Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 317



98 IV 317

62. Urteil des Kassationshofes vom 9. November 1972 i.S. Baumberger gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 8 Abs. 3 VRV. Rechtsüberholen auf Autobahnen.  Rechtsüberholen ist
nur beim Fahren in parallelen Kolonnen erlaubt.

Sachverhalt

    A.- Reinhold Baumberger fuhr am Sonntag, 24. Oktober 1971, gegen 17
Uhr mit einem Pw Fiat von Bern kommend auf der Autobahn N 1 Richtung
Zürich. Es herrschte ziemlich dichter Verkehr, so dass sich zeitweise
auf beiden Fahrspuren Kolonnen bildeten. Als Baumberger in der Gegend
von Aarburg auf der Überholspur den Pw von Adelmeyer einholte und dieser
trotz Lichtsignal die Fahrbahn nicht freigab, wechselte Baumberger auf
die rechte Fahrspur. Auf dieser fuhr er am Pw Adelmeyer vorbei und bog
später, als er auf ein langsamer fahrendes Fahrzeug aufschloss, wieder
nach links in die Überholspur aus.

    B.- Das Obergericht des Kantons Aargau verurteilte Baumberger
am 26. September 1972 wegen Widerhandlung gegen das Verbot des
Rechtsüberholens (Art. 35 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 36 Abs. 5 VRV)
zu einer bedingt vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 80.-.

    C.- Der Gebüsste führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt die
Aufhebung des obergerichtlichen Urteils, damit die Sache zu seiner
Freisprechung an die Vorinstanz zurückgewiesen werde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Wie der Kassationshof in BGE 95 IV 86 mit ausführlicher
Begründung entschieden hat, gilt die Regel, dass in der gleichen Richtung
fahrende Fahrzeuge grundsätzlich links überholt werden müssen, auch auf
Autobahnen. Dementsprechend darf auch auf diesen Strecken nur in den
gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen rechts vorgefahren werden. Als
wichtigste Ausnahme kommt auf Autobahnen das Fahren in parallelen Kolonnen
in Betracht. Bei dichten Kolonnen auf beiden Fahrspuren darf die rechte
Kolonne, wenn die linke vorübergehend langsamer fährt, ihre Geschwindigkeit
beibehalten und gemäss Art. 8 Abs. 3 Satz 1 VRV an den Fahrzeugen der
linken Kolonne rechts vorfahren. Das gilt grundsätzlich auch, wenn sich
auf beiden Spuren nur kürzere Kolonnen bilden, zwischen denen Abstände
von einigen hundert Metern bestehen. Muss eine auf der Überholspur sich
bewegende Gruppe von Fahrzeugen ihre Geschwindigkeit zeitweise vermindern,
ohne dass eines dieser Fahrzeuge in die rechte Spur einbiegt, so darf
eine auf der rechten Spur nahende Kolonne ihre Fahrt fortsetzen, auch wenn
sie dadurch die linke Kolonne rechts überholt. Voraussetzung ist jedoch,
dass der Führer des vordersten Fahrzeuges der rechten Kolonne die gebotene
Vorsicht und Aufmerksamkeit anwendet und nach den Umständen annehmen darf,
dass die zu überholenden Fahrzeuge auf der Überholspur bleiben. Ausser
beim Fahren in parallelen Kolonnen ist aber Rechtsüberholen aus Gründen
der Verkehrssicherheit unter allen Umständen unzulässig. Insbesondere
darf weder im Einzelverkehr noch beim Fahren in lockeren Kolonnen von der
Überholspur auf die rechte Spur gewechselt werden, um dort einem auf der
Überholspur eingeholten Fahrzeug rechts vorzufahren, und zwar auch dann
nicht, wenn der Lenker des eingeholten Fahrzeuges die Möglichkeit gehabt
hätte, auf die rechte Spur einzubiegen, um die Überholspur freizugeben
(BGE 95 IV 90).

Erwägung 2

    2.- Ein solches verbotenes Rechtsüberholmanöver hat der
Beschwerdeführer ausgeführt. Als er auf der Überholspur auf den langsamer
fahrenden Wagen von Adelmeyer aufschloss, der trotz Lichtsignal die
Spur nicht freigab, schwenkte er auf die rechte Fahrspur und überholte
dort das Fahrzeug Adelmeyer. Entgegen seiner Behauptung kann sich der
Beschwerdeführer nicht darauf berufen, dass er in parallelen Kolonnen
gefahren sei. Wie aus den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz
hervorgeht, hat er sich nach dem Spurwechsel nicht in eine Kolonne
eingeordnet und ist auch nicht infolge zeitweise grösserer Geschwindigkeit
der rechten Kolonne an den Fahrzeugen auf der Überholspur vorbeigefahren;
er benützte vielmehr eine grössere Lücke auf der rechten Spur, um auf
dieser als Einzelfahrer das Fahrzeug Adelmeyer rechts zu überholen und
rascher voranzukommen. Er hat denn auch, als er nach einigen hundert
Metern auf der rechten Spur ein anderes Fahrzeug einholte, wiederum auf
die linke Spur gewechselt, um auch dieses Fahrzeug zu überholen. Der
Beschwerdeführer ist daher zu Recht wegen Widerhandlung gegen das Verbot
des Rechtsüberholens bestraft worden.

    Im vorliegenden Falle ist nicht festgestellt, ob es dem Führer des
Fahrzeuges Adelmeyer möglich war, die Überholspur freizugeben, oder ob er
seiner Verpflichtung zum Ausweichen (Art. 35 Abs. 7 SVG) aus Bequemlichkeit
oder bösem Willen nicht nachgekommen ist. Wäre letzteres der Fall gewesen,
hätte sich auch dieser Fahrzeugführer strafbar gemacht.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.