Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 241



98 IV 241

48. Urteil des Kassationshofes vom 26. Oktober 1972 i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt. Regeste

    Art. 28 Abs. 1 und Art. 141 Abs. 4 StGB; Strafantrag bei
Unterschlagung.

    Derjenige, welchem der Besitz der Urkunde eines auf seinen Namen
lautenden Checks nicht übertragen wird, ist nicht zur Stellung des
Strafantrages wegen Unterschlagung berechtigt.

Sachverhalt

    A.- X. ist Inhaber eines Postfachs beim Postamt Basel 2.
Infolge Irrtums eines Postbeamten wurde ihm Anfang Juli 1971 eine an Y.
adressierte Sendung, welche einen auf diesen lautenden Check der Bank of
New York über US-Dollar 1'841.24 enthielt, ins Fach gelegt. Obschon er
wusste, dass die Sendung nicht für ihn bestimmt war, sprach er am 12. Juli
1971 beim Schweizerischen Bankverein in Basel vor, gab sich dem Kassier als
Y. aus und bat um Einlösung des Checks. Nachdem die Bank fernschriftlich
in New York angefragt hatte, ob Deckung bestehe, und obschon sie darauf
keine schlüssige Antwort erhalten hatte, zahlte sie X. auf sein Drängen
hin schliesslich am 11. August 1971 den Gegenwert des Checks im Betrag
von Fr. 7'539.20 aus. X. verwendete das Geld für private Zwecke.

    B.- Am 17. März 1972 verurteilte das Strafgericht Basel-Stadt X. wegen
Unterschlagung zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von drei
Monaten.

    Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, an welches der
Verurteilte die Sache u.a. mit der Begründung weitergezogen hatte, dass
kein gültiger Strafantrag vorliege, bestätigte am 9. August 1972 den
erstinstanzlichen Entscheid im Schuld- und Strafpunkt.

    C.- X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Appellationsgerichtes sei aufzuheben und die Sache zur Einstellung des
Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt beantragt Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Strafantrag nach Art. 141
Abs. 4 StGB von Y. gestellt worden ist, für welchen der Check,
den der Beschwerdeführer sich angeeignet hatte, bestimmt gewesen
war. Die Vorinstanz hat diesen Antrag als rechtsgültig anerkannt. Die
Unterschlagung gehöre zu den strafbaren Handlungen gegen das Eigentum. Das
durch Art. 141 StGB geschützte Rechtsgut sei also das Eigentum, und die
Antragsberechtigung komme demzufolge zunächst dem Eigentümer als dessen
Träger zu. Indessen sei diese systematische Einreihung der Bestimmung für
das Antragsrecht nicht entscheidend (BGE 74 IV 7). Es sei vielmehr auf
die Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen. Art. 141 StGB wolle vor
allem die rechtswidrige Aneignung irrtümlich bezahlten Geldes erfassen
(BGE 87 IV 119). Tatobjekt sei im vorliegenden Fall ein auf Y. und
dessen Order gestellter Check gewesen, dessen wirtschaftliche Bedeutung
derjenigen des Geldes nahekomme. Da aber der Tatbestand des Art. 141 StGB
nicht auf Wertpapiere zugeschnitten sei, müsse dem Sinn der Bestimmung
durch entsprechende Auslegung Rechnung getragen werden. Nach diesem und
der wirtschaftlichen Bedeutung des Checks sei es naheliegend, nicht nur
den Berechtigten am Papier, als welcher hier nur der Aussteller oder
die bezogene Bank in Betracht komme, sondern auch den Berechtigten aus
dem Papier als den unmittelbar in seinen Vermögensrechten Verletzten zum
Strafantrag befugt zu erachten. Dieser Schluss dränge sich auf, nachdem
das Bundesgericht in BGE 87 IV 117 Forderungen den beweglichen Sachen
gleichgestellt habe.

    Demgegenüber wendet der Beschwerdeführer ein, Y. habe die Legitimation
zur Stellung des Strafantrags gefehlt, weil er nicht unmittelbar Verletzter
im Sinne des Art. 141 in Verbindung mit Art. 28 StGB gewesen sei. Wer
antragsberechtigt sei, bestimme sich nach dem Zweck der Norm und dem von
ihr geschützten Rechtsgut. Dieses sei jedoch nach Art. 141 StGB nur das
Eigentum und nicht das Vermögen schlechthin. Eigentümer des Checks sei
jedoch Y. nie gewesen, und was BGE 87 IV 117 angehe, so sei dieses Urteil
nicht unangefochten geblieben.

    Die Frage, ob unmittelbar geschütztes Rechtsgut des unter den
Eigentumsdelikten eingeordneten Art. 141 StGB in Anwendung der in BGE
87 IV 117 ausgesprochenen Grundsätze nicht nur das Eigentum, sondern
weiter das Vermögen sei und ob demgemäss im Fall der Unterschlagung eines
Wertpapiers ausser dem Berechtigten am Papier, d.h. dem Papiereigentümer,
auch der Berechtigte aus dem Papier als unmittelbar Verletzter zu
gelten habe und zur Stellung des Strafantrages befugt erscheine, braucht
hier nicht entschieden zu werden. Die Vorinstanz und übrigens auch der
Beschwerdeführer selber haben nämlich übersehen, dass Y. zur Zeit der
Unterschlagung des Checks nicht nur nicht Berechtigter am Papier, sondern
auch nicht Berechtigter aus dem Papier gewesen ist.

    a) Dass Y. kein Eigentum am Papier gehabt hat, wurde auch von der
Vorinstanz mit der Begründung angenommen, Y. habe den Check nie in Händen
gehabt. In der Tat wäre dieses Recht auch bei gültiger Indossierung
des auf seine Person und deren Ordre gestellten Checks (Art. 967
Abs. 2 und 1108 Abs. 1 OR) nur übergegangen, wenn der Besitz an der
Urkunde auf ihn übertragen worden wäre (Art. 967 Abs. 1 OR). Ob eine
solche Besitzesübertragung stattgefunden habe, entscheidet sich nach
den sachenrechtlichen Regeln, wobei als Besitz der reine Sachbesitz
an der Urkunde zu verstehen ist (BGE 93 II 479; JÄGGI, Kommentar,
N. 31 zu Art. 967 OR). Nach jenen Regeln wird im Normalfall der Besitz
durch Übergabe der Urkunde übertragen, die sich in einer qualifizierten
Ortsveränderung (Änderung des Gewahrsams mit Willen des Veräusserers),
also in einem körperlichen Vorgang äussert. Es kann jedoch unter bestimmten
Umständen die Übertragung auch ohne Übergabe des Papiers geschehen, nämlich
bei offener Besitzlage (Art. 922 Abs. 2 ZGB), bei der Besitzwandlung
(brevi manu traditio), beim Besitzeskonstitut und der Besitzesanweisung
(Art. 924 ZGB in BGE 93 II 480; JÄGGI, op.cit. N. 33 ff. und 38 ff. zu
Art. 967 OR). In casu ist weder den Akten noch dem angefochtenen Urteil
etwas zu entnehmen, was auf eine solche besondere Besitzlage und damit auf
eine Besitzesübertragung ohne Übergabe des Papiers vor der Unterschlagung
schliessen liesse. Vielmehr steht fest, dass der Aussteller oder die
bezogene Bank den Check per Post an die Adresse des Y. abgesandt hat,
was erkennen lässt, dass der Besitz an der Urkunde durch deren Übergabe
übertragen werden sollte. Tatsächlich hat dann aber die Übertragung auf
Y. infolge eines Irrtums der Post nicht stattgefunden. Denn für die Post
ist der Absender Auftraggeber. Sie tritt deshalb während des Transports
nicht als Mittlerin des Adressaten, sondern als Besitzesdienerin
des Absenders auf, für den sie den Besitz an der Sendung bis zu deren
Ablieferung ausübt. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt der Absender Besitzer,
der Adressat wird es erst mit der Inempfangnahme der Sendung (HOMBERGER,
Kommentar, N. 16 zu Art. 923 ZGB; TUOR/SCHNYDER, ZGB, 8. A. S. 439). Da
im vorliegenden Fall die Sendung irrtümlich nicht dem Adressaten, sondern
dem Beschwerdeführer abgeliefert wurde, hat Y. vor der Unterschlagung des
Checks durch X. am Wertpapier keinen Besitz und damit auch kein Eigentum
an der Urkunde erlangt. Er ist - wie die Vorinstanz im Ergebnis richtig
angenommen hat - zur Zeit der Tat nicht Berechtigter am Papier gewesen.

    b) Hieraus folgt des weitern, dass Y. auch nicht Berechtigter aus
dem Papier hat sein können. Die gegenteilige Auffassung der Vorinstanz
verkennt, dass gemäss Art. 965 OR, welche Bestimmung für alle Wertpapiere
und namentlich auch für den auf eine Person und deren Ordre gestellten
Check gilt, die (vertragliche) Übertragung des darin verbrieften
Rechtes (nebst der Indossierung, Art. 967 Abs. 2 und 1108 Abs. 1 OR) die
Übertragung des Besitzes an der Urkunde voraussetzt. Die dem Wertpapier
eigene Verkörperung des Rechts in der Urkunde hat zur Folge, dass der
Eigentümer der Urkunde stets mit dem Gläubiger des verurkundeten Rechts
identisch ist, mit anderen Worten, das Recht am Papier und das Recht
aus dem Papier immer den gleichen Träger haben (JÄGGI, op.cit. N. 306 zu
Art. 965). Wo deshalb - wie im vorliegenden Fall - eine Übertragung des
Besitzes und damit des Eigentums an der Urkunde nicht stattgefunden hat,
da kann auch das in der Urkunde verbriefte Recht nicht seinen Träger
gewechselt haben. Ist demnach Y. zur Zeit der Unterschlagung des Checks
durch X. auch nicht Berechtigter aus dem Papier gewesen, so fehlte ihm jede
rechtliche Beziehung zum Handlungsgegenstand des genannten Deliktes, die
ihn - selbst bei weiter Umschreibung des durch Art. 141 StGB geschützten
Rechtsgutes (BGE 87 IV 117) - als unmittelbar verletzten Träger desselben
erscheinen liesse. Dieser Schluss rechtfertigt sich umso mehr, als seine
Forderung aus dem Grundverhältnis bestehen blieb, weil bei Fehlleistung
aufgrund eines Irrtums über die Identität des Ansprechers der Schuldner
grundsätzlich nicht befreit wird (JÄGGI, op.cit. N. 198 und 199 zu
Art. 966 OR).

    Somit ist Y. hier nicht antragsberechtigt gewesen. Sein Strafantrag
war ungültig, weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen ist. Der Beschwerdeführer
ist bezüglich der Anklage wegen Unterschlagung entsprechend dem kantonalen
Prozessrecht entweder ausser Strafverfolgung zu setzen oder freizusprechen.
Eine allfällige Forstetzung der Strafverfolgung unter einem anderen
rechtlichen Gesichtspunkt hängt vom kantonalen Verfahrensrecht ab.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückgewiesen.