Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 212



98 IV 212

41. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. Juni 1972
i.S. Kathriner gegen Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 307, 24 StGB. Falsches Zeugnis; Anstiftung dazu.

    1.  Zeugnisfähigkeit Tatverdächtiger (Erw. 1).

    2.  Anstiftung zu falscher Aussage als Zeuge oder als
Angeschuldigter? (Erw. 2 c).

Sachverhalt

    A.- Am 8. Juli 1970 nach Mitternacht bemerkten zwei Kantonspolizisten
bei einem Kontrollgang auf dem Brünig, dass sich im Restaurant Alpina
mehrere Personen hinter verhängten Fenstern angeregt unterhielten. Sie
erkannten die Stimme des Josef Kathriner. Da die Polizeistunde längst
überschritten war, verlangten sie Einlass, mussten aber, obwohl sie sich
zu erkennen gaben, unverrichteter Dinge abziehen. Tür und Fenster blieben
verschlossen, das Gespräch im Innern brach ab. Anhand der Kontrollnummern
stellten die Polizisten fest, dass die beiden vor der Wirtschaft stehenden
Autos Hans Wenger und Josef Kathriner gehörten.

    Kathriner war Pächter des Restaurants Alpina und führte es zusammen mit
der Serviertochter Irma Enz. Als Wirt mit vorläufig provisorischem Patent
figurierte Walter von Ah, der sich aber wenig um den Betrieb kümmerte.

    B.- Die Polizisten verzeigten den Patentinhaber von Ah wegen
Überwirtens und Nichtöffnens der Gastwirtschaft zur Kontrolle.

    Kathriner wurde am 31. Juli 1970 vom Untersuchungsrichter als Zeuge
einvernommen. Er bestritt, im fraglichen Zeitpunkt im Restaurant Alpina
gewesen zu sein. Am Nachmittag desselben Tages telefonierte er dem
Untersuchungsrichter und gab zu, am Morgen falsch ausgesagt zu haben. Er
habe sich mit den Ehegatten Wenger nach der Polizeistunde noch im "Alpina"
aufgehalten. Der Untersuchungsrichter liess ihn sofort polizeilich
vorführen und eröffnete ein Strafverfahren wegen falschen Zeugnisses.

    Frau Enz war vor Kathriner am selben Tag als Zeugin vernommen
worden. Sie behauptete, am 8. Juli 1970 nach Mitternacht allein im
"Alpina" verblieben zu sein. Ohne diese Aussage unterzeichnen zu lassen,
eröffnete ihr der Untersuchungsrichter mündlich, er leite gegen sie ein
Strafverfahren wegen falschen Zeugnisses und Hinderung einer Amtshandlung
ein. Frau Enz hielt an ihrer Darstellung fest und nahm von der Eröffnung
des Untersuchungsrichters Kenntnis, dass sie in Untersuchungshaft gesetzt
werde. Erst jetzt liess der Untersuchungsrichter Frau Enz das Protokoll
unterzeichnen. Angesichts der gegenteiligen Aussagen der Ehegatten Wenger
und der korrigierten Aussage Kathriners gab Frau Enz zu, die Unwahrheit
gesagt zu haben. Sie machte geltend, Kathriner habe ihr geklagt, er sei
in der Klemme, wenn sie die Wahrheit sage; das "Alpina" würde geschlossen.

    C.- Das Amtsgericht von Oberhasli verurteilte Irma Enz wegen
Hinderung einer Amtshandlung zu Fr. 100.-- Busse, Josef Kathriner wegen
Hinderung einer Amtshandlung sowie Nichtabgabe des Fahrzeugausweises und
der Kontrollschilder trotz Aufforderung zu einer bedingt aufgeschobenen
Gefängnisstrafe von einem Monat. Beide Angeklagten wurden von der Anklage
des falschen Zeugnisses freigesprochen, Kathriner auch von der Anklage
der Anstiftung zu falschem Zeugnis.

    In Gutheissung der Berufung des Staatsanwalts verurteilte das
Obergericht des Kantons Bern am 19. November 1971 Irma Enz wegen falschen
Zeugnisses und Hinderung einer Amtshandlung zu Fr. 200.-- Busse, Kathriner
wegen falschen Zeugnisses und Anstiftung dazu, Hinderung einer Amtshandlung
sowie Nichtabgabe von Fahrzeugausweis und Kontrollschildern trotz amtlicher
Aufforderung zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von einem Monat.

    D.- Kathriner führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf
Rückweisung der Sache an das Obergericht zur Freisprechung von der Anklage
des falschen Zeugnisses und der Anstiftung dazu.

    Die Staatsanwaltschaft beantragt die Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    1. Falsches Zeugnis Strafbares falsches Zeugnis nach Art. 307
StGB setzt voraus, dass die Einvernahme einer zeugnisfähigen Person in
gültiger Form durchgeführt und nach den Bestimmungen des Prozessrechts
abgeschlossen ist. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, so bleibt
der Täter straflos, obwohl er über eine wesentliche Tatsache falsch
ausgesagt hat (unveröffentlichte Urteile des Kassationshofes i.S. Wälti
vom 18. Dezember 1959 und Bürgi vom 23. Dezember 1964).

    Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei nicht zeugnisfähig
gewesen. Da er von Anfang an dringend einer strafbaren Handlung verdächtig
war, hätte er nur als Angeschuldigter und nicht als Zeuge einvernommen
werden dürfen.

    Der Natur der Sache nach und gemäss allgemein anerkanntem
Prozessgrundsatz kann nicht Zeuge sein, wer im Verfahren Partei,
insbesondere Beschuldigter ist (BGE 92 IV 207). Allgemein anerkannt ist
ferner, dass auch ein schwer Tatverdächtiger nicht als Zeuge einvernommen
werden darf; dies gilt entgegen der Meinung der Vorinstanz selbst im
Verfahren gegen Dritte, soweit der Verdächtige sich durch seine Antworten
selber belasten würde.

    Das Obergericht erklärt, es sei "keine Frage", ob ein
Schuldverdächtiger als Zeuge einvernommen werden dürfe: für die Vollendung
des falschen Zeugnisses gemäss Art. 307 StGB sei vielmehr von Bedeutung,
ob er als Zeuge einvernommen wurde oder nicht. Der Beschwerdeführer
erblickt in dieser Auffassung eine Verletzung von Art. 307 StGB und rügt
anderseits die Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach das Kriterium,
ob eine Zeugenaussage gültig sei, eine Frage des kantonalen Prozessrechtes
ist, als zu absolut. Diesen formellen Erfordernissen stehe noch eine
materielle Komponente gegenüber, die nicht im kantonalen Recht, sondern
in einem allgemeinen Rechtsgrundsatz wurzle: Zeuge könne nur sein, wer
an der Sache unbeteiligt sei; sobald die Einvernahme darauf abziele,
ein Geständnis zu erwirken, werde der Zeuge zum Angeschuldigten und seine
Aussage verliere den Zeugnischarakter.

    Der vom Obergericht vertretenen These ist entgegenzuhalten, dass
die Frage der Zeugnisfähigkeit sich nicht aus Art. 306-308 StGB lösen
lässt. Die Bestimmungen des Strafgesetzbuches bezwecken die Erzwingung
der Wahrheitspflicht des Zeugen. Ob jemand Zeuge sein kann und unter
welchen Voraussetzungen, ist dagegen eine Frage des Verfahrensrechts
(BGE 92 IV 207). Was der Beschwerdeführer gegen diese bundesgerichtliche
Rechtsprechung vorbringt, dringt nicht durch. Auch wenn man anerkennt,
dass die "Zeugeneinvernahme" eines ernsthaft Tatverdächtigen grundsätzlich
nicht falsches Zeugnis sein kann, so handelt es sich bei diesem Grundsatz
eben trotzdem um prozessuales und nicht um materielles Recht. Verletzt
ein kantonales Gericht diesen Grundsatz, so kann das Urteil nicht wegen
Verletzung von Bundesrecht durch Nichtigkeitsbeschwerde angefochten
werden (Art. 269 Abs. 1, 273 Abs. 1 lit. b BStP). Die Vorinstanz hat
zwar fälschlich Bundesstrafrecht angewendet; da sie dies aber lediglich
tat, indem sie es als Auslegungsmittel in einer Frage heranzog, die in
Wirklichkeit kantonales Prozessrecht betrifft, liegt ein Nichtigkeitsgrund
nicht vor (vgl. BGE 73 IV 135; 96 II 63, 93 II 191 a, 83 II 348 E
1). Dagegen wäre einer staatsrechtlichen Beschwerde wegen Verletzung
von Art. 4 BV eher Erfolg beschieden gewesen, nachdem das bernische
Prozessrecht keine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz enthält und die
Vorinstanz ihr von der bisherigen Berner Praxis abweichendes Urteil gar
nicht auf prozessuale Bestimmungen gestützt hat.

    2. Anstiftung zu falschem Zeugnis

    a) Der Beschwerdeführer bestreitet auch die Zeugenqualität von
Frau Enz. Da sie tatverdächtig war, hätte sie nicht als Zeugin befragt
werden dürfen. Somit hätte er jedenfalls nicht wegen Anstiftung zu
falschem Zeugnis, sondern höchstens wegen Versuchs dazu bestraft werden
können. Ferner kritisiert er den Umstand, dass der Untersuchungsrichter
Frau Enz anfänglich als Zeugin befragte und ihre Aussage protokollierte,
dann aber ohne Abschluss des Protokolls und Unterzeichnung durch Frau
Enz als Zeugin diese des falschen Zeugnisses beschuldigte und weiter zu
Protokoll einvernahm, das sie schliesslich als Angeschuldigte unterschrieb.

    Die Frage nach der Zeugnisfähigkeit ist indessen, wie in Erwägung
1 dargelegt, eine solche des kantonalen Prozessrechts. Da das Gleiche
für die Frage gilt, wann eine Zeugeneinvernahme beendet ist und ob, wie
die Vorinstanz meint, Formfehler so, wie es hier angeblich geschehen ist,
geheilt werden können, sind dem Kassationshof im Nichtigkeitsverfahren die
Hände gebunden. Der Mangel hätte durch Willkürbeschwerde geltend gemacht
werden müssen. Nachdem schon aus diesem Grunde auf die Beschwerde in
diesen Punkten nicht einzutreten ist, kann offen bleiben, ob die Rüge
eines wegen Anstiftung verurteilten Täters, der Haupttäter sei zwar
rechtskräftig aber zu Unrecht verurteilt worden, überhaupt zu hören ist.

    b) Sodann bringt der Beschwerdeführer vor, das angefochtene Urteil
widerspreche auch materiell den aus den Akten ersichtlichen Tatsachen. Er
habe Frau Enz in Wirklichkeit nie aufgefordert, falsch auszusagen. Damit
kritisiert der Beschwerdeführer den für den Kassationshof verbindlich
festgestellten Sachverhalt (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Mit solchen Rügen,
die sich gegen die Beweiswürdigung richten, ist der Beschwerdeführer
ausgeschlossen (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).

    c) Zu dem weiteren Einwand des Beschwerdeführers, bei den
Besprechungen unter den Beteiligten habe niemand an eine gerichtliche
Zeugeneinvernahme gedacht und darum habe er Frau Enz auch nicht dazu
angestiftet, als Zeuge falsch auszusagen, nimmt das Obergericht nicht
Stellung. Es stellt tatbeständlich fest, Kathriner habe im "Alpina" zu
Frau Enz gesagt, er werde jetzt mit den Eheleuten Wenger weggehen "und
niemandem etwas sagen". Frau Enz ihrerseits habe deponiert, Kathriner
habe sie dazu verhalten, die Wahrheit zu verschweigen. Die Vorinstanz
folgert zusammenfassend, es sei "der Beweis dafür ... erbracht, dass
Kathriner Frau Enz-Wigger angestiftet und ihr zugleich das Versprechen
abgenommen hat, vor dem Richter die Wahrheit zu verschweigen". Daraus
ergibt sich noch nicht, dass Kathriner Frau Enz anstiftete, als Zeugin
falsch auszusagen. Selbst wenn von der Aussage vor dem Richter die Rede
war, so konnte damit ebensogut die Aussage als Angeschuldigte gemeint
sein. Die Umstände sprechen für diese Annahme. Kathriner, die Eheleute
Wenger und Frau Enz hatten soeben gemeinsam der Polizei die Kontrolle
verunmöglicht; keiner hatte die Türe geöffnet, keiner auf die Rufe der
Polizei geantwortet. Alle vier hatten sich möglichst still verhalten, um
vorzutäuschen, ausser Frau Enz sei niemand in der Wirtschaft. Die Gruppe
war sich darüber klar, dass die Polizei der Sache nachgehen werde, weshalb
für die ihnen drohende Untersuchung vereinbart wurde, nichts Belastendes
zuzugeben. In dieser Lage sahen jedenfalls der Beschwerdeführer und
Frau Enz ihre Einvernahme als Eventualangeschuldigte voraus, da sie
sich gemeinsam vergangen und Strafe zu gewärtigen hatten. Dass Frau
Enz als Zeugin befragt würde, erschien dagegen nach der Sachlage ganz
unwahrscheinlich. Der Umstand, dass Kathriner Frau Enz aufforderte, vor dem
Richter die Wahrheit zu verschweigen, genügt somit nicht zur Verurteilung
wegen Anstiftung zu falschem Zeugnis. Der Vorsatz Kathriners muss auch
das Tatbestandsmerkmal umfassen, dass Frau Enz nicht als Angeschuldigte,
sondern als Zeugin befragt werde. Davon hat sich der Richter wie von
jedem andern Element des gesetzlichen Tatbestands materiell zu überzeugen
und darüber von Amtes wegen Beweis zu führen. Die Sache ist deshalb nach
Art. 277 BStP an das Obergericht zurückzuweisen, damit es sich in der zu
treffenden neuen Entscheidung darüber ausspreche, ob und aufgrund welcher
Tatsachen es dem Beschwerdeführer den genannten Vorsatz zur Last legt.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist,
teilweise gutgeheissen und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der
Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.