Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 V 216



98 V 216

53. Auszug aus dem Urteil vom 4. Juli 1972 i.S. Lipp gegen
AHV-Ausgleichskasse des Kantons Zürich und AHV-Rekurskommission des
Kantons Zürich Regeste

    Art. 35 Abs. 1 IVG.

    Voraussetzungen des Anspruchs der nicht invaliden geschiedenen Frau
auf direkte Auszahlung der Kinderzusatzrente.

Sachverhalt

    A.- Die seit 1967 gerichtlich getrennten Ehegatten Rosa und Marcel
Lipp wurden am 3. Juli 1970 durch das Bezirksgericht Zürich geschieden.
Das Gericht stellte den 1956 geborenen Sohn Christoph Marcel unter die
elterliche Gewalt seiner Mutter und verpflichtete den Ehemann, dieser "an
die Kosten der Erziehung und des Unterhalts des Sohnes Christoph Marcel
monatliche Beiträge von Fr. 150.--, zuzüglich allfällige gesetzliche oder
vertragliche Kinderzulagen, zu entrichten...".

    B.- Der geschiedene Marcel Lipp bezog seit dem 1. Juni 1968 eine halbe
einfache Invalidenrente. Seit dem 1. September 1970 erhält er wegen 70%iger
Invalidität eine ganze Rente. Rosa Lipp und dem Sohn Christoph gewährte
die Ausgleichskasse des Kantons Zürich halbe einfache Zusatzrenten. Am
2. April 1969 ordnete die Kasse an, dass die Zusatzrenten rückwirkend
ab 1. Juni 1968 Rosa Lipp ausgerichtet würden. Aber am 21. Dezember 1970
verfügte sie, dass die Zusatzrente für den Sohn Christoph ab 1. Dezember
1970 seinem Vater Marcel Lipp ausbezahlt werde, wie dieser im November
1970 verlangt hatte.

    Mit Verfügung vom 13. Januar 1971 eröffnete die Ausgleichskasse Rosa
Lipp, dass die ihr gewährte Zusatzrente gestützt auf Art. 34 Abs. 2 IVG
wegen der am 3. Juli 1970 erfolgten Ehescheidung auf den 31. Juli 1970
aufgehoben und dass die Zusatzrente für den Sohn Christoph dessen Vater
Marcel Lipp direkt überwiesen würden.

    C.- Rosa Lipp beschwerte sich gegen diese Verfügung.

    Am 5. November 1971 hob die AHV-Rekurskommission des Kantons Zürich
die angefochtene Verfügung auf. Sie entschied, dass die Kinderzusatzrente
ab 1. Dezember 1970 weiterhin Rosa Lipp auszurichten sei und dass diese
ihre eigene Zusatzrente auch noch für den Monat August 1970 erhalte. Die
seit dem 1. Dezember 1970 an Marcel Lipp ausbezahlten Kinderzusatzrenten
sowie die Differenz zwischen der halben und der ganzen Kinderzusatzrente
für die Monate September bis November 1970 müssten Rosa Lipp noch
ausgerichtet werden.

    D.- Marcel Lipp zieht diesen Entscheid mit
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidg. Versicherungsgericht weiter. Er
beantragt, es sei die Kinderzusatzrente weiterhin ihm auszurichten, da
er für deren richtige Verwendung jede Gewähr biete. Der Anspruch eines
invaliden Rentenbezügers auf Kinderzusatzrente habe den Sinn, ihm zu
ermöglichen, seiner Unterhaltspflicht nachzukommen.

    Rosa Lipp und die Ausgleichskasse tragen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an.

    Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt ebenfalls die Abweisung
der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bezüglich der Kinderzusatzrente.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

    a) Die Art. 34 und 35 IVG ordnen den Anspruch auf Zusatzrente für
die Ehefrau und für Kinder. Sie enthalten aber keine Bestimmung darüber,
an wen Kinderzusatzrenten im Sinn des Art. 35 IVG bei geschiedener Ehe
auszuzahlen sind, wenn die elterliche Gewalt dem rentenberechtigten
invaliden Mann entzogen wurde, die Kinder nicht bei ihm wohnen und seine
allgemeine Unterhaltspflicht (Art. 272 ZGB) sich in einem Kostenbeitrag
erschöpft. Anderseits stellt Art. 34 Abs. 2 IVG die geschiedene Frau
bezüglich des Zusatzrentenanspruchs der Ehefrau gleich, "sofern sie für
die ihr zugesprochenen Kinder überwiegend aufkommt und selbst keine
Invalidenrente beanspruchen kann". Und Art. 34 Abs. 3 IVG räumt der
getrennten oder geschiedenen Frau das Recht ein, die Zusatzrente an sich
überweisen zu lassen. In EVGE 1964 S. 268 Erw. 4 hat das Gericht auf diese
gesetzestechnisch bedingte Inkonsequenz aufmerksam gemacht und erklärt,
dass es logisch gewesen wäre, für die Kinderzusatzrenten eine den Absätzen
2 und 3 des Art. 34 IVG analoge Regelung zu treffen.

    Im Rahmen der AHV hat dann das Gericht in dem in ZAK 1969 S. 124
publizierten Urteil darauf hingewiesen, dass das Gesetz die zweckgebundene
Verwendung der Kinderzusatzrenten selbst für jene Fälle ausdrücklich
vorschreibt, in denen der geschiedene Vater die elterliche Gewalt noch
innehat; umso stärker müsse die Sicherung für das Kind sein, wenn der
Vater die elterliche Gewalt nicht mehr auszuüben oder keine aktuelle
Unterhaltspflicht mehr habe. Zwar sei die Kinderzusatzrente, welche dem
Vater ausbezahlt werde, dem Kind nicht immer summenmässig zuzuwenden; sie
sei dies aber dann, wenn der Vater keinen Naturalunterhalt mehr leisten
müsse und auch keinen mehr leiste oder wenn er bloss zu Unterhaltsbeiträgen
in bar verpflichtet oder davon sogar befreit sei. Zu dem damals zu
beurteilenden Fall eines geschiedenen Altersrentners, welcher für den in
der elterlichen Gewalt der Mutter befindlichen Sohn Unterhaltsbeiträge
bezahlen musste, führte das Gericht insbesondere aus, es wäre "sinnlos,
die summenmässig zu vollziehende Zuwendung der Kinderzusatzrente derart
zu gewährleisten, dass diese zunächst dem Vater ausbezahlt würde,
der sie in der Folge ungeschmälert an das Kind bzw. den Inhaber der
elterlichen Gewalt überweisen müsste". Es gehe nicht an, lediglich
auf den (unvollkommenen) Wortlaut des Gesetzes abzustellen. Vielmehr
habe der Richter auch im Bereich des Sozialversicherungsrechts vor
allem auf den Sinn der gesetzlichen Ordnung zu achten (vgl. IMBODEN,
Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. 1, 4. Aufl., S. 120 ff.;
ferner EVGE 1968 S. 142 Erw. 2b). Damit hiess das Gericht die Auszahlung
der Kinderzusatzrente an die Mutter gut.

    b) Diese im Bereich der AHV angestellten Überlegungen gelten sinngemäss
auch in der Invalidenversicherung, denn eine unterschiedliche Behandlung
ein und desselben Problems, je nachdem ob es um AHV- oder IV-Renten
geht, lässt sich sachlich nicht rechtfertigen. Die in EVGE 1964 S. 268
offen gelassene Frage nach der Auszahlung der Kinderzusatzrenten ist
demnach dahin zu beantworten, dass diese auf Verlangen der getrennten
oder geschiedenen Frau auszuzahlen sind, wenn sie die elterliche Gewalt
besitzt, die Kinder nicht beim rentenberechtigten invaliden Mann wohnen
und sich dessen Unterhaltspflicht in einem Kostenbeitrag erschöpft.

    Im vorliegenden Fall hat der Scheidungsrichter die elterliche
Gewalt über Christoph Lipp dessen Mutter übertragen. Mutter und Sohn
leben zusammen. Der Beschwerdeführer hat an den Unterhalt von Christoph
lediglich einen monatlichen Unterhaltsbeitrag zu leisten. Mit Recht
hat daher die Vorinstanz entschieden, dass die Kinderzusatzrente vom
1. Dezember 1970 hinweg weiterhin direkt Rosa Lipp auszurichten und dass
ihr die Rentenbetreffnisse, welche der Beschwerdeführer seit September
1970 als Kinderzusatzrente erhalten hat, nachzuzahlen seien.

Entscheid:

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.