Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 279



98 IV 279

56. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. November 1972
i.S. Durrer und Imfeld gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
Regeste

    Art. 27 Abs. 1 und 44 Abs. 1 SVG, Art. 13 Abs. 3 VRV und Art. 53
Abs. 1 SSV; Verlassen des Fahrstreifens.

    Wer von Anfang an bewusst falsch einspurt, um auf diese Weise
rascher vorwärts zu kommen, macht sich wegen vorsätzlicher Missachtung
der Einspurmarkierung strafbar (Erw. 1c).

    Art. 26 SVG; Vertrauensprinzip im Strassenverkehr.

    Sofern nicht besondere Umstände dagegen sprechen, darf der sich
korrekt verhaltende Verkehrsteilnehmer damit rechnen, dass ein anderer
Verkehrsteilnehmer den Verkehr nicht durch pflichtwidriges Verhalten
gefährdet; diese Grundregel gilt auch für den Wartepflichtigen (Erw. 1 d).

    Art. 20 StGB; Rechtsirrtum (Erw. 2 a und b).

Sachverhalt

    A.- Die stark befahrene, breite Haldenstrasse ist die
Hauptverkehrsstrasse von der Stadt Luzern Richtung Gotthard. In diese
Strasse mündet in der Gegend des Verkehrshauses von Süden her die
Lidostrasse, die zum Strandbad, zum Campingplatz, zum Verkehrshaus und
zu verschiedenen Bootsanlagen führt (vgl. Planskizze unten, auf die im
folgenden für die massgebende Verkehrslage Bezug genommen wird).

    a) Die Lidostrasse ist unmittelbar vor der Einmündung in die
Haldenstrasse durch eine Verkehrsinsel geteilt und wird dort von einem
Fussgängerstreifen gequert. An der südlichen Spitze der Insel (E) sind
die Signale Nr. 116 (kein Vortritt) und 219 (Fahrtrichtungspfeil rechts
um die Insel) angebracht. Das Signal Nr. 116 findet sich auch rechts
auf dem Trottoirrand etwas näher an der Haldenstrasse (F).

    Westlich der Einmündung der Lidostrasse weist die Haldenstrasse
drei Fahrspuren auf. Die nördlichste Spur führt stadteinwärts, die
mittlere und die südliche Spur führen stadtauswärts. Ungefähr 150 m vor
der Einmündung beginnt eine markierte Einspurstrecke: die mittlere Spur
trägt Geradeauspfeile und die Aufschrift GOTTHARD LUGANO; auf der rechten
Spur finden sich nacheinander fünf nach rechts abgebogene Einspurpfeile
und in den jeweiligen Zwischenräumen dreimal das Wort LIDO.

    Unmittelbar östlich der Einmündung der Lidostrasse erweitert sich
die Haldenstrasse nach Süden. Sie wird durch eine Verkehrsinsel geteilt
(K). Es ist vorgesehen, die Verkehrsströme stadtein- und -auswärts künftig
richtungsgetrennt an dieser Insel vorbeizuführen. Vorläufig wickelt sich
der Durchgangsverkehr in beiden Richtungen nördlich der Insel ab. Südlich
davon ist ein vor allem dem Verkehrshaus dienender grosser Parkplatz für
Personenwagen und eine Haltestelle der Verkehrsbetriebe der Stadt Luzern
(L). Die Bushaltestelle für stadteinwärts fahrende Trolleybusse befindet
sich auf der nördlichen Seite der Haldenstrasse, wo auch ein Wartehäuschen
aufgestellt ist (H).

    Östlich der Einmündung der Lidostrasse, im Bereich der erwähnten
Trenninsel, wird die Haldenstrasse von einem Fussgängerstreifen überquert.
Dieser wird vor allem von Besuchern des Verkehrshauses und des Strandbades
benutzt, die mit dem Bus in die Stadt zurückfahren.

    Wegen des starken und schnellen Durchgangsverkehrs auf der
Haldenstrasse wurde im Sommer 1966 der Fussgängerübergang mit einer
Lichtsignalanlage ausgestattet. In der Mitte der Verkehrsinsel sind auf
einem Pfosten stadtwärts gerichtete Signallichter angebracht (D). Von
diesem Pfosten gehen sogenannte Peitschenmasten nach Norden und Süden;
nur der nördliche trägt über den Fahrbahnen wiederum die Verkehrslichter,
und zwar sowohl Richtung Stadt wie Richtung Gotthard (D). Die Signalanlage
wird von den Fussgängern durch Drücker in Funktion gesetzt, die am Pfosten
der Trenninsel (B1) und am nördlichen Strassenrand (B2) montiert sind,
wo sich auch Ampeln für die Fussgänger befinden. Nach einer Rotlichtphase
von 14 Sekunden schalten die Verkehrslichter für die Fahrzeuge wieder
auf grün und bleiben so, bis der Drücker erneut betätigt wird.

    Nach Inbetriebnahme dieser Signalanlage ergab sich, dass die
stadtauswärtsfahrenden Wagen bei Rotlicht eine über die Einmündung
der Lidostrasse zurückreichende stehende Kolonne bildeten, so dass die
Ausfahrt aus der Lidostrasse abgesperrt war. Ende August 1966 wurde deshalb
auf der Geradeausspur der Haldenstrasse auf der Höhe der Trenninsel der
Lidostrasse ein weisser Haltebalken aufgemalt (A). Stadtauswärtsfahrende
Fahrzeuge haben bei Aufleuchten des Rotlichts hinter diesem Haltebalken
anzuhalten und bis zum Wechseln des Lichtes auf grün zu warten. Die aus
der Lidostrasse kommenden Fahrzeuge können während dieser Phase ungehindert
in die Haldenstrasse einbiegen.

    b) Um eine flüssigere Verkehrsabwicklung für die städtischen
Verkehrsmittel zu ermöglichen, vereinbarte die Stadtpolizei mit dem
Betriebschef der Verkehrsbetriebe, dass die auf der Haldenstrasse
stadtauswärtsfahrenden Busse vor der Einmündung der Lidostrasse nicht
die Geradeausspur, sondern, entgegen den Pfeilen und der Aufschrift
LIDO, die rechte Einspurbahn benutzen und - unbekümmert um die Stellung
der Lichtsignale - die Lidostrasse überqueren sollten, um südlich der
Verkehrsinsel (K) an die Haltestelle (L) zu gelangen. Sie konnten dadurch
an einer bei Rotlicht hinter dem Haltebalken wartenden Fahrzeugkolonne
unbehindert rechts vorbeifahren. Diese Anordnung wurde den Buschauffeuren
in Form einer schriftlichen Weisung als Auszug aus den Betriebsvorschriften
übergeben. Darin wird mit Bezug auf die Lichtsignalanlage beim Verkehrshaus
wörtlich ausgeführt:

    "1.  Die Lidostrasse ist Nebenstrasse. Der Vortritt bei der Einmündung
Haldenstrasse-Seeburgstrasse ist mit einem Signal Nr. 116 (kein Vortritt)
aufgehoben. Die Fahrzeugführer haben sich an diese Regelung zu halten,
unbekümmert um die Stellung des Lichtsignals der Fussgängeranlage beim
Verkehrshaus.

    2.  Bei dieser Lichtsignalanlage handelt es sich ausschliesslich um
die Sicherung der Fussgänger auf der Hauptstrasse (Haldenstrasse).

    3.  Die VBL-Busse zweigen auf ihrer Fahrt stadtauswärts rechts ab auf
die Haltestelle "Verkehrshaus". Bei Rotlicht für den Fahrverkehr können
die Auto- und Trolleybusse rechts abbiegen auf die Haltestelle, weil
dieser Vorplatz als Parkraum zu werten ist und somit nicht als Fahrbahn im
allgemeinen Sinne dient. Selbstverständlich haben die Chauffeure Rücksicht
auf Fussgänger zu nehmen, welche vom Trottoir den Vorplatz überschreiten,
um sich bei der Fussgängerlichtsignalanlage anzumelden."

    c) Weil Maya Durrer beim Einbiegen mit ihrem Personenwagen aus des
Lido- in die Haldenstrasse während einer Rotlichtphase einzig auf die
beim Haltebalken wartende Kolonne acht gab, kollidierte sie am 23. August
1970 mit dem von Karl Imfeld geführten, rechts der anhaltenden Kolonne
vorbeifahrenden Trolleybus. Sie wurde ernstlich verletzt, während ihr
Sohn und einige Buspassagiere mit leichten Verletzungen davonkamen. Der
Trolleybus wurde beschädigt, der Personenwagen erlitt Totalschaden.

    B.- In der daraufhin eingeleiteten Strafuntersuchung traten sich
Maya Durrer und Karl Imfeld als Privatkläger gegenüber. Mit Entscheid
vom 28. Februar 1972 verurteilte das Amtsgericht Luzern-Stadt Frau
Durrer wegen Missachtung des Signals Nr. 116 und des Vortrittsrechts in
Anwendung von Art. 27 Abs. 1 SVG und 14 Abs. 1 VRV zu einer Busse von Fr.
50.-. Imfeld wurde freigesprochen.

    Auf Kassationsbeschwerde der Maya Durrer bestätigte das Obergericht
des Kantons Luzern am 17. Juli 1972 den erstinstanzlichen Entscheid
hinsichtlich ihrer Verurteilung, sprach aber auch Imfeld wegen fahrlässiger
Körperverletzung gemäss Art. 125 StGB schuldig und verurteilte ihn zu
einer Busse von Fr. 50.-.

    C.- Gegen diesen Entscheid führen beide Verurteilte eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben
und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Gegenseitig beantragen sie die Abweisung der Beschwerde des Mitangeklagten.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- c) Unter Berufung auf Art. 44 Abs. 1 SVG und die einschlägige
Literatur (BADERTSCHER/SCHLEGEL, Strassenverkehrsgesetz, 2. A.
S. 156 und SCHULTZ, Die strafrechtliche Rechtsprechung zum neuen
Strassenverkehrsrecht, S. 201 und 307) erklären beide kantonalen Instanzen,
die Einspurmarkierung stelle einen blossen Hinweis ohne Verpflichtung
dar, weshalb der Trolleybuslenker die Abbiegespur LIDO berechtigterweise
benutzen, dann aber geradeaus fahren durfte. Zu Unrecht.

    Art. 44 Abs. 1 SVG schreibt vor, dass bei mehreren Fahrstreifen
der Führer seinen Streifen nur verlassen darf, wenn er dadurch den
übrigen Verkehr nicht gefährdet. Eine Berechtigung, entgegen deutlicher
Bodenmarkierung von einem Abbiegestreifen her geradeaus zu fahren, ergibt
sich daraus nicht.

    BADERTSCHER lässt aaO die Möglichkeit offen, dass ein Fahrer nach
dem Einspuren seinen Entschluss ändert und statt abzubiegen geradeaus
fährt. Das ist in der Tat möglich und vor allem für ortsunkundige Fahrer
oft unvermeidlich, wenn sie erst unmittelbar vor der Kreuzung bemerken,
dass sie sich über die einzuschlagende Fahrrichtung geirrt haben. Wer
in dieser Weise seinen Entschluss ändert, muss jedoch auf alle übrigen
Verkehrsteilnehmer Rücksicht nehmen (Art. 44 SVG). Etwas entscheidend
anderes ist es dagegen, wenn ein Fahrer von Anfang an bewusst falsch
einspurt, um auf diese Weise rascher vorwärts zu kommen und wenn er dann
gar auf der falschen.Spur weiterfahrend von den übrigen Verkehrsteilnehmern
die Berücksichtigung seines angeblichen Vortrittsrechts beansprucht,
statt im Gegenteil selbst auf alle übrigen Verkehrsteilnehmer Rücksicht
zu nehmen.

    SCHULTZ (aaO S. 307) erwähnt zwar, dass unter der Herrschaft des
MFG ein Fahrer straflos blieb, der die linke Abbiegspur benützte und an
der Kreuzung geradeaus weiterfuhr. Er glaubt, dies gelte auch unter der
Herrschaft von SVG und SSV, doch liege möglicherweise ein Verstoss gegen
Art. 34 Abs. 3 SVG vor. Die von ihm aufgeworfene Frage der Strafbarkeit
einer vorsätzlichen Missachtung der Einspurmarkierungen ist zu bejahen. Wie
das Zürcher Obergericht in seinem Urteil vom 25. März 1968 (wiedergegeben
in SJZ 65/1969 S. 330/1) mit Recht erklärte, darf es grundsätzlich nicht
dem einzelnen Fahrer überlassen werden, ob im konkreten Fall ein Signal zu
beachten sei oder nicht. Bei Stoppsignalen oder Sicherheitslinien ist dies
ohne weiteres klar. Aber auch da, wo es lediglich um die Verkehrsregelung
geht, dürfen keine Ausnahmen gemacht werden. Sonst würde der korrekte
Fahrer immer wieder übervorteilt. Wenn das bewusst falsche Einspuren,
um schneller vorwärts zu kommen, zugelassen würde, müsste sich die
Verkehrsdisziplin weiter lockern. Ein solches Verhalten verletzt Art. 27
Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 53 Abs. 1 SSV und besonders Art. 13
Abs. 3 VRV.

    Im vorliegenden Fall war die äusserste rechte Spur unmissverständlich
durch die nach rechts abgebogenen Pfeile und die Bezeichnung LIDO
ausschliesslich für Rechtsabbieger in die Lidostrasse bestimmt. Sie wies
auch nicht etwa einen zusätzlichen gelben Geradeauspfeil mit dem gelben
Hinweis BUS auf. Somit durfte sie weder von einem städtischen noch von
einem anderen Verkehrsmittel für eine andere Fahrweise, insbesondere zur
Geradeausfahrt über die Lidostrasse hinweg, verwendet werden. Daran ändert
nichts, dass der Trolleybus zur Haltestelle rechts der Verkehrsinsel der
Haldenstrasse fuhr. Bis zur Höhe des Haltebalkens befand er sich dennoch
auf Geradeausfahrt, im Gegensatz zur Abbiegspur nach rechts. Er hatte
demgemäss die Geradeausspur zu benutzen und beim Haltebalken zu warten,
wenn die Signalanlage auf rot stand.

    Wollte man mit der Vorinstanz annehmen, der Trolleybus hätte schon
zu Beginn der Einmündung der Lidostrasse allmählich nach rechts gegen die
Haltestelle fahren dürfen, so wären die Bodenmarkierungen entsprechend zu
ändern gewesen. Solange das nicht geschah, hatte der Bus bis zur Mitte der
Einmündung auf der Geradeausspur zu bleiben. Im übrigen hätte bei Änderung
der Einspurmarkierungen auch der Haltebalken südlich bis gegen die Insel in
der Lidostrasse verlängert werden müssen, diente er doch nach Feststellung
aller Instanzen gerade dazu, bei Rotlicht den aus der Lidostrasse kommenden
Fahrzeugen die Einfahrt in die Haldenstrasse zu ermöglichen.

    d) Das angefochtene Urteil hält vor allem deshalb nicht stand, weil es
das Vertrauensprinzip klar verletzt. Nach diesem Grundsatz darf sich der
Berechtigte mangels gegenteiliger Anzeichen darauf verlassen, dass sein
Vortrittsrecht respektiert wird (BGE 97 IV 127 und 244 mit Verweisungen,
VON WERRA, "Du principe de la confiance dans le droit de la circulation
routière selon la jurisprudence du Tribunal fédéral" in "Revue valaisanne
de jurisprudence" 1970, S. 197 ff., speziell IV lit. a).

    Das Vertrauensprinzip gilt auch zugunsten des Wartepflichtigen. Wenn
er nach der Verkehrssituation mit Grund annehmen darf, dass er
keinen Vortrittsberechtigten behindern wird, so ist er zur Einfahrt
in die Hauptstrasse berechtigt. Kommt es dennoch zur Behinderung oder
Kollision, weil der auf der Hauptstrasse fahrende Verkehrsteilnehmer
sich verkehrswidrig verhält, ohne dass für den Wartepflichtigen hiefür
Anzeichen bestanden, so trifft diesen kein Vorwurf (BGE 97 IV 244). Im
Interesse einer klaren Vortrittsregelung wird freilich nicht leichthin
anzunehmen sein, der Wartepflichtige habe nicht mit der Vorbeifahrt
eines Vortrittsberechtigten, bzw. mit dessen Behinderung rechnen
müssen. Insbesondere hat er bei unübersichtlichen Einmündungen darauf
Rücksicht zu nehmen, dass ein Vortrittsberechtigter auf seiner linken
Strassenhälfte oder mit übersetzter Geschwindigkeit auftauchen kann
(BGE 91 IV 93 mit Verweisungen). Sieht der Wartepflichtige jedoch ein
Fahrzeug (mit oder ohne Vortrittsrecht) herannahen und kann er nach den
Umständen dessen Fahrt beurteilen, so muss er mangels konkreter Anzeichen
nicht damit rechnen, dass dessen Führer sich unvermittelt verkehrswidrig
verhält und dadurch in die Bahn des an sich Wartepflichtigen gerät.

    Im vorliegenden Fall stellen die kantonalen Instanzen übereinstimmend
fest, dass Frau Durrer die lokale Situation von ihren wiederholten Fahrten
aus der Stadt zum Lido kannte, insbesondere die Bodenmarkierungen und die
Lichtanlage. Dagegen hat sie stets bestritten und weder die Anklage noch
die kantonalen Urteile haben behauptet, dass sie jemals einen städtischen
Bus bei einem analogen Manöver wie anlässlich des Unfallereignisses
beobachtet oder gar von der generellen Weisung an die Buschauffeure
Kenntnis gehabt habe.

    Als sich Frau Durrer der Haldenstrasse näherte, hat sie nach
ihrer von den kantonalen Gerichten anerkannten Darstellung ihre
Geschwindigkeit reduziert und nach links und rechts geschaut. Dabei
sah sie rechts die Ampeln der Lichtanlage auf rot und links Fahrzeuge,
die auf der Geradeausspur hinter dem Haltebalken anhielten. Den auf
der Abbiegespur heranfahrenden Trolleybus beachtete sie nicht. Damit
war die Verkehrssituation für Frau Durrer eindeutig: Von rechts konnte
kein Auto kommen, weil es östlich des Fussgängerstreifens auf grünes
Licht warten musste. Von links konnte ebenfalls kein Fahrzeug nahen,
da auf der Geradeausspur die Autos bereits hinter dem Haltebalken
angehalten hatten, wozu sie angesichts des Rotlichts auch verpflichtet
waren. Während der Rotlichtphase konnte Frau Durrer ohne Behinderung eines
Vortrittsberechtigten in die Haldenstrasse einbiegen und vor der beim
Haltebalken wartenden Kolonne vorbei gegen die Stadt fahren. Sie musste
dieses Manöver zügig ausführen, da die Rotphase nur 14 Sekunden dauerte.

    Zu Unrecht verlangt die Vorinstanz, Frau Durrer hätte auch auf
den "vortrittsberechtigten" Trolleybus Rücksicht nehmen müssen. Wie
oben dargelegt (Erw. 1c), war Imfeld zu seiner Fahrweise rechts der
wartenden Autokolonne nicht berechtigt. Selbst wenn die Missachtung
der vorgeschriebenen Einspurmarkierung nicht strafbar wäre (z.B. wenn
diese von einer unzuständigen Behörde angebracht wurde), ist dies
für das Verhalten der Frau Durrer unerheblich. Sie, wie jeder andere
Verkehrsteilnehmer, durfte sich darauf verlassen, dass die übrigen Fahrer
mangels gegenteiliger Anzeichen die Einspurmarkierung befolgten. Deshalb
durfte sie unter den gegebenen Verhältnissen darauf vertrauen, dass kein
auf der Abbiegespur herannahendes Fahrzeug ihren Weg kreuzen werde, als sie
in die Haldenstrasse einbog. Übrigens anerkennt die Vorinstanz in anderem
Zusammenhang selber, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht unbedingt die
Fahrweise Imfelds erwarten mussten (s. unten Erw. 2). Frau Durrer ist
daher zu Unrecht verurteilt worden.

    e) Der Experte und die kantonalen Gerichtsinstanzen haben die
Frage aufgeworfen, ob sich Frau Durrer auf Rechtsirrtum berufen könne.
Die Vorinstanz billigt Frau Durrer zwar Irrtum zu, hält ihn aber nicht
für entschuldbar. In Wirklichkeit ist für die Anwendung von Art. 20 StGB
kein Raum. Frau Durrer befand sich nicht in einem Rechtsirrtum, sondern
beurteilte die Situation rechtlich zutreffend.

    Die Beschwerde von Frau Durrer ist somit zu schützen. 2. -
Die Vorinstanz hat den Trolleybusführer Imfeld wegen fahrlässiger
Körperverletzung verurteilt, weil er bei der Zufahrt zur Bushaltestelle
der besonderen Sorgfaltspflicht zu wenig Rechnung getragen habe. Es
hätten für ihn im Sinne von Art. 26 Abs. 2 SVG Anzeichen bestanden,
dass sein Vortrittsrecht von Fahrzeugen missachtet werden könnte, die aus
der Lidostrasse kamen. Da die Einspurpfeile auf dem rechten Fahrstreifen
nur Richtung Lido wiesen, hätte sich Imfeld Rechenschaft geben müssen,
dass seine Zufahrt auf diesem Streifen von anderen Verkehrsteilnehmern
nicht unbedingt erwartet wurde. Imfeld hätte sich auch bewusst sein müssen,
dass die Rotlichtphase regelmässig von Fahrzeugführern benutzt wurde, um in
die Haldenstrasse einzumünden, und dass diese Phase bei erheblichemVerkehr
hiefür die einzige Möglichkeit bot.

    a) Dieser Vorwurf richtet sich weniger gegen Imfeld als gegen seine
Vorgesetzten. Sie hatten die Buschauffeure schriftlich angewiesen, an der
fraglichen Stelle so zu fahren, wie es Imfeld getan hat. Dabei wurde
ihnen ausdrücklich erklärt, dass das Vortrittsrecht ihnen zukomme.
Rücksicht wurde nur in bezug auf Fussgänger im Bereich der Signalanlage
geboten. Man kann von einem Buschauffeur nicht verlangen, dass er seinen
eigenen Verkehrsverstand über die Weisungen stelle, die ihm von der
Direktion der städtischen Verkehrsbetriebe im Einverständnis mit dem Chef
der Verkehrsabteilung der Stadtpolizei erteilt werden. Der Buschauffeur
durfte in gutem Glauben annehmen, zu dem Verhalten berechtigt zu sein,
das ihm ausdrücklich von den hiefür zuständigen Behörden vorgeschrieben
wurde. Imfeld befand sich in einem Rechtsirrtum.

    Er hat sich allerdings weder im kantonalen Verfahren noch vor
Bundesgericht darauf berufen. Diesen ihm deswegen nicht zuzubilligen,
würde zu dem stossenden Ergebnis führen, dass ein aufgrund behördlicher
Anordnungen eindeutig im Rechtsirrtum befangener Täter, der durch die
kantonalen Gerichte in der Überzeugung seines Rechtes noch bestärkt wird
und darum gar nicht daran denkt, sich auf Rechtsirrtum zu berufen, härter
bestraft werden müsste, als ein Fahrer, der vor Gericht Rechtsirrtum
geltend macht, weil er seinen Irrtum sehr bald erkennen muss. Im
Antrag auf Rückweisung zur Freisprechung und in der Stellungnahme des
Beschwerdeführers, der sich grundsätzlich auch heute noch im Rechte wähnt,
kann zwangslos die Berufung auf Rechtsirrtum erblickt werden.

    b) Geht man von der Hauptthese der Vorinstanz und von der Richtigkeit
der Weisungen der Verkehrsbetriebe aus, dann war Imfeld berechtigt, so zu
fahren, wie er tatsächlich gefahren ist. Er konnte sich dann aber auch auf
sein Vortrittsrecht verlassen und zwar auch gegenüber aus der Lidostrasse
auftauchenden Fahrzeugen. Zu besonderer Aufmerksamkeit und Verlangsamung
hatte er so lange keinen Anlass, als nicht konkrete Anhaltspunkte eine
Missachtung seines Vortrittsrechts erwarten liessen. Die Vorinstanz sieht
solche Anhaltspunkte nur in der Fahrweise von Frau Durrer. Das aber steht
im Widerspruch zu der in den Weisungen bekundeten "Rechts"-Auffassung. Der
Vorwurf, im Hinblick auf die allgemeinen Anzeichen einer Missachtung
des Vortrittsrechts zu schnell gefahren zu sein, trifft Imfeld somit nur,
wenn man von der Hauptauffassung der Vorinstanz abweicht. Der Rechtsirrtum
Imfelds deckt nicht nur seine Fahrweise an sich, sondern auch die angeblich
ungenügende Berücksichtigung einer allgemeinen Gefahr der Verletzung
seines Vortrittsrechts.

    c) Übrig bleibt nur der Vorwurf, Imfeld habe seine Aufmerksamkeit nicht
den besonderen Verhältnissen hinsichtlich der Lichtsignalanlage und des
damit verbundenen Verkehrs angepasst. Bei genügender Aufmerksamkeit hätte
er den Personenwagen der Frau Durrer früher erblicken müssen, als erst
10 m vor der Kollisionsstelle. Gegen diese tatsächliche Feststellung, die
für das Bundesgericht verbindlich ist (Art. 277bis Abs. 1 BStP), vermag
er nicht aufzukommen. Auch bei der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit von
35 km/Std. konnte er auf eine Distanz von 10 m die heftige Kollision nicht
verhindern. Bei genügender Aufmerksamkeit hätte er den Personenwagen auf
grössere Distanz erblickt, seine Fahrweise erkannt und durch sofortiges
Bremsen den Unfall entweder vermieden oder gemildert. In diesem Punkte
ist Imfeld somit zu Recht verurteilt worden.

    d) Das Verschulden des Beschwerdeführers erscheint als gering. Der
Hauptfehler seiner Fahrweise belastete nicht ihn, sondern seine
vorgesetzten Instanzen. Die Sache ist daher zur neuen Festsetzung der
Strafe an das Obergericht zurückzu.

    weisen.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    1. Die Nichtigkeitsbeschwerde Durrer wird gutgeheissen, der
angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zur Freisprechung an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

    2. Die Nichtigkeitsbeschwerde Imfeld wird teilweise gutgeheissen,
der angefochtene Entscheid entsprechend aufgehoben und die Sache zu neuer
Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorisntanz zurückgewiesen.