Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 II 96



98 II 96

13. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. Mai 1972 i.S. Böhi
gegen Bindschedler & Co. Regeste

    Aktienkauf, Willensmängel, Genehmigung, Rechtsmissbrauch.

    Art. 31 OR. Genehmigung eines Kaufvertrages nach erfolgter
Anfechtung? Frage offen gelassen (Erw. 3).

    Art. 2 ZGB. Der Aktionär, der den Streit über die Unverbindlichkeit
des Kaufes ausnützt, um mit seinen Minderheitsstimmen die Kapitalerhöhung
der Gesellschaft durchzuführen, handelt gegen Treu und Glauben (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Die W. Bindschedler & Co., Kommanditgesellschaft für
Getreide- und Futtermittel in Zürich, schloss am 15. Mai 1961 mit
der Aktiengesellschaft Böhi, Mühle Bürglen/Thurgau, vertreten durch
Hans Ulrich Böhi, eine Vereinbarung über die Gründung der "Futtermühle
Bürglen AG" mit Sitz in Bürglen. Die Gesellschaft wurde am 18. Mai 1961
gegründet. Das Aktienkapital betrug Fr. 300'000.-- und war eingeteilt in
60 Inhaber-Aktien zu je Fr. 5000.--. Die W. Bindschedler & Co. übernahm
40, Böhi 20 Aktien. Am 6. April 1965 stellte der Verwaltungsrat, dessen
Präsident Böhi war, auf Ende 1964 einen Verlust von Fr. 53'000.-- fest. Die
Bindschedler & Co. wünschte, sich aus dem Geschäft mit der Gesellschaft
zurückzuziehen. Sie bot Böhi ihre 40 Inhaberaktien zum Kauf an, der sie
aufgrund einer Vereinbarung vom 15. September 1965 für Fr. 200'000.--
erwarb. Die Parteien legten damals ausserdem fest, dass das Böhi mit
Vereinbarung vom 18. März 1963 gewährte Darlehen frühestens auf den 30.
September 1966 unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist zur Rückzahlung
gekündigt werden könne.

    Mit Schreiben vom 25. März 1966 ersuchte Böhi die Bindschedler &
Co., die Vereinbarung vom 15. September 1965 abzuändern, und behielt
sich gleichzeitig die Anfechtung des Aktienkaufes vor. Die Bindschedler
& Co. verwarf am 6. April 1966 den Standpunkt Böhis. Dieser focht mit
Schreiben vom 25. Mai 1966 den Aktienkauf wegen Irrtums an und lehnte
weitere Zahlungen ab.

    Am 13. Juni 1966 kündigte die Bindschedler & Co. das Darlehen auf
den 30. September 1966 zur Rückzahlung. Böhi lehnte die Rückzahlung und
weitere Verzinsung des Darlehens ab, weil dieses angeblich zur Finanzierung
der Futtermühle Bürglen AG gewährt worden sei. Am 9. August 1966 forderte
er von der W. Bindschedler & Co. die am 17. September 1965 vertragsgemäss
geleistete Anzahlung für die Aktien von Fr. 40'000.-- zurück.

    B.- Am 9. Dezember 1966 klagte die Bindschedler & Co.  gegen Böhi auf
Zahlung von Fr. 100'000.-- nebst Zins zu 43/4% seit 18. Dezember 1965
aus Darlehen und Fr. 160'000.-- nebst Zins zu 5% seit 1. Oktober 1965
aus Aktienkauf (Restforderung).

    Der Beklagte verlangte widerklageweise die geleistete Anzahlung von Fr.
40'000.-- zurück, nebst Zins zu 5% seit 17. September 1965.

    Das Bezirksgericht Zürich hiess die Klage gut und wies die Widerklage
ab. Es verwarf gestützt auf das durchgeführte Beweisverfahren die
Behauptung des Beklagten, das Darlehen sei in Wirklichkeit der Futtermühle
Bürglen AG gewährt worden, und verneinte in Bezug auf den Aktienkauf
einen Grundlagenirrtum.

    Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 23. September 1971
das erstinstanzliche Urteil.

    C.- Der Beklagte beantragt mit der Berufung das Urteil des Obergerichts
aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung des behaupteten
Grundlagenirrtums an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    Die Klägerin verlangt Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    1./2. - ...

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht hat offen gelassen, ob sich der Beklagte zu Recht
auf einseitige Unverbindlichkeit des Kaufvertrages berufen habe. Es
ist der Auffassung, er habe durch die am 28. März 1969 beschlossene
Kapitalerhöhung der Futtermühle Bürglen AG von Fr. 300'000.-- auf
Fr. 600'000.-- durch Ausgabe von 60 voll einbezahlten Inhaberaktien zu
Fr. 5000.-- den rechtlichen Charakter und die wirtschaftliche Substanz
der 40 Aktien (die vor der Kapitalerhöhung eine 2/3-Mehrheit darstellten)
wesentlich verändert, dadurch den Kaufvertrag genehmigt und die anfänglich
allenfalls begründete Anfechtung unwirksam gemacht.

    Der Beklagte bestreitet, den Kaufvertrag genehmigt zu haben. Wer einen
Vertrag unter dem Einfluss eines wesentlichen Irrtums oder absichtlicher
Täuschung abschliesst, ist nicht gebunden (Art. 23, 28 Abs. 1 OR). Er kann
ihn jedoch ausdrücklich oder stillschweigend genehmigen. Im Entscheid 72 II
403 führte das Bundesgericht unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung
und die Lehre aus, dass die Anfechtungserklärung empfangsbedürftig, nicht
aber annahmebedürftig sei und daher mit dem Eintreffen bei der Gegenpartei
den Vertrag endgültig unwirksam mache. Sie sei unwiderruflich und schliesse
daher, sofern die Voraussetzungen eines Willensmangels erfüllt seien, die
nachträgliche Genehmigung des Vertrages aus. Einigten sich die Parteien
nachträglich, den Vertrag aufrechtzuerhalten, so liege darin der Abschluss
eines neuen Vertrages gleichen Inhalts (Betr. die Unwiderruflichkeit der
Anfechtungserklärung, vergleiche GUHL/MERZ/KUMMER, Das schweizerische
Obligationenrecht, S 139; VON BÜREN, OR S 224/225). In BGE 88 II 412 wurde
sodann ausgeführt, die Genehmigung sei auch nach erfolgter Anfechtung mit
Zustimmung des Gegners möglich. Im vorliegenden Fall kann indessen offen
bleiben, unter welchen Voraussetzungen der Vertrag nach seiner Anfechtung
wieder in Kraft tritt; denn die Klägerin bestreitet den Anfechtungsgrund.

Erwägung 4

    4.- Zu prüfen ist, ob die Berufung auf den angeblichen Irrtum Treu
und Glauben widerspricht.

    a) Nach Art. 703 OR fasst die Generalversammlung ihre
Beschlüsse grundsätzlich mit der absoluten Mehrheit der vertretenen
Aktienstimmen. Gemäss öffentlicher Urkunde vom 28. März 1969, auf die das
Obergericht Bezug nimmt, wurde der Beschluss über die Kapitalerhöhung
der Futtermühle Bürglen AG nur mit den 20 vom Beklagten vertretenen
Aktienstimmen gefasst. Der Beklagte behauptet, dieser Beschluss dürfe nur
der Gesellschaft, nicht ihm persönlich zugerechnet werden. Es steht fest,
dass er nach dem streitigen Aktienkauf die Futtermühle Bürglen AG als
Alleinaktionär wirtschaftlich beherrschte. Die Einmannaktiengesellschaft
hat grundsätzlich ihre eigene Rechtspersönlichkeit. Wegen der
wirtschaftlichen Identität zwischen der Gesellschaft und dem einzigen
Aktionär ist indessen diese formalrechtliche Selbständigkeit der
Gesellschaft in ihren Beziehungen zu Dritten nicht zu beachten, wenn
Treu und Glauben im Verkehr es erfordern (BGE 81 II 459 und dort erwähnte
Entscheide).

    b) Die Folge der Kapitalerhöhung der Gesellschaft war, dass die
rechtliche und wirtschaftliche Macht einer jeden Aktie auf die Hälfte
herabgesetzt wurde und die umstrittenen 40 Aktien nicht mehr 2/3,
sondern nur noch 1/3 des Grundkapitals ausmachten. Freilich beruht diese
Veränderung auf einem Beschluss, der ohne die zugekauften Aktien des
Beklagten zustande gekommen ist. Das ist indessen belanglos. Entscheidend
ist vielmehr, dass der Streit über die Gültigkeit des Kaufvertrages die
40 Aktien lahmgelegt und den Beklagten in die Lage versetzt hat, mit
seinen Minderheitsstimmen die Kapitalerhöhung durchzusetzen. Es verhielt
sich demnach so, wie wenn der Beklagte auch mit den zugekauften Aktien
gestimmt hätte. Daran ändert der Umstand nichts, dass er die Klägerin
zur Generalversammlung einlud und ihr das Bezugsrecht an den Aktien
anbot. Die Klägerin schickte ihm die Einladung und die Zeichnungsscheine
mit dem Hinweis darauf zurück, dass sie nicht mehr Aktionärin sei. Damit
lehnte sie den behaupteten Anfechtungsgrund des Beklagten ab. Das war
von ihrem Standpunkt aus gesehen folgerichtig. Denn mit der Teilnahme
an der Generalversammlung und der Zeichnung neuer Aktien hätte sie
sich unter Umständen dem Einwand des Beklagten ausgesetzt, sie habe
den behaupteten Grundlagenirrtum und damit die Unverbindlichkeit des
Kaufvertrages durch schlüssiges Verhalten anerkannt. Indem der Beklagte
trotz der Stellungnahme der Klägerin das Grundkapital erhöhte, nützte er
den Streit um die Unverbindlichkeit des Kaufes gegen Treu und Glauben aus.

    c) Der Beklagte behauptet, er habe das Anfechtungsrecht nicht dadurch
verwirkt, dass der Wert der Aktien durch die Kapitalerhöhung verändert
worden sei. Er beruft sich auf BGE 97 II 48. In diesem Entscheid führt
das Bundesgericht aus, die Berufung auf einen wesentlichen Irrtum setze
nicht voraus, dass die Leistung, die der Irrende erhalten hat, bei der
Rückgabe mindestens gleichviel wert sei wie beim Empfang. Dieser Vergleich
hält nicht stand, weil in jenem Falle die Rückerstattung des gesamten
Aktienpakets in Frage stand, der Verkäufer somit als Alleinaktionär
die Möglichkeit behielt, den sich auf Irrtum berufenden Käufer auf
Schadenersatz zu belangen, falls er über Aktiven der Gesellschaft
verfügt haben sollte. Im vorliegenden Fall erhielte die Klägerin bei der
Rückerstattung der gegenseitig empfangenen Leistungen mit den 40 Aktien
nur noch einen Drittel des gesamten Aktienpaketes, während dem Beklagten
zwei Drittel verbleiben würden.

    Freilich hat der Aktionär kein wohlerworbenes Recht, dass sich
die relative Grösse seiner Beteiligung nicht vermindere (JÄGGI, Zum
Verfahren bei der Erhöhung des Aktienkapitals, in Festschrift Bürgi,
S. 198). Dieser Grundsatz trifft hier indessen nicht zu, da sich die
Klägerin durch Teilnahme an der Generalversammlung mit ihrem Standpunkt
in Widerspruch gesetzt hätte.

    Nach den Feststellungen des Bezirksgerichts, auf die das Obergericht
verweist, soll W. Bindschedler dem Beklagten beim Abschluss des
Kaufvertrages erklärt haben, die Klägerin wolle kein Geld mehr in die
Gesellschaft stecken, sondern diese entweder liquidieren oder die
Aktien ihm verkaufen. Daraus ist zu schliessen, dass der Beklagte
die Klägerin mit der Zeichnung neuer Aktien veranlassen wollte,
die Anfechtung des Kaufvertrages stillschweigend anzuerkennen
und der finanzschwachen Gesellschaft neue Mittel zur Verfügung zu
stellen. Das war rechtsmissbräuchlich. Die weitere Behauptung des
Beklagten, es sei ihm nicht zuzumuten gewesen, die Kapitalerhöhung
der Gesellschaft wegen eines ihn persönlich betreffenden Streites
auf Jahre hinauszuschieben, ändert daran nichts. Wohl trifft zu,
dass der Beklagte als Verwaltungsratspräsident nach Art. 725 Abs. 3
OR verpflichtet war, eine Generalversammlung einzuberufen und sie von
der Sachlage zu unterrichten, wenn nach der letzten Jahresbilanz die
Hälfte des Grundkapitals nicht mehr gedeckt war. Die Kapitalerhöhung
war indessen nicht die einzige Möglichkeit, die Gesellschaft vor dem
Konkurs zu bewahren. War der Beklagte in der Lage, das Aktienkapital um
Fr. 300'000.-- zu erhöhen, so konnte er der Futtermühle Bürglen AG diesen
Betrag ebensogut schenkungsweise überlassen, ihre Schulden tilgen oder
übernehmen. Solche Sanierungsmassnahmen hätten zwar den inneren Wert der
Aktien (der eigenen und der zugekauften) erhöht, das Stimmrechtsverhältnis
aber nicht verändert. Die Klägerin hätte bei Aufhebung des Vertrages
den Mehrwert der Aktien nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts
ausgleichen müssen (BGE 97 II 48).

    d) Endlich wendet der Beklagte ein, die aktienrechtlichen Folgen wären
für die Klägerin die gleichen gewesen, wenn er die Aktien einem Dritten
veräussert und dieser die Kapitalerhöhung durchgeführt hätte. Das ist an
sich richtig. Doch kann sich der Beklagte bei den gegebenen Umständen
nicht auf solche Hypothesen berufen. Er hat übrigens weder behauptet
noch dafür Beweis angeboten, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses
mit der Klägerin ein Dritter die Aktien ebenfalls übernommen und die
Kapitalerhöhung durchgeführt hätte. Müsste der Einwand des Beklagten in dem
Sinne verstanden werden, dass er die Kapitalerhöhung durch einen Strohmann
hätte besorgen können, so wäre ein solches Verhalten rechtmissbräuchlich
gewesen.

    Hat somit der Beklagte das Anfechtungsrecht verwirkt, so kann mit
der Vorinstanz offen bleiben, ob er sich in einem Grundlagenirrtum
befunden habe.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (I.
Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 23. September 1971 bestätigt.