Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 260



98 IV 260

53. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Oktober 1972
i.S. Emmenegger gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 3 Abs. 4 SVG.

    1.  Soweit der Kanton die Strasse dem Verkehr grundsätzlich offenhält,
darf er das Parkieren darin allgemein oder für gewisse Benützer nur aus
den im Gesetz erwähnten Gründen verbieten (Erw. 5 und 6).

    2.  Parkplätze auf öffentlichen Strassen im Gebiet von
Verwaltungsgebäuden gehören nicht zum Verwaltungsvermögen des Gemeinwesens
(Erw. 6).

Sachverhalt

    A.- In den Häusern Hirschengraben 3 und 5 in Luzern befinden sich
Büros der Stadtpolizei.

    Durch Beschluss des Stadtrates Luzern vom 9. Dezember 1965 über
örtliche Verkehrsbeschränkungen in Luzern wurde die Verbindungsstrasse
zwischen Hirschengraben und Theaterstrasse für das Aufstellen von
Polizeiautos reserviert. Der Beschluss wurde am 7. Februar 1966
vom Regierungsrat des Kantons Luzern genehmigt und ordnungsgemäss
veröffentlicht. An beiden Enden der fraglichen Verbindungsstrasse wurden
Parkverbotstafeln (Art. 27 SSV, Signal 231) mit dem Vermerk angebracht:
"Reserviert für Polizeifahrzeuge Werktags 07.00-18.00, P (Parkplatz)
übrige Zeit". Auf dem so bezeichneten Teil der öffentlichen Strasse können
sechs Fahrzeuge aufgestellt werden. Die Polizei verfügt im Kasernenhof
über weitere Parkgelegenheiten.

    B.- Am Vormittag des 14. August 1970 stellte Dr. Willi Emmenegger
seinen PW während mindestens 3/4 Stunden auf einen dieser reservierten
Parkplätze. Er wurde im Mandatsverfahren mit Fr. 20.- gebüsst. Auf seine
Einsprache hin verurteilte ihn der Statthalter nach durchgeführter
Untersuchung gestützt auf Art. 27 und 90 Ziff. 1 SVG zu einer Busse
von Fr. 10.-.

    Da Emmenegger den Strafantrag nicht annahm, gelangte die Sache zur
Beurteilung an das Amtsgericht Luzern-Stadt, das ihn am 26. November
1971 mit der Begründung freisprach, nicht alle sechs Parkplätze würden
für Polizeifahrzeuge benötigt, die jederzeit für einen Einsatz verfügbar
sein müssten.

    Auf Appellation des Staatsanwaltes erklärte das Obergericht
des Kantons Luzern mit Urteil vom 18. Mai 1972 unter anderem, die
Schaffung von Parkplätzen für Polizeifahrzeuge in unmittelbarer Nähe
des Polizeiinspektorates dränge sich auf; die Verwaltung habe damit ihr
Ermessen nicht überschritten. Der Angeklagte wurde der Übertretung von
Art. 27 SVG schuldig befunden und zu Fr. 10.- Busse verurteilt.

    C.- Emmenegger führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem
Antrag, das Urteil des Obergerichtes Luzern vom 18. Mai 1972 aufzuheben
und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt die Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.- Das Obergericht hat von sich aus seine eigene Kompetenz auf
die Prüfung der Frage beschränkt, ob die umstrittene Reservierung
von Parkplätzen mit Art. 3 Abs. 4 SVG schlechthin unvereinbar sei. Es
bemerkt dazu, die Schaffung von Parkplätzen für Polizeifahrzeuge in
unmittelbarer Nähe des Hauses Hirschengraben 3 habe sich aufgedrängt,
weil dort das städtische Polizeiinspektorat untergebracht sei. Weitere
Erfordernisse stellt die Vorinstanz nicht auf. Im Gegensatz zur ersten
Instanz untersucht das Obergericht überhaupt nicht, wo und wieviele andere
Parkierungsmöglichkeiten für Polizeifahrezuge bestehen, welche Fahrzeuge
von Funktionären des Polizeiinspektorates benötigt werden, und für welche
Zwecke und wieviele Parkplätze es dazu braucht. Mit der Begründung des
angefochtenen Urteils könnte jede Behörde beliebig viele Parkplätze in
der Umgebung von Amtsgebäuden dem allgemein ruhenden Verkehr entziehen.

    Diese Begründung hält vor dem Gesetz nicht stand. Die Vorinstanz
hätte mindestens eine summarische Prüfung darüber durchführen müssen,
ob die von den Verwaltungsbehörden gegebene Begründung Art. 3 Abs. 4 SVG
entspricht. Dazu wäre umso mehr Anlass gewesen, als das Polizeiinspektorat
durch die Reservation begünstigt wurde, d.h. die gleiche Behörde,
die auch Antragsstellerin, Begutachterin und vollziehende Instanz
war. Auch der Umstand, dass die erste Instanz aufgrund einlässlicher
Abklärungen und ausführlicher Darstellungen in der Begründung die
gesetzlichen Voraussetzungen verneinte, hätte dem Obergericht Anlass
zu einer eventuellen Widerlegung geben müssen. Die erstinstanzlichen
Feststellungen lassen sich nicht mit der allgemeinen Bemerkung beiseite
schieben, das Polizeiinspektorat benötige Parkplätze in der Nähe seines
Amtssitzes. Art. 3 Abs. 4 SVG lässt Verkehrsbeschränkungen mit einer
solchen Begründung nicht zu.

Erwägung 6

    6.- Wie der Bundesrat in seinem Entscheid vom 23. Dezember 1968
in Sachen der Verkehrsliga beider Basel gegen den Regierungsrat des
Kantons Basel-Stadt (wiedergegeben in ZBl 70/1969 S. 473 ff) zutreffend
ausgeführt hat, gehören auch Parkplätze auf öffentlichen Strassen im
Gebiet von Verwaltungsgebäuden nicht etwa zum Verwaltungsvermögen des
Gemeinwesens, sondern bilden einen Teil der dem öffentlichen Verkehr
gewidmeten Strassenfläche. Die Reservierung von Parkplätzen für Beamte
kann nämlich nicht als für die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben
notwendig angesehen werden. Das Bedürfnis der in einem Staatsgebäude
arbeitenden Beamten nach Parkgelegenheiten unterscheidet sich nicht vom
entsprechenden Bedürfnis der in Gebäuden privater Anstösser arbeitenden
Angestellten. Parkplatzreservierungen sind also hier nur unter den bereits
erwähnten Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 SVG zulässig.

    Das Amtsgericht Luzern-Stadt hält in seinem Urteil vom 26. November
1971 fest, für welche Fahrzeuge von Polizeifunktionären die angefochtene
Reservation beansprucht wird und welchen Zwecken sie dienen. Es gelangt zum
Schluss, dass die meisten dieser Autos nicht für den jederzeitigen Einsatz
verfügbar sein müssen. Jedenfalls seien nicht sechs Parkplätze nötig
für Fahrzeuge, deren sofortige Verwendung im Interesse der Sicherheit,
der Erleichterung oder der Regelung des Verkehrs liegen.

    Das Amtsgericht ist dabei von richtigen rechtlichen Überlegungen
ausgegangen. Es hat die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 SVG weit
interpretiert, indem es die Reservierung für alle Arten polizeilicher
Pikettfahrzeuge zulässt, die für den sofortigen Gebrauch bereitstehen
müssen. Diese Interpretation geht zwar über den Wortlaut des Art. 3 Abs. 4
SVG hinaus, entspricht jedoch dem Sinn der Bestimmungen. Sie ist deshalb
rechtlich haltbar, obwohl sie zu einer weiteren Einschränkung des freien
Gebrauchs und als Folge davon, zu einer Erweiterung des Straftatbestandes
führt. Mit dem Bundesrat (aaO S. 477) ist davon auszugehen, dass die
Sicherheit des Strassenverkehrs auch die Bereitstellung von Fahrzeugen der
Notstandsdienste auf geeigneten Parkplätzen erfordern kann. Fehlen dagegen
die so umschriebenen Voraussetzungen, so ist eine Parkplatzreservierung
rechtswidrig und die Übertretung eines entsprechenden Verbotes nicht
strafbar.

    Die Vorinstanz hat sich mit diesen Erörterungen des Amtsgerichtes, die
für die zu entscheidende Frage erheblich sind, nicht auseinandergesetzt,
geschweige denn sie widerlegt. Ihr Urteil verletzt Art. 27/90 in Verbindung
mit Art. 3 SVG. Eine Bestrafung des Beschwerdeführers mit der von der
Vorinstanz gegebenen Begründung ist unzulässig. Seine Beschwerde ist
folglich zu schützen und die Sache an das Obergericht zurückzuweisen,
damit es abkläre, ob die oben umschriebenen Voraussetzungen für die
Parkplatzreservierung erfüllt sind, namentlich, ob es sich bei allen am
fraglichen Ort stationierten Fahrzeugen um Dienstwagen der Polizei handelt,
die als Pikettfahrzeuge im jederzeitigen Dienst für die Sicherheit, die
Erleichterung oder die Regelung des Verkehrs, den Schutz der Strasse
oder andere in den örtlichen Verhältnissen liegende Gründe benötigt
werden. Trifft das nicht zu, so ist die angefochtene Parkplatzreservierung
jedenfalls in diesem Ausmass gesetzeswidrig und der Beschwerdeführer
daher freizusprechen.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Beschwerde wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben
und die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die kantonale
Behörde zurückgewiesen.