Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 29



98 IV 29

6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. Februar 1972
i.S. Hirschi gegen Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. Zum Begriff des "Verwendens".

Sachverhalt

    A.- Der mehrfach vorbestrafte Charles Hirschi gründete im Jahre 1960
die Immobiliengesellschaft Trewa AG. Er war einziger Geschäftsführer
und zeitweise einziger Verwaltungsrat. Am 30. Juli 1969 wurde über die
Gesellschaft der Konkurs eröffnet.

    Im Februar 1963 beabsichtigte Hirschi, durch die Trewa AG in Crémines
eine Liegenschaft zu kaufen. Da ihm das Geld fehlte, wandte er sich an
Karl Lehmann, der in Bern ein Treuhandbüro betreibt. Am 22. März 1963
erwarben die Trewa AG und Lehmann als Miteigentümer die Liegenschaft. Am
gleichen Tag vereinbarten die Miteigentümer, sie wollten die erworbene
Liegenschaft rasch und gewinnbringend wieder veräussern; die Verwaltung
sei durch die Trewa AG zu führen und für den gesamten Zahlungsverkehr
werde bei der Schweizerischen Volksbank in Moutier (im folgenden SVB
genannt), ein Bankkonto eröffnet, über das die Vertragsparteien nur
gemeinsam verfügen könnten. Die Trewa AG verpflichtete sich, Lehmann
laufend über alle Korrespondenzen in Kenntnis zu setzen und ihm periodisch
Abrechnungen zuzustellen.

    Mit der Liegenschaft hatten die Miteigentümer ein Ladeninventar
übernommen. Sie verkauften es am 17. April 1964 für Fr. 21'187.50 an
William Billieux. 1966 schuldete dieser immer noch eine Kaufpreisrestanz
von rund Fr. 6'400.--. Durch Überweisungen auf das gemeinsame Konto bei
der SVB wurde die Schuld auf rund Fr. 6'000.-- herabgesetzt. Für diesen
Betrag betrieb die Trewa AG den Billieux. Dieser erhob Rechtsvorschlag. Zur
Vereinfachung des Verfahrens gegen Billieux trat Lehmann am 15. November
1966 seinen Anteil der Trewa AG ab unter der ausdrücklichen Bedingung,
dass diese ihm seine Hälfte des Betreibungsergebnisses unverzüglich nach
Eingang überweise. Namens der Trewa AG versprach dies Hirschi mit Brief
vom 17. November 1966; dieser erklärte weiter, den aus dem Geschäft
resultierenden Betrag werde er wie üblich auf das Kollektiv-Konto bei
der SVB einzahlen und Lehmann "auf alle Fälle auf dem Laufenden halten".

    Im Februar 1967 versprach Hirschi dem Billieux, die Betreibung
zurückzuziehen und die Zahlungsfrist zu verlängern, wenn Billieux
sofort Fr. 3'000.-- auf das Postcheckkonto der Trewa AG in Bern
überweise. Billieux kam dieser Aufforderung am 18. Februar 1967
nach. Hirschi leitete die Zahlung nicht an die SVB weiter und unterliess
es, Lehmann vom Eingang der Abschlagszahlung zu unterrichten.

    Am 31. Juli und 14. August 1968 überwies Billieux Fr. 200.-- bzw. Fr.
2'800.-- an die SVB. Hirschi telefonierte der Bank, es handle sich um
einen Irrtum; das Geld sei für die Trewa AG bestimmt. Der Betrag sei
auszubuchen und der Trewa AG zu überweisen. Die SVB kam dieser Aufforderung
am 20. August 1968 nach.

    Lehmann erhielt nie etwas von diesen Fr. 6'000.-- bzw. von seinem
Anteil von Fr. 3'000.--. Er blieb über die Zahlungen Billieux im
Ungewissen; erst im Konkurs der Trewa AG erhielt er aus den Konkursakten
davon Kenntnis.

    B.- Das Strafamtsgericht Bern sprach Hirschi mit Urteil vom
12./19. Januar 1971 der wiederholten Veruntreuung zum Nachteil des Karl
Lehmann im Betrage von zusammen Fr. 3'000.-- schuldig und verurteilte
ihn zu 8 Monaten Gefängnis, abzüglich acht Tage Untersuchungshaft.

    C.- Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte mit Urteil vom
16. September 1971 den erstinstanzlichen Entscheid.

    D.- Hirschi führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
vom 16. September 1971 sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung
an das Obergericht zurückzuweisen. Er macht geltend, zufolge Verrechnung
liege keine Veruntreuung vor. Überdies habe er die erste Zahlung von
Fr. 3'000.-- nicht im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB "verwendet".
Ausserdem sei er immer ersatzbereit und ersatzwillig gewesen. Schliesslich
sei Art. 67 StGB zu Unrecht angewendet worden.

Auszug aus den Erwägungen:

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Einen ersten Fall der Veruntreuung sieht die Vorinstanz
darin, dass der Beschwerdeführer den Billieux im Februar 1967 bewusst
abmachungswidrig veranlasste, die Zahlung von Fr. 3'000.-- statt wie
üblich und vereinbart auf das Konto der SVB direkt auf das Postcheckkonto
der Trewa AG einzubezahlen, Lehmann über die Zahlung nicht unterrichtete
und den genannten Betrag der Trewa AG überliess.

    a) Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass Lehmann ihm seinen
Anteil an der Kaufpreisrestzahlung anvertraute, indem er der Trewa AG
seinen Anspruch treuhänderisch zum Inkasso abtrat, unter der Bedingung,
dass ihm der halbe Erlös unverzüglich überwiesen werde.

    b) Dagegen wendet der Beschwerdeführer ein, er sei nur verpflichtet
gewesen, Lehmann das halbe Endergebnis der Betreibung zukommen zu
lassen. Lehmann habe nicht verlangt, dass die eingehenden Zahlungen an die
SVB gehen sollten. Dem Betreibungsbegehren habe Lehmann entnehmen können,
dass der Schuldner an die Trewa AG leisten werde.

    Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der
Beschwerdeführer selbst durch seinen Antwortbrief vom 17. November 1966 die
Vereinbarung betreffend Abtretung und Inkasso des Anteils Lehmanns dahin
verdeutlicht, dass eingehende Zahlungen dem Konto bei der SVB zuzuleiten
seien und dass er Lehmann auf dem Laufenden halten werde. Entgegen
diesen Abmachungen erwirkte der Beschwerdeführer von Billieux durch
das Versprechen, die Betreibung werde eingestellt und die Zahlungsfrist
verlängert, dass dieser den Betrag von Fr. 3'000.-- am 18. Februar 1967
auf das Postcheckkonto der Trewa AG überweisen liess, statt auf das Konto
der SVB. Dieser den Vereinbarungen zuwiderlaufenden Zahlungsweise hatte
Lehmann nie zugestimmt, und der Beschwerdeführer hütete sich - wiederum
entgegen den Vereinbarungen -, ihn über die Aufforderung an Billieux und
die erfolgte Zahlung an die Trewa AG zu unterrichten. Der Beschwerdeführer
erreichte dadurch, dass die Trewa AG allein über das Geld verfügen konnte,
das dann für Lehmann in deren Konkurs verloren ging.

    Die Behauptung des Beschwerdeführers, er habe bis zum Abschluss
des Inkassos frei über die Zahlung Billieux verfügen dürfen und sei
nur verpflichtet gewesen, die Hälfte des gesamten Nettoergebnisses an
Lehmann abzuliefern, steht in Widerspruch zu den tatsächlichen Annahmen der
Vorinstanz. Diese hat festgestellt, beide Parteien, insbesondere auch der
Beschwerdeführer selber, hätten die Vereinbarung anders verstanden. Lehmann
habe gegenüber dem Beschwerdeführer und seiner Art der Geschäftsführung
grösstes Misstrauen gehabt, was in Briefen an den letzteren deutlich zum
Ausdruck gekommen sei. Der Beschwerdeführer habe deshalb genau gewusst,
dass Lehmann nie damit einverstanden gewesen wäre, die Zahlung Billieux,
allenfalls auch nur während kurzer Zeit, der Trewa AG zu überlassen. Diese
Feststellungen sind für den Kassationshof verbindlich (Art. 277bis BStP);
die gegenteilige Sachdarstellung des Beschwerdeführers ist unbeachtlich
(Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).

    c) Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 140 Ziff. 1
Abs. 2 StGB. Selbst wenn er unrechtmässig den ihm anvertrauten Anteil
Lehmanns der Trewa AG statt dem gemeinsamen Konto habe zufliessen
lassen, liege darin nach BGE 81 IV 27 und 233 entgegen der Auffassung
der Vorinstanz noch keine unrechtmässige "Verwendung" anvertrauten Gutes.

    In BGE 81 IV 27 setzte sich das Bundesgericht mit den in Art. 140
Ziff. 1 StBG enthaltenen Ausdrücken des Aneignens (Abs. 1) und
Verwendens (Abs. 2) auseinander. Zum Begriff "Verwenden" führte es im
Zusammenhang mit der Abgrenzung von der blossen Absicht des Täters,
eine in sein Eigentum übergegangene Sache nicht zurückzugeben, aus,
in der Abgabe einer Verrechnungserklärung sei noch kein Verwenden
zu sehen. Der Rückgabepflichtige habe damit nur gezeigt, dass er sich
fortan der Verpflichtung, die Sache auftragsgemäss zu verwenden oder sie
zurückzugeben, enthoben betrachtet habe; er habe sich entschlossen, seine
Verpflichtung auf Rückgabe oder Ablieferung nicht zu erfüllen. Von einer
eigentlichen Aneignung könne in diesem Falle nicht die Rede sein, weil
das Gut mit dem Anvertrautwerden in das Eigentum des Täters übergegangen
sei und nur wirtschaftlich weiterhin einem andern gehört habe. Was den
Begriff des "Aneignens" anbelangt, erklärte das Bundesgericht dagegen,
wer einen solchen Willen in Bezug auf eine fremde Sache bekunde, eigne
sie sich im Sinne von Abs. 1 an, auch wenn er objektiv in der Lage bleibe,
sie jederzeit zurückzugeben.

    Diese Rechtsprechung wurde in BGE 81 IV 233 bestätigt. Zur
Verdeutlichung führte das Bundesgericht ferner aus, mit Abs. 2 habe der
Geltungsbereich von Art. 140 StGB erweitert und nicht jener von Abs. 1
dahin eingeschränkt werden sollen, dass jedesmal dann, wenn die fremde
bewegliche Sache in "Gut, namentlich Geld" bestehe, statt des ersten der
zweite Absatz anzuwenden wäre, d.h. nicht schon das "Aneignen", sondern
nur das "Verwenden" des Gutes Strafe nach sich ziehen solle.

    In ZStR 1956, S. 162 ff. hat NOLL zu dieser Rechtsprechung des
Bundesgerichtes Stellung genommen. Er führt aus, die Auslegung von
Abs. 1 und Abs. 2 und die ihr zugrunde gelegte Unterscheidung leuchteten
nicht ein. Die Tatbestandshandlung bestehe sowohl in Abs. 1 wie in
Abs. 2 im Aneignen anvertrauten Gutes. Das Gesetz spreche nur deshalb
von unrechtmässiger Verwendung, weil Geld und andere vertretbare Sachen
regelmässig schon durch Vermischung ins Eigentum des Täters übergingen. Es
sei nicht einzusehen, weshalb derjenige, der den blossen Entschluss gefasst
habe, eine anvertraute Sache nicht mehr zurückzugeben, schlechter behandelt
werden soll als derjenige, der das gleiche mit anvertrautem Gut oder Geld
tue. Unerheblich sei, dass eine Aneignung nach Abs. 2 nicht möglich sei,
weil anvertrautes Gut oder Geld zivilrechtlich in der Regel schon von
vornherein im Eigentum des Täters stehe. Aneignen heisse strafrechtlich
nicht: Eigenes Eigentum begründen, sondern: Anmassung und Ausübung
von Eigentümerbefugnissen, die dem Täter nicht zukämen, obwohl er unter
Umständen, wie bei anvertrautem Geld, zivilrechtlich schon Eigentümer sei
(op. cit. S. 162). So eigne sich der Täter anvertrautes Gut oder Geld nach
Abs. 2 nicht nur dadurch an, dass er es verbrauche, sondern auch dadurch,
dass er z.B. Inkassi verheimliche, Auslagen vortäusche oder Geld von
einem fremden Konto auf das eigene verlege (op. cit. S. 164).

    NOLL erachtet damit den Tatbestand der Veruntreuung gemäss Abs. 1
und Abs. 2 ungeachtet der Frage, wer Eigentümer der Sache ist, dann als
gegeben, wenn sich der Täter wirtschaftlich gesehen Eigentümerbefugnisse
anmasst, sei es, dass er seine Befugnisse, die ihm mit der treuweisen
Übergabe der Sache oder des Gutes ausdrücklich oder stillschweigend
übertragen werden, überschreitet, oder aber dass er Treu und Glauben oder
besonderen Abreden der Parteien zuwiderhandelt. Noll spricht daher auch
dort von Aneignung, wo der Täter bereits zivilrechtlicher Eigentümer ist,
womit er ausdrückt, dass dieser gemäss Abs. 2 anvertrautes Gut bereits dann
im Sinne des Gesetzes verwendet, wenn er seine Absicht zur unrechtmässigen
Anmassung von Eigentümerbefugnissen offenkundig werden lässt. Im gleichen
Sinne hat das Bundesgericht im Fall Vetter (unveröffentlichtes Urteil vom
20. September 1960) entschieden. Es bestätigte das Urteil des kantonalen
Gerichtes, welches einen Vertreter nach Abs. 2 verurteilte, weil dieser
seiner Arbeitgeberin bei der Auseinandersetzung anlässlich der Beendigung
des Anstellungsverhältnisses das Inkasso einer Kaufpreisforderung
verheimlicht und den entsprechenden Betrag der Firma vorenthalten
hatte. Das Bundesgericht stellte nicht darauf ab, ob er das Geld für
sich verbraucht oder in anderer Weise verwendet hatte. Auch im Fall Marti
(unveröffentlichtes Urteil vom 26. November 1965) ging das Bundesgericht
von dieser wirtschaftlichen Betrachtungsweise aus; so erklärte es:
"Hinsichtlich der Verwendung des Geldes bemängelt die Beschwerde, das
vorinstanzliche Urteil enthalte nur die Feststellung, der Angeschuldigte
habe hierüber keine Auskunft gegeben. Dieses Schweigen erfülle aber für
sich allein das Tatbestandsmerkmal der Verwendung noch nicht. Das ist
richtig; doch ergibt sich die Erfüllung dieses Merkmals von selbst aus
der Tatsache, dass der Angeschuldigte die Geldsumme wie ein Eigentümer
für sich behielt. Das ist Verwendung im eigenen Nutzen gemäss Art. 140
Ziff. 1 Abs. 2 StGB. Einer weiteren Feststellung darüber, wie er das Geld
anlegte oder ausgab, bedarf es nicht".

    Diese Rechtsprechung wurde in BGE 94 IV 138 bestätigt; es besteht
kein Anlass, hievon abzugehen.

    Indem der Beschwerdeführer den Lehmann über die Zahlung des Billieux
von Fr. 3'000.-- nicht unterrichtete und sie abmachungswidrig der TREWA AG
überliess, hat er die genannte Summe im oben beschriebenen Sinne verwendet.

    d) Im übrigen hat der Beschwerdeführer nach den verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz das anvertraute Gut zum Nutzen der TREWA
AG verbraucht. Für die Beschwerde wäre also auch dann nichts gewonnen,
wenn von dem Begriff des Verwendens auszugehen wäre, wie ihn der
Beschwerdeführer selber verstanden haben will.