Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IB 112



99 Ib 112

13. Urteil vom 12. März 1973 i.S. Schneider gegen den Präsidenten der
Eidg. Schätzungskommission des 8. Kreises. Regeste

    Art. 50 EntG, Art. 26 ff. VwG; Gutachten des Präsidenten der Eidg.
Schätzungskommission, Recht auf Akteneinsicht.

    Bedeutung und Inhalt des Gutachtens, das der Präsident der
Schätzungskommission dem zur Behandlung der Einsprachen zuständigen
Departement erstattet. Das Recht der Parteien, dieses Gutachten einzusehen,
richtet sich nach Art. 26 ff. VwG und ist beim Departement geltend
zu machen.

Sachverhalt

    In einem von den Schweizerischen Bundesbahnen (Kreis III)
gegen Rudolf Schneider eingeleiteten Enteignungsverfahren stellte
der Präsident der Eidgenössischen Schätzungskommission (ESchK) des
8. Kreises die Akten nach der Einigungsverhandlung dem Eidg. Verkehrs-
und Energiewirtschaftsdepartement (EVED) zu, damit dieses über die
streitig gebliebene Einsprache entscheide; gleichzeitig übermittelte er
dem EVED sein Gutachten über die Angelegenheit (Art. 50 EntG). In der
Folge ersuchte Schneider den Präsidenten der ESchK mit zwei Schreiben
vom 11. Januar und vom 23. Februar 1973, ihm das erwähnte Gutachten
zur Einsicht zuzustellen. Mit Verfügung vom 28. Februar 1973 wies der
Präsident der ESchK das Begehren jedoch ab.

    Schneider führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde wegen formeller
Rechtsverweigerung und beantragt, den Präsidenten der ESchK zur Herausgabe
des erwähnten Gutachtens zu verhalten.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Nach Art. 87 EntG (in der Fassung vom 20. Juni 1930) konnte wegen einer
Rechtsverweigerung seitens der ESchK oder ihres Präsidenten jederzeit beim
Bundesgericht Beschwerde geführt werden. Mit der Revision des EntG vom 18.
März 1971 (AS 1972 S. 911) wurde diese Vorschrift jedoch mit Rücksicht auf
Art. 97 ff. des revidierten BG über die Organisation der Bundesrechtspflege
(OG; SR 173.110) aufgehoben (vgl. Botschaft vom 20. Mai 1970, BBl 1970 I S.
1017). Die Rüge der formellen Rechtsverweigerung kann gegenüber der ESchK
oder ihrem Präsidenten grundsätzlich mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde
erhoben werden. Auf die Beschwerde, die sich gegen eine Verfügung im Sinne
von Art. 5 VwG richtet, ist daher einzutreten, zumal das EntG sie für den
vorliegenden Fall nicht ausschliesst und keine der in Art. 99 bis 102 OG
genannten Ausnahmen gegeben ist.

    Nach Abschluss des Einigungsverfahrens (Art. 45 ff. EntG) übermittelt
der Präsident der ESchK die streitig gebliebenen Einsprachen gegen
die Enteignung und Begehren nach den Art. 7 bis 10 EntG dem in der
Sache zuständigen Departement; dabei kann er ein Gutachten beifügen
(Art. 50 EntG; vgl. HESS, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 5
zu Art. 50 EntG). Über den Inhalt dieses "Gutachtens" enthält das
Gesetz keine Vorschriften, und auch die Frage, ob und gegebenenfalls
wann es den Parteien bekannt gegeben werden muss, ist darin nicht
ausdrücklich geregelt. Wie es sich damit verhält, ist durch Auslegung
zu ermitteln. Dabei ist das Bundesgericht befugt, den Präsidenten der
ESchK gestützt auf das ihm zustehende Aufsichtsrecht in Enteignungssachen
Weisungen zu erteilen (Art. 63 Satz 3 EntG; vgl. BGE 94 I 297 Erw. 5).

    Die Übermittlung der Akten an das zuständige Departement schliesst
das Einigungsverfahren ab. Sie bezweckt unter anderem, der zur
Beurteilung der Einsprachen zuständigen Behörde die bereits vorhandenen
Entscheidungsunterlagen zugänglich zu machen. Namentlich in umfangreicheren
Enteignungsstreitigkeiten soll das erwähnte Gutachten deshalb in erster
Linie einen Bericht über den bisherigen Verlauf des Verfahrens enthalten
und Auskunft über die noch hängigen Streitfragen geben. Der Präsident
der ESchK soll darin angeben, welche Einsprecher am Verfahren beteiligt
sind, welche Grundstücke von der Enteignung betroffen und welche Begehren
gestellt werden. Sein Gutachten soll demnach vor allem die Instruktion
des vor dem Departement hängigen Einspracheverfahrens erleichtern und
unerwünschte Verzögerungen vermeiden helfen. Darüberer hinaus steht es dem
Präsidenten der ESchK jedoch frei, die einzelnen Einsprachevorbringen zu
würdigen und dem Departement seine Auffassung dazu bekannt zu geben. Ebenso
kann er diesem seine allfällig an Ort und Stelle gewonnenen Eindrücke
von den tatsächlichen Verhältnissen schildern. Mit Rücksicht auf den
Stand des Verfahrens ist er indessen nicht verpflichtet, sein Gutachten
den Parteien zur Einsichtnahme zuzustellen. Legen diese Wert darauf, von
den Ausführungen des Präsidenten Kenntnis zu nehmen, so können sie vor dem
Departement nach Massgabe von Art. 26 ff. VwG Akteneinsicht verlangen. Je
nach dem Inhalt des Gutachtens ist das Departement im übrigen verpflichtet,
den Parteien gemäss Art. 29 ff. VwG das rechtliche Gehör zu gewähren.

    Der Präsident des 8. Schätzungskreises machte sich deshalb keiner
Bundesrechtsverletzung schuldig, wenn er es im vorliegenden Fall ablehnte,
dem Beschwerdeführer seinen gestützt auf Art. 50 EntG erstatteten Bericht
zuzustellen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.