Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 60



98 IV 60

11. Entscheid der Anklagekammer vom 28. Januar 1972 i.S. Rohner gegen
Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Bestimmung des Gerichtsstandes.

    1.  Art. 346 Abs. 1 StGB. Gerichtsstand bei schriftlicher oder
telephonischer Begehung der Tat (Erw. 1).

    2.  Der Gerichtsstand richtet sich nach den strafbaren Handlungen,
die Gegenstand der Untersuchung bilden und nicht auf einer offensichtlich
haltlosen oder widerlegten Beschuldigung beruhen (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Die Wilson Watch Uhrenfabrik W. Tschudin AG in Herzogenbuchsee
zeigte den Verwaltungsratspräsidenten Karl Rohner der Neoinvest Holding AG
St. Margrethen am 13. November 1971 beim Untersuchungsrichter des Bezirkes
Wangen (Bern) wegen Betruges an. Sie warf ihm vor, er habe von ihr im
Jahre 1968 unter arglistiger Irreführung und arglistiger Ausnützung ihres
Irrtums Uhren gekauft und ihr zur Deckung des Preises von Fr. 129'293.--
zwei auf den zahlungsunfähigen John Donald Bell in London gezogene und
von diesem akzeptierte aber in der Folge nicht bezahlte Wechsel über DM
121'000.-- übergeben.

    Die Anzeigerin legte ein Doppel einer Klage bei, die sie am 1. Oktober
1970 beim Handelsgericht des Kantons St. Gallen mit dem Antrag auf
Verurteilung der Neoinvest Holding AG zur Zahlung der Fr. 129'293.--
eingereicht hatte. Die Zivilklage wurde vom Handelsgericht am 18. November
1971 mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe die Bell-Wechsel an
Zahlungsstatt angenommen und es sei mit den von ihr angerufenen Mitteln
nicht beweisbar, dass die Beklagte von der Wertlosigkeit der Wechsel
überzeugt war. Gegen dieses Urteil ist beim Kassationsgericht des Kantons
St. Gallen eine Nichtigkeitsbeschwerde der Klägerin hängig.

    B.- Der Untersuchungsrichter von Wangen beantragte dem
Generalprokurator des Kantons Bern am 18. November 1971, das
Gerichtsstandsverfahren durchzuführen, weil im Kanton Bern einzig der
Erfolg allfälliger Betrügereien eingetreten zu sein scheine.

    Am 17. Dezember 1971 liess sich die Anzeigerin zur Gerichtsstandsfrage
vernehmen. Sie behauptete, die ersten Ausführungshandlungen des Betruges
seien in Herzogenbuchsee vorgenommen worden; der Beschuldigte habe dort
am 17. September 1968 mit ihren Verwaltungsräten Tschudin und Ullmann
die Möglichkeit des Einsetzens der Bell-Wechsel besprochen, die er ihr
dann am 19. September 1968 zugeschickt habe.

    Mit Rücksicht auf diese Behauptung beschloss der Generalprokurator
des Kantons Bern am 29. Dezember 1971, die Gerichtsbarkeit des Kantons
Bern unter dem Vorbehalt anzuerkennen, dass nicht die Abklärung des
Sachverhaltes eine andere örtliche Zuständigkeit ergebe.

    Am 7. Januar 1972 wurde der Beschuldigte auf Ersuchen des
Untersuchungsrichters von Wangen durch das Bezirksamt Unterrheintal
einvernommen. Rohner bestritt die Gerichtsbarkeit des Kantons Bern. Er
behauptete, er habe nie die Anzeigerin in Herzogenbuchsee aufgesucht.

    C.- Mit Beschwerde vom 20./21. Januar 1972 beantragt Rohner der
Anklagekammer des Bundesgerichts, den Beschluss des Generalprokurators des
Kantons Bern aufzuheben und die Behörden des Kantons St. Gallen zuständig
zu erklären. Er bestreitet, jemals im Kanton Bern mit Vertretern der
Anzeigerin gesprochen oder sonstwie im Zusammenhang mit der Abwicklung
des umstrittenen Geschäftes eine Handlung begangen zu haben. Er macht
geltend, aus dem Schreiben der Neoinvest Holding AG vom 19. September
1968 ergebe sich, dass die der Zusendung der Wechsel vorausgegangene
Besprechung telephonisch erfolgt sei.

    D.- Der Generalprokurator des Kantons Bern antwortet, wenn sich die
Darstellung des Beschwerdeführers, die vorläufig nur eine gegenteilige
Behauptung sei, als richtig erweisen sollte, würde er die Behörden des
Kantons St. Gallen für zuständig halten.

Auszug aus den Erwägungen:

              Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Eine strafbare Handlung ist von den Behörden des Ortes zu
verfolgen, wo sie ausgeführt worden ist (Art. 346 Abs. 1 StGB). Das gilt
auch, wenn sie in der Abfassung und Versendung eines Schriftstückes
bestanden hat. Der Gerichtsstand befindet sich nicht am Empfangsorte,
sondern dort, wo der Beschuldigte gehandelt hat (BGE 68 IV 54, 74 IV 189
Erw. 2, 86 IV 225). Gleich verhält es sich bei telephonischer Begehung;
Ausführungsort ist der Ort, von dem aus der Täter telephoniert.

    Der Kanton Bern ist daher in der vorliegenden Sache nur zuständig,
wenn der Beschwerdeführer eine zur Ausführung des Betruges gehörende
Handlung im Kanton Bern vorgenommen hat. Wenn dies zutrifft, entfällt die
Gerichtsbarkeit dieses Kantons nicht deshalb, weil der Beschwerdeführer
unbestrittenermassen auch im Kanton St. Gallen tätig geworden ist, von
dem aus er der Geschädigten telephoniert haben will und die Bell-Wechsel
hat zusenden lassen. Denn wenn die strafbare Handlung an mehreren Orten
ausgeführt worden ist, sind die Behörden des Ortes zuständig, an dem
die Untersuchung zuerst eingeleitet wurde (Art. 346 Abs. 2 StGB), was im
vorliegenden Falle im Kanton Bern geschehen ist.

Erwägung 2

    2.- Der Gerichtsstand hängt nicht davon ab, was dem Beschuldigten
schliesslich nachgewiesen werden kann. Er richtet sich nach den Handlungen,
die durch die Strafverfolgung abgeklärt werden sollen, es wäre denn, dass
sich die massgebende Beschuldigung von vornherein als haltlos erweise
(BGE 97 IV 149 und dort erwähnte Entscheide). Daher genügt der Vorwurf
der Anzeigerin, der Beschwerdeführer habe die Ausführungshandlungen des
Betruges unter anderem anlässlich eines Besuches vom 17. September 1968 bei
ihren Verwaltungsräten Tschudin und Ullmann in Herzogenbuchsee begangen,
um den Gerichtsstand Bern zu begründen. Diese Behauptung erweist sich nicht
offensichtlich als haltlos. Sie wird durch das Schreiben der Neoinvest
Holding AG vom 19. September 1968, das eine telephonische Besprechung
erwähnt, nicht widerlegt, denn der Beschwerdeführer kann die Anzeigerin
besucht und nachher noch telephonisch mit ihr verhandelt haben. Seine
Bestreitung genügt ebenfalls nicht, solange die Möglichkeit, den Besuch
durch Einvernahme von Personen aus dem Betrieb der Anzeigerin oder
sonstwie zu beweisen, nicht einwandfrei widerlegt ist. Es steht nicht der
Anklagekammer, sondern den Behörden des Kantons Bern zu, die erforderliche
Abklärung zu schaffen (BGE 73 IV 62 Erw. 2, 81 IV 72 f. Erw. 3 und 4).

    Die Beschwerde ist daher abzuweisen. Sollte nach weiteren
Erhebungen sicher sein, dass der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfenen
Betrugshandlungen in keiner Weise vom Gebiet des Kantons Bern aus gefördert
hat, so stände es den Behörden dieses Kantons frei, die Weiterverfolgung
einem zuständigen anderen Kanton, besonders dem Kanton St. Gallen,
zu überlassen.

Entscheid:

Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Die Beschwerde wird abgewiesen, und die Behörden des Kantons Bern
werden im Sinne der Erwägungen zuständig erklärt, Karl Rohner für den
ihm zur Last gelegten Betrug zu verfolgen und zu beurteilen.