Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 V 259



98 V 259

65. Auszug aus dem Urteil vom 25. Oktober 1972 i.S. Schönauer gegen
Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des Kantons
Zürich Regeste

    Art. 5 Abs. 1 IVG: Schätzung der Invalidität einer Hausfrau.
Mitberücksichtigung nebenberuflicher Erwerbstätigkeit im Rahmen des
vorwiegend nichterwerblichen Aufgabenbereiches (Weiterentwicklung der
Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 28 Abs. 1 IVG hat der Versicherte Anspruch auf eine ganze
Rente, wenn er mindestens zu zwei Dritteln, oder auf eine halbe Rente,
wenn er mindestens zur Hälfte (im Fall wirtschaftlicher Härte mindestens
zu einem Drittel) invalid ist.

    Die gesetzlichen Grundlagen der Invaliditätsschätzung sind verschieden,
je nachdem ob diese versicherte Personen betrifft, die vor dem Eintritt
der Invalidität erwerbstätig oder nicht erwerbstätig waren (in der Folge
"Erwerbstätige" bzw. "Nichterwerbstätige" genannt). Während sich der
Invaliditätsgrad eines Erwerbstätigen nach dem in Art. 28 Abs. 2 IVG
vorgesehenen Einkommensvergleich, also wesentlich nach erwerblichen
Gesichtspunkten bestimmt, wird für die Bemessung der Invalidität
Nichterwerbstätiger, insbesondere von Hausfrauen, darauf abgestellt, in
welchem Umfang sie behindert sind, sich im bisherigen Aufgabenbereich zu
betätigen (Art. 27 Abs. 1 IVV in Verbindung mit Art. 28 Abs. 3 IVG). Als
Aufgabenbereich der Hausfrau gilt nach Art. 27 Abs. 2 IVV die übliche
Tätigkeit im Haushalt und allenfalls im Betrieb des Ehemannes sowie die
Erziehung der Kinder.

    Nach geltender Rechtsprechung ist es wegen dieser grundsätzlichen
Verschiedenheit der beiden gesetzlichen Bemessungsmethoden
(Einkommensvergleich einerseits und Betätigungsvergleich anderseits) nicht
möglich, einen Versicherten teilweise als Erwerbstätigen und teilweise als
Nichterwerbstätigen zu qualifizieren. Ist der Versicherte vor Eintritt der
Invalidität zugleich erwerblich und im spezifischen Aufgabenbereich im Sinn
des Art. 27 IVV tätig gewesen, so ist für die Wahl der Bemessungsmethode
entscheidend, welches Tätigkeitsgebiet - gesamthaft betrachtet - die
grössere Bedeutung hätte, wenn er nicht invalid geworden wäre (ZAK 1970
S. 418 und 1969 S. 198 und 520 sowie die dort zitierten Urteile). Nach
der Praxis gehört vorwiegend zu den Erwerbstätigen beispielsweise eine
verheiratete Hausfrau, die vor der Invalidierung im vollen Ausmass
erwerbstätig war oder den überwiegenden Teil dessen erwarb, was sie bei
voller Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleicher Art hätte verdienen können
(EVGE 1964 S. 262 und ZAK 1969 S. 520). Hingegen ist eine verheiratete
Hausfrau, die schon vor Eintritt der Invalidität neben der Besorgung des
Haushalts nur einen geringen Nebenverdienst hatte, als Nichterwerbstätige
zu betrachten, was zur Anwendung der spezifischen Bemessungsmethode des
Art. 27 IVV führt.

    Das Bundesamt hält nun die Praxis, wonach bei überwiegender
Hausfrauentätigkeit jegliche allfällige Erwerbstätigkeit für die
Invaliditätsschätzung unbeachtlich sein soll, für stossend. Es will
in einem solchem Fall das Ausmass der Behinderung in der Ausübung
der Erwerbstätigkeit im Rahmen des Betätigungsvergleichs angemessen
berücksichtigt wissen. Zutreffend weist es darauf hin, dass das
Eidg. Versicherungsgericht bereits in EVGE 1964 S. 263 i.S. Bähler
ausgeführt hat: "Es stellt sich ... die Frage, ob bei der Bestimmung
des Grades der Leistungsfähigkeit einer Hausfrau in analoger Anwendung
von Art. 27 Abs. 2 IVV ausserhäusliche Tätigkeit bei Dritten nicht
ebenfalls zu berücksichtigen sei; doch braucht diese Frage heute nicht
näher geprüft zu werden" (nicht publiziertes Urteil vom 8. Oktober 1965
i.S. Schneider). Der vorliegende Fall gibt dem Gericht Gelegenheit,
seine bisherige, die Bemessung der Invalidität von Hausfrauen mit
nebenberuflicher Erwerbstätigkeit betreffende Rechtsprechung zu überprüfen.

Erwägung 2

    2.- Die geltende Regelung, wonach eine partiell erwerbstätige
Hausfrau für die Belange der Invalidenversicherung nur als Hausfrau
odernurals Erwerbstätigezu behandeln ist, führt - vor allem mangels
genauer Kriterien zur Bewertung der häuslichen Tätigkeit - praktisch
zu einer günstigeren Behandlung der überwiegend erwerbstätigen Hausfrau
gegenüber jenen Frauen, die zwar vorwiegend im Haushalt sich betätigen,
daneben aber durch ausserhäusliche Erwerbstätigkeit einen beachtlichen
Teil zum Familienunterhalt beitragen. Dies gilt besonders dort, wo der
blosse Betätigungsvergleich (gemäss Art. 27 IVV) Invaliditäten ergibt,
die nur knapp zur Verweigerung einer halben oder ganzen Rente führen. Dazu
kommt, dass selbst die spezifische Bemessungsmethode des Art. 27 IVV nicht
allein auf die Tätigkeit im Haushalt, sondern auch auf die Mitarbeit der
Hausfrau im Betrieb des Ehemannes abstellt. Während also auch hier die
berufliche Betätigung der Hausfrau berücksichtigt wird, gilt dies dort
nicht, wo sich die Hausfrau nicht im Betrieb des Ehemannes, sondern bei
Drittpersonen beruflich betätigt.

    Deshalb rechtfertigt es sich, die im Urteil Bähler offen gelassene
Frage heute wie folgt zu beantworten: Die Erwerbstätigkeit, die
eine hauptsächlich im eigenen Haushalt und mit der Kindererziehung
beschäftigte Versicherte für Drittpersonen ausübt, ist bei der
Invaliditätsschätzung nach der spezifischen Methode des Art. 27 IVV
angemessen zu berücksichtigen, sofern die Erwerbstätigkeit zu ihrem
Aufgabenbereich gehört. Das trifft dann zu, wenn das Erwerbseinkommen,
welches die Versicherte ohne Invalidität wahrscheinlich erzielen würde,
einen wesentlichen Teil des gesamten Familieneinkommens bildete. In diesem
Umfang ist der vom Bundesamt beantragten angemessenen Berücksichtigung
der Erwerbstätigkeit einer Hausfrau im Rahmen des (nichterwerblichen)
Betätigungsvergleichs zuzustimmen.