Sinne von Art. 80
HRegV verlangt werden kann und darf.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.