Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IA 71



99 Ia 71

10. Urteil vom 4. April 1973 i.S. Einwohnergemeinde Schaffhausen gegen
Schweiz. Bankverein und Obergericht des Kantons Schaffhausen Regeste

    Gemeindeautonomie; Parkplatz-Ersatzabgabe.

    Auslegung von Art. 2 Ziff. 10 des Schaffhauserischen Baugesetzes,
der die Gemeinden ermächtigt, bei Neu- und Umbauten den Bau privater
Abstellplätze oder den Einkauf in bereits bestehende öffentliche
Abstellplätze vorzuschreiben. Die Gemeinde ist in ihrer Autonomie nicht
verletzt, wenn ihr die kantonale Behörde aufgrund dieser Vorschrift das
Recht verwehrt, anstelle des Baues von Parkplätzen die Entrichtung einer
Ersatzabgabe vorzusehen.

Sachverhalt

    A.- Das Baugesetz für den Kanton Schaffhausen vom 9.  November 1964
(BauG) enthält unter dem Titel "Bauvorschriften der Gemeinden" folgende
Bestimmung:

    Art. 2: "In den Bauordnungen können die Gemeinden Vorschriften
aufstellen über:

    ...

    10. Die Pflicht zur Anlegung von Abstellplätzen für Motorfahrzeuge
auf privatem Grund bei Neu- und Umbauten oder zum Einkauf in bereits
bestehende öffentliche Abstellplätze;

    ..."

    Die Stadt Schaffhausen hat in ihrer Bauordnung vom 24. November 1968
(BO) von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht; Art. 23 BO lautet:

    "Bei Neu- und Umbauten sind für die Gebäudebenützer auf privatem
Grund Abstellplätze für Motorfahrzeuge bereitzustellen.

    Wo sich die Schaffung von Parkierungsflächen als technisch unzumutbar
erweist, kann einem Bauherrn die Verpflichtung auferlegt werden, sich
in der Nähe des Baugrundstückes auf einem fremden Grundstück an einer
privaten oder öffentlichen Gemeinschaftsanlage zu beteiligen.

    Das Nähere bleibt einer Verordnung des Stadtrates vorbehalten, die
vom Grossen Stadtrat zu genehmigen ist."

    Gestützt auf die erwähnten Bestimmungen und auf Antrag des Stadtrates
erging am 28. Mai 1971 eine "Verordnung des Grossen Stadtrates der
Stadt Schaffhausen über die Erstellung von privaten Autoabstellplätzen"
(Parkplatzverordnung). Diese enthält unter dem Titel "Ersatzleistung"
folgende Vorschriften:

    Art. 8: "Wenn besondere Verhältnisse die Erstellung von
Parkgelegenheiten aussergewöhnlich erschweren oder verunmöglichen, oder
andere öffentliche Interessen überwiegen, kann der Stadtrat gegen Leistung
eines Geldbetrages die Ablösung von der Erstellungspflicht bewilligen oder
verfügen. Die Ablösungszahlung beträgt für jeden Abstellplatz, der nicht
erstellt wird, Fr. 4000.--. Sie wird bei Baubeginn fällig. Ein Anspruch
auf einen fest zugeteilten Abstellplatz erwächst aus der Leistung einer
Ablösungszahlung nicht."

    Art. 9: "Die Ablösungszahlungen werden in den städtischen
Parkplatzfonds gelegt, dessen Mittel ausschliesslich zur Schaffung von
Parkierungsanlagen zu verwenden sind."

    Art. 10: "Werden fehlende Abstellplätze nachträglich erstellt, wird
die dafür geleistete Ablösungszahlung zurückerstattet oder angerechnet."

    B.- Am 11. November 1969 erteilte die Baudirektion des Kantons
Schaffhausen dem Schweizerischen Bankverein die Baubewilligung für die
Errichtung eines neuen Bankgebäudes in Schaffhausen. Die Bewilligung
wurde, auf Antrag des Stadtrates von Schaffhausen, u.a. an folgende
Bedingung geknüpft:

    "Gestützt auf Art. 23 der städtischen Bauordnung vom 24. November 1968
wird der Bauherrschaft die Verpflichtung auferlegt, sich in der Nähe des
Baugrundstückes an einer privaten oder öffentlichen Gemeinschaftsanlage zu
beteiligen. Die Zahl der zur Verfügung zu stellenden Pflichtparkplätze
wird nach Erlass der Ausführungsverordnung (Parkplatzverordnung)
festgelegt. Eventuell muss die Parkplatzpflicht durch Leistung eines
Geldbetrages abgelöst werden. Der geschuldete Betrag richtet sich nach
den Bestimmungen der Ausführungs-Verordnung und wird für die Schaffung
von Parkierungsmöglichkeiten verwendet."

    Die Baubewilligung erwuchs samt den in ihr enthaltenen Bedingungen
unangefochten in Rechtskraft, und es wurde mit den Bauarbeiten begonnen. Am
28. September 1971 stellte die Stadt Schaffhausen dem Schweizerischen
Bankverein eine Rechnung über Fr. 176 000.-- als Ablösungssumme für 44
fehlende Abstellplätze; sie stützte sich dabei auf die Vorschriften der
inzwischen in Kraft gesetzten Parkplatzverordnung. Eine vom Schweizerischen
Bankverein gegen diese Rechnung erhobene Einsprache wurde vom Stadtrat
am 18. Oktober 1971 abgewiesen. Der Bankverein erhob gegen diesen
Einspracheentscheid beim Regierungsrat des Kantons Schaffhausen Rekurs
und Aufsichtsbeschwerde mit dem Antrag, es sei die Ungesetzlichkeit
der Art. 8, 9 und 10 sowie eventuell noch weiterer Bestimmungen der
Parkplatzverordnung festzustellen, es seien diese Bestimmungen aufzuheben,
eventuell durch die Gemeindeorgane aufheben zu lassen. Der Regierungsrat
wies die Aufsichtsbeschwerde ab; den Rekurs hingegen hiess er insoweit
teilweise gut, als er die Ablösungssumme von Fr. 176 000.-- auf Fr. 156
000.-- herabsetzte.

    Der Bankverein führte gegen diesen Entscheid des Regierungsrates
vom 22. Februar 1972 beim Obergericht des Kantons Schaffhausen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das als Verwaltungsgericht wirkende
Obergericht hiess die Beschwerde am 4. August 1972 gut, hob den Entscheid
des Regierungsrates auf und stellte fest, dass der Beschwerdeführer nicht
verpflichtet sei, für die nicht errichteten Parkplätze eine Ablösungssumme
zu bezahlen. Das Obergericht erliess am gleichen Tage ein zweites Urteil,
durch welches die Art. 8, 9 und 10 der Parkplatzverordnung mit sofortiger
Wirkung aufgehoben wurden. Beide Urteile enthalten die gleiche Begründung.

    C.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt die Stadt Schaffhausen,
es seien die beiden Entscheide des Obergerichtes vom 4. August 1972
aufzuheben. Sie rügt eine Verletzung ihrer Gemeindeautonomie.

    D.- Das Obergericht beantragt, es sei auf die Beschwerde mangels
Legitimation der Beschwerdeführerin nicht einzutreten, eventuell sei
die Beschwerde abzuweisen. Im gleichen Sinne lautet der Antrag des
Schweizerischen Bankvereines.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab aus folgenden

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine
Gemeinde legitimiert, staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung
der Gemeindeautonomie zu führen, wenn ein kantonaler Entscheid sie in
ihrer Eigenschaft als Inhaberin der öffentlichen Gewalt berührt, und sie
behauptet, dadurch in ihrer Autonomie verletzt zu sein. Ob die Gemeinde in
dem Bereich, in dem sie sich für autonom hält, tatsächlich autonom ist,
ist keine Frage der Legitimation, sondern eine solche der materiellen
Beurteilung der Beschwerde (BGE 98 Ia 431 E. 1b mit Hinweisen). Durch
die angefochtenen Entscheide, mit denen die Art. 8-10 der kommunalen
Parkplatzverordnung aufgehoben wurden und der Stadt das Recht, vom
Bankverein eine Ersatzabgabe zu verlangen, abgesprochen wurde, ist die
Stadt Schaffhausen in ihrer Eigenschaft als Inhaberin der öffentlichen
Gewalt betroffen; da sie behauptet, damit in ihrer Autonomie verletzt
worden zu sein, ist auf die Beschwerde einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Die Gemeinden sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes
in denjenigen Bereichen autonom, in denen ihnen das kantonale Recht eine
verhältnismässig erhebliche Entscheidungsfreiheit belässt; dies gilt
sowohl mbezug auf ihre Rechtsetzungsbefugnis als auch hinsichtlich der
Rechtsanwendung im Einzelfall (BGE 96 I 725 mit Hinweisen). Art. 90 der
Schaffhauser Kantonsverfassung (KV) gibt den Gemeinden das Recht, ihre
Angelegenheiten innerhalb der Schranken der Verfassung und der Gesetze
selbständig zu ordnen. Nach Art. 93 KV steht der Einwohnergemeinde die
gesamte Gemeindeverwaltung zu. Davon abgesehen, enthält die Verfassung
keine Vorschrift darüber, welches die Angelegenheiten der Gemeinden
sind. Deren Autonomiebereich ergibt sich somit im wesentlichen aus
dem kantonalen Gesetzesrecht, dessen Auslegung und Anwendung durch die
zuständige kantonale Behörde das Bundesgericht, auch soweit der Umfang der
Gemeindeautonomie in Frage steht, nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel
der Willkür überprüft (BGE 97 I 512/13, 522, mit Hinweisen).

    Das BauG belässt den schaffhauserischen Gemeinden bei der
Gestaltung ihres kommunalen Baurechtes an sich eine relativ erhebliche
Gestaltungsfreiheit. Nach Art. 1 BauG sind die Gemeinden verpflichtet
und befugt, eine Bauordnung mit Zonenplan aufzustellen. Was auf diese
Weise kommunal geregelt werden kann, ist in den nachfolgenden Art. 2
ff. umschrieben. Die Art. 28 ff. BauG enthalten sodann unter dem
Titel "kantonale Bauvorschriften" eine Reihe von "Grundsätzen und
Minimalbestimmungen, die für das ganze Kantonsgebiet gelten und von
den Gemeinden beim Erlass von Vorschriften oder bei der Erteilung von
Bewilligungen zu beachten sind" (Art. 28 Abs. 1 BauG); "im Rahmen ihrer
Zuständigkeit" dürfen die Gemeinden weitergehende Vorschriften aufstellen
(Art. 28 Abs. 2 BauG). Der Gegenstand der kommunalen Bauordnungen ist
in Art. 2 BauG umschrieben. Die Gemeinden können danach u.a. Vorschriften
erlassen über die Pflicht zur Erstellung von Abstellplätzen oder zum
Einkauf in bereits bestehende öffentliche Abstellplätze (Art. 2 Ziff. 10
BauG). Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, es handle sich hier um
eine Ermächtigungsnorm, gestützt auf welche die Gemeinde befugt sei, die
sich bei der Parkplatzbaupflicht stellenden Fragen näher zu regeln. Aus
dem Gebot der Rechtsgleichheit folge, dass denjenigen Bauherren, denen
die Erstellung von Parkplätzen aus Gründen der Verhältnismässigkeit nicht
zuzumuten sei, eine Ersatzleistung auferlegt werde, welche praktisch nur
in einer Ablösungszahlung bestehen könne. Die angefochtenen Vorschriften
der Parkplatzverordnung, welche eine derartige Ersatzabgabe vorsähen,
seien damit durch die kantonale Ermächtigungsnorm in Art. 2 Ziff. 10
BauG gedeckt.

    Das Verwaltungsgericht kam demgegenüber zum Schluss, dass der
kantonale Gesetzgeber in Art. 2 BauG die Ermächtigung der Gemeinden
zur Regelung bestimmter baurechtlicher Fragen abschliessend umschrieben
habe. Der Gesetzgeber sei sich darüber klar gewesen, dass baurechtliche
Eigentumsbeschränkungen einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage
bedürften und von den Gemeinden ohne ausdrückliche Ermächtigung nicht
eingeführt werden könnten. Im Bewusstsein dieser Rechtslage habe er davon
abgesehen, die Gemeinden zur Erhebung von Ersatzabgaben zu ermächtigen,
obschon diese Möglichkeit damals schon jahrelang bekannt gewesen sei. Das
Verwaltungsgericht begründet dies eingehend anhand der Vorarbeiten zum
Gesetz, insbesondere unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Baudirektors
im Regierungsrat und in dergrossrätlichen Spezialkommission. Danach
betonte dieser, die Aufzählung in Art. 2 sei abschliessend und andere
Bestimmungen könne eine Gemeinde in ihre Bauordnung nicht aufnehmen. Da in
Art. 2 Ziff. 10 BauG die Erhebung einer Ersatzabgabe nicht ausdrücklich
vorgesehen sei, kommt das Verwaltungsgericht zum Schluss, dass die
Gemeinden zur Einführung einer solchen nicht ermächtigt seien.

    Dieser Schluss ist nicht unhaltbar. Wenn in Art. 28 BauG die
"kantonalen Bauvorschriften" als Minimalbestimmungen bezeichnet und die
Gemeinden zu weitergehenden Vorschriften ermächtigt werden, so bezieht
sich dies auf die Regelung der Art. 28-71 BauG (Botschaft des Grossen
Rates zum BauG vom 8. Februar 1965, S. 9 unten). Nach Art. 28 Abs. 2
BauG sind im übrigen die Gemeinden zu solchen weitergehenden Vorschriften
nur befugt "im Rahmen ihrer Zuständigkeit", d.h. in dem Umfange, wie er
sich aus Art. 2 BauG ergibt. Der Hinweis auf Art. 28 BauG vermag der
Beschwerdeführerin daher nicht zu helfen. Sie kann sich auch nicht
darauf berufen, dass die Auslegung durch das Verwaltungsgericht gegen
das Gebot der Rechtsgleichheit verstosse. Wäre es - was dahingestellt
bleiben mag - mit Art. 4 BV tatsächlich unvereinbar, von der Erfüllung
der Parkplatzbaupflicht in gewissen Fällen abzusehen, ohne gleichzeitig
eine Ersatzleistung aufzuerlegen, so vermöchte dies allenfalls die gesamte
Regelung als solche in Frage zu stellen; hingegen böte der Grundsatz der
Rechtsgleichheit noch keine Handhabe dafür, von den nicht baupflichtigen
Grundeigentümern eine andere, im Gesetz nicht vorgesehene Leistung zu
verlangen. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtes hält auch unter diesem
Gesichtswinkel vor Art. 4 BV stand.

    Kann ohne Willkür angenommen werden, die Gemeinden seien nicht befugt,
über den in Art. 2 BauG genannten Umfang hinaus weitere Verpflichtungen
vorzusehen, so liegt keine Verletzung der Gemeindeautonomie vor, wenn
der Beschwerdeführerin die Erhebung der fraglichen Ersatzabgabe verwehrt
wird. Es kann unter diesen Umständen offen bleiben, ob die streitige
Parkplatzverordnung überhaupt durch das zuständige Gemeindeorgan erlassen
wurde und ob die übrigen Voraussetzungen, die nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung bei der Erhebung einer solchen Ersatzabgabe gegeben sein
müssen (BGE 97 I 794 ff), erfüllt sind.

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin vertritt eventualiter die Meinung, die
Erhebung einer Ersatzabgabe sei dadurch gedeckt, dass Art. 2 Ziff. 10
BauG die Verpflichtung "zum Einkauf in bereits bestehende öffentliche
Abstellplätze" zulasse. Eine wörtliche Anwendung dieser Vorschrift sei,
wie auch der Regierungsrat festgestellt habe, bundesrechtswidrig. Sie
erhalte nur dann einen vernünftigen Sinn, wenn man annehme, dass der
Gesetzgeber damit einen Beitrag der privaten Grundeigentümer an die Kosten,
die der öffentlichen Hand durch die Bereitstellung von genügend Parkraum
entstünden, habe ermöglichen wollen.

    Das Verwaltungsgericht konnte diese Auslegung indessen ohne Willkür
ablehnen und die Vorschrift in viel näherliegender Weise dahin verstehen,
dass der Grundeigentümer verpflichtet werden kann, sich an einer
der Öffentlichkeit zugänglichen privaten, gemischtwirtschaftlichen
oder zum Finanzvermögen der Gemeinde gehörenden Anlage (Parkhäuser
usw.) zu beteiligen, um sich so eine gewisse Anzahl von reservierten
Parkplätzen zu sichern. Auch die Beschwerdeführerin hat die fragliche
kantonale Bestimmung ursprünglich in diesem Sinne verstanden, wie
aus Art. 23 BO hervorgeht. Unter einem Einkauf ist nach der gängigen
Rechtssprache die Erbringung einer Leistung gegen Einräumung eines
Eigentums- oder Nutzungsrechtes an einer bestehenden Einrichtung oder
eines Mitgliedschaftsrechtes an einer nutzungsberechtigten Gemeinschaft
zu verstehen. Die hier streitige Abgabe ist indessen an keine derartige
positive Gegenleistung geknüpft; es handelt sich vielmehr um eine reine
Ersatzabgabe, die anstelle des gewährten Baudispenses tritt. Wenn das
Verwaltungsgericht annahm, diese Ersatzabgabe sei durch Art. 2 Ziff. 10
BauG nicht gedeckt, so ist dies zumindest nicht willkürlich. Die Rüge
der Verletzung der Gemeindeautonomie erweist sich damit als unbegründet.