Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 83



98 IV 83

16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. Juni 1972 i.S. Arn
gegen Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 25 und 137 StGB; Gehilfenschaft zu Diebstahl.

    Abgrenzung des Begriffes der Gehilfenschaft zu Diebstahl vom Begriffe
der Hehlerei als Sachbegünstigung (Erw. 2 c).

Sachverhalt

    A.- Am 19. Januar 1971 nachmittags begab sich Heinz Arn zusammen
mit seiner bei ihm in Thun wohnenden Freundin Anna Schaller in das
Modegeschäft Spengler in Bern. Beim Eingang holte er auf Anweisung seiner
Freundin bei den Kassen eine grosse Plastik-Tragtasche. Im Beisein des
Angeschuldigten suchte sich Anna Schaller in der Damenkleiderabteilung des
ersten Stockes vier Kleider aus, die sie hierauf in einer Umkleidekabine,
wohin ihr auch Arn folgte, anprobierte. Zwei der Kleider verstaute
sie dann in der Plastiktasche, die sie dem Angeschuldigten zum Tragen
übergab. Kurz darauf verliessen sie die Kabine. Arn wartete in der
Geschäftsabteilung noch ganz kurze Zeit auf Anna Schaller, welche beim
Verlassen der Kabine von einer Verkäuferin gefragt wurde, ob ihr etwas
gepasst habe, was sie verneinte. Gemeinsam fuhren die beiden hierauf
die Rolltreppe hinunter ins Erdgeschoss und verliessen das Geschäft,
ohne die Kleider zu bezahlen. Zwei Verkäuferinenn, die das Vorgehen der
beiden beobachtet hatten, folgten ihnen auf die Strasse und stellten sie
zur Rede. Arn versetzte der einen Verkäuferin zuerst eine Ohrfeige und,
als die zweite ihrer Kollegin zu Hilfe kam, noch einen Stoss, so dass
sie zu Boden fiel. Darauf warf Arn die Plastiktasche mit den gestohlenen
Kleidern weg und ergriff die Flucht. Er und seine Freundin konnten jedoch
rasch angehalten werden. Bei der getrennten Einvernahme durch die Polizei
gaben beide an, er heisse Heinz Bieri und sei aus Münsingen.

    B.- Der Gerichtspräsident VII von Bern verurteilte Anna Schaller
wegen Diebstahl zu einer bedingten Gefängnisstrafe von zehn Tagen, Arn
wegen Gehilfenschaft zu Diebstahl und falscher Namensangabe zu drei Wochen
Gefängnis unbedingt und zu einer Busse von 30 Franken.

    Arn appellierte gegen das erstinstanzliche Urteil an das Obergericht,
zog aber die Berufung in bezug auf den Schuldspruch wegen falscher
Namensangabe wieder zurück. Der Generalprokurator schloss sich der
Appellation an.

    Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern bestätigte
am 12. August 1971 die Verurteilung Arns wegen Gehilfenschaft zu
Diebstahl. Hiefür und für die falsche Namensangabe wurde er zu einer
unbedingten Gefängnisstrafe von zwei Monaten und zu einer Busse von 30
Franken verurteilt.

    C.- Arn erhebt hiegegen staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde. Mit der letzteren beantragt er die Aufhebung des
angefochtenen Urteils und die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung
an die kantonale Instanz.

    Die staatsrechtliche Beschwerde wurde am 15. Juni 1972 vom
Bundesgericht abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Arn vertritt die Auffassung, da ihm im angefochtenen Entscheid
einzig vorgeworfen werde, er habe den Plastiksack mit dem Diebesgut aus
der Umkleidekabine und aus dem Geschäft getragen, könne sein Verhalten
unter keinen Umständen als Gehilfenschaft zu Diebstahl qualifiziert
werden. Der Diebstahl sei in dem Augenblick vollendet gewesen, als Anna
Schaller die Kleider in Aneignungsabsicht in der Plastiktasche verstaute,
also bevor der Beschwerdeführer aktiv geworden sei.

    a) Arn verwechselt die Erfüllung des gesetzlichen Straftatbestandes
mit der faktischen Beendigung des strafbaren Verhaltens. In dem von ihm
zitierten Urteil (BGE 92 IV 91) wird erklärt, dass der Diebstahl in dem
Augenblick vollendet war, als die Täterin den fremden Pullover in der
Umkleidekabine unter dem eigenen versteckte, um ihn sich anzueignen. Damit
ist die Erfüllung des gesetzlichen Straftatbestandes gemeint. Von diesem
Augenblick an hatte sich die Täterin des Diebstahls schuldig gemacht. Wenn
das Bundesgericht weiter ausführte, das Delikt sei vollendet gewesen, bevor
die Täterin die Kasse passierte und eine Bestrafung wegen Betruges deshalb
ausser Betracht falle, so ist damit nicht gesagt, der Diebstahl sei auch
faktisch schon beendet gewesen, bevor die Diebin den Selbstbedienungsladen
verlassen hatte; vielmehr ist diese Aussage lediglich im Zusammenhang
mit den Regeln der konsumierenden Gesetzeskonkurrenz zu verstehen.

    b) Im vorliegenden Fall machte sich Anna Schaller von dem Augenblick
an des Diebstahls schuldig, als sie die zwei Kleidungsstücke in der
Plastiktasche in der Absicht versteckte, sie sich anzueignen. Zur
Beendigung des Deliktes gehörte aber auch die unbemerkte Fortschaffung
der weggenommenen Ware aus dem Laden ohne Bezahlung. Dadurch, dass der
Beschwerdeführer die Umkleidekabine zuerst verliess, die unauffällige
Tragtasche in der Hand, konnten die beiden hoffen, er werde jedem Verdacht
entgehen. Die Verkäuferinnen richteten ihr Augenmerk naturgemäss vor
allem auf die probierende Kundin. Kam sie etwas später aus der Kabine,
ohne etwas mitzutragen oder den Verdacht zu erregen, etwas unter ihren
Kleidern versteckt zu haben, so liess sich der Diebstahl nach Erwartung der
beiden Beteiligten viel eher erfolgreich beenden. Die Beteiligung Arns am
Diebstahl erschien damit wenn nicht notwendig so zumindest sehr hilfreich.

    c) Gehilfenschaft ist stets akzessorisch. Sie setzt die Haupttat
eines andern voraus, an welcher der Gehilfe in untergeordneter Weise
mitwirkt. Dass die vom Gehilfen geleisteten Dienste unerlässlich seien,
ist nicht erforderlich. Es genügt, dass der Beschwerdeführer einen
kausalen Beitrag geleistet hat, der das Verbrechen förderte, so dass
sich die Tat ohne seine Mitwirkung anders abgespielt hätte (BGE 78 IV
7, nichtveröffentlichter Entscheid des Kassationshofes vom 12. Oktober
1962 i.S. Luzi und Stutz gegen Luzern). Weder die Art der geleisteten
Hilfe, noch die verwendeten Mittel, noch die Dauer der Hilfeleistung
sind entscheidend (BGE 92 IV 114 E. 2, 88 IV27). Die Beteiligung des
Gehilfen ist dabei so lange möglich, als die Tat noch nicht beendet ist,
d.h. als nach einem rechtlich vollendeten Delikt durch das nachfolgende
Verhalten des Täters das verletzte Rechtsgut weiterhin beeinträchtigt wird
(SCHÖNKE/SCHRÖDER, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 14. A. 1969, S. 278/279,
N. 1-2 b und S. 364 N. 8).

    Die Tätigkeit des Hehlers als Sachbegünstiger setzt demgegenüber erst
nach der verübten Tat ein. Er leistet dem Täter eine Hilfe, auf die dieser
vor oder während der Verübung der Tat nicht rechnete. Der Sachbegünstiger
oder Hehler setzt keine Bedingung zur Tat, er befördert und erleichtert
sie auch nicht (HAFTER, Strafrecht, allg. Teil, 2.A. S. 236).

    Im Zeitraum zwischen der rechtlichen Vollendung des Diebstahls
durch Frl. Schaller und der tatsächlichen Beendigung des Deliktes beim
gemeinsamen Verlassen des Modegeschäftes war Arn somit als Gehilfe zum
Diebstahl im Sinne von Art. 25 StGB tätig.

    d) Eine Verurteilung wegen Hehlerei fällt ferner auch wegen der für
den Kassationshof verbindlichen (Art. 277 bis Abs. 1 BStP) Feststellung
der Vorinstanz ausser Betracht, wonach Arn auf Geheiss seiner Freundin
die leere Tragtasche beim Betreten des Geschäfts an der Kasse mitnahm
und in die Kabine verbrachte. Bereits darin lag eine Beteiligung am
Diebstahl. Nach allgemeinem Geschäftsablauf wählt in solchen Modegeschäften
die Kundin unter mehreren Kleidern aus und übergibt ein eventuell passendes
Kleid einer Verkäuferin oder direkt der Kassiererin; nach Bezahlung des
Preises wird die Ware verpackt und erst jetzt eventuell in eine Tragtasche
verstaut. Der Kunde bringt die Ware somit nicht selbst vor der Bezahlung
in einer solchen Tasche unter. Das Personal nimmt ohne weiteres an, ein
Kunde habe Ware gekauft und ordnungsgenmäss bezahlt, wenn er mit einer
gefüllten Tragtasche des Geschäfts selbst dieses verlässt oder eine andere
Abteilung aufsucht. Der Umstand, dass Arn und seine Freundin eine leere
Tasche bezogen und in die Umkleidekabine mitnahmen, stellt daher bereits
einen ersten Schritt in der Verwirklichung des Diebstahlplanes dar.

    Wenn das Obergericht das Verhalten des Beschwerdeführers als
Gehilfenschaft zu Diebstahl würdigte, hat es also keine Bestimmungen
eidgenössischen Strafrechtes verletzt.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.