Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IA 216



99 Ia 216

25. Urteil vom 20. Juni 1973 i.S. Kiechler und Mitbeteiligte gegen
Kanton Schwyz. Regeste

    Art. 85 lit. a OG. Volksabstimmung über die Wiedereinführung des
Frühjahrsschulbeginns. Formulierung der Abstimmungsfrage. Schulkonkordat.

    1.  Beschwerdefrist (Erw. 2 a).

    2.  Anforderungen an die Klarheit der Abstimmungsfrage und an die
Richtigkeit und Vollständigkeit des behördlichen Berichtes (Erw. 2 b
und c).

    3.  Wegen Verletzung von Konkordatsvorschriften, die sich nur an die
Kantone richten und kein unmittelbar auf die einzelnen Bürger anwendbares
Recht enthalten, kann nicht staatsrechtliche Beschwerde geführt werden
(Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 22. April 1971 beschloss der Kantonsrat des Kantons Schwyz,
dem Interkantonalen Schulkonkordat beizutreten. Dieses Konkordat vom
29. Oktober 1970 enthält in Art. 2 unter dem Titel "Verpflichtungen"
folgende Vorschrift:

    "Die Konkordatskantone verpflichten sich, ihre Schulgesetzgebung in
den folgenden Punkten anzugleichen:

    a)  ...

    b)  ...

    c)  ...

    d)  Das Schuljahr beginnt zwischen Mitte August und Mitte Oktober."

    Der Schwyzer Kantonsrat beschloss gleichzeitig mit dem Beitritt die
sich aus dem Konkordat ergebende Revision der kantonalen Schulverordnung
und setzte dabei in § 12 den Schulbeginn auf den Zeitpunkt nach den
Sommerferien fest. Der Kantonsratsbeschluss vom 22. April 1971 war dem
fakultativen Referendum unterstellt. Dieses wurde nicht benützt, so dass
der Beschluss und die darin angeordnete Verlegung des Schuljahrbeginns
rechtskräftig geworden sind.

    B.- Am 7. Dezember 1972 wurde der Staatskanzlei ein Initiativbegehren
mit folgendem Text eingereicht:

    "Die unterzeichneten stimmberechtigten Einwohner des Kantons Schwyz
stellen dem Regierungsrat das Begehren, dass im Sinne von Art. 31 Abs. 2
der Kantonsverfassung möglichst bald eine Volksabstimmung betreffs
Beibehaltung des Schulbeginns im Frühjahr anzuordnen sei (in Abänderung
des § 12 der revidierten Schulverordnung)."

    Diese Initiative wurde den Stimmberechtigten vom Regierungsrat mit dem
Antrag auf Verwerfung unterbreitet. Die Frage auf dem Stimmzettel lautete:

    "Wollt Ihr die Initiative 'betreffs Beibehaltung des Schulbeginns
im Frühjahr (in Abänderung des § 12 der revidierten Schulverordnung)'
annehmen?"

    Mit einem knappen Mehr von 10544 Ja gegen 10202 Nein nahmen die
Stimmbürger am 4. März 1973 die Initiative an.

    C.- Gegen diesen Volksentscheid reichte eine Gruppe von fünf Lehrern am
15. März 1973 eine staatsrechtliche Beschwerde ein mit folgenden Anträgen:

    "1. Die Volksinitiative sei wegen der Unklarheit der Fragestellung
und wegen der Unvereinbarkeit mit dem Konkordatsrecht als unzulässig
zu erklären.

    2. Das Resultat der Volksabstimmung vom 4. März 1973 sei aus denselben
Überlegungen als nichtig zu erklären."

    Zur Begründung wird geltend gemacht, Initiativtext und
Abstimmungsfrage seien irreführend gewesen, weil von einer "Beibehaltung"
des Schulbeginns im Frühjahr gesprochen wurde, obwohl die Umstellung auf
den Herbstschulbeginn rechtskräftig beschlossen und auch praktisch so
weit vorbereitet gewesen sei, dass ein Abbruch des auf 1973 angesetzten
Langschuljahres nicht mehr in Betracht kam. Viele Stimmbürger hätten
angenommen, die vorgeschlagene "Beibehaltung" des Frühjahrsschulbeginnes
hebe das Langschuljahr auf; die frühere Ordnung könne einfach beibehalten
werden. Weil der Grundsatz der Klarheit und Unmissverständlichkeit der
Fragstellung missachtet worden sei, liege eine Verletzung des Stimmrechts
vor, und die Abstimmung sei aus diesem Grunde zu kassieren. Die Initiative
verletze aber auch das Konkordat über die Schulkoordination.

    D.- Am 3. April 1973 wurde von den gleichen Beschwerdeführern und einem
weitern Unterzeichner eine zweite staatsrechtliche Beschwerde eingereicht
mit dem materiellen Hauptantrag, der Volksentscheid vom 4. März 1973
über die Initiative "betreffs Beibehaltung des Schulbeginns im Frühjahr"
sei nichtig zu erklären und aufzuheben.

    Die Begründung der zweiten Beschwerde unterscheidet sich von
der Begründung der ersten Beschwerde nicht grundsätzlich. Zur Rüge
der Unklarheit der Abstimmungsfrage wird die Einvernahme namentlich
genannter Zeugen beantragt. Überdies wird dem Regierungsrat vorgeworfen,
er habe im Bericht zur Initiative erklärt, die Umstellung auf den
Frühjahrsschulbeginn wäre im Frühling 1974 möglich; das treffe jedoch
nicht zu, weil ein Austritt aus dem Konkordat vor 1976 nicht zulässig sei
und die Verlegung des Schulbeginns auf das Frühjahr erst 1977 in Frage
komme. Die vom Regierungsrat verschuldete falsche Information habe manchen
Stimmbürger veranlasst, für die Initiative zu stimmen oder nicht an die
Urne zu gehen. Schliesslich wiederholen die Beschwerdeführer die schon
in der ersten staatsrechtlichen Beschwerde erhobene Rüge, die Initiative
verletze das Konkordat, die durch den Beitritt zum Konkordat eingegangene
vertragliche Bindung könne durch die Initiative nicht gelöst werden.

    E.- Der Regierungsrat des Kantons Schwyz beantragt, die erste
Beschwerde abzuweisen und auf die zweite Beschwerde nicht einzutreten,
eventuell sie ebenfalls abzuweisen. Auf die in den Vernehmlassungen
vorgebrachten Argumente wird - soweit notwendig - in den nachfolgenden
Erwägungen Bezug genommen.

    F.- Der Präsident der staatsrechtlichen Kammer hat das in beiden
Beschwerdeschriften enthaltene Gesuch, es sei den Beschwerden aufschiebende
Wirkung zu erteilen, abgewiesen, da die Schwyzer Behörden ohnehin
beschlossen, bis zur Entscheidung über die beiden staatsrechtlichen
Beschwerden dem Ergebnis der Volksabstimmung vorläufig keine Folge
zu geben.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Prozessuales).

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführer machen in erster Linie geltend, durch die
Formulierung der Abstimmungsfrage sei die richtige Ausübung des Stimmrechts
beeinträchtigt und das Resultat der Abstimmung beeinflusst worden.

    a) Als im Kanton Schwyz stimmberechtigte Bürger sind die
Beschwerdeführer legitimiert, mit staatsrechtlicher Beschwerde gemäss
Art. 85 lit. a OG eine Verletzung der politischen Stimmberechtigung
zu rügen.

    Wird die Formulierung der Abstimmungsfrage angefochten, so läuft die
dreissigtägige Frist zur Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde
von dem Zeitpunkt an, in welchem der massgebende Beschluss über die
beanstandete Formulierung publiziert wurde (BGE 74 I 22, 81 I 208, 89
I 400 und 442, 90 I 72, 99 Ia 180, E.1). Im vorliegenden Fall ist die
Abstimmungsfrage den Stimmberechtigten mit dem Bericht des Regierungsrates
zur Initiative "betreffs Beibehaltung des Schulbeginns im Frühjahr"
bekanntgegeben worden. Dieser vom 29. Januar 1973 datierte Bericht wurde
im Bezirk Küssnacht am 15. Februar 1973 zuhanden der Stimmberechtigten
verschickt. Durch die am 15. März 1973 der Post übergebene
erste staatsrechtliche Beschwerde ist die mit der Publikation der
Abstimmungsfrage beginnende Frist somit auf jeden Fall gewahrt. Hingegen
ist die zweite, erst am 3. April 1973 der Post übergebene Beschwerde,
soweit darin ebenfalls die Formulierung der Abstimmungsfrage angefochten
wird, verspätet, und es kann daher auf Vorbringen zu diesem Punkt, die
nur in der zweiten Beschwerde enthalten sind, nicht eingetreten werden.

    b) Die Beschwerdeführer beanstanden vor allem die Verwendung des
Wortes "Beibehaltung" im Initiativtext und in der Abstimmungsfrage und
machen geltend, es hätte korrekterweise von "Wiedereinführung" gesprochen
werden müssen.

    Der Ausdruck "Beibehaltung" konnte die Rechtslage nicht vollständig
zum Ausdruck bringen. Dadurch, dass aber sowohl im Initiativtext als auch
auf dem Stimmzettel in einer Klammer deutlich gesagt wurde, es gehe um
eine Abänderung des § 12 der revidierten Schulverordnung, konnte selbst
einem Stimmbürger, der nur die Abstimmungsfrage las, nicht entgehen,
dass der Vorstoss eine Änderung der beschlossenen Ordnung anstrebte
und nicht eine blosse Bestätigung des geltenden Rechtszustandes. Von
"Beibehaltung" des Frühjahrschulbeginns zu sprechen, liess sich damit
rechtfertigen, dass der Herbstschulbeginn wohl beschlossen, aber noch
nicht eingeführt war. Da der Frühjahrsschulbeginn wohl rechtlich (für die
Zukunft), aber nicht faktisch abgeschafft war, hätte es der wirklichen
Situation nur teilweise entsprochen, wenn das Ziel der Initiative mit
"Wiedereinführung" umschrieben worden wäre; grössere Klarheit hätte
man damit nicht erreicht. Jeder Stimmberechtigte, der sich auch nur
einigermassen für das sachliche Problem interessierte, konnte nicht darüber
im Zweifel sein, dass die Initianten die bereits beschlossene Umstellung
auf den Herbstschulbeginn verhindern und durch Änderung der revidierten
Schulverordnung die Beibehaltung der bisherigen Regelung erreichen wollten.

    Aus der Formulierung der Abstimmungsfrage war nicht ersichtlich, welche
Lösung bei Annahme der Initiative im Frühling 1973 Platz greifen würde. Es
mag auch sein, dass einzelne von Sachkenntnis unbelastete Stimmbürger
davon ausgingen, bei einer Annahme der Initiative in der Volksabstimmung
vom 4. März 1973 könne das zur Umstellung auf den Herbstschulbeginn
eingeschaltete Langschuljahr einfach abgebrochen werden und es bleibe
ohne Schwierigkeit beim herkömmlichen Schulbeginn im Frühjahr. Im Bericht
des Regierungsrates an die Stimmberechtigten (S. 6/7, 9) wurde jedoch in
unmissverständlicher Weise dargelegt, dass es eigentlich irreführend sei,
von "Beibehaltung" des Frühjahrsschulbeginns zu sprechen, weil das im
Gang befindliche Langschuljahr nicht abgebrochen werden könne und so auf
jeden Fall für 1973 der Schulbeginn im Spätsommer sich nicht vermeiden
lasse. "Unmöglichkeit einer Rückkehr zum Schulbeginn im Frühjahr 1973"
lautet ein fettgedruckter Zwischentitel des Berichtes (S. 7), und auf
die Notwendigkeit eines Kurzschuljahres 1973/74 im Falle der Annahme der
Initiative wird nachdrücklich hingewiesen (S. 10 Randtitel). Der Leser des
Berichtes des Regierungsrates war über die mit der Annahme der Initiative
verbundenen praktischen Komplikationen sicher nicht im Zweifel. Das wird
von den Beschwerdeführern auch nicht behauptet. In der Abstimmungsfrage
selber konnten natürlich nicht alle eventuellen Übergangsschwierigkeiten
zum Ausdruck kommen. Vom Stimmberechtigten muss erwartet werden, dass
er nicht nur den Stimmzettel liest, sondern auch die ihm zugestellten
Unterlagen. In den meisten Fällen stellt die Abstimmungsfrage bei weitem
keine genügende, mögliche Irrtümer ausschliessende Information dar. Die
Formulierung der Frage war im vorliegenden Fall nicht irreführend, sondern
umschrieb die Rechtslage genau, ohne die praktischen Schwierigkeiten
einer nochmaligen Änderung des revidierten § 12 der Schulverordnung zum
Ausdruck bringen zu können. Der Bericht des Regierungsrates beleuchtete
die Konsequenzen einer Annahme der Initiative in klarer und eindeutiger
Weise. Die Beanstandung der Abstimmungsfrage erweist sich somit als
unbegründet.

    c) Im Sinne einer Kritik der Abstimmungsvorbereitung wird - vor
allem in der zweiten staatsrechtlichen Beschwerde - noch geltend gemacht,
die Auswirkungen einer Annahme der Initiative auf das Verhältnis zu den
übrigen Konkordatskantonen sei im Bericht der Regierung nicht richtig
dargestellt worden. Es fragt sich, ob diese Rüge in der ersten Beschwerde
schon mitenthalten ist oder ob sie sich erst aus der - in diesem Punkt
verpäteten - zweiten Beschwerde ergibt.

    Auf jeden Fall kann auch diese Rüge aus materiellen Gründen nicht zu
einer Aufhebung der Volksabstimmung führen. Der Regierungsrat hat in seinem
Bericht (S. 6) recht deutlich dargelegt, dass die Annahme der Initiative
den Verpflichtungen des Konkordates zuwiderlaufe und als "Änderung der
Marschrichtung um 180 Grad" zu werten sei. Er hat allerdings nicht erklärt,
bei Annahme der Initiative müsse der Kanton Schwyz das Konkordat kündigen,
und er hat im Gegensatz zu den Beschwerdeführern auch nicht angenommen,
es müsse auf jeden Fall bis zum Ablauf der dreijährigen Kündigungsfrist
der Schuljahrbeginn im Spätsommer beibehalten werden. Dass Kantone,
welche den Herbstschulbeginn noch nicht einführen können, zur Kündigung
des Konkordates veranlasst werden, ist nach der neuesten Entwicklung
unwahrscheinlich. Auch nach dem Wortlaut des Konkordates (insbes. Art. 8
Abs. 3) durfte der Regierungsrat davon ausgehen, dass die Mitgliedschaft
auch bei Nichterfüllung der Verpflichtungen von Art. 2 lit. d mindestens
vorläufig geduldet werde. Wenn der Regierungsrat sich im Bericht darauf
beschränkte, die negativen politischen und praktischen Folgen einer Annahme
der Initiative aufzuzeigen, und es vermied, aus dem erst in Realisierung
begriffenen Konkordat in dieser oder jener Richtung formelle Konsequenzen
zu ziehen, so blieb er damit auf dem Boden der Realität des schweizerischen
Konkordatsrechts, und diese Zurückhaltung kann ihm nicht als Irreführung
der Stimmberechtigten zum Vorwurf gemacht werden.

Erwägung 3

    3.- Als zweiten Anfechtungsgrund machen die Beschwerdeführer geltend,
die Initiative verletze Konkordatsrecht.

    a) Gemäss Art. 84 Abs. 1 lit. b OG kann wegen Verletzung von
Konkordaten staatsrechtliche Beschwerde erhoben werden. Diese Möglichkeit
besteht aber nur, wenn eine interkantonale Vereinbarung die Privaten
direkt berechtigt oder verpflichtet und nicht nur Rechte und Pflichten der
beteiligten Kantone begründet (BGE 47 I 321 ff, 61 I 196 ff; Urteil des
Bundesgerichtes vom 22. Dezember 1965, publiziert in ZBl 1966 S. 306 E. 3;
HÄFELIN, Aktuelle Fragen des Konkordatsrechts, SJZ 1973 S. 259). Ob man
dies als eine Frage der Legitimation oder als eine solche der materiellen
Begründetheit der Beschwerde ansehen will (vgl. BGE 96 I 645, 88 I 358
E. 3), ist praktisch ohne Bedeutung.

    b) Das Konkordat über die Schulkoordination enthält in Art. 2
lit. d eine Verpflichtung der beteiligten Kantone, das Schuljahr
zwischen Mitte August und Mitte Oktober beginnen zu lassen. Bei den
Übergangsbestimmungen in Art. 8 Abs. 3 findet sich die Regel, dass die
Festsetzung des Schuljahrbeginns im Sinne von Art. 2 lit. d grundsätzlich
auf den Beginn des Schuljahres 1973/74 erfolgen soll. Diese Vorschriften
bilden kein in den Vertragskantonen direkt anwendbares Recht, auf das
sich der Bürger unmittelbar berufen könnte, sondern es handelt sich
eindeutig um eine Verpflichtung der beteiligten Kantone, ihr internes
Recht entsprechend anzupassen.

    Dem irgendwie betroffenen Privaten fehlt somit von vornherein die
Möglichkeit, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Nichteinhaltung dieser
Konkordatsverpflichtung zu rügen. Ob Lehrer an sich zur staatsrechtlichen
Beschwerde wegen Verletzung direkt anwendbaren interkantonalen Schulrechts
legitimiert sein könnten, ist hier nicht zu prüfen. Auf die Rüge der
Verletzung des Konkordates über die Schulkoordination kann wegen Fehlens
der Legitimation nicht eingetreten werden.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerden werden im Sinne der Erwägungen abgewiesen.