Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 98 II 313



98 II 313

46. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. November 1972
i.S. Konkursmasse Bergamin gegen Bergamin. Regeste

    Verpfründungsvertrag, Konkurs des Pfrundgebers.

    1.  Ein Verpfründungsvertrag ist trotz Beurkundung eines zu niedrigen
Grundstückpreises als gültig zu behandeln, wenn die nachträgliche Berufung
auf den Formmangel gegen Treu und Glauben verstösst (Erw. 2).

    2.  Art. 529 Abs. 2 OR. Anspruch des Pfründers im Konkurs des
Pfrundgebers: Massgebend für die Kapitalisierung der Forderung ist der
Wert der Pfrundleistung zur Zeit der Konkurseröffnung (Erw. 3).

    3.  Gegenstand und Wirkung des Kollokationsprozesses (Erw. 4).

Sachverhalt

    A.- Mit öffentlich beurkundetem Kauf- und Verpfründungsvertrag vom
15. April 1966 übertrug die damals 70-jährige Frieda Bergamin ihrem Sohn
Hans die Liegenschaft Nr. 1216 in Liestal, die aus einem Einfamilienhaus
und 131 m2 Umschwung besteht. Der Kaufpreis wurde auf Fr. 27'078.--
festgesetzt, wovon die Pfründerin sich Fr. 3'900.-- für das Wohnrecht
an einem Zimmer und Fr. 6'218.-- für die Verpfründung, insgesamt also
Fr. 10'118.-- anrechnen liess. Dieser Betrag wurde mit dem Kaufpreis
verrechnet, und das Wohnrecht als Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen.

    Am 12. April 1969 starb Hans Bergamin, und Anfang Oktober wurde über
seinen Nachlass der Konkurs eröffnet. Am 28. Oktober 1969 schrieb Frieda
Bergamin dem Konkursamt Liestal, dass sie das Pfründverhältnis gestützt auf
Art. 528 OR kündige und für die Aufhebung der Verpfründung Fr. 20'000.--
und für den Hinfall des Wohnrechts Fr. 3'900.-- fordere. Das Konkursamt
antwortete ihr am 26. August 1970, dass es als Ablösung für das dinglich
gesicherte Wohnrecht einen Betrag von Fr. 3'042.-- in den Kollokationsplan
aufgenommen und in der fünften Klasse Fr. 4'848.-- für die weggefallene
Verpfründung nebst Fr. 265.45 für Auslagen zugelassen habe.

    B.- Im April 1971 klagte Frieda Bergamin gegen die Konkursmasse
auf Zulassung von insgesamt Fr. 25'200.--, wovon Fr. 3'900.-- als
grundpfandgesicherte Forderung und Fr. 21'300.-- als Forderung fünfter
Klasse zu kollozieren seien.

    Das Bezirksgericht Liestal stellte fest, dass die Beklagte die von
ihr kollozierten Beträge zugunsten der Klägerin um Fr. 267.-- erhöhte,
und wies die Klage im übrigen ab.

    Auf Appellation der Klägerin hiess das Obergericht des Kantons
Basel-Landschaft am 18. Januar 1972 die Kollokationsklage im vollen Umfange
gut und wies das Konkursamt an, die Forderungen der Klägerin gemäss deren
Klagebegehren zu kollozieren.

    In der Begründung führt das Obergericht insbesondere aus, für die
Kapitalisierung der Pfrundleistungen gemäss Art. 529 Abs. 2 OR sei
stets auf deren Wert zur Zeit der Vertragsauflösung abzustellen. Auf
dieser Grundlage berechnet, mache der Kapitalbetrag der Pfrundleistung
im vorliegenden Fall aber mehr aus, als die Klägerin verlange. Im
übrigen sei von Bedeutung, dass nach übereinstimmenden Ausführungen der
Vertragsparteien ein zu tiefer Liegenschaftspreis verurkundet worden
sei. Es liege ein simuliertes und somit nichtiges Rechtsgeschäft vor,
weshalb die von den Parteien erbrachten Leistungen zurückzuerstatten
seien. Da die Liegenschaft jedoch nicht mehr zur Konkursmasse gehöre,
müsse die Klägerin sich mit einer Ersatzforderung begnügen, welche die
Höhe des eingeklagten Betrages jedenfalls übersteige.

    C.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Obergerichts die Berufung
erklärt. Sie beantragt, es aufzuheben und die Kollokationsklage im Sinne
des Urteils des Bezirksgerichtes abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt, die Berufung abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Durch den Vertrag vom 15. April 1966 versprach die Klägerin, die
Liegenschaft Nr. 1216 ihrem Sohn Hans zu Eigentum zu übertragen. Hans
Bergamin seinerseits verpflichtete sich, eine Grundpfandschuld von Fr.
16'960.-- zu übernehmen und seiner Mutter auf Lebenszeit Unterhalt
und Pflege zu gewähren. Die Unterhaltsleistungen wurden im Vertrag mit
Fr. 10'118.-- angegeben, was zusammen mit der übernommenen Schuld den
verurkundeten Kaufpreis von Fr. 27'078.-- ergab. Der eigentliche Preis der
Liegenschaft war jedoch bedeutend höher. Die Prozessparteien stimmen darin
überein, dass der Sohn Bergamin, der die Liegenschaft allein übernahm,
seine Geschwister mit insgesamt Fr. 25'000.-- abzufinden hatte. Nach
der Klageantwort liess sich die Pfründerin zudem die Leistungen des
Pfrundgebers nicht bloss mit Fr. 10'118.--, sondern mit Fr. 22'000.--,
nach der Klage sogar mit Fr. 38'040.-- anrechnen. Im ersten Fall ergibt
sich ein Liegenschaftspreis von Fr. 64'360.--, im zweiten ein solcher
von Fr. 80'000.--.

    Der öffentlich verurkundete Preis umfasste somit nicht die ganze für
die Liegenschaft versprochene Gegenleistung. Dieser Formmangel machte den
Vertrag nichtig, was vom Bundesgericht von Amtes wegen zu berücksichtigen
ist (BGE 85 II 583, 86 II 36 und 401/2, 88 II 159, 92 II 324 Erw. 2, 94 II
272). Nach der Rechtsprechung ist die Formnichtigkeit im Verhältnis unter
den Parteien indes unbeachtlich. wenn ihre Berücksichtigung gegen Treu und
Glauben verstossen würde; auch diese Frage ist von Amtes wegen zu prüfen
(BGE 86 II 400/1 und dort angeführte Urteile). Zu den Umständen, die
dabei nicht übersehen werden dürfen, gehört insbesondere die freiwillige
Erfüllung des Vertrages durch die Parteien (BGE 92 II 325 unten). Im
vorliegenden Fall hat die Klägerin ihrem Sohn das Eigentum an der
Liegenschaft verschafft, die versprochene Leistung also im vollen Umfang
erbracht. Als gegenseitig erfüllt kann der Vertrag jedoch nicht betrachtet
werden, da der Pfrundgeber seine Leistungen nur zum Teil erbringen konnte.

    Trotzdem verbieten hier Treu und Glauben, die Nichtigkeit des
Vertrages wegen Formmangels zu berücksichtigen. Die Klägerin leitete
ihre Forderungen, die sie bei der beklagten Konkursmasse anmeldete, aus
dem Kauf- und Verpfründungsvertrag vom 15. April 1966 ab, ging also von
dessen Gültigkeit aus. Die Beklagte sodann hat die Forderungen zumindest
teilweise zugelassen und in den Kollokationsplan aufgenommen, nahm
folglich ebenfalls an, der Vertrag sei gültig; sie kann nicht einerseits
den Vertrag als nichtig hinstellen und anderseits daraus Vorteile zugunsten
der Konkursmasse ableiten. Dieses Vorgehen beider Prozessparteien schliesst
eine nachträgliche Berufung auf Nichtigkeit aus. Der Vertrag ist daher
so zu behandeln, wie wenn er gültig wäre (vgl. BGE 89 II 256).

Erwägung 3

    3.- Zu prüfen bleibt, von welchem Betrag bei der Kapitalisierung
der Pfrundleistung, welche die Klägerin im Konkurs ihres verstorbenen
Sohnes geltend macht, auszugehen ist. Die Beklagte ist der Meinung,
es sei auf die von den Vertragsparteien selber vorgenommene Bewertung
abzustellen. Die Klägerin vertritt dagegen die Auffassung, massgebend
für die Kapitalisierung sei gemäss Art. 529 Abs. 2 OR stets der Wert der
Pfrundleistung zur Zeit der Vertragsauflösung oder der Konkurseröffnung.

    Nach Art. 529 Abs. 2 OR hat der Pfründer im Konkurs des Pfrundgebers
Anspruch auf einen Betrag, womit die Leistung des Pfrundgebers dem Werte
nach bei einer soliden Rentenanstalt in Gestalt einer Leibrente erworben
werden könnte. Das setzt voraus, dass alle dem Pfrundgeber obliegenden
Naturalleistungen geschätzt, in Geld umgerechnet und hernach kapitalisiert
werden (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 5 zu Art. 527, N. 4 zu Art. 529 OR). Dass
dabei auf den Zeitpunkt der Konkurseröffnung abgestellt wird, entspricht
nicht bloss dem Sinn und Zweck des Gesetzes, sondern ist auch sachlich
gerechtfertigt. Der Pfrundgeber hat die versprochenen Leistungen zu
erbringen, auch wenn diese nach Abschluss des Vertrages wertmässig
steigen. Solche Wertschwankungen blieben aber unberücksichtigt, wenn
bei der Schätzung und Kapitalisierung auf die Verhältnisse zur Zeit des
Vertragsschlusses abgestellt würde. Für den Leibrentenvertrag, der der
Verpfründung nahe verwandt ist, hat der Gesetzgeber die Streitfrage denn
auch ausdrücklich in diesem Sinne geregelt. Nach Art. 518 Abs. 3 OR ist der
Leibrentengläubiger im Konkurs des Leibrentenschuldners berechtigt, seine
Ansprüche in Form einer Kapitalforderung geltend zu machen, deren Wert
durch das Kapital bestimmt wird, womit die nämliche Leibrente zur Zeit der
Konkurseröffnung bei einer soliden Rentenanstalt bestellt werden könnte.

    Dass diese Lösung bei Verpfründungsverträgen, die mit Grundstückkäufen
gekoppelt sind, die rechtswidrige Unterbewertung der Rentenleistungen
begünstige, lässt sich entgegen den Einwänden der Beklagten nicht
sagen. Die zivilrechtlichen Nachteile, die sich diesfalls aus einer
simulierten Vertragsgestaltung für die Parteien ergeben, werden dadurch,
wie gerade der vorliegende Fall zeigt, keineswegs aufgewogen. Die
Vertragsparteien laufen zudem Gefahr, sich straf- und steuerrechtlich
verantworten zu müssen. Im vorliegenden Fall konnte das Umgehungsgeschäft
dem Beamten, der den Vertrag verurkundet hat und nun dem Konkursamt
Liestal vorsteht, übrigens nicht entgehen.

    Die Auffassung der Vorinstanz, es sei vom Wert der Pfrundleistungen
zur Zeit der Konkurseröffnung auszugehen, verletzt daher das Gesetz nicht.

Erwägung 4

    4.- Nicht gefolgt werden kann dem Obergericht dagegen darin,
die Beklagte habe für die weggefallene Verpfründung in der fünften
Klasse einen Betrag von Fr. 21'300.-- zuzulassen, obwohl die
Klägerin dafür bloss eine Forderung von Fr. 20'000.-- angemeldet
hat. Gegenstand eines Kollokationsprozesses ist nicht der Bestand
oder Nichtbestand einer Forderung, sondern bloss die Frage, inwieweit
angemeldete Gläubigeransprüche bei der Liquidation der Aktivmasse zu
berücksichtigen sind. Der Prozess dient ausschliesslich der Bereinigung
des Kollokationsplanes und hat so wenig wie dieser eine über das
Konkursverfahren hinausgehende Rechtswirkung. Dasselbe ergibt sich
aus der Natur der Kollokationsklage, die ihrem Sinn und Zweck nach ein
Rechtsmittel gegen die Kollokationsverfügung der Konkursverwaltung ist
(BGE 65 III 30/31, 81 III 76).

    Die Klägerin durfte daher mit der Kollokationsklage eine nochmalige
Überprüfung ihrer Forderungen verlangen, die sie im Konkurse ihres
verstorbenen Sohnes angemeldet hatte; dagegen durfte sie die nur teilweise
zugelassene Forderung für die weggefallene Verpfründung nicht mit der
Klage von Fr. 20'000.-- auf Fr. 21'300.-- erhöhen.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beklagte wird in teilweiser Gutheissung der Berufung verpflichtet,
im Konkurs der ausgeschlagenen Verlassenschaft des Hans Bergamin-Ellinger,
Liestal, die Klägerin mit folgenden Forderungen zuzulassen: Fr. 3'900.--

    grundpfandgesichert als Ablösung des dinglich gesicherten Wohnrechts
auf Parzelle 1216 des Grundbuchs Liestal, Fr. 20'000.--

    als Forderung fünfter Klasse.

    Im übrigen wird die Berufung abgewiesen und das Urteil des Obergerichts
des Kantons Basel-Landschaft vom 18. Januar 1972 bestätigt.