Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 V 220



98 V 220

54. Auszug aus dem Urteil vom 19. Oktober 1972 i.S. Boehringer gegen
Bundesamt für Sozialversicherung und Eidgenössisches Departement des
Innern Regeste

    Art. 55 VwG.

    Aufschiebende Wirkung der Beschwerde: Voraussetzungen des Entzugs
dieser Wirkung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 128 OG beurteilt das Eidg.  Versicherungsgericht
letztinstanzlich Verwaltungsgerichtsbeschwerden gegen
Verfügungen im Sinne von Art. 97 und 98 lit. b-h OG auf dem
Gebiete der Sozialversicherung. Hinsichtlich des Begriffes der mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde anfechtbaren Verfügungen verweist Art. 97
OG auf Art. 5 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsverfahren. Nach
Art. 5 Abs. 1 VwG gelten als Verfügungen Anordnungen der Behörden im
Einzelfall, die sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen (und im
übrigen noch weitere, nach dem Verfügungsgegenstand näher umschriebene
Voraussetzungen erfüllen). Verfügungen im Sinne dieser Umschreibung
können nach dem Wortlaut des zweiten Absatzes von Art. 5 VwG auch
Zwischenverfügungen sein, insoweit sie den Anforderungen des vorangehenden
ersten Absatzes entsprechen. Zudem verweist Art. 5 Abs. 2 VwG bezüglich der
Zwischenverfügungen auf Art. 45 des gleichen Gesetzes. Diese Bestimmung
enthält die weitere Einschränkung, dass nur solche Zwischenverfügungen
anfechtbar sind, die einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken
können (Art. 45 Abs. 1 VwG). Dieser grundsätzliche Vorbehalt gilt als
Voraussetzung für die Zulässigkeit eines selbständigen, der Endverfügung
vorangehenden Beschwerdeverfahrens, insbesondere für alle in Art. 45
Abs. 2 VwG - nicht abschliessend - aufgezählten Zwischenverfügungen
(BGE 97 V 248, 97 I 478, 96 I 294/295; GYGI, Verwaltungsrechtspflege
und Verwaltungsverfahren im Bund, S. 90). Für das letztinstanzliche
Beschwerdeverfahren ist ferner zu beachten, dass gemäss Art. 129 Abs. 2
in Verbindung mit Art. 101 lit. a OG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
gegen Zwischenverfügungen nur zulässig ist, wenn sie auch gegen die
Endverfügung offensteht; dies trifft hier zu (Art. 98 lit. b OG).

    Das Eidg. Versicherungsgericht hat daher auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nur dann einzutreten, wenn die angefochtene
Zwischenverfügung einen irreversiblen Nachteil bringen kann.

Erwägung 2

    2.- Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann nicht behauptet werden,
eine - auch nur vorübergehende - Streichung in der Spezialitätenliste (SL)
sei für die betroffene Firma wirtschaftlich belanglos. Zwar könnte man
sich auf den Standpunkt stellen, nach erfolgter Streichung komme es nicht
mehr so sehr darauf an, ob diese gegebenenfalls vorzeitig oder erst durch
den Entscheid in der materiellen Streitsache aufgehoben wird. Dabei wird
indessen übersehen, dass bis zur Urteilsfällung wegen oft umfangreicher
Beweiserhebungen viel Zeit verstreichen kann und die wirtschaftlichen
Folgen unter Umständen bedeutend, ja sogar nicht wieder gutzumachend
sein können. Es ist im vorliegenden Fall nach den Ausführungen der
Beschwerdeführerin nicht ausgeschlossen, dass dies zutreffen würde. Auf
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Die vorliegende Verwaltungsgerichtsbeschwerde richtet sich gegen
die Zwischenverfügung des Eidgenössischen Departementes des Innern, worin
das Begehren um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abgewiesen
wird. Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidg.
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt
hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens,
oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt unrichtig oder unvollständig
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und
b sowie Art. 105 Abs. 1 OG).

Erwägung 4

    4.- Zu entscheiden ist, ob der Entzug der Suspensivwirkung rechtmässig
erfolgte.

    Es ist Aufgabe der nach Art. 55 VwG zuständigen Behörde, zu prüfen,
ob die Gründe, die für die sofortige Vollstreckbarkeit der Verfügung
sprechen, gewichtiger sind als jene, die für die gegenteilige Lösung
angeführt werden können. Dabei verfügt die Behörde, wie das Bundesgericht
im Urteil vom 23. Juli 1971 i.S. E.Z. (Erw. 3 am Schluss) erkannt hat,
über einen gewissen Beurteilungsspielraum. Im allgemeinen wird sie ihren
Entscheid auf den Sachverhalt gründen, der sich aus den vorhandenen
Akten ergibt, ohne zeitraubende weitere Erhebungen anzustellen. Bei der
Abwägung der Gründe für und gegen die sofortige Vollstreckbarkeit können
auch die Aussichten auf den Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache ins
Gewicht fallen; sie müssen allerdings eindeutig sein. Im Zweifelsfalle
sind sie ausser acht zu lassen, da die Hauptsache selbst noch nicht
abgeklärt zu werden braucht (Urteil des Bundesgerichts vom 14. Februar
1972 i.S. Milchgenossenschaft Schwadernau, Erw. 4). In einem bei
IMBODEN (Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung II, Nr. 635, S. 686
f.) wiedergegebenen Fall stellte das zürcherische Verwaltungsgericht
zur Beurteilung der Frage, ob der Suspensiveffekt zu entziehen sei, auf
die schwere Gefährdung der geschützten Güter ab; wo es an einer solchen
fehle, sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Dieser
Standpunkt verdient Beachtung vor allem deswegen, weil der Entzug
des Suspensiveffekts gegenüber den belastenden Gestaltungsverfügungen
regelmässig eine vorzeitige Zustandsänderung für den Betroffenen eintreten
lässt, ohne dass die verfügungsweise angeordnete Massnahme im Hinblick
auf eingelegte Rechtsmittel bereits materiell rechtskräftig geworden
wäre. Auch wenn der Betroffene keinen Anspruch auf die Beibehaltung des
bisherigen Zustandes im Sinne eines wohlerworbenen Rechts besitzt, soll er
ohne objektive Notwendigkeit durch die Verweigerung der Aufschubwirkung
nicht vor Abschluss des ordentlichen Rechtsmittelverfahrens in seiner
Situation verändert werden. Diese Betrachtungsweise verhindert zudem,
dass die Beurteilung der Frage, ob einer Beschwerde die aufschiebende
Wirkung zu entziehen sei, vornehmlich unter dem Gesichtspunkt tangierter
wirtschaftlicher Interessen vorgenommen wird. Sie ist insbesondere dann
am Platz, wenn das Gesetz einer Beschwerde grundsätzlich aufschiebende
Wirkung zuerkennt (Art. 55 Abs. 1 VwG). Die verfügende Behörde wird in
einem solchen Fall überzeugende Gründe geltend machen müssen, um die
aufschiebende Wirkung zu entziehen.