Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 IV 120



98 IV 120

22. Urteil des Kassationshofes vom 1. Juni 1972 i.S. Büchi gegen
Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 76 Abs. 2, 2. Satz SSV. Die von einer Gemeinde vorschriftsgemäss
beschlossene und signalisierte Verkehrsbeschränkung wird nach bernischem
Recht nicht erst mit der regierungsrätlichen Genehmigung verbindlich.

Sachverhalt

    A.- Büchi fuhr am 21. Oktober 1970 in Bern mit seinem Personenwagen
vom Inselplatz durch den mit dem Signal "Allgemeines Fahrverbot" und der
Zusatztafel "Nur Zubringerdienst gestattet" gekennzeichneten Verbindungsweg
in die Effingerstrasse. Da Büchi keinen Zubringerdienst ausführte, wurde
er von der Polizei verzeigt.

    B.- Am 24. September 1971 verfällte der Gerichtspräsident VI von Bern
Büchi wegen Nichtbeachtung des Fahrverbots in Anwendung der Art. 27 Abs. 1
und Art. 90 Abs. 1 SVG in eine Busse von Fr. 20.-.

    Auf Appellation des Gebüssten hin bestätigte das Obergericht des
Kantons Bern am 18. Februar 1972 das erstinstanzliche Urteil.

    C.- Büchi führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid
des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 3 Abs. 2 SVG sind die Kantone befugt, für bestimmte
Strassen Fahrverbote, Verkehrsbeschränkungen und Anordnungen zur Regelung
des Verkehrs zu erlassen. Sie können diese Befugnis den Gemeinden
übertragen. Art. 3 Abs. 6 SVG räumt der Polizei das Recht ein, in
besonderen Fällen die erforderlichen Massnahmen zu treffen, namentlich
den Verkehr vorübergehend zu beschränken oder umzuleiten. Zuständig zur
Anbringung der Signale und Markierungen sind die vom kantonalen Recht
bezeichneten Behörden (Art. 76 Abs. 2 SSV). Überträgt der Kanton die
Signalisation den Gemeinden, dann führt er die Aufsicht.

    Von dieser Möglichkeit hat der Kanton Bern Gebrauch gemacht, indem
er in Art. 4 des bernischen Gesetzes über die Strassenpolizei und die
Besteuerung der Motorfahrzeuge vom 6. Oktober 1940 bestimmt, dass die
Gemeinden die Strassensignalisation auf Gemeindestrassen durchführen;
sie sind befugt, örtliche Verkehrsvorschriften aufzustellen. Nach
§ 47 der bernischen Verordnung über die Strassenpolizei und die
Strassensignalisation vom 31. Dezember 1940 ist die Anbringung von
Signalen auf Staatsstrassen Sache des kantonalen Strassenverkehrsamtes,
auf Gemeindestrassen jene der Gemeinden.

    Die §§ 4 und 5 der genannten Verordnung bestimmen in Ausführung von
Art. 3 Abs. 6 SVG, dass für gewisse kurzfristige Verkehrsbeschränkungen,
Strassensperren und für Parkierungsverbote die Ortspolizeibehörden in
eigener Befugnis handeln.

    In Auslegung dieser verschiedenen kantonalen Erlasse führt das
Obergericht im angefochtenen Urteil aus, dass das bernische Recht
die Signalisation auf einer Staatsstrasse dem Kanton und diejenige
auf einer Gemeindestrasse den Gemeinden übertrage. An dieser Regelung
würden auch die §§ 4 und 5 der zitierten Verordnung, insoweit darin der
Ortspolizei für die erwähnten Fälle gewisse Befugnisse zugestanden werden,
nichts ändern. Namentlich werde durch diese Vorschriften nicht etwa die
Kompetenz der Gemeinden zur Anbringung von Signalen auf die in den §§ 4
und 5 umschriebenen Fälle beschränkt. Vielmehr sei für die Aufstellung von
Signalen aller Art - auch von solchen zur Beschränkung des Fahrverkehrs -
auf Gemeindestrassen die Gemeinde zuständig.

    Diese Ausführungen betreffen die Auslegung kantonalen Rechts,
das im Verfahren auf Nichtigkeitsbeschwerde vor Bundesgericht nicht
überprüft werden kann (Art. 268 Ziff. 1, 269 Abs. 1 BStP). Demnach steht
verbindlich fest, dass die Gemeinde Bern am 3. Juni 1970 befugt war,
den eine Gemeindestrasse darstellenden Verbindungsweg zwischen Inselplatz
und Effingerstrasse mit einem Fahrverbot für Motorfahrzeuge zu belegen.

    Da die Verkehrsbeschränkung von der Gemeinde Bern am 3. Juni 1970
zudem im amtlichen Publikationsorgan veröffentlicht und am fraglichen Ort
entsprechend signalisiert wurde, sind auch die Gültigkeitsvoraussetzungen
für das Fahrverbot im Sinne von Art. 5 Abs. 1 SVG und Art. 82 Abs. 4
SSV erfüllt.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verkehrsbeschränkung
für den Verbindungsweg zwischen Inselplatz und Effingerstrasse sei am
21. Oktober 1970 zwar signalisiert, aber dennoch nicht verbindlich gewesen,
da der Regierungsrat des Kantons Bern sie erst am 5. März 1971 genehmigt
habe. Mit diesem Einwand will offenbar eine Verletzung der Art. 27 Abs. 1
SVG und Art. 76 Abs. 2 SSV gerügt werden.

    Art. 27 Abs. 1 SVG schreibt dem Strassenbenützer jedoch allgemein die
Beachtung der vorschriftsgemäss beschlossenen und angebrachten Signale
und Markierungen vor, gleichgültig, ob diese von der zuständigen Behörde
genehmigt worden sind oder nicht. Und Art. 76 Abs. 2 SSV verpflichtet
die Kantone, die Aufsicht über die an die Gemeinden übertragenen
Signalisationen auszuüben. Dass diese Aufsicht in einer der Bekanntmachung
und dem Aufstellen eines Signals vorausgehenden Genehmigung durch die
kantonale Behörde bestehen müsse, ist der genannten Bestimmung nicht
zu entnehmen. Das Bundesrecht stellt vielmehr den Kantonen die Form der
Beaufsichtigung frei.

    Art. 4 des bernischen Strassenpolizeigesetzes vom 6. Oktober
1940 spricht bloss von der "Genehmigung", die der Regierungsrat den
von den Gemeinden angebrachten Signalen und Markierungen zu erteilen
hat. Mit keinem Wort ist davon die Rede, dass die Zustimmung oder
Ablehnung des Regierungsrates dem Anbringen oder der Bekanntmachung
des Signals vorausgehen oder unmittelbar folgen müsse, damit die
Verkehrsbeschränkung rechtsgültig und verbindlich sei. Vielmehr kann die
erwähnte "Genehmigung" auch einfach bedeuten, dass der Kanton sich in
Art. 4 des Strassenpolizeigesetzes das Recht vorbehält, nachträglich
gesamthaft mehrere von einer Gemeinde erlassene Signalisierungen zu
überprüfen und dabei gutzuheissen oder abzulehnen. Diese Frage betrifft
indes die Auslegung kantonalen Rechts und kann deshalb vom Beschwerdeführer
im vorliegenden Verfahren nicht erörtert werden (Art. 269 Abs. 1 BStP). Es
ist daher von der verbindlichen Feststellung des Obergerichts auszugehen,
dass nach bernischer Regelung der regierungsrätlichen Genehmigung
von kommunalen Signalisierungen bloss eine "deklarative Wirkung"
zukommt. Die von einer Gemeinde verfügte Verkehrsbeschränkung werde
also mit der Bekanntmachung und entsprechenden Signalisierung an Ort
und Stelle verbindlich. Nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil
wird Art. 4 des bernischen Strassenpolizeigesetzes seit jeher in der
Weise gehandhabt, dass der Regierungsrat die von den Gemeinden verfügten
Signalisierungen nicht einzeln im Zeitpunkt ihres Erlasses, sondern erst
später und gesamthaft genehmigt. So ist auch im vorliegenden Fall die
regierungsrätliche Genehmigung für das am 3. Juni 1970 formgültig erlassene
und vorschriftsmässig signalisierte Fahrverbot zwischen Inselplatz und
Effingerstrasse erst neun Monate danach, nämlich am 5. März 1971 erteilt
worden. Die betreffende Verkehrsbeschränkung war somit am 21. Oktober
1970 verbindlich und musste von den Fahrzeugführern beachtet werden. Der
Beschwerdeführer, der in der fraglichen Zeit das Verbindungssträsschen
zwischen Inselplatz und Effingerstrasse befuhr, ohne Zubringerdienst
auszuführen, hat daher dem Fahrverbot zuwidergehandelt und ist dafür zu
Recht bestraft worden.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.