Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 147



98 IV 147

28. Entscheid der Anklagekammer vom 27. Juni 1972 i.S. Verhöramt des
Kantons Glarus gegen Richteramt Balsthal. Regeste

    Art. 346 und 349 StGB.

    1.  Der Hehler hat sich an dem durch seine eigene Tat begründeten
Gerichtsstand zu verantworten (Erw. 1).

    2.  Anders verhält es sich nur, wenn er an einer mit schwererer Strafe
bedrohten Vortat als Anstifter, Gehilfe oder Mittäter teilgenommen hat
(Erw. 2-5).

Sachverhalt

    A.- Der Untersuchungsrichter von Balsthal eröffnete am 1. März 1971
gegen Walter Bracher eine Voruntersuchung wegen fortgesetzter Veruntreuung
von Fleisch, die der Beschuldigte vom Frühling 1968 bis im Februar 1971
zum Nachteil seiner Arbeitgeberin, der Hermann Grieder AG in Balsthal,
begangen haben soll. Am 6. März 1971 dehnte er das Verfahren auf Roland
Eggenschwiler und Eugen Ackermann aus, denen er ebenfalls in mehreren
Fällen Veruntreuung von Fleisch zum Nachteil ihrer Arbeitgeber vorwirft. Am
11. März 1971 wurde ferner Werner Friedli, der in Hägendorf wohnt, als
Hehler in das Verfahren embezogen.

    Am 9. Juni 1971 liess die Hermann Grieder AG durch einen Anwalt beim
Kantonsgericht von Glarus gegen den in Diesbach (Glarus) niedergelassenen
Metzger und Fleischgrosshändler Albert Eicher eine Strafanzeige einreichen
mit dem Vorwurf, er habe Bracher von der veruntreuten Ware abgekauft im
Bewusstsein, dass sie unrechtmässig erworben worden sei.

    B.- Am 27. Dezember 1971 ersuchte das Verhöramt des Kantons Glarus
den Untersuchungsrichter von Balsthal, die Strafuntersuchung gegen Eicher
zu übernehmen.

    Der Untersuchungsrichter von Balsthal lehnte dies am 14. Juni 1971 mit
der Begründung ab, die Strafanzeige gegen Eicher betreffe den Vorwurf der
Hehlerei und es beständen keinerlei Anhaltspunkte für eine Gehilfenschaft
des Beschuldigten bei den Veruntreuungen.

    C.- Mit Eingabe vom 19./23. Juni 1972 beantragt das Verhöramt des
Kantons Glarus der Anklagekammer des Bundesgerichtes, für die Verfolgung
und Beurteilung Eichers das Richteramt Balsthal zuständig zu erklären.

Auszug aus den Erwägungen:

              Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Wer eine Sache erwirbt, von der er weiss oder annehmen muss,
dass sie durch eine strafbare Handlung erlangt worden ist, macht sich der
Hehlerei schuldig (Art. 144 StGB). Dieses Verbrechen ist nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht eine Form der Teilnahme an
der Vortat (BGE 69 IV 74 Erw. 6, 73 IV 99, 81 IV 91 Erw. 1, 90 IV 16
Erw. 1) und daher nicht am Gerichtsstand des Vortäters zu verfolgen
(nicht veröffentlichte Entscheide der Anklagekammer vom 15. Mai 1945
i.S. Schaffhausen c. Zürich, vom 4. Dezember 1945 i.S. Bezirksamt
Alttoggenburg c. Appenzell I.Rh. und Thurgau und vom 8. März 1946 i.S. Uri
c. Bern, ferner BGE 77 IV 123). Der Hehler hat sich an dem durch seine
eigene Tat begründeten Gerichtsstand zu verantworten, also in der Regel
dort, wo er sie ausgeführt hat (Art. 346 StGB). An dieser Rechtsprechung,
die übrigens von keiner Seite angefochten wird, ist festzuhalten.

Erwägung 2

    2.- Der Hehler kann zur Vortat angestiftet haben und ist dann ausser
wegen Hehlerei auch wegen dieser Anstiftung zu verfolgen und zu bestrafen,
z.B. wegen Anstiftung zu Veruntreuung (BGE 70 IV 69 Erw. 4, 73 IV 21 ff.).

    In der Strafanzeige vom 9. Juni 1971 wird die Auffassung vertreten,
Eicher sei "wegen Hehlerei, ev. sogar wegen Anstiftung oder anderer
Mittäterschaft" zu verfolgen. Die Anzeige sagt jedoch mit keinem Wort,
worin die allfällige Anstiftungshandlung bestanden hätte. Auch aus
den Akten ergibt sich nicht, dass Eicher im Sinne des Art. 24 StGB
den Anstoss zu den Veruntreuungen Brachers oder eines Mitbeschuldigten
gegeben habe. Das Verhöramt Glarus wirft denn auch Eicher Anstiftung nicht
vor. Es sagt im Gegenteil, er habe "den zur Tat entschlossenen Bracher"
unterstützt, nämlich dadurch, dass er jederzeit bereit gewesen sei,
diesem das veruntreute Fleisch abzunehmen.

    Eine Verfolgung Eichers als Anstifter am Gerichtsstand der Haupttäter
(Art. 349 Abs. 1 StGB) kommt daher nach der heutigen Aktenlage nicht
in Frage.

Erwägung 3

    3.- Der Hehler kann im Sinne des Art. 25 StGB zur Vortat Hilfe
leisten. Ob das Verhöramt Glarus, das im Schreiben vom 27. Dezember
1971 die Auffassung vertrat, die Untersuchung gegen Eicher sei auf
den Tatbestand der Gehilfenschaft auszudehnen, diesen Beschuldigten
auch heute noch als Gehilfen betrachtet, ist fraglich. Es hält der
Auffassung des Untersuchungsrichters von Balsthal, die Akten enthielten
keine Anhaltspunkte für eine Gehilfenschaft, bloss entgegen, Eicher habe
"sich nicht nur der Gehilfenschaft und der Hehlerei, sondern sogar der
Mittäterschaft schuldig gemacht". Es scheint also die Behauptung der
Gehilfenschaft durch jene der Mittäterschaft ersetzen zu wollen.

    Wie dem auch sei, sagt es jedoch mit keinem Worte, aus welcher
Aktenstelle sich ergebe, dass und bei welcher Gelegenheit Eicher zur
Begehung der Veruntreuungen Hand angelegt oder dieses Vergehen auch bloss
psychisch gefördert habe, z.B. durch die Erklärung gegenüber Bracher,
dieser solle weitere Mengen Fleisch veruntreuen und sie liefern. Es begnügt
sich mit der allgemeinen Behauptung, nach der bisherigen Untersuchung
durch das Richteramt Balsthal bestehe "der dringende Verdacht, dass
Albert Eicher bei den deliktischen Handlungen der Mitbeteiligten Bracher
und Konsorten eine entscheidende Rolle spielte"; durch sein Verhalten
habe er ihnen die sozusagen unbeschränkten Veruntreuungen ermöglicht,
sie gefördert, erleichtert und entscheidend beeinflusst, denn für die
Veruntreuung grosser Mengen Fleisch sei wegen der Verderblichkeit der
Ware ein sicherer Abnehmer nötig. So allgemeine Verdächtigungen genügen
nicht, in Eicher einen mutmasslichen Gehilfen zu sehen und ihn statt am
Orte seiner Hehlerei am Gerichtsstand der Vortäter zu verfolgen, umso
weniger, als das gesuchstellende Verhöramt sich nicht einmal bemüht hat,
Eicher einzuvernehmen, um Abklärung zu schaffen. Auch die Strafanzeige
vom 9. Juni 1971 substanziert den Verdacht des Verhöramtes nicht. Sie
verwendet zwar den Ausdruck "Mittäterschaft" neben jenem der Hehlerei,
wirft aber Eicher nur vor, Bracher veruntreute Ware abgekauft zu haben,
und stellt die Indizien zusammen, die angeblich für das Wissen Eichers
um ihre Erlangung durch strafbare Handlung sprechen. Die durch einen
Anwalt beratene Anzeigerin ging übrigens vom Gerichtsstand Glarus aus,
weshalb sie die Anzeige in diesem Kanton, nicht in Balsthal einreichte.

Erwägung 4

    4.- Eine Veruntreuung kann nur begehen, wer das ihm geschenkte
Vertrauen missbraucht, indem er sich eine ihm anvertraute fremde Sache
aneignet oder anvertrautes Gut unrechtmässig verwendet (Art. 140 StGB).

    Das Verhöramt behauptet nicht, das veruntreute Fleisch sei dem
Eicher mitanvertraut worden. Er kann es nicht veruntreut haben. Er
hat es vom Veruntreuer Bracher erworben. Gerade deshalb wird ihm die
Hehlerei vorgeworfen. Eine Verfolgung Eichers wegen Veruntreuung kommt
daher nicht in Frage. Sie lässt sich auch nicht mit der Konstruktion einer
psychischen Förderung des Vergehens des Bracher, d.h. einer Mittäterschaft
rechtfertigen, mag fortgesetzte Hehlerei auch auf ein enges Zusammenwirken
mit dem Veruntreuer schliessen lassen. Es verhält sich anders als z.B. bei
Mittäterschaft zu Diebstahl. Jedermann kann fremde Sachen stehlen.
Veruntreuen, sei es auch als Mittäter, kann sie aber nur der, dem sie
anvertraut oder mitanvertraut sind.

    Der Vorwurf der Mittäterschaft ist übrigens nicht besser substanziert
als jener der Gehilfenschaft. Das Verhöramt nennt keine Aktenstelle, aus
der sich ergäbe, dass und bei welchen Gelegenheiten Eicher auf Bracher
eingewirkt und damit dessen Entschluss zur Begehung von Veruntreuungen
gefördert habe. Der Hinweis darauf, dass Eicher im Bewusstsein der
strafbaren Herkunft der Ware immer wieder als Abnehmer aufgetreten sei,
genügt nicht, denn indem das Gesetz solches Verhalten als Hehlerei bestraft
wissen will, schliesst es aus, es auch noch als Mittäterschaft bei Begehung
der Vortat zu sühnen. Die Mittäterschaft müsste in einem anderen, nicht
schon von Art. 144 StGB erfassten Tun bestehen, um für den Hehler Strafe
auf Grund der Bestimmung über die Vortat nach sich zu ziehen.

Erwägung 5

    5.- Hehlerei ist mit schwererer Strafe bedroht als Veruntreuung,
Anstiftung oder Gehilfenschaft hiezu. Könnte man Eicher Anstiftung
oder Gehilfenschaft zu Veruntreuung oder Mittäterschaft vorwerfen, so
wäre er deshalb gemäss Art. 350 Ziff. 1 Abs. 1 StGB gleichwohl am Orte
der Hehlerei zu verfolgen (BGE 95 IV 40 Erw. 2). Art. 349 StGB könnte
nicht zur Folge haben, dass das schwerste Verbrechen, die Hehlerei, dem
Gerichtsstand der Veruntreuung unterstände. Eine Abweichung von diesem
Grundsatz gestützt auf Art. 263 BStP würde sich im vorliegenden Falle
umso weniger rechtfertigen, als die Untersuchung in Balsthal weitgehend
abgeschlossen und jene in Glarus noch in keiner Weise gefördert worden
ist. Ob nicht gegenteils Bracher ebenfalls im Kanton Glarus zu verfolgen
wäre, kann offen bleiben, denn dies wird weder vom gesuchstellenden
Verhöramt noch vom Untersuchungsrichter von Balsthal verlangt.

Entscheid:

Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Das Gesuch wird abgewiesen, und die Behörden des Kantons Glarus werden
zuständig erklärt, Albert Eicher für die ihm zur Last gelegten strafbaren
Handlungen zu verfolgen und zu beurteilen.