Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 55



98 IV 55

10. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 1. März 1972
i.S. Politzer gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    1. Falscher Führerausweis

    a)  Art. 97 Ziff. 1 Abs. 1, 10 Abs. 4 SVG. Strafbar ist schon das
Mitführen nicht für den Führer bestimmter Ausweise, nicht erst das
Vorweisen (Erw. 1a).

    b)  Art. 97 Ziff. 1 Abs. 1 SVG betrifft nur echte Ausweise;
die Verwendung falscher oder gefälschter Ausweise fällt unter Art.
252 Ziff. 1 StGB (Erw. 1 b, 2).

    c)  Art. 95 Ziff. 1 Abs. 1 SVG setzt voraus, dass der Führer den
Ausweis überhaupt nicht besitzt (Erw. 2).

    d)  Verhältnis von Art. 99 Ziff. 3 SVG zu Art. 252 Ziff. 1 StGB
(Erw. 2).

    2. Art. 227 Abs. 2, 268ff., 277 ter BStP. Verbot der reformatio in
peius (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Georges Politzer will im Jahre 1969 von einem Beamten in München
gegen Bezahlung unter anderem einen deutschen Führerschein lautend auf
Dr. Georges Politzer, deutscher Staatsangehöriger, geb. 12. Januar 1921
in Lüttich/Belgien, gekauft haben. Die darin enthaltenen Angaben sind
insofern unrichtig, als Politzer nicht in Lüttich, sondern in Budapest
geboren wurde und er nicht deutscher Nationalität, sondern staatenlos ist.
Seit 1969 verwendete er diesen falschen deutschen Führerschein und führte
ihn insbesondere mit, als er am 28. Juni 1971 mit seinem Wagen mit der
Kontrollnummer ZH 25'523/71 von Turin kommend über den Grossen St. Bernhard
nach Zürich reiste. Politzer besass damals auch einen gültigen deutschen
Führerausweis, den er indessen nicht auf sich hatte.

    B.- Das Bezirksgericht Zürich sprach Politzer am 26.  Juli 1971
deswegen des fortgesetzten Fahrens ohne Führerausweis im Sinne von
Art. 95 Ziff. 1 Abs. 1 SVG schuldig und verurteilte ihn wegen dieser und
anderer strafbaren Handlungen zu zwei Monaten Gefängnis, abzüglich 28
Tage Untersuchungshaft, und zu Fr. 100.-- Busse.

    Auf Berufung hin änderte das Obergericht des Kantons Zürich den
erstinstanzlichen Schuldspruch dahin ab, dass es Politzer nicht wegen
fortgesetzten Fahrens ohne Führerausweis, sondern wegen fortgesetzten
Missbrauchs von Ausweisen gemäss Art. 97 Ziff. 1 Abs. 1 SVG verurteilte
und ihm an die Gefängnisstrafe 30 statt 28 Tage Untersuchungshaft
anrechnete. Im übrigen bestätigte es den Urteilsspruch des
Bezirksgerichtes, indem es Politzer namentlich den bedingten Strafvollzug
und die vorzeitige Löschbarkeit der Busse im Strafregister verweigerte.

    C.- Politzer führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, er sei
nur wegen Nichtmitführens von Ausweisen im Sinne des Art. 10 Abs. 4 SVG
schuldig zu erklären, und es sei ihm der bedingte Strafvollzug, eventuell
die vorzeitige Löschung der Busse im Strafregister zu bewilligen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

    D.- Eine von Politzer gegen das obergerichtliche Urteil eingereichte
kantonale Kassationsbeschwerde ist vom Kassationsgericht des Kantons
Zürich am 24. Januar 1972 abgewiesen worden.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, zu Unrecht
Art. 97 Ziff. 1 Abs. 1 SVG angewendet zu haben. Indem er einen falschen
Führerausweis bloss mit sich geführt habe, habe er diesen nicht im Sinne
der genannten Bestimmungen verwendet. Von einem Verwenden könnte nur
gesprochen werden, wenn er den Ausweis bei einer Kontrolle vorgezeigt
hätte. Des weiteren sei der gefälschte Ausweis kein Ausweis im Rechtssinne
gewesen; er habe deshalb gar keinen Ausweis verwenden können, der nicht
für ihn bestimmt gewesen wäre. Da er nach der verbindlichen Feststellung
des Obergerichtes einen gültigen Führerausweis besessen habe, könne
er nur wegen Nichtmitführens dieses Ausweises bestraft werden (Art. 99
Ziff. 3 SVG).

    a) Die Bestimmung des Art. 97 Ziff. 1 Abs. 1 SVG, der zufolge sich
strafbar macht, wer Ausweise verwendet, die nicht für ihn bestimmt sind,
ist im Zusammenhang mit der allgemeinen Vorschrift des Art. 10 Abs. 4 SVG
zu sehen, die den Führer verpflichtet, einerseits die Ausweise mitzuführen
und anderseits diese auf Verlangen der Kontrollorgane vorzuweisen. Da das
eine wie das andere Gebot der Kontrolle des Motorfahrzeugverkehrs dient
(BGE 87 IV 162), das Nichtmitführen des Ausweises aber den Fahrzeuglenker
überhaupt ausserstande setzt, der Kontrollpflicht zu genügen, liegt der
Akzent offensichtlich auf der ersteren Verpflichtung. Dem ist nun aber auch
bei der Auslegung von Art. 97 Ziff. 1 Abs. 1 SVG Rechnung zu tragen. Da
diese Strafsanktion die Verwendung nicht für den Führer bestimmter Ausweise
treffen will, um die Kontrolle des Motorfahrzeugverkehrs zu gewährleisten,
muss sie folgerichtig schon das missbräuchliche Mitführen und nicht erst
das Vorweisen der fraglichen Ausweise zum Gegenstand haben. Ein Verwenden
im Sinne des Art. 97 Ziff. 1 Abs. 1 SVG ist deshalb bereits gegeben, wenn
der Fahrzeuglenker einen nicht für ihn bestimmten Ausweis auf einer Fahrt
im öffentlichen Verkehr mit einem Fahrzeug, dessen Führung ausweispflichtig
ist, mitführt (SCHULTZ, Strafbestimmungen des SVG, S. 294 oben), in der
Absicht, sie auf Verlangen eines Kontrollorgans vorzuweisen. Dass der
Ausweis zu einer Kontrolle auch tatsächlich vorgewiesen wurde, ist somit
entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht erforderlich. Insoweit
hat die Vorinstanz Art. 97 Ziff. 1 Abs. 1 SVG zutreffend ausgelegt.

    b) Dagegen hat sie verkannt, dass eine Widerhandlung gegen diese
Bestimmung nur möglich ist, wenn der mitgeführte Ausweis echt ist
(SCHULTZ, op.cit. S. 293 unten und 305). Der Gebrauch falscher oder
verfälschter Ausweise fällt nicht unter Art. 97 Ziff. 1 Abs. 1 SVG. Diese
Bestimmung behandelt die Verwendung fremder Ausweise und diejenige von
Kontrollschildern, die für ein anderes als das geführte Fahrzeug bestimmt
sind, gleicherweise und in einem Zuge. Die Verwendung der letzteren wird
jedoch in Absatz 6 gesondert unter Strafe gestellt, wenn sie falsch
oder verfälscht sind. Das wäre aber ohne Zweifel nicht nötig gewesen,
wenn die Verwendung von falschen Kontrollschildern bereits unter Absatz
1 fiele. Warum es sich bezüglich der Ausweise anders verhalten sollte,
ist nicht ersichtlich. Zwar fehlt in Art. 97 Ziff. 1 SVG eine Absatz 6
entsprechende Bestimmung über die Verwendung falscher oder gefälschter
Ausweise. Da diese jedoch unter Art. 252 Ziff. 1 StGB fällt (SCHULTZ,
op.cit. 293 Anm. 21), ist die Parallele zur missbräuchlichen Verwendung von
Kontrollschildern insoweit hergestellt, mit der Folge, dass im vorliegenden
Fall, wo der Beschwerdeführer erwiesenermassen einen falschen Ausweis
mitgeführt hat, Art. 97 Ziff. 1 Abs. 1 SVG vom Obergericht zu Unrecht
angewendet wurde.

    c) Schliesslich hätte die Vorinstanz jene Bestimmung aber auch deswegen
nicht heranziehen dürfen, weil darunter nach klarem Gesetzeswortlaut nur
die Verwendung von Ausweisen fällt, die nicht für den Führer bestimmt
sind. Der falsche deutsche Führerschein jedoch, den Politzer mitgeführt
hat, war für ihn ausgestellt worden und lautete auch auf seinen Namen.

Erwägung 2

    2.- Hat demnach die Vorinstanz den Beschwerdeführer zu Unrecht
des Missbrauchs von Ausweisen im Sinne des Art. 97 Ziff. 1 Abs. 1 SVG
schuldig gesprochen, so ist damit noch nicht gesagt, dass Politzer
bloss wegen Nichtmitführens von Ausweisen nach Art. 99 Ziff. 3 SVG zu
bestrafen sei. Zwar ist dann, wenn der Führer einen gültigen Ausweis
besitzt, ihn aber nicht mitführt, nicht Art. 95 Ziff. 1 Abs. 1 SVG,
sondern Art. 99 Ziff. 3 SVG anwendbar; die erstere Bestimmung setzt
nämlich voraus, dass der Führer den erforderlichen Ausweis überhaupt
nicht besitzt (BADERTSCHER/SCHLEGEL, Strassenverkehrsgesetz, S. 204;
SCHULTZ, op.cit. S. 257 und 322). Im vorliegenden Fall hat jedoch die
Vorinstanz verbindlich festgestellt, es sei zugunsten des Beschwerdeführers
anzunehmen, dass er im Besitz eines gültigen deutschen Führerscheins
gewesen sei. Hätte Politzer es bloss unterlassen, diesen Ausweis
mitzuführen, so wäre er in der Tat einzig nach Art. 99 Ziff. 3 SVG
zu bestrafen. Indessen hat er sich mehr als eine solche geringfügige
Übertretung zuschulden kommen lassen, die vom Gesetz bloss mit Busse
bis zu Fr. 10.- geahndet wird. Er hat nach den tatsächlichen Annahmen des
Obergerichtes einen falschen, auf seinen Namen lautenden Ausweis mitgeführt
in der Absicht, ihn vorzuweisen, falls er von den Kontrollorganen dazu
aufgefordert werden sollte. Damit ist nicht nur erstellt, dass der
Beschwerdeführer den falschen Ausweis verwendet (s. Erw. 1a oben), also
gebraucht hat, sondern auch, dass dies zum Zwecke der Täuschung geschehen
ist. Des weiteren steht nach dem angefochtenen Urteil fest, dass der
Beschwerdeführer den gültigen Führerschein deshalb nicht verwendet hat,
weil er mit dem von ihm gebrauchten, ebenfalls falschen deutschen Pass
nicht übereinstimmte. Die Verwendung des mit diesem übereinstimmenden
falschen Führerausweises sollte somit zumindest die Entdeckung jener
anderen Fälschung verhindern und dem Beschwerdeführer Unannehmlichkeiten,
wenn nicht gar eine Strafverfolgung ersparen. Sie war somit auf eine
Verbesserung seiner persönlichen Lage, d.h. auf eine Erleichterung
seines Fortkommens angelegt (s. auch das nicht veröffentlichte Urteil
des Kassationshofes vom 24.2.1970 i.S. Oertli).

    Ist dem aber so, muss die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen
werden, damit sie den Beschwerdeführer statt nach Art. 97 Ziff. 1 Abs. 1
SVG nach Art. 252 Ziff. 1 Abs. 3 StGB schuldig spreche (BGE 96 IV 66),
sofern das kantonale Prozessrecht dies zulässt. Von Bundesrechts wegen
steht jedenfalls diesem Vorgehen nichts entgegen. Die tatsächlichen
Grundlagen der abweichenden rechtlichen Unterstellung des Sachverhaltes
durch den Kassationshof sind diejenigen des angefochtenen Entscheides, zu
denen der Beschwerdeführer im kantonalen Verfahren hatte Stellung nehmen
können (BGE 74 I 10), und was die Strafdrohung des Art. 252 Ziff. 1 StGB
anbelangt, so deckt sie sich mit derjenigen des Art. 97 Ziff. 1 SVG,
von welcher die Vorinstanz ausgegangen ist. Schliesslich bleibt auch
das Verschulden des Beschwerdeführers dasselbe, so dass die Änderung im
Schuldspruch nicht zu einer Verschärfung der Strafe führen muss (BGE 70 IV
224). Zwar kann sich fragen, ob nicht Idealkonkurrenz zwischen Art. 252
StGB und Art. 99 Ziff. 3 SVG bestehe, was gegebenenfalls die Rückweisung
der Sache zu einer reformatio in peius werden liesse. Das ist jedoch
zu verneinen. Art. 252 Ziff. 1 StGB gilt die Tat nach allen Seiten ab,
und sein Strafrahmen ist weit genug, um eine dem gesamten Verschulden
angemessene Sanktion auszufällen (vgl. die analogen Erwägungen bei
SCHULTZ, op.cit. 305 i.f. betr. das Verhältnis des Vergehenstatbestandes
des Art. 97 Ziff. 1 zu Art. 95 SVG), ohne dass es dazu der zusätzlichen
Berücksichtigung des in seiner Strafdrohung auf höchstens Fr. 10.- Busse
beschränkten Übertretungstatbestandes bedürfte.

    Sollte jedoch eine Schuldigsprechung nach Art. 252 StGB aus Gründen
des kantonalen Verfahrensrechtes nicht möglich sein, so wäre entsprechend
dem Antrag des Beschwerdeführers in diesem Punkte nur wegen Nichtmitführens
von Ausweisen gemäss Art. 99 Ziff. 3 SVG zu verurteilen.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil
des Obergerichts des Kantons Zürich vom 21. Oktober 1971 aufgehoben und
die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.