Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 314



98 IV 314

61. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Dezember 1972
i.S. Oertli gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 139, 182 Ziff. 1 StGB. Verhältnis dieser Bestimmungen zueinander.

    Art. 139 StGB schliesst die Anwendung von Art. 182 Ziff. 1 StGB aus,
wenn zwischen dem Raub und der Freiheitsberaubung ein derart enger
zeitlicher Zusammenhang besteht, dass die Handlungen des Täters bei
natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehörendes
Tun erscheinen.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Dem in Frankfurt wohnhaften Oertli wurde im Laufe des Jahres 1970
bekannt, dass im Kassenschrank der Firma Novelectric AG in Buchs/ZH jeden
Monat vor der Gehaltsauszahlung ca. Fr. 300'000.-- aufbewahrt werden. In
der Absicht, sich der Dezember-Lohnauszahlung der genannten Firma zu
bemächtigen, fuhr Oertli im Auto mit zwei Komplizen am 17. Dezember 1970
nach Zürich. Dort hielten er und seine Bekannten um ca. 23.00 Uhr den
die Kassenschrankschlüssel der Firma Novelectric AG auf sich tragenden
Prokuristen Walther unter Bedrohung mit einer Pistole vor dessen Wohnhaus
an und zwangen ihn, in ihren Wagen zu steigen, wo sie ihm den Kopf auf den
hinteren Rücksitz drückten. Anschliessend fuhren sie nach Buchs vor das
Gebäude der Novelectric AG, wo sie den Prokuristen fesselten und ihm Kopf
und Augen mit breitem Klebeband umwickelten. Sie verabreichten ihm sodann
zwei bis drei Spritzen eines unbekannten Schlaf- oder Betäubungsmittels,
worauf Walther das Bewusstsein verlor. Hierauf führte Oertli einen der
zwei Mittäter, der dem Prokuristen die Schlüssel abgenommen hatte, ins
Gebäudeinnere und zeigte ihm den Kassenschrank. Diesem entnahmen die
beiden Zahltagstaschen im Gesamtbetrag von ca. Fr. 340'000.--. Nachher
wurde Prokurist Walther in bewusstlosem Zustand ins Gebäude getragen und
dort mit den Füssen an ein Treppengeländer gefesselt. Die Täter fuhren
danach unverzüglich nach Deutschland zurück.

    B.- Am 10. Februar 1972 verurteilte das Obergericht des Kantons
Zürich an Stelle des Geschworenengerichts Oertli wegen Raubes im Sinne
von Art. 139 Ziff. 1 und 2 Abs. 4 StGB, sowie wegen Freiheitsberaubung
im Sinne von Art. 182 Ziff. 1 StGB zu sieben Jahren Zuchthaus, abzüglich
218 Tage erstandener Untersuchungshaft.

    C.- Gegen diesen Entscheid führt der Angeschuldigte eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt Verurteilung ausschliesslich
wegen einfachen Raubes im Sinne von Art. 139 Ziff. 1 Abs. 1 StGB und
entsprechende Herabsetzung der ausgefällten Freiheitsstrafe.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Die Vorinstanz hat Oertli nicht nur des Raubes, sondern zusätzlich
auch der Freiheitsberaubung im Sinne von Art. 182 Ziff. 1 StGB schuldig
befunden. Sie vertritt die Ansicht, dass das Verbringen des betäubten
und gefesselten Prokuristen nach ausgeführtem Diebstahl in das Innere
des Gebäudes und namentlich das Fesseln und Festbinden der Füsse
am Treppengeländer eine zweite, vom Raub unabhängige und für diesen
entbehrliche Handlung darstelle, die nicht bloss als straflose Nachtat
betrachtet werden dürfe.

    Demgegenüber wendet der Beschwerdeführer ein, der ganze Ablauf der
Tat sei als Handlungseinheit zu qualifizieren; sämtliche Handlungen der
Täter stellten aufeinanderfolgende kausale Beiträge zum gleichen Erfolg
dar, wobei die Strafandrohung für den Raub zugleich die zur Sicherung
der Flucht verübte Gewalt allseitig abgelte.

    Es ist davon auszugehen, dass Oertli nicht wissen konnte, wie lange
die Bewusstlosigkeit des Prokuristen anhalten werde. Deshalb wollten
er und seine Komplizen mit dem zusätzlichen Festbinden des Opfers am
Treppengeländer die Zeitspanne bis zur Entdeckung der Tat verlängern und
sich damit eine unbehelligte Flucht sichern. Daran ändert der Umstand
nichts, dass Walther im Zeitpunkt der Fesselung noch bewusstlos war. Die
Gewaltanwendung zur Sicherung der Flucht steht demnach in direktem
Zusammenhang mit dem vorausgegangenen Raub. Angesichts des engen
zeitlichen Zusammenhanges, der bei natürlicher Betrachtungsweise das
gesamte Tätigwerden des Beschwerdeführers und seiner Komplizen als ein
einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen lässt, rechtfertigt sich
somit die Annahme, der im Fesseln und Festbinden des Prokuristen liegenden
Freiheitsbeschränkung komme keine selbständige Bedeutung zu und sie werde
durch die Verurteilung wegen Raubes abgegolten. Die Beschwerde ist daher in
diesem Punkte begründet. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückgewiesen,
damit sie Oertli von der Anschuldigung der Freiheitsberaubung freispreche
und die Strafe dementsprechend neu bemesse.