Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 5



98 IV 5

2. Urteil des Kassationshofes vom 3. März 1972 i.S. Amann und Perren
gegen Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 18 Abs. 3 und 117 StGB. Fahrlässige Tötung.

    1.  Fahrlässiges Verhalten eines Helikopterpiloten und Flughelfers,
die bei einer Rettungsaktion im Gebirge einen freiwilligen Helfer mit
dem Knotentau beförderten, ohne dass sie ihm vorher Weisungen erteilten
und für die Verwendung einer Sicherung sorgten (Erw. 1).

    2.  Adäquater Kausalzusammenhang zwischen diesem Verhalten und dem
tödlichen Absturz des Beförderten (Erw. 2).

    3.  Fehlen eines Notstandes (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 6. August 1968 unternahm Alfred Graf mit drei Kameraden
eine Gebirgswanderung in das südlich von Innertkirchen gelegene
Urbachtal. Gegen 10 Uhr stiegen sie oberhalb Schrätteren vom Punkt 1608.5
aus in den Graben des Urbach hinunter und begannen diesen Richtung Gallaui
zu überqueren. Dabei stürzte unter Graf eine vom Wasser unterspühlte
Schneezunge ein. Beim Sturz wurde er schwer verletzt und verlor bald darauf
das Bewusstsein. Es gelang seinen Gefährten, Wildhüter Kaspar von Bergen,
der sich in Begleitung seines Sohnes in der Gegend aufhielt, zu alarmieren,
der seinerseits eine Rettungsaktion einleitete und sich bereit erklärte,
daran teilzunehmen.

    Die Schweizerische Rettungsflugwacht setzte einen Helikopter
(Augusta-Bell 206 A Jet Ranger) der Air Zermatt A. G. mit Günther Amann
als Pilot und Beat Perren als Flughelfer ein. Ungefähr um 14 Uhr landete
der Helikopter, nachdem im unteren Urbachtal Bergführer Heinz Maurer an
Bord genommen worden war, auf einem Schneefeld beim Äschenbalmlägerli,
rund zwei Flugminuten von der Unfallstelle entfernt. Während Perren von
dort aus zusammen mit Vater und Sohn von Bergen zu Fuss zum Verletzten
Graf abstieg, setzte der Helikopter, der im Urbachgraben nicht landen
konnte, 100 m oberhalb der Unfallstelle auf einem Känzeli ab, von wo
Maurer, ausgerüstet mit Bahre und Horizontalnetz, ebenfalls zu Graf
hinunterstieg. Nachdem die Vorbereitungen für die Beförderung des
Verletzten zum Schneefeld, wo er für den Flug nach dem Inselspital in
Bern in den Helikopter verladen werden sollte, soweit beendet waren, dass
Maurer nur noch das Netz mit Bahre an dem vom Helikopter herabhängenden,
7,5 m langen Knotentau zu befestigen hatte, liess sich Perren vorerst
selber auf dem am Knotentau angebrachten Tellersitz von 19 cm Durchmesser
von der Unfallstelle zum Schneefeld fliegen, wo er den im nachfolgenden
Flug herbeigeführten Graf in Empfang nahm. Da er der Meinung war, dass
er und Amann allein nicht imstande seien, den 90 kg schweren Verletzten
in den Helikopter zu verladen, wies er den Piloten an, nochmals in den
Graben zurückzufliegen, um einen Helfer am Knotentau herbeizuholen.

    Als Amann gegen 15 Uhr erneut im Helikopter im Graben erschien
und wenige Meter über den im Aufbruch befindlichen Männern schwebte,
verstanden diese sofort, dass einer von ihnen als Helfer zum Schneefeld
übersetzt werden sollte. Da sich Bergführer Maurer nicht zur Verfügung
stellte, ergriff Kaspar von Bergen das Tau und klemmte es zwischen die
Schenkel, so dass der Sitzteller am Gesäss anlag. Als jedoch der Pilot den
Helikopter ansteigen liess und schräg talwärts abdrehte, stolperte von
Bergen mit den Füssen an einer Schneekante, so dass der Teller zwischen
seinen Beinen entglitt. Von Bergen klammerte sich gleichwohl mit den
Händen am Tau fest und konnte den Teller unter dem linken Arm in die
Achselhöhle klemmen. Auf diese Weise wurde er vom Helikopter während
rund zwei Minuten bis zum Schneefeld getragen. Dort liess von Bergen,
möglicherweise zufolge Überanstrengung, das Tau vorzeitig los. Er stürzte
aus einer Höhe von 30 m ab und war sofort tot.

    B.- Wegen dieses tödlichen Unfalles wurden Amann, Perren und Maurer
der fahrlässigen Tötung angeklagt. Das Amtsgericht Oberhasli sprach die
drei Angeklagten frei.

    Gegen den Freispruch von Amann und Perren erklärten die Privatklägerin
Ida von Bergen und der Staatsanwalt des Oberlandes die Appellation. Am 19.
Februar 1971 verurteilte die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons
Bern Amann und Perren wegen fahrlässiger Tötung zu bedingt vorzeitig
löschbaren Bussen von je Fr. 300.--.

    C.- Die beiden Verurteilten führen Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag auf Freisprechung.

    D.- Der Generalprokurator des Kantons Bern und die Privatklägerin
beantragen Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Fahrlässig oder pflichtwidrig unvorsichtig handelt gemäss
Art. 18 Abs. 3 StGB, wer die Vorsicht nicht beobachtet, zu der er nach
den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist.

    a) Auszugehen ist von der unbestrittenen Tatsache, dass die Beförderung
einer Person mit einem am Helikopter angehängten Tau und Tellersitz
ohne Verwendung einer Sicherung lebensgefährlich ist. Denn es besteht,
wie die Beschwerdeführer selber zutreffend bemerken, die Gefahr, dass
ein ungesichert Beförderter während des Fluges wegen Schwindelgefühls,
Unwohlseins und dergleichen das Tau loslassen kann und abstürzt. Perren
ist denn auch, wie feststeht, vom Leiter der Rettungsflugwacht wiederholt
angewiesen worden, das bei Rettungsflügen verwendete Knotentau nur
mit einem Brustgeschirr oder einer ähnlichen Sicherungsvorrichtung zu
benützen. Ebenso hatte ihn Amann verschiedentlich vor der Verwendung des
Taus ohne Sicherung gewarnt.

    Wenn die Beschwerdeführer dieses Transportmittel in Kenntnis
seiner Gefährlichkeit zur Überführung einer der an der Rettungsaktion
beteiligten Drittpersonen einsetzen wollten, obschon sie keinen
dieser Helfer näher kannten und auch keine Sicherungsvorrichtung
mitgebracht hatten, so oblag ihnen die Pflicht, die erforderlichen
Sicherungsmassnahmen zu treffen, um zu verhindern, dass einer der
Helfer ohne Sicherung und ohne Unterweisung mit dem Tau befördert werde.
Angesichts der schwierigen Geländeverhältnisse im Urbachgraben drängte
sich ausserdem eine vorausgehende Verständigung darüber auf, von wem und
wie das Startmanöver zu leiten sei, was umso nötiger war, als der Pilot
keine Sicht auf das Tau hatte. Stattdessen von jeder Sicherungsvorkehr
abzusehen und es dem Zufall zu überlassen, ob ein Helfer mit oder ohne
Sicherung und Unterweisung das Tau besteigen werde, war pflichtwidrig
unvorsichtig. Wenn die Beschwerdeführer erst auf dem Landeplatz bemerkten,
dass sie für den Verlad des Verletzten Graf Hilfe benötigten, und sich
ihnen keine Gelegenheit mehr bot, um die im Graben zurückgebliebenen
Helfer zu instruieren, so hätten sie bei pflichtgemässer Überlegung auf
ihr Vorhaben verzichten müssen.

    b) Der Vorwurf mangelnder Vorsicht wird nicht durch den Einwand
entkräftet, die Beschwerdeführer hätten angenommen, dass sich kein anderer
als Bergführer Maurer für die Beförderung mit dem Tau zur Verfügung
stellen werde. Mag den Beschwerdeführern auch bekannt gewesen sein,
dass Maurer anlässlich eines Rettungskurses der Vorführung des Taus
beigewohnt hat, so wussten sie dennoch nicht, ob er jemals das Tau
benützt habe, was nicht zutraf, und ob er sich beim Start und während
des Fluges richtig verhalten und sich wenigstens behelfsmässig sichern
werde. Zu dieser Ungewissheit kommt hinzu, dass Maurer schon beim ersten
Anflug den Vorschlag Amanns, ihn mit Bahre und Netz am Knotentau an die
Unfallstelle zu fliegen, ausdrücklich abgelehnt hat mit der Begründung,
dass ihm diese Transportart nicht gefalle und er es deshalb vorziehe, zu
Fuss in den Graben hinunterzusteigen. Die Erwartung, dass einzig Maurer
das Tau besteigen werde und ein Flug mit ihm ungefährlich sei, war demnach
durch nichts begründet. Die Beschwerdeführer mussten daher ernsthaft mit
der Möglichkeit rechnen, dass einer der Helfer ohne genügende Unterweisung
und ohne Sicherung befördert werden könnte, zumal nach dem unerwarteten
Wiederauftauchen des Helikopters im Graben kaum noch Zeit zur Anfertigung
einer Sicherung bestand. Die Gefahr, dass eine solche unterbleibe, war
umso grösser, als sich auch Perren ohne jede Sicherung vom Graben zum
Schneefeld hatte fliegen lassen und dieses Beispiel geeignet war, beim
Unerfahrenen den Eindruck zu erwecken, das Unternehmen sei ungefährlich.

    c) Die Beschwerdeführer machen ferner geltend, dass bei Rettungsflügen
im Hochgebirge nicht so strenge Anforderungen an die Vorsichtspflicht
der Beteiligten gestellt werden dürften, wie es bei gewöhnlichen
Transportflügen üblich sei. Insbesondere habe ihnen wegen der Zeitnot,
in der sie gehandelt hätten, und mit Rücksicht auf die schlechten
Wetterverhältnisse nicht zugemutet werden können, sich noch Gedanken
darüber zu machen, wie bei Anwendung des Knotentaus eine Unfallgefahr
ausgeschlossen werden könne.

    Was die Zeitnot anbetrifft, handelten die Beschwerdeführer nicht
in einer ausgesprochenen Zwangslage, die ihnen nur eine beschränkte
Möglichkeit zur Überlegung gelassen hätte. Zwar waren zwischen dem
Unfall Grafs und seinem Transport zum Landeplatz schon mehr als vier
Stunden vergangen, doch war sein Befinden nach der Feststellung der
Vorinstanz nicht derart, dass eine Verzögerung des Abfluges um einige
Minuten eine wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustandes
bewirkt hätte. Desgleichen stellt die Vorinstanz hinsichtlich der
Witterung fest, dass das Wetter zwar zu Besorgnis Anlass gab, aber
nicht so bedrohlich war, dass bei einer geringfügigen Verzögerung des
Abfluges ein Abbruch der Rettungsaktion hätte befürchtet werden müssen.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Beschwerdeführer ihren Entschluss
nicht während des Fluges unter erschwerten Bedingungen zu fassen hatten,
sondern sich nach der Landung des Helikopters auf dem Boden über die
Art des Verlades schlüssig werden konnten. Den Beschwerdeführern wäre
daher zuzumuten gewesen, zunächst den Verlad des Verletzten zu zweit
zu versuchen oder, wenn Hilfe unerlässlich war, entweder die beiden
Begleiter Grafs, die sich in der Nähe des Landeplatzes aufhielten,
herbeizurufen oder dann die Rückkehr der Helfer abzuwarten, die für die
Strecke vom Graben zum Landeplatz höchstens 15 Minuten benötigten. Es ist
unter diesen Umständen nicht entschuldbar, dass die Beschwerdeführer um
eines geringen Zeitgewinnes willen den Helikopter einsetzten, ohne die
voraussehbare Möglichkeit zu bedenken, dass das Tau ungesichert benützt
und der herbeizuholende Helfer einer Lebensgefahr ausgesetzt werden
könnte. Selbst wenn die Beschwerdeführer unter dem Eindruck standen,
dass für den Abtransport Grafs höchste Eile geboten sei, so hätten sie
als erfahrene Mitglieder der Rettungsflugwacht erkennen sollen, dass es
nicht gerechtfertigt war, für den rascheren Verlad eines Schwerverletzten
das Leben eines freiwilligen Helfers aufs Spiel zu setzen.

Erwägung 2

    2.- Zwischen der Verletzung der Sorgfaltspflicht der Beschwerdeführer
und dem Absturz von Bergens bestand auch ein rechtserheblicher
Kausalzusammenhang. Die Beförderung einer Person, die in der Benützung des
Taus nicht ausgebildet war und für den Flug nicht gesichert wurde, schloss
die Gefahr eines Absturzes bereits in sich ein. Die Beschwerdeführer, die
das anerkennen, wenden demgegenüber ein, es habe nach dem gewöhnlichen
Lauf der Dinge nicht erwartet werden müssen, dass das Tau von einem
Unerfahrenen ohne jede Sicherung benützt werde. Dieser Auffassung
ist indessen im vorliegenden Fall nicht beizupflichten. Nachdem es die
Beschwerdeführer unterlassen hatten, irgendwelche Instruktionen zu erteilen
und auf die Gefährlichkeit der ungesicherten Beförderung hinzuweisen,
und nachdem sich bereits Perren ohne jede Sicherung auf dem Tellersitz
hatte wegtragen lassen, war es nichts Aussergewöhnliches, dass einer der
anwesenden Helfer, der mit dem Tau nicht vertraut war und die Gefahren
nicht kannte, dem Beispiel folgte und sich auf die gleiche Art befördern
liess. Darin lag umso weniger ein Ereignis, mit dem nach der Erfahrung
des Lebens überhaupt nicht gerechnet werden musste, als die Rückkehr des
Helikopters zur zurückgebliebenen Helfergruppe als unmissverständliche
Aufforderung zur Benützung des Taus zu verstehen war, die, zumal sie von
den Leitern der Rettungsaktion kam, für Unerfahrene ein Grund mehr war,
sich über die Gefährlichkeit des ungesicherten Fluges keine oder nur
ungenügend Rechenschaft zu geben.

Erwägung 3

    3.- Auf die Notstandsbestimmung des Art. 34 Ziff. 2 StGB können sich
die Beschwerdeführer nicht berufen. Der Verletzte Graf befand sich nicht
in einer unmittelbaren Lebensgefahr, die nicht anders als durch eine
lebensgefährliche Überführung eines Helfers am Rettungstau abwendbar
gewesen wäre. Wie bereits ausgeführt wurde, hätte ein Helfer ohne grossen
Zeitverlust zu Fuss die Landestelle erreichen können, um beim Verlad
des Verletzten mitzuwirken. Graf konnte denn auch kurze Zeit nach dem
Absturz von Bergens in den Spital geflogen werden, ohne dass er durch
die zeitliche Verzögerung des Abfluges einen Schaden davongetragen hat.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführer sind daher zu Recht wegen fahrlässiger Tötung
im Sinne von Art. 117 StGB bestraft worden.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.