Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 99 IA 154



99 Ia 154

18. Auszug aus dem Urteil vom 11. Juli 1973 i.S. Gygax gegen
Einwohnergemeinde Hallau und Obergericht des Kantons Schaffhausen. Regeste

    Art. 4 BV, Rechtsgleichheit; Beiträge der Grundeigentümer an die
Strassenbaukosten.

    Das Reglement der Gemeinde Hallau, das die Eigentümer von Grundstücken
im Baugebiet grundsätzlich zu Beitragsleistungen verpflichtet, die
Eigentümer von Grundstücken der Kernzone jedoch davon befreit, verstösst
gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit.

Sachverhalt

    A.- Gemäss Bauordnung vom 31. Mai 1963 ist das Gebiet der Gemeinde
Hallau in verschiedene Zonen eingeteilt (u.a. Kernzone, Wohnzonen, Zone
für öffentliche Bauten und Anlagen, Freihaltezone, Industriezone). Die
Kernzone, in der das Zentrum der Ortschaft liegt, ist am dichtesten
besiedelt und mit Strassen bereits weitgehend erschlossen.

    Nach Art. 73 des Baugesetzes des Kantons Schaffhausen können
die Gemeinden von den Anstössern Beiträge an die Strassenbaukosten
verlangen. Die Gemeinde Hallau erliess am 1. Juli 1966 ein Reglement über
die Beitragspflicht der Grundeigentümer an öffentliche Verkehrsanlagen
(im folgenden: Reglement). Nach Art. 2 Abs. 1 dieses Reglements haben
Grundeigentümer, deren Grundstücke durch Neubau oder Ausbau von Strassen,
Wegen, Trottoirs und Plätzen eine Wertvermehrung erfahren, an die der
Gemeinde dadurch erwachsenden Kosten einen Beitrag zu leisten. Art. 1
Abs. 1 des Reglements hatte ursprünglich folgenen Wortlaut:

    "Das Beitragsreglement gilt für das Baugebiet der Gemeinde gemäss
Bauzonenplan. Bei der Erschliessung von Industrieland erlässt die
Gemeindeversammlung einen besonderen Kostenverteiler."

    Am 30. Juni 1967 beschloss die Gemeindeversammlung, den ersten Satz
des Art. 1 Abs. 1 wie folgt neu zu fassen: "Das Beitragsreglement gilt für
das Baugebiet der Gemeinde gemäss Zonenplan, ausgenommen Kernzone." Diese
Änderung wurde damit begründet, dass bei Inkrafttreten des Reglements
die Kernzone zum überwiegenden Teil strassenmässig bereits erschlossen
gewesen sei. Für die Beitragspflicht an künftige Strassenbauten käme
deshalb nur noch ein kleiner Teil der Eigentümer von in der Kernzone
gelegenen Grundstücken in Frage. Diese wenigen Grundeigentümer sollten
nicht mit Beiträgen belastet werden, während alle übrigen vor dem Erlass
des Reglements von der Wertvermehrung durch Strassenerschliessung ohne
Entgelt hätten profitieren können.

    Die Reglementsänderung wurde vom Regierungsrat des Kantons Schaffhausen
am 19. Juli 1967 genehmigt.

    B.- In den Jahren 1967/68 wurden im Gebiet Schmalzgasse/Sellhof/Laame
Quartierstrassen ausgebaut und asphaltiert. Dieses Gebiet liegt in
der Wohnzone W 2. Karl Gygax ist Eigentümer verschiedener Grundstücke,
die an die genannten Quartierstrassen angrenzen. Gemäss Verfügung der
Gemeindebehörde vom 26. August 1969 hatte er bestimmte Anstösserbeiträge
zu entrichten. Er erhob dagegen Einsprache, welche die kantonale
Schätzungskommission für Enteignungen am 26. Oktober 1971 abwies.
Gygax wandte sich hierauf mit einem Rekurs an das Obergericht des
Kantons Schaffhausen. Er machte eine Verletzung des Grundsatzes der
Rechtsgleichheit geltend, die er damit begründete, dass die Eigentümer
von in der Kernzone gelegenen Grundstücken keine Anstösserbeiträge zu
entrichten hätten, während die Eigentümer von in andern Bauzonen gelegenen
Grundstücken zu Beiträgen herangezogen würden.

    Das Obergericht wies den Rekurs am 27. Oktober 1972 ab. Zur Begründung
führte es unter anderem aus, die vom Gemeinderat Hallau angeführten
Argumente wären eher geeignet, eine Abstufung der Beitragsansätze für die
verschiedenen Bauzonen als die volle Befreiung von der Beitragspflicht
einre bestimmten Eigentümergruppe zu rechtfertigen. Durch die völlige
Befreiung der Eigentümer der in der Kernzone gelegenen Grundstücke werde
der Grundsatz der rechtsgleichen Behandlung aller Eigentümer berührt. Dies
könnte sich namentlich dann augenfällig auswirken, wenn ein künftiger
Strassenausbau oder eine andere Verkehrsanlage der Erschliessung sowohl von
Grundstücken am Rande der Kernzone als auch von Grundstücken anderer Zonen
dienen würde, zumal diesfalls nur ein Teil der vom Erschliessungswerk
profitierenden Grundeigentümer beitragspflichtig wäre. Der Grundsatz
der Rechtsgleichheit sei aber nicht derart krass verletzt, dass es im
vorliegenden Fall angezeigt sei, das Beitragsreglement überhaupt nicht
anzuwenden.

    C.- Gegen das Urteil des Obergerichts vom 27. Oktober 1972 hat Karl
Gygax gestützt auf Art. 4 BV staatsrechtliche Beschwerde erhoben.

    D.- Das Obergericht des Kantons Schaffhausen und der Gemeinderat
Hallau beantragen Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer verlangt, dass das Beitragsreglement wegen
der durch die Ausnahme der Kernzone von der Beitragspflicht geschaffenen
Rechtsungleichheit für nicht anwendbar erklärt, und dass er von jeder
Beitragspflicht befreit werde. Sinngemäss stellt er damit das Begehren,
das angefochtene Urteil vom 27. Oktober 1972 sei aufzuheben.

    Nach der Rechtsprechung kann die Verfassungswidrigkeit eines Erlasses
noch im Anschluss an einen Anwendungsakt mit staatsrechtlicher Beschwerde
gerügt werden (BGE 97 I 915, 29 mit Verweisungen). Der im Anschluss an
das obergerichtliche Urteil vom 27. Oktober 1972 erhobene Vorwurf, Art. 1
des Beitragsreglements verstosse gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit
und stehe daher in Widerspruch zu Art. 4 BV, ist somit zulässig.

Erwägung 3

    3.- Auf den ersten Blick mag verständlich scheinen, dass für die
Eigentümervon in der Kernzone gelegenen Grundstücken keine Beitragspflicht
bestehen soll. Diese Zone ist strassenmässig weitgehend erschlossen. Wie
sich aus den Akten ergibt, wurden in der Kernzone vor Inkrafttreten des
Beitragsreglements Verkehrsanlagen gebaut, ohne dass die Eigentümer
Anstösserbeiträge zu bezahlen hatten. Bestünde die neu eingeführte
Beitragspflicht auch für die Kernzone, so hätten in Zukunft nur noch
wenige Grundeigentümer dieser Zone Beiträge zu leisten, während alle
andern von der frühern Ordnung profitierten, da ihre Gebäude durch die
Strassenerschliessung einen Mehrwert erhielten, ohne dass dafür Beiträge
geleistet werden mussten.

    Schafft indessen eine Gemeinde eine neue Ordnung, mit der sie
Anstösserbeiträge einführt, so müssen nach dem neuen Reglement beim
Bau neuer Strassen alle Eigentümer, deren Grundstücke den gleichen
Mehrwert erhalten, gleich behandelt werden. Massgebend ist nicht, ob
die Eigentümer, deren Grundstücke nach Inkrafttreten des Reglements
durch Strassenanlagen einen Mehrwert erhalten, gleich behandelt werden
wie Eigentümer, deren Grundstücke vor dem Inkrafttreten des Reglements
aus dem gleichen Grund eine Wertvermehrung erfahren haben. Art. 4 BV
verlangt vielmehr, dass durch das neue Reglement alle Grundeigentümer,
deren Grundstücke durch neue Strassen einen gleichen Mehrwert erhalten,
auch gleichmässig zu Beiträgen herangezogen werden. Das trifft im
vorliegenden Fall offensichtlich nicht zu. Werden in Zukunft Grundstücke
der Kernzone durch Strassen erschlossen, so nimmt ihr Wert in gleichem
oder ähnlichem Mass zu wie jener von neuerschlossenen Grundstücken in
andern Bauzonen. Unter diesen Umständen besteht kein sachlicher Grund,
die einen Grundeigentümer von der Beitragspflicht auszunehmen und von
den andern - unter Umständen recht hohe - Beiträge zu verlangen. Wie das
Obergericht zutreffend ausführt, wäre diese ungleiche Behandlung vor allem
dann augenfällig, wenn eine über die Grenze der Kernzone hinweg führende
Strasse erstellt würde. An die Baukosten für die nämliche Strasse hätten
die einen Anstösser Beiträge zu leisten, während die andern davon völlig
befreit wären. In andern Fällen wäre die Ungleichheit zwar nicht derart
offensichtlich, sie bestünde indessen gleichwohl.

    Im Urteil 97 I 800/1 hat es das Bundesgericht freilich zugelassen,
dass in einem Reglement nur die Ersteller von Neu- oder Umbauten,
nicht aber die Eigentümer von Altbauten zur Errichtung von Parkplätzen
verpflichtet werden, obschon auch diese oder ihre Mieter Motorfahrzeuge
halten (vgl. dazu auch H. HUBER, Die Rechtsprechung des Bundesgerichts
im Jahre 1959, ZBJV 96/1960, S. 364). Dieser Entscheid lässt sich damit
rechtfertigen, dass die Eigentümer, die unter der Herrschaft des alten
Rechts bauten, sich in einer durch die Ausnützung der Baubewilligung
gefestigten Rechtslage befinden. Gleiches oder ähnliches trifft im
vorliegenden Fall nicht zu, denn bestimmte Grundeigentümer werden einzig
deshalb von der Beitragspflicht ausgenommen, weil früher andere Eigentümer
von in der gleichen Zone gelegenen Grundstücken keine Beiträge zu leisten
hatten. Dieser Umstand vermag eine rechtlich verschiedene Behandlung
durchaus gleicher Verhältnisse nach dem Gesagten nicht zu begründen. Mit
der in Art. 1 enthaltenen Bestimmung, wonach die Beitragspflicht für
das Baugebiet der Gemeinde Hallau gemäss Bauzonenplan mit Ausnahme der
Kernzone gilt, trifft das Reglement rechtliche Unterscheidungen, für
die ein vernünftiger Grund in den tatsächlichen Verhältnissen nicht zu
ersehen ist. Insoweit verstösst es daher gegen Art. 4 BV (BGE 97 I 782 mit
Hinweis auf frühere Urteile). Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und
der angefochtene Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom
27. Oktober 1972 aufzuheben. Das hat zur Folge, dass der Beschwerdeführer
nicht aufgrund von Art. 1 Abs. 1 des Reglements zur Beitragsleistung
herangezogen werden kann.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Schaffhausen vom 27. Oktober 1972 aufgehoben.