Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IA 712



99 Ia 712

82. Auszug aus dem Urteil vom 19. Dezember 1973 i.S. AG Grand Hotels
Engadiner Kulm gegen Gemeinde St. Moritz und Verwaltungsgericht des
Kantons Graubünden. Regeste

    Art. 4 und 22ter BV; Zonenplanung.

    Rechtsschutz des Grundeigentümers bei der Revision von Zonenplänen
und Zonenvorschriften. Herabsetzung der Ausnützungsziffer.

Sachverhalt

    Am 7. März 1971 nahmen die Stimmbürger der Gemeinde St. Moritz
u.a. eine neue Bauordnung und einen revidierten Zonenplan an, die von der
Regierung des Kantons Graubünden genehmigt wurden. Nachdem die AG Grand
Hotels Engadiner Kulm den Zonenplan erfolglos beim Verwaltungsgericht
des Kantons Graubünden angefochten hatte, führt sie wegen Verletzung von
Art. 4 und 22ter BV staatsrechtliche Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Der revidierte Zonenplan vom 7. März 1971 belässt die Parzellen
1694, 926, 1665 und 1684, deren Zoneneinteilung hier streitig ist, wie
bis anhin in der Villenzone. Die Beschwerdeführerin ist jedoch durch
die Revision des Zonenplanes und die gleichzeitig beschlossene neue
Bauordnung (nBO) insoweit berührt, als die bisherigen Vorschriften in der
Villenzone eine maximale Ausnützung von 0,4 erlaubten, währenddem Art. 22
Abs. 1 nBO die Ausnützungsziffer nunmehr auf 0,2 festsetzt. Nach Art. 21
Abs. 4 nBO sind Hotelbauten in allen Zonen, d.h. auch in der Villenzone
zulässig. Art. 36 nBO ermächtigt die Baubehörde, für Hotelbauten in allen
Zonen hinsichtlich der höchstzulässigen Vollgeschosszahl, der Gebäudehöhe
und der Ausnützungsziffer Ausnahmen zu gestatten.

    Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass die Gemeinde St. Moritz
an sich befugt war, die Ausnützungsziffer in der Villenzone von 0,4 auf
0,2 herabzusetzen. Sie setzt sich jedoch dagegen zur Wehr, dass ihr
Areal wie bisher in der Villenzone belassen wird. Auf die Gewährung
einer Ausnahmebewilligung im Sinne von Art. 36 nBO habe sie keinen
Rechtsanspruch. Die Herabsetzung der Ausnützungsziffer beeinträchtige
sie daher in ihrer bisherigen Rechtsstellung und führe zu einer Verletzung
der Eigentumsgarantie, die sich nur vermeiden lasse, wenn ihr Grundbesitz
gemäss den gestellten Anträgen umgezont werde. Mit der Ablehnung dieser
Anträge seien Art. 4 und 22ter BV verletzt worden. Diese Rüge ist
zulässig. Da die Beschwerdeführerin das Vorliegen einer gesetzlichen
Grundlage nicht bestreitet, ist nur zu prüfen, ob die angefochtene
Zoneneinteilung materiell vor der Verfassung standhält, d.h. ob sie
auf einem öffentlichen Interesse beruht, das das entgegenstehende
private Interesse überwiegt, und ob die aus Art. 4 BV sich ergebenden
Schranken beachtet worden sind. Die Frage der Interessenabwägung prüft
das Bundesgericht auf Anrufung der Eigentumsgerantie hin grundsätzlich
frei; es übt jedoch Zurückhaltung, soweit die Antwort von der Würdigung
der örtlichen Verhältnisse abhängt, welche die kantonalen Behörden
besser kennen und überblicken als das Bundesgericht, und soweit sich
ausgesprochene Ermessensfragen stellen (BGE 99 I a 51, 98 I a 376,
mit Hinweisen). Ob sich die angefochtene Eigentumsbeschränkung wie
eine materielle Enteignung auswirkt, ist vom Bundesgericht in diesem
Verfahren nicht zu entscheiden. Wenn die Beschwerdeführerin glaubt,
einen Entschädigungsanspruch zu besitzen, hat sie ihn zunächst vor den
kantonalen Instanzen geltend zu machen (BGE 97 I 650, mit Hinweisen; zur
Frage der Entschädigungspflicht bei Herabsetzung der Überbauungsmöglichkeit
vgl. BGE 97 I 634 ff.).

Erwägung 3

    3.- ...

Erwägung 4

    4.- Das Verwaltungsgericht erklärt, der Vorwurf der rechtsungleichen
Behandlung und der Willkür sei deshalb nicht stichhaltig, weil
das fragliche Areal schon früher zur Villenzone gehört habe und die
Beschwerdeführerin durch die Herabsetzung der für diese Zone geltenden
Ausnützungsziffer gegenüber andern Grundeigentümern nicht benachteiligt
werde. Diese Argumentation lässt ausser Acht, dass die Herabsetzung der
Ausnützungsziffer die einzelnen Grundeigentümer ein und derselben Zone sehr
verschieden hart treffen kann, je nachdem wo die Grundstücke gelegen sind
und ob sie bereits überbaut sind. Die Herabsetzung der Ausnützungsziffer
in der Villenzone kann einem Grundeigentümer, auch wenn er sich seinerzeit
mit der Zuweisung seines Landes zu dieser Zone abgefunden hatte, Anlass
geben, die Zoneneinteilung nunmehr anzufechten und die Umzonung seiner
Grundstücke zu verlangen. Er ist zur Anfechtung eines neuen Zonenplanes
oder einer neuen Bauordnung sogar dann befugt, wenn sich mit Bezug auf
seine Grundstücke gegenüber der bisherigen Ordnung materiell gar keine
Änderung ergibt (BGE 92 I 282 f., E. 2). Im vorliegenden Fall kann die
Beschwerdeführerin daher verlangen, dass die im angefochtenen Plan erfolgte
Zonenabgrenzung im Hinblick auf die gegenwärtigen Verhältnisse auf ihre
Verfassungsmässigkeit überprüft wird, unabhängig davon, ob ihre Einwände
schon gegenüber dem früheren Zonenplan hätten erhoben werden können.

    Es ist somit ohne Rücksicht auf den früheren Zonenplan zu prüfen,
ob die Zuweisung des umstrittenen Areals in die Villenzone durch ein
überwiegendes öffentliches Interesse gedeckt ist und im Hinblick auf
die Behandlung angrenzender Parzellen vor dem Gebot der Rechtsgleichheit
standhält. Dabei ist freilich festzuhalten, dass dem Gleichheitsprinzip
bei Planungsmassnahmen nur eine abgeschwächte Wirkung zukommt (BGE 95 I
550). Es liegt im Wesen der Planung, dass Zonenabgrenzungen Ungleichheiten
schaffen und dass unter Umständen nebeneinander liegende Grundstücke,
die sich in ihrer Funktion für den Eigentümer voneinander nicht
unterscheiden, mit sehr verschiedenen Eigentumsbeschränkungen belastet
werden. Verfassungsrechtlich genügt es, dass die Abgrenzung sachlich
vertretbar, d.h. nicht willkürlich ist. Das Gebot der Rechtsgleichheit
fällt hier insoweit mit dem Willkürverbot zusammen (MEYLAN, La
jurisprudence récente en matière de plans d'aménagement, SBI 1971 S. 346).

    Auch in der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an bestimmten
Planungsmassnahmen und den entgegenstehenden privaten Interessen
übt das Bundesgericht Zurückhaltung, wenn die Würdigung örtlicher
Verhältnisse im Vordergrund steht, obwohl es diese Interessenabwägung
grundsätzlich als frei überprüfbare Rechtsfrage betrachtet (s. Erw. 2). Die
Hauptverantwortung für die richtige und verfassungskonforme Anwendung des
Bau- und Planungsrechtes liegt insoweit bei den kantonalen Rechtsmittel-
und Aufsichtsbehörden. Diese können sich einer sorgfältigen Überprüfung
der Interessenabwägung nicht dadurch entschlagen, dass sie auf
die weitgespannte planerische Autonomie der Gemeinde verweisen. Die
Gemeindeautonomie besteht nur im Rahmen der Eigentumsgarantie, und die
kantonalen Instanzen sind verpflichtet, auf Beschwerde hin einzugreifen,
wenn die Gemeinde in Überschreitung ihres Ermessens ein schutzwürdiges und
schwerer wiegendes privates Interesse einem wenig profilierten öffentlichen
Interesse hintanstellt.