Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 V 98



98 V 98

27. Auszug aus dem Urteil vom 21. März 1972 i.S. Flühler gegen
Ausgleichskasse des Kantons Nidwalden und Kantonsgericht Nidwalden Regeste

    Art. 21 IVG

    -  Kein Anspruch des Versicherten auf jedes zur bestmöglichen
Erreichung des Eingliederungserfolges geeignete Hilfsmittel.

    - Über die Abgabe von Blindenführhunden an nicht erwerbstätige
Hausfrauen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die in Art. 14 IVV erwähnten Hilfsmittel, unter welche
auch die Blindenführhunde fallen, werden nur zugesprochen, wenn die
Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 1 und 2 IVG erfüllt sind. Nach Abs. 1
werden jene Hilfsmittel abgegeben, deren der Invalide für die Ausübung
der Erwerbstätigkeit oder der "Tätigkeit in seinem Aufgabenbereich",
für die Schulung, die Ausbildung oder zum Zwecke der funktionellen
Angewöhnung bedarf. Ohne Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit steht der
Anspruch auf Hilfsmittel auch einem Versicherten zu, der infolge seiner
Invalidität für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontaktes mit
der Umwelt oder für die Selbstsorge kostspieliger Geräte bedarf (Abs. 2).

    Art. 21 Abs. 1 IVG ist auch auf nichterwerbstätige invalide Hausfrauen
anwendbar. Steht die Abgabe eines Blindenführhundes an eine Hausfrau
zur Diskussion, so kann sich im Rahmen des Begriffs "Tätigkeit in seinem
Aufgabenbereich" praktisch allerdings nur fragen, ob die blinde Hausfrau
zur Besorgung ihrer Einkäufe einen solchen Hund benötige.

    Bei blinden, nichterwerbstätigen Hausfrauen ist deshalb in erster
Linie Abs. 2 des Art. 21 IVG von rechtlicher Bedeutung. Entgegen der
Meinung, die Invalidenversicherungs-Kommission und Ausgleichskasse in
der kantonalen Instanz äusserten, ist diese Bestimmung nicht nur auf
die "nicht mehr erwerbsfähigen oder nicht mehr in ihrem Aufgabenbereich
tätigen Schwerstinvaliden" anwendbar. Empfänger von Hilfsmitteln gemäss
Art. 21 Abs. 2 IVG werden zwar in der Regel vollständig erwerbsunfähige
Personen sein. An sich schliesst jedoch der Umstand, dass eine blinde
Versicherte einer Erwerbstätigkeit nachgeht oderihren Haushaltbesorgt,
die Abgabe eines Blindenführhundes nicht unbedingt aus.

    Entscheidend ist im Rahmen sowohl von Abs. 1 wie auch von Abs. 2 des
Art. 21 IVG, ob das Hilfsmittel zur Erfüllung des vom Gesetz geschützten
Zweckes notwendig ist. Diese Voraussetzung erfüllt der Invalide dann,
wenn ihm nicht zugemutet werden kann, ohne das verlangte Hilfsmittel der
Tätigkeit in seinem Aufgabenbereich nachzugehen, sich fortzubewegen, mit
der Umwelt in Kontakt zu bleiben oder für sich zu sorgen (vgl. EVGE 1968
S. 212). Das bedeutet, dass ein Hilfsmittel im Einzelfall dazu bestimmt
und geeignet sein muss, dem invaliden Versicherten in wesentlichem Umfang
zur Erreichung eines dieser Ziele zu verhelfen.

Erwägung 2

    2.- Der Ausgang des gegenwärtigen Prozesses hängt somit von der
soeben umschriebenen Bedürfnisfrage ab. Die Beschwerdeführerin und das
Bundesamt bejahen sie. Ihre Argumentation läuft aber darauf hinaus, dass
die Abgabe des verlangten Blindenführhundes wegen der Blindheit an sich
notwendig sei. Demnach könnten praktisch alle blinden Hausfrauen einen
Blindenführhund beanspruchen. Allein das Gesetz sieht eine allgemeingültige
Lösung in diesem Sinne nicht vor. Es will die Eingliederung lediglich so
weit sicherstellen, als dies im Einzelfall notwendig, aber auch genügend
ist. Der Versicherte kann nicht von der Invalidenversicherung verlangen,
dass sie ihm die bestmögliche Eingliederung zuteil werden lasse. Was
insbesondere die Hilfsmittel betrifft, so ergibt sich zunächst aus Art. 21,
dass der gesetzliche Zweck (Abs. 1 und 2) in einfacher und zweckmässiger
Weise angestrebt werden muss (Abs. 3). Und da die Invalidenversicherung
grundsätzlich nur die notwendigen Massnahmen gewährt, kann der Versicherte
nicht die nach den gegebenen Umständen optimalen Vorkehren beanspruchen
(EVGE 1966 S. 103). Dafür spricht aber auch, dass besonders in Art. 14
Abs. 2 IVV nicht alle möglichen, sondern nur eine beschränkte Zahl von
Hilfsmitteln aufgeführt sind, welche zur Erreichung des gesetzlichen
Zweckes abgegeben werden dürfen. - Nur in diesem Rahmen stellt sich in
einem konkreten Fall die Bedürfnisfrage. Dies übersieht das Bundesamt, wenn
es ausführt, die Versicherte "kann nur dann jederzeit und unabhängig ihren
Bedürfnissen bezüglich Fortbewegung und Kontaktnahme mit den Mitmenschen
nachkommen, wenn sie im Besitze eines Blindenführhundes ist".